ARD-Journalist: „Lügen und damit durchkommen ist auch ein Machtbeweis“

Keiner vermisst Angela Merkel. So die einhellige Meinung bei „Maischberger“. Doch die Talkshow zeigt auch, wie schwer es mancher Anhängerin fällt, sich trotz all ihrer Fehler von der Kanzlerin zu lösen.

Screenprint: ARD/maischberger

In der Zauberwelt von Harry Potter gibt es die Hauselfen. Fleißige Diener, die durch einen Bann an ihre Herren gebunden sind. Sie dürfen diese nicht verraten, sie dürfen sie auch nicht kritisieren. Tun die Elfen es doch, kostet es sie schwere Überwindung. Die ARD-Journalistin Julie Kurz wirkt bei Maischberger wie eine Hauselfe im Freiheitskampf, wenn es um die Analyse der Kanzlerschaft Angela Merkels geht.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Nein, sie vermisse die Kanzlerin nicht, sagt Kurz. Das tun alle am Journalisten-Tisch bei Maischberger. Also bewegt sich die Journalistin dort, wo sie als ARD-Mitarbeiterin hingehört – im Mainstream. Doch es fällt ihr schwer: Merkels so herrlich „lakonische Art“, die… Pause. „Vermisst“ zu sagen, vermeidet Kurz, schließlich ist die Kanzlerin pfui, jetzt, also bricht die Journalistin den Gedanken ab. Und warum ist Merkel für sie jetzt pfui? Weil sie Deutschland „in die Energieabhängigkeit“ zu Russland getrieben habe.

Das Problem sei, dass in den letzten Jahren keiner nachgefragt habe zu Merkels Russlandpolitik, sagt Kurz. Durchaus richtig. Nur: Wessen Aufgabe wäre es denn gewesen? Die Aufgabe des mit acht Milliarden Euro jährlich ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Rundfunks vielleicht? Doch dessen Mitarbeiter waren gegenüber der Kanzlerin mehr Hauselfe als Journalist. Es gab durchaus Menschen, die haben Merkels Politik hinterfragt. Die kamen auch in der ARD vor: als Rechte, Neue Medien und mit noch weniger freundlichen Titulierungen versehen. Opfer regelrechter Kampagnen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Nun lösen sich also die Journalisten bei Maischberger von Merkel. Anlass war ein Auftritt, den die Kanzlerin im Berliner Ensemble hatte. Der Spiegel-Journalist Alexander Osang hat sie dort befragt. Der Auftritt sei zu spät gekommen, sagt Stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz. Merkel hätte sich früher erklären müssen und auch jetzt habe sie es nicht wirklich getan. Das sei eine verpasste Chance. Denn: „So leicht wie gestern wird es ihr nicht oft gemacht.“

"das Herz gebrochen"
Spiegel-Redakteur Osang schenkt Merkel einen Wohlfühlabend
Osangs journalistische Leistung kam bei Maischberger nicht gut weg: „Er hat eh nur Wohlfühlfragen gestellt“, sagt der Kabarettist Urban Priol. Wobei es genug Ansätze gegeben hätte, richtig nachzufragen. Die teilen sich laut Priol in Sachen Merkel in zwei große Blöcke auf: „Was sie uns hinterlassen hat, und was sie unterlassen hat.“ Für Kurz habe die Kanzlerin immer die richtigen Erkenntnisse gehabt, nur halt nicht die richtigen Schlüsse daraus gezogen.

Nun gehe es der Kanzlerin vor allem darum, sagt Kurz, die Deutungshoheit über ihre Regentschaft zu behalten. Deswegen trete sie bei Osang auf. Deswegen habe sie sich dort durch die unangenehmen Punkte „durchgemerkelt“. Das empört die ARD-Journalistin. Und da zeigt sich, wie schwer es ihr trotzdem fällt, sich vom einstigen, hausinternen Bann zu befreien und die gefallene Heldin zu kritisieren. Trotz alledem, was Merkel hinterlassen habe. Nämlich „frappierende…“. Stille. Kurz ringt mit den Worten. „Fragen.“ Also „frappierende Fragen“ hat Merkel laut Kurz hinterlassen. Es wird noch dauern, bis ARD-Mitarbeiter offen und deutlich über die Kanzlerinnenschaft sprechen können.

