Pfingstmassaker in Nigeria: Nur die Spitze des Eisbergs

Nach einem mutmaßlich islamistischen Anschlag auf eine Kirche in Nigeria sind mindestens 50 Tote zu beklagen, darunter viele Kinder. Es ist die Eskalation eines seit Jahren bekannten, aber medial ignorierten Konflikts. Christen sind weiterhin die am meisten verfolgte Religionsgemeinschaft weltweit.

IMAGO / Eibner

Terroranschläge an christlichen Festtagen haben in Ländern, in denen christliche Minderheiten leben, eine mittlerweile traurige Tradition. Zu Ostern 2019 griffen Islamisten drei Kirchen und Hotels auf Sri Lanka an, mehr als 250 Menschen wurden getötet, fast 500 weitere verletzt. Pikant: Der indische Geheimdienst hatte die sri-lankischen Behörden zuvor gewarnt. Am Palmsonntag 2017 sprengten sich Dschihadisten im ägyptischen Tanta und Alexandria und Ägypten selbst in die Luft. Sie töteten 44 Menschen und verletzten 126 Menschen, die sich zur Messe eingefunden hatten. Im selben Jahr griffen Mitglieder des Islamischen Staates eine Kirche in Pakistan an, ermordeten 9 Menschen und verletzten über 50. Es war eine Woche vor Weihnachten. Ein Jahr zuvor verübten die Taliban in Pakistan einen Selbstmordanschlag auf einen Spielplatz, wo Christen nach der Messe feierten. Bilanz: 70 Tote und 340 Verletzte.

Das gestrige Pfingstmassaker im nigerianischen Owo reiht sich daher in das Bild, dass die Christen weltweit die am meisten verfolgte Religionsgemeinschaft sind. Die genaueren Umstände sind immer noch nicht geklärt. Laut Reuters seien mindestens 50 Tote zu beklagen. Neuerlich stand eine Kirche im Visier, die angesichts der Pfingstmesse rappelvoll war. In den sozialen Medien kursieren die Bilder von Kinderleichen. Arakunrin Akeredolu, der Gouverneur des südwestnigerianischen Ondo-Staates, in dem Owo liegt, bestätigte, dass unter den Toten viele Kinder seien. Er bezeichnete den unprovozierten Angriff auf unschuldige Gläubige als „abscheulich und satanisch“. Der Anschlag galt der St. Francis Xavier Catholic Church.

Anschläge auf Kirchen an christlichen Festtagen mehren sich weltweit

Laut dpa habe eine Gruppe unbekannter Bewaffneter wahllos auf die Messbesucher eingeschossen. Die Angreifer hätten auch Sprengstoff benutzt. Obwohl sich bisher niemand zu den Anschlägen bekannt hat, ergibt sich ein Muster, das aus dem Norden bereits bekannt ist. Die Menschenrechtlerin Nina Shea vom Hudson Institute sagte gegenüber der Nachrichtenagentur CNA, dass es sich um eine von vielen „kriegsähnlichen“ Attacken handele, die seit geraumer Zeit gegenüber Katholiken und anderen Christen eskalierten. Man habe solche Angriffe auf Messbesucher schon im Norden des Landes erlebt. Sie seien das Werk islamischer Extremisten. Die gegenwärtige Regierung verharre in Passivität und gebe damit den Islamisten „grünes Licht“ für ihre Taten.

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Nigeria besteht aus einem muslimischen Norden und einem christlichen Süden. Seit Jahren ist die Jagd auf Christen im Norden des Landes zu einer Art Volkssport geworden. Abspaltungen von Boko Haram treiben hier ihr Unwesen, entführen oder töten christliche Gruppen. Berüchtigt sind die Milizen der Fulbe bzw. Fulani, die laut Aussage Professor Obiora Ike, einem Menschenrechtsaktivist und katholischen Monsignore, einen Genozid gegen die christliche Bevölkerung verüben. Gegenüber der christlichen Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International (CSI) sagt er, dass Christen in Nigeria „systematisch enteignet und permanenter Verfolgung“ ausgesetzt seien. Mehr als 30.000 seien im letzten Jahrzehnt getötet worden. „Viele weitere wurden entführt, misshandelt oder aus ihren Häusern vertrieben. Inzwischen gibt es in Nigeria über zwei Millionen Vertriebene.“

