Demolierung des Mahnmals von Katyn: Putins späte Legitimation des Stalinismus

Russland bricht die letzten Brücken zur Zivilisation ab: Soll nun auch das Mahnmal von Katyn für das stalinistische Massaker an 22.000 polnischen Offizieren demoliert werden?

IMAGO / ITAR-TASS
Gedenkstätte für das Katy-Massaker in der Nähe von Smolensk, hier ein Bild von 2019.

Putin macht es sogar den „Russlandverstehern“ alles andere als einfach, selbst ein Mindestmaß an Verständnis oder Sympathie für die russische Sache zu erwecken. Ob es nun um das offen eingestandene Kriegsziel einer völligen Annektion der Ukraine geht, die Ankündigung von blutigen Säuberungen und generationenlanger politischer Umerziehung, die bedenkliche Idealisierung des Stalinismus, die Massaker und Plünderungen in den besetzten Gebieten, die Auszeichnung der Soldaten von Butscha mit einem eigenen Orden oder das brutale Drohen mit Atomwaffen – seit Beginn des Einfalls in die Ukraine scheint es, als würden der russische Staatschef und seine Mitarbeiter alles in ihrer Macht Stehende tun, um die ihnen entgegengebrachten Vorurteile nicht etwa zu entkräften, sondern zu bestätigen, ja gar noch zu übertreffen.

Das neueste Beispiel für diesen Hang, nicht etwa die eigenen Verbrechen zu verschleiern, sondern mit ihnen auch noch aufzutrumpfen, ist das Projekt, die Gedenkstätte von Katyn zu zerstören; einen der vielen Orte, an denen das stalinistische Russland 1940 kaltblütig Massenmorde an polnischen kriegsgefangenen Offizieren verübt hatte, denen insgesamt 22.000 Menschen zum Opfer fielen.

Medienwirksam ließen russische „Aktivisten“ nun drohend Baumaschinen an das Mahnmal heranfahren und richteten eine Petition an die Duma, um die Zerstörung der Gedenkstätte zu erwirken:

Die russischen Aktivisten verweisen zur Begründung ihrer Forderung auf angeblich analoge Vorgänge in Polen, das in Anbetracht der gegenwärtig von Putin betriebenen Legitimation des deutsch-sowjetischen Einfalls 1939, der brutalen antipolnischen Ausschreitungen des sowjetischen „Brudervolks“ und der Errichtung einer kommunistischen Satellitendiktatur in Polen endlich die Demontage sowjetischer „Siegesmale“ erwogen habe. Auch greifen die Aktivisten auf die bis zum Fall des Kommunismus offiziell gültige Lüge zurück, die Massaker in Katyn und anderswo seien in Wirklichkeit von den deutschen Truppen verübt worden, und Putin habe nur unter dem Druck des Westens eine russische Verantwortung eingestanden.

In der Tat hatten sich 2010 Putin und sein damaliger polnischer Kollege Donald Tusk in Katyn die Hand gereicht, wobei der russische Präsident in heute nahezu unvorstellbarer Kritik an den sowjetischen Verbrechen erklärt hatte:

„Es kann keine Rechtfertigung für diese Verbrechen geben. Unser Volk, das die Schrecken des Bürgerkriegs, der Zwangskollektivierung und des Massenterrors der 1930er ertragen hat, versteht gut – vielleicht besser als jedes andere -, was Stätten wie Katyn, Mednaya, Pyatikhatka für die polnischen Familien bedeuten, denn diese traurige Liste schließt auch Orte ein, an denen Massenexekutionen an sowjetischen Bürgern stattfanden.“

Die gegenwärtige russische Relativierung des Massakers von Katyn ist dabei umso schmerzlicher für die polnische Öffentlichkeit, als es eben aus Anlass jener Zeremonie von 2010 war, dass fast die gesamte polnische Regierungselite einem Flugzeugabsturz bei Smoleńsk zum Opfer gefallen war, darunter der damalige polnische Präsident Lech Kaczyński, Zwillingsbruder des gegenwärtigen Chefs der polnischen Regierungspartei. Dieser hatte daraufhin wie so viele andere eine russische Sabotage vermutet und war oft genug – selbst in Polen – der Paranoia bezichtigt worden. Seitdem aber am 15. März 2022 der ehemalige russische Regierungschef, Dmitri Rogozin, Jarosław Kaczyński in einem (mittlerweile gelöschten) Tweet hämisch eingeladen hatte, doch bald selbst zu Gesprächen nach Smoleńsk zu reisen („Przyjedź do Smoleńska, porozmawiamy“), hat sich die öffentliche Meinung stark gewandelt, denn wenn man diese geschmacklose Provokation nicht als implizites russisches Eingeständnis deuten will, liest sie sich doch wenigstens wie eine rückwirkende Gutheißung des Vorfalls.