Den anderen helfen könnte Udo Lielischkies. Der ehemalige ARD-Korrsespondent in Moskau war vor dem 24. Februar 2022 nicht häufig Gast in deutschen Talkshows. Schade eigentlich. Denn es macht Spaß, ihm zuzuhören. Ruhig in der Art. Präzise in der Wortwahl. Scharf im Urteil: ein „lupenreiner Demokrat“? Das sei Wladimir Putin nie gewesen. Der russische Präsident sei ein Produkt des Geheimdienstes, der die Demokratie in Russland abgeschafft habe und sich an den USA für den Niedergang von 1989 rächen wolle.

Achtung, Glosse!
Der Wirtschaftswoche geht ein Licht auf: Merkel war doch nicht so toll
Anfangs sei es von Merkel noch richtig gewesen, die Beziehungen zu Russland zu pflegen. Doch mit der Wirtschaftskrise von 2008 habe sich Putins Politik geändert. Auf seinen Druck hin habe Merkel die Aufnahme der Ukraine in die Nato verhindert. Und trotz seiner militärischen Operationen im Donbass habe Deutschland den Bau von Nord Stream 2 forciert, habe seine Gasspeicher an Russland verkauft. „Da dachte ich mir: Ich verstehe es nicht mehr“, sagt Lielischkies. Das ist Understatement. Denn Lielischkies hat das Verhältnis Putin-Merkel ziemlich genau durchschaut.

Putin habe Merkel gegenüber seine Macht demonstriert. Bildlich erkennbar sei das geworden, als er den Hund zum Staatsbesuch mitbrachte, obwohl beziehungsweise weil er wusste, dass die Kanzlerin Angst vor Hunden hat. So sei auch seine Politik gewesen. Er habe Angst verbreitet und Merkel habe entsprechende Rücksichten genommen. Das habe Putin ermöglicht zu lügen, obwohl er wusste, dass ihm keiner glaubt. Etwa wenn er sagte, dass im Donbass keine russischen Soldaten agieren würden. Gerade weil ihm keiner glaubte, sind die Lügen aus Lielischkies’ Sicht bedeutend: „Lügen und damit durchkommen ist auch ein Machtbeweis.“

Weitere Auftritte von Lielischkies wären wünschenswert. Die Klarheit in der Debatte ebenso. Und auch die jetzige Regierung täte gut dran, zu mehr Rationalität zu kommen. Sonst droht ihr später eine Beurteilung, wie sie Stern-Chef Schmitz über Merkel ausspricht: „Sie hat sich stets redlich bemüht.“

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 38 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

38 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
solaris21
2 Jahre her

Ohne Lügen geht es bei Merkel nicht:
Bei der Merkel-Huldigung waren sich Merkel und ihr fürs Interview mitgebrachter Papagei darin einig, dass ihre erster Nationalzitteranfall beim Besuch von Zelenskyy im Juli 2019 auftrat. Merkel behauptete einen Zusammenhang zum Tod ihrer Mutter im April 2019.
Ihr erster Zitteranfall geschah aber bereits 2017 beim Abspielen der Nationalhymne in Mexiko.

„Lügen und damit durchkommen ist auch ein Machtbeweis“

luxlimbus
2 Jahre her

„Lügen und damit durchkommen ist auch ein Machtbeweis“ ist nicht nur auf einen im Gulag-Kommunismus verhafteten (Ras-)Putin zu münzen. Es ist ebenso das Credo der deutschen Corona-Krisenbewältigung, die in bewusster Umkehr der Entscheidungskette, die mediale Aktionismusintensität an die Resonanz, auf ein vorab definiertes Maßnahmenpaket (…), und eben nicht an einen validen Parameter wie z.B. die Krankenhausauslastung (2%) anpasste. Ein ungeheuer irrsinniger Vorgang, der bis heute weder eine Aufarbeitung, noch einen Abschluss gefunden hat. Und ja – ich bin aufrichtig froh darüber, dass das Mädchen aus dem KGB-Haushalt weg vom (großen) Fenster ist. Bei Auftritten wie den zitierten, dreht sich mir… Mehr

Michael Palusch
2 Jahre her

Jetzt also auch noch der Tennislehrer, der bereits 2014 wegen seiner propagandistisch gefärbten Ukraine-Berichterstattung immer wieder für Unmut sorgte, als Anwalt der Guten.
Fehlen nur noch Golineh Attai oder Katrin Eigendorf, die schon 2014 Hakenkreuze und andere Nazisymbole noch nicht einmal dann zu erkennen vermochten, wenn diese sprichwörtlich vor ihrer Nase herumspazierten.

