Ob der der Luft gegen eine Miliz geführte Krieg ein angemessenes Mittel ist, ob es andere Möglichkeiten gäbe, welche Kräfte nach einem Sieg das Machtvakuum füllen sollen, eine öffentliche Debatte über die Herangehensweise der internationalen Koalition bleibt aus.
Die Befreiung der einen Stadt hat laut Medienberichten begonnen, der Anderen stehe eine weitere Entscheidungsschlacht bevor. Für die Bürger bedeuten solche Ankündigungen seit Jahrhunderten immer unbeschreibliches Leid.
Seit die Anti-IS-Koalition sich im September 2014 gebildet hat, um die Bewegung „Islamischer Staat“ auszulöschen, findet die Presse beim Thema IS selten zu einem gemäßigten Ton. Das ist verständlicherweise schwer, wenn es im Sauseschritt gegen eine Verkörperung des Bösen selbst geht. Die Meldungen sind von stark vereinfachenden Vokabeln geprägt, die den „embedded journalism“ des Desert Storms in Erinnerung rufen. Das wird der Grausamkeit der Ereignisse nicht gerecht.
Große Teile des Iraks und Syriens, aber auch Gebiete Libyens und Afghanistans sind unter der Kontrolle (Regierung kann man sie nicht nennen) einer Gruppe, die sich „IS“ nennt, aber mal als „ISIL“, „ISIS“ oder auch „DAESH“ (Arabisch) bezeichnet wird.
Der sprachliche Wirrwarr, der schon bei der Bezeichnung des IS herrscht, spricht für sich. Diese Organisation, wenn sie denn tatsächlich organisiert ist, tritt mit erkennbar klar islamistischer Motivation und eigenen Chefideologen an, gibt aber ansonsten viele Rätsel auf.
Sie sei, so eine Lesart, ausgezogen, die während des 1. Weltkrieges von Großbritannien und Frankreich im Sykes-Picot-Abkommen festgelegte Grenzziehung Syriens und Iraks aufzuheben, und ansonsten vom Nahen Osten aus, mit Hilfe einer „Armee von Gläubigen“ ein Kalifat wieder zu errichten, dem letztlich auch der Westen nicht mehr werde standhalten können. Soweit die schon größenwahnsinnig anmutende Philosophie. Was außer einer neuen Grenzziehung geplant sei, beschreibt der Britische Independent: Am Ende warte dann nichts weniger die Beherrschung der ganzen Welt.
Der sogenannte Islamische Staat hat, wenn er je eines besessen haben sollte, jegliches menschliches Antlitz durch seine viehischen Exekutionen und deren Veröffentlichung im Internet, seine steinzeitliche, von religiösen Verwünschungen geprägte Rhetorik, sein archaisches Regierungshandeln und sein martialisches Auftreten gegenüber dem Westen abgelegt. Die Terrormiliz hat außerdem durch die mittlerweile zahlreichen ihr zugerechneten Bomben – und Terroranschläge in der gesamten westlichen Welt Abscheu und tiefen Hass auf sich gezogen. Auf diese Weise hat sie es geschafft, das Misstrauen der einfachen Bevölkerung gegen Muslime allgemein zu vergrössern.
Bizarr ist die als erratisch zu bezeichnende Pressearbeit der Terroristen, die sich oft scheinbar willkürlich aussuchen, ob und wie sie sich zu einer Tat bekennen. Sprachrohr des IS ist die nach dem vorausgesagten Austragungsort einer mythischen letzten Schlacht gegen die Ungläubigen benannte Netzzeitung Dabiq (der Ort bei Aleppo wurde kürzlich von Assadtruppen zurückerobert) und die Amaq Agency. Was man den Taliban noch zugestanden hatte, verbietet sich für den IS von selbst. Niemand spricht mit irgendeinem Vertreter oder scheinbaren Regierungsorganen des Islamischen Staates: Diese Leute, so scheint es, sprechen und verstehen nur eine Sprache. Wie Yahoo und USA Today berichten, sind schon 2014 mehrere 10.000 Menschen beim hauptsächlich aus der Luft geführten Kampf getötet worden. Obwohl es Zweifel gibt, ob ein Guerillakrieg mit Gewalt oder gar mit Luftangriffen gewonnen werden kann: Der Westen packt das Problem Hassobjekt IS nur mit der stählernen Faust des Krieges an.
Man sieht keine andere Alternative, hat keinen anderen Plan für die geplagten Städte und Regionen, als sie mit einem Bombardement von der Geißel IS zu erlösen. Das unterscheidet sich leider kaum von der Strategie Assads. Man mag andernorts noch Sanktionen als Gegenmittel erwogen haben(Ukrainekonflikt), in Syrien und dem Irak sprechen die Waffen.
Ob der hauptsächlich aus der Luft gegen eine Miliz geführte Krieg ein angemessenes Mittel ist, ob es andere Möglichkeiten gäbe, der Bedrohung Herr zu werden, welche Kräfte nach einem Sieg über eine Partisanentruppe das Machtvakuum füllen sollen, eine größere öffentliche Debatte über die Herangehensweise der internationalen Koalition bleibt aus. Alles scheint, von der entfesselten Kakophonie des Hasses im Nahen Osten vor den Kopf geschlagen auf das Ziel fixiert, den letzten Kopf dieser Hydra IS endlich in den Staub sinken zu sehen. Vor dem verbrecherischen Charakter des IS und seiner Kohorten erübrigt sich die Erörterung von Maß und Mitteln. Der IS ist die brutalste, unmenschlichste, rücksichtloseste Terrormiliz, die es je gegeben hat.
Die Meldungen, die man dazu in der westlichen Presse lesen kann, gleichen sich. Eine „Terrormiliz“ wird bekämpft. Bodenziele werden getroffen, ausgeschaltet, es handelt sich bei den aus der Luft angegriffenen Zielen um „Kommandozentralen, Gefechtsstände, Kontrollpunkte, Einzelobjekte“ usw. Das, was als Berichterstattung über einen Krieg verkauft wird, klingt oft wie die Schilderung einer Flurbereinigung, auch wenn es hohen journalistischen Standards genügt. Städte werden als „Hochburgen, Bastionen oder Stützpunkte des IS“ eingeordnet. Familien „könnten zwischen“ die Fronten geraten, wird man auf zivile Opfer vorbereitet, aber man „bemühe sich“, diese zu vermeiden.
Es entwickelt sich eine Sprachform, die den unbarmherzig verfolgten Gegner chirurgisch, aber virtuell von der friedlichen, ungefährlichen Bevölkerung zu isolieren bemüht ist. Und so geht das reelle Sterben und Leiden hunderttausender Zivilisten weiter, darunter sicher auch einiger, die Waffen getragen haben. Seit dem Aufstieg schlagkräftiger und modern bewaffneter Milizenarmeen wird die Trennung in „Gut“ und „Böse“ nun noch durch die Kategorien „Gefährlich“ und „Ungefährlich“ verkompliziert. Schon ein falsch gehaltener Stock kann als Bewaffnung ausgelegt werden.
Auf der Strecke bleibt der Zivilist, in Afghanistan, Irak und Pakistan zusammen starben diesem Spiegel-Bericht zufolge schon 2001 rund 350.000 Menschen, davon etwa 220.000 nicht unmittelbar an den Kämpfen Beteiligte. Wieviele weitere Gewalttaten wurden dadurch verhindert, wieviele neue Konflikte geboren ?
Für den angekündigten Befreiungsschlag für die Großstadt Mossul hat nun wenigstens das Rote Kreuz Barmherzigkeit gefordert.
Emil Kohleofen ist freier Publizist.
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