Man darf also gespannt sein, wie die Entscheidung der Duma ausfallen wird. Der Schaden, der gerade in den diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und Polen angerichtet wird, ist jedenfalls immens und auf Generationen hinweg nicht mehr gutzumachen, da Russland auf die polnische Kritik am Einfall in die Ukraine und die Sorge um die Sicherheit Osteuropas nicht etwa mit einer rhetorischen Schadensbegrenzung antwortet, sondern im Gegenteil mit immer neuen, ebenso sinnlosen wie provozierenden rückwirkenden Legitimationen selbst der schlimmsten vergangenen Greuel. Was noch vor wenigen Wochen wie ein fernes Ziel schien, nämlich der enge politische wie militärische Zusammenschluss aller Länder zwischen Baltikum und Schwarzem Meer, rückt nun immer mehr in den Bereich des Möglichen – und zwar paradoxerweise gerade aufgrund von Putins zunehmender Enthemmung, welche alle Russland entgegengebrachten Vorurteile eher bestätigt, anstatt sie zu entkräften.

Professor Dr. David Engels ist Senior Analyst am Instytut Zachodni in Poznań.

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Kommentare ( 45 )

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Wolfgang Schuckmann
2 Jahre her

Natürlich musste Russland aufarbeiten, selbstverständlich müsste es Strafen geben für die, die das alles zu verantworten haben. Nur, ich frage mich, wer mit den Anderen abrechnet. Angefangen mit dem Genozid an den Ureinwohnern beider Amerikas, den Verantwortlichen für den Sklavenhandel und das heutige Hauptproblem der USA IM INNEREN. Ich will nicht weiterfahren in meiner Aufzählung. Jeder, der Schuldzuweisung betreibt, muss bei sich anfangen, und das ist schwer, jedoch unerlässlich wenn man ehrlich sein will. Für mich befinden wir uns erst am Anfang einer langen Periode von Krieg, denn dieser Hass, der von beiden Seiten immer heftiger geschürt wird, ist das… Mehr

Thorsten
2 Jahre her

Stalin ist die Führungsfigur gegen Hitler gewesen. Hätte Stalin nicht gesiegt, dann wäre die Ukraine wohl „Protektorat“ und germanisiert worden.
Eine Ukraine hatten die Nazis nicht im Plan Barbarossa vorgesehen. Übrigens sollte auch Warschau praktisch eingeebnet werden. Siehe n-tv Dokus

Walter Eiden
2 Jahre her

„Putin macht es sogar den „Russlandverstehern“ alles andere als einfach….“

In der Tat! Allerdings unter der Betrachtungsweise dass es ja die die Russland-/Putinhasser sind die anscheinend als einzige verstehen wie, weshalb und warum Russland/Putin so ist wie es/er ist und tut was es/er tut.
Eine kleine Umformulierung des kopierten Satzes wäre daher vielleicht treffender: „Die Russlandversteher machen es sich mit Putin sehr einfach…!“

Eugen Karl
2 Jahre her

Auch hier das Geschwätz von den angeblichen „Rußlandverstehern“. Sind wir inzwischen so weit hinter die Aufklärung zurückgefallen? Etwas verstehen zu wollen, scheint mir Grundtugend kritisch-reflektierter Menschen zu sein. Wer sich darüber glaubt lustig machen zu können oder wem das Nichtverstehen oder Nichtverstehenwollen als neuer Wert katexochen scheinen will, dem ist wohl kaum zu helfen.

Thorsten
2 Jahre her

Der „diplomatische Schaden“ den die Waffenlieferungen der NATO (und im speziellen Polen) hervorrufen, ist ebenso immens.
Da ist es kein Wunder, dass historische Stätten dem Zeitgeist geopfert werden. Ähnlich geht es den sowjetischen Ehrenmälern des 2.ten WK. Wie Berlin-Treptow.

Oneiroi
2 Jahre her

Stellt sich die Frage, ob Putin umgeben von erlesenen Ja-Sagern und seiner eigenen Propaganda überhaupt noch etwas von der Realität mitbekommt. Auch Faszinierend, wie eine kleine Clique von Leuten in einem dermaßen großen Land konsequenzenlos durchregieren kann.
Sollte die Eskalationspirale weiterlaufen und Putin in einer Parallelwelt leben, dürfte dem Westen sehr daran gelegen sein den Konflikt in der Ukraine und nicht eine Landesgrenze weiter auszutragen. Bin gespannt, ob sie soweit gehen irgendwann auch Truppen zu schicken, da man davon ausgehen kann, dass das ganze schwere Kriegsgerät nicht plug and play wie Handfeuerwaffen ist.