Hummi
2 Jahre her

Der Artikel zeigt einmal mehr überdeutlich auf , wie verlogen und unglaubwürdig unsere Zwangsgebühren finanzierter ÖRR doch ist! Die schreibende Zunft ist allerdings nicht viel besser, doch hier habe ich es in der Hand , ob ich für deren Manipulationen und Lügereien Geld ausgebe oder nicht . Die Gebühren für den ÖRR gehören wie in GB und Frankreich ebenfalls zeitnah abgeschafft , dann sollen sie sich auf dem Markt behaupten! Wer dafür zahlen will um angelogen und für dumm verkauft zu werden , kann es ja dann gerne machen !

bruecke222
2 Jahre her

Die Energieversorgung Deutschlands durch russisches hat lange Tradition und war für Deutschland auf Grund der Versorgungssicherheit und des günstig Preises ein Vorteil für Deutschland.
Merkel hat im Grunde Deutschland abgeschafft und damit ruiniert, aber zumindest bei der Gasversorgung hat sie nicht gegen deutsche Interessen verstoßen.
Dass ihr die sichere Gasversorgung nun zum Vorwurf gemacht wird spiegelt den katastrophalen Zustand von Politik und Medien wider.
p. s.
„Lügen und damit durchkommen ist auch ein Machtbeweis“
9.11 ist dazu ein hervorragendes Beispiel und die Coronamaßnahmen schließen an.

Last edited 2 Jahre her by bruecke222
Mohrenkopf
2 Jahre her
Antworten an  bruecke222

„Dass ihr die sichere Gasversorgung nun zum Vorwurf gemacht wird „

Sie verwechseln vollkommene Abhängigkeit mit Sicherheit.

Rene 1962
2 Jahre her

Ich will frau Merkel nicht in Schutz nehmen. Aber die wusste doch was passieren wird wenn die Atommeiler abgeschaltet werden. Sie brauchte billiges Gas aus Russland. Das war also ihr geringster Fehler.

flin
2 Jahre her

Ich gebe zu, betreffend Fr. Merkel bin ich bei einigen Themen nicht gut auf Sie zu sprechen. Betreffend Russland habe ich jedoch eine komplett andere Meinung als die, dass Fr. Merkel viel früher sich gegen Putin hätte stellen sollen. Der Vorwurf an Fr. Merkel meinerseits lautet: + versäumt gegenüber Amerika sehr deutlich die Position vertreten, dass diese die geostrategischen Spielchen in Europa sein lassen sollen. + gegenüber Ukraine, welche sich auf USA eingelassen (verkauft) haben, die klare Position zu vertreten, dass es Geld und Europa nur gegen Umsetzung Minsker Abkommen gibt und aktiv an eine Lösung gearbeitet wird. Fr. Merkel… Mehr

ChrK
2 Jahre her

Stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz

Ach, der Schmitzi. Ein Ums-Goldene-Merkalb-Tanzer vor dem Herrn. War vor dem Stern Chefredakteur bei der Allgäuer Zeitung. Noch so einer, den man nicht vermißt…

rainer erich
2 Jahre her

Richtigerweise sollte die Hinterlassenschaften der Dame nicht auf Russland bzw Putin beschränkt werden. Die Beseitigung der Demokratie, konkret der Gewaltenteilung die weitgehende Beseitigung der Meinungsaeusserungsfreiheit, die Schaffung eines Politgerichts namens BVerfG, die Abschaffung von Grundrechten, der Ruin der Wirtschaft und Gesellschaft, die Schäden in Hoehe vieler Hundert Mrd durch Energiewende, Europolitik und Coronamassnahmen plus “ Migration“ allein waeren, da nicht gerade Petitessen, durchaus in der Bilanz der transformatieischen Dame erwähnenswert. Und sicher waren es nicht nur die Angst oder Geld, die Merkel zur speziellen Politik mit Russland und China motiviert haben. Da waren und sind sehr viel Sympathie insbesondere fuer… Mehr

Budgie
2 Jahre her

Die Eingeständnisse der Mainstream-Journalisten kann ich nicht ernst nehmen. Wer hat denn dafür gesorgt das bei der Bundespressekonferenz kritische Journalisten ausgesperrt (B. Reitschuster) oder gar nicht erst aufgenommen wurden? Das war nicht die Regierung, sie hat es vielleicht vorangetrieben, nein, es waren die der BPK angehörenden Journalisten. Die Schleimspur führt durch die kompletten Mainstream-Imperien. Auf Grund der Aktualität möchte ich diesen „Medienschaffenden“ das Zitat von Henryk M. Broder „Wenn ihr euch fragt, wie es damals passieren konnte: weil sie damals so waren, wie ihr heute seid.“ mit auf den Weg geben. Geht in Euch, Ihr habt auf ganzer Linie versagt!