Die Bundesregierung will immer noch nicht eingestehen, dass ihre Energiepolitik gescheitert ist

Der Boykott russischer Gaslieferungen wäre das endgültige Aus für sechs Millionen Industriearbeitsplätze. Auch Flüssiggas ist wegen seiner hohen Preise keine Alternative. Die Bundesregierung drückt sich um das Eingeständnis, dass die Energiewende krachend gescheitert ist, so der Energieexperte Fritz Vahrenholt.

IMAGO/photothek

Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, umso mehr häufen sich die Stimmen, die einen Boykott der Energielieferungen aus Russland fordern. Der erste war der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck (Pension 385 000 €), der einen Stopp der russischen Energieimporte forderte: „Wir können auch einmal frieren für die Freiheit.“ Bald verging kaum ein Tag, in dem nicht in „Bild“ („Schluss mit dem Russen-Gas“) oder „Die Zeit“ die Forderung nach einem Energieboykott erhoben wurde.

Die Tagesschau verbreitete die dümmlichen Kommentare von Martin Ganslmeier („Teuer, aber machbar“) oder Kai Küstner („Energieboykott gegen Putin jetzt“).
Da wundert man sich nicht, dass die Mehrheit der Wähler der Grünen (71%), der SPD (56%), der CDU (55%) einen sofortigen Energieboykott befürworten. Am Ende fand ein Energie-Embargo die überwältigende Mehrheit des EU-Parlament: 413 Ja-, 93 Nein-Stimmen.

Vor diesem Hintergrund ist die Position der Bundesregierung erstaunlich standhaft. Sie weiss, was droht. Kein geringerer als Wirtschaftsminister Robert Habeck hat in einem Bericht an den Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages vom 6.4.2022 ein sofortiges Embargo kategorisch ausgeschlossen.

Im Bereich Kohle, so der Bericht, mit einer Importabhängigkeit von 50%, ist eine Umstellung auf andere Lieferländer (z.B. Australien) bis zum Herbst möglich.
Die Vorräte an den Kraftwerksstandorten reicht für etwa vier bis sechs Wochen. Ein früherer Ausstieg als Herbst würde nach etwa vier bis sechs Wochen zu Kraftwerksstillegungen führen.

Die 35% Erdölimporte zu ersetzen wird „bis zum Jahresende angestrebt“ (S.4 des Berichts). Die Druschba-Pipeline liefert 750.000 Barrel Rohöl, davon 250.000 Barrel durch den südlichen Zweig zur Versorgung von Ungarn, Slowakei und der Tschechischen Republik. Besonders heikel dabei ist, dass die ostdeutschen Raffinerien ausschliesslich durch die Druschba-Pipeline beliefert werden. Sie versorgen Ostdeutschland mit Benzin, Diesel und Chemierohstoffen und haben keinen Zugang zu einem Hafenstandort. Durch die nationale Ölreserve wird Rohöl im Umfang der Importe von drei Monaten vorgehalten.

Die Abhängigkeit, in die sich die deutsche Energiepolitik im Zuge des Doppelausstiegs der drei letzten Regierungen Merkel gebracht hat, ist beim Erdgas am gravierendsten. Erdgas deckt eine Viertel des deutschen Energiebedarfs. Mehr als die Hälfte des importierten Erdgases (nur noch 5% macht die Eigenförderung aus) stammt aus der Russischen Föderation. 38% wird in der Industrie verwendet (S.5 des Berichts), 12% im Gewerbe, 30% in den Wohngebäuden, 13% in der Stromversorgung und 7% zur Fernwärmeerzeugung.