Ante
2 Jahre her

Heute bilden der russische aggressive Neoimperialismus und ein von Hass durchtränktes autokratisches Regime im Kreml, bedient von einer totalen menschenverachtenden Propaganda, die dank moderner Kommunikationsmittel unvorstellbare Ausmaße erreicht hat, ein toxisches Gemisch, das unsere freie westliche Welt seit Jahren vergiftet. Der Tod und das große Spiel scheinen zum russischen Motto geworden zu sein. Vielleicht hat man dort beides nie wirklich aufgegeben. Bei einem gewissen Tolstoi kann man nachlesen: „Jedem muss klar sein, dass eine Mobilisierung und ein globaler Krieg bis zum Tod bevorsteht. Jemand wird seinen Arbeitsplatz verlieren, jemand wird sein Geschäft verlieren, viele werden zu Krüppeln, und noch mehr… Mehr

Mrt
2 Jahre her
Antworten an  Ante

Stimme vollkommend zu.
Hitler = national-sozialismus
Stalin = international-sozialismus
Das sind eben die Partei-Genossen, die Nachfahren des sozialismus-kommunismus, die heute der Welt die Tyrannei aufzwingen.
Wie Putin will jetzt UdSSR 2.0 wiederherzustellen und damit einen GULAG a là Orwell für alle einrichten. 

Michael Theren
2 Jahre her
Antworten an  Mrt

sorry bei Orwell fällt mir nur die EU ein (siehe aktuell Bologna und die Seuche), „unsere“ Oligarchen heißen nur anders und wollen unsere Seelen (Lebensart), Putin und co. scheinen einen in ruhe zu lassen, wenn man sie in Ruhe läßt….so berichten zumindest 100% meiner russischen Freunde

Lesterkwelle
2 Jahre her

Babi Yar, nicht nur von SS- und Polizeinheiten, sonder unter tatktaeftiger Mithilfe ukrainischer Kraefte begangen, brutales KZ,-Wachpersonal, vorwiegend aus Ukrainern rekrutiert. Zwar lange her, aber historisch belegbar.

Ante
2 Jahre her
Antworten an  Lesterkwelle

Niemand bestreitet die Mitwirkung von lokalen Freiwilligen innerhalb der Wachmannschaften und auch innerhalb der Täter. Das ist kein ukrainisches Problem, selbiges gab es am Balkan, unter Kroaten und Bosniaken, bei Balten und Weißrussen. Nochmal, niemand bestreitet das. Das aber rechtfertigt keinen Krieg im Jahre 2022 gegen die Ukraine und das ukrainische Volk. Niemand dort möchte Teil Russlands werden, niemand möchte unter Russenherrschaft leben. Das sollte jedem Russenknecht zu denken geben. Niemand möchte in Russland leben.

Voltaire
2 Jahre her

Nun ja, auch das sowjetische Ehrenmal in Berlin ist beschmiert und beschädigt worden.
Und daß sich Herr Prof. Engels wundert, daß die russische Regierung auf die seit Monaten und Jahren scharfen Angriffe aus Polen nicht mit Schadensbegrenzung und Zurückweichen reagiert? Na ja. Kaczinskis PIS-Regierung hat doch selbst null Interesse an einer Verbesserung der Beziehungen zu Russland. Das sollte er eigentlich wissen.

Landdrost
2 Jahre her
Antworten an  Voltaire

Der Terror der Sowjetunion und der Terror des Nationalsozialismus waren vollkommen verschieden. Der Terror des Nationalsozialismus war relativ berechenbar. Der Terror der Sowjetunion vollkommen unberechenbar. Da wusste niemand der morgens aus dem Haus ging, ob er abends wieder nach Hause kam da vollkommen willkürliche Verhaftungen erfolgten um Quoten zu erfüllen. Wenn man sich im Nationalsozialismus angepasst verhalten hat und nicht zu einer verfolgten Gruppe gehörte, hatte man so gut wie nichts zu befürchten. Bei Hitler sind die allerwenigsten Führungspersonen ermordet worden, spontan fällt mir nur Röhm ein, während bei Stalin niemand sicher war. Heute noch Stalins Günstling, morgen tot. Also… Mehr

Strange
2 Jahre her

Putin versucht einen Keil zwischen Polen und Deutschland zu schieben.