Mehr als 30.000 Christen sind in Nigeria im letzten Jahrzehnt von islamischen Milizen ermordet worden

Ende März vertrieben Fulani-Milizen nach einem zweitägigen Angriff 7.000 Menschen. Die Regierungssoldaten flüchteten, weil sie den Banditen unterlegen waren. Auf ihrem Rückzug töteten die Milizen Menschen und Tier, um die Christen im Zuge einer Taktik der verbrannten Erde von der Rückkehr abzuhalten. Häuser, Fahrzeuge und Kirchen brannten sie nieder. Bei einer Attacke am 10. April töteten bewaffnete Fulani erneut 142 Menschen. Am 11. Mai veröffentlichte die nigerianische IS-Verbindung ein Video, in dem sie 20 Christen hinrichtete.

Für Aufsehen sorgte auch der Fall der christlichen Studentin Deborah Samuel Yakubu. Sie wurde am 12. Mai wegen angeblicher Blasphemie von einem halben Dutzend muslimischer Studenten unter „Allahu akbar“-Rufen brutal gelyncht – auf dem Universitätscampus. In einem Video brüstete sich der Mob mit ihrer Hinrichtung. Der örtliche Imam verteidigte die Mörder, denen vermutlich keine juristischen Folgen drohen. Die 25 Jahre alte Studentin lebte im Sokoto-Staat, in dem die Scharia gilt. Auf Blasphemie steht dort die Todesstrafe.

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Der Umgang mit dem Fall Deborah Samuel Yakubu wirft ein bezeichnendes Licht auf den Umgang mit Gewalt gegen Christen vonseiten der nigerianischen Regierung. Die Regionalregierung in Sokoto verdammte den Lynchmord nicht, sondern stellte nur baldige Untersuchungen in Aussicht. Nigerias ehemaliger Vizepräsident Atiku Abubaker verurteilte den Mord auf Twitter – und löschte seinen Tweet später. Nigerias Präsident Muhammadu Buhari, der die gestrigen Anschläge verurteilte, hat sich in diesen Fällen stets zurückgehalten. Buhari, von 1983 bis 1985 Militärdiktator des Landes, hat einen Fulani-Vater und gilt als Verfechter der Scharia. Im Fall Yakubu sagte er stattdessen, Muslime müssten in der ganzen Welt Respekt für den Propheten Mohammed einfordern.

Eine unrühmliche Rolle spielen die USA in dem Konflikt. Aus geopolitischen Erwägungen wird der Konflikt runtergespielt. Nigeria wurde trotz der mörderischen Säuberungsaktionen im Norden des Landes von der Liste der Länder gestrichen, in der religiöse Verfolgung besteht (CPC). Erst vor wenigen Tagen, am 24. Mai, hat CSI deswegen den US-amerikanischen Außenminister Anthony Blinken dazu aufgefordert, die Afrika-Politik seines Staates zu ändern. Zum Anlass nahm CSI-Präsident John Eibner den Fall Yakubu. „In Afrika stellt sich die Frage, ob die Vereinigten Staaten weiterhin mit autoritären Regimen, korrupten Eliten und deren islamischen Netzwerken zusammenarbeiten wollen. Oder ob die USA die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Religionsfreiheit tatsächlich ernst nehmen“, sagte Eibner.

Die Streichung Nigerias von der CPC-Liste signalisiere Tätern und Opfern, dass religiös-ideologisch motivierte Verbrechen, insbesondere durch islamistische Netzwerke, kaum Relevanz für das US-Außenministerium hätten. Die Folge sei eine Zunahme der religiösen Verfolgung. Schon 2020 warnte CSI vor einem Völkermord in Nigeria. Die Tötung von Christen habe seitdem in Nigeria aber eher zugenommen.

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