Der „Notfallplan Gas“ sieht vor, dass in einer Krisensituation die Bundesnetzagentur die Verteilung des restlichen Gases vornimmt. „Dabei sind bestimmte Verbrauchergruppen gesetzlich besonders geschützt, d.h. diese sind bis zuletzt mit Gas zu versorgen. Zu diesen geschützen Verbrauchern gehören Haushalte, soziale Einrichtungen wie etwa Krankenhäuser und Gasheizkraftwerke“ (S.6 der Drucksache). Sollten russische Gaslieferungen ausfallen, so der Bericht, „ist die Sicherstellung der Versorgungssicherheit ab dem nächsten Winter in Deutschland und seinen Nachbarstaaten gefährdet“. Im Klartext heisst das, dass die Arbeit von sechs Millionen Beschäftigten in 42.000 Industriebetrieben zum Erliegen kommt. Und zwar nicht nur für drei Wochen, sondern bis zum Sommer 2024, so die Schätzung des Berichtes. Der BASF – Chef Brudermüller sieht einen Ersatz des russischen Erdgases realistischerweise erst in vier-fünf Jahren und warnt vor beispiellosen wirtschaftlichen Schäden: „Wollen wir sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören? Das, was wir über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben? Ich glaube, ein solches Experiment wäre unverantwortlich.“

Auch der Bericht von Robert Habeck sieht selbst bei günstigstem Verlauf – Bau von Flüssiggas LNG-Terminals und Regasifizierungsanlagen (schwimmende LNG-Terminals) von bis 2022-24 noch einen ungedeckten Restbedarf in 2024 von 10%, immerhin ein Drittel des industriellen Bedarfs. Allerdings müsste Robert Habeck seine schleswig-holsteinischen Grünen noch überzeugen, denn die gehen mit einer Absage an einen LNG-Terminal in Brunsbüttel in den Landtagswahlkampf: „Schleswig-Holstein braucht kein LNG Terminal“ (Wahlkampfprogramm S.133).

Die Bundesregierung verschweigt uns, dass auf diesem Pfad ein großer Teil der Industrie nicht überleben wird. Schon vor dem Krieg Russlands hatte Deutschland die höchsten Strompreise weltweit, die Gaspreise waren bereits auf Grund der Energiewende auf das Vier-bis Fünffache gestiegen. Im Vergleich zu den US-amerikanischen Gaspreisen (Henry Hub etwa 20 € /MWh) liegen wir bei 100- 150 € /MWh. LNG – Gas war vor der Gaspreisexplosion aber bis zu dreimal so teuer wie Pipeline-Gas. Die Versorgung mit LNG-Gas anstatt mit Pipeline-Gas wird die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie weiter verschlechtern.

Was fehlt, ist das Eingeständnis, dass die Energiewende undurchführbar geworden ist. Der Ausstieg aus der Kohle und dem Rest der Kernenergie hätte 30 bis 50 Gaskraftwerke erfordert (siehe Koalitionsvereinbarung), die durch zusätzliche Gasimporte über Nordstream 2 herangeschafft worden wären. Das heisst: zusätzlich zu den zu ersetzenden Mengen aus Russland müssten noch einmal eine ähnlich große Menge aus Übersee beschafft werden. Heute verbraucht Deutschland etwa 95 Mrd. m³, 50 Mrd. m³ stammen aus Russland. Der Ausstieg aus Kohle und Kernenegie würde etwa 30-50 Mrd. m³ zusätzlich erfordern. Wo sollen 100 Mrd. m³ herkommen? Das ist mehr als das LNG Aufkommen der USA (61) und entspricht der gesamten Menge Katars (106).

Dass man nun Wind- und Solarenergie ohne Rücksicht auf die Natur über die deutsche Landschaft ausrollen will, hilft da wenig. In 2021 war der Primärenergieanteil von Sonnen- und Windenergie bei 5,1 % (siehe Grafik meiner letzten Kolumne).

Wer sich in der Realität von der russischen Erdgasabhängigkeit verabschieden möchte, kommt an drei Alternativen nicht vorbei:

– Fortführung und Erweiterung der Nutzung der heimischen Braunkohle, idealerweise mit der in Deutschland entwickelten CO2-Abscheidung,

– Fortsetzung der Nutzung der Kernenergie und Reaktivierung der vor 4 Monaten stillgelegten Kernkraftwerke

– Nutzung der 1300 Mrd. m³ Schiefergas in Norddeutschland und unter der Nordsee
Braunkohle, Kernenergie und Schiefergas sind die gutmütigen großen Elefanten, die im Raum stehen, die aber von Robert Habeck, Christian Lindner und Olaf Scholz übersehen werden. Diese Elefanten gehören uns. Das wäre Energie-Souverinät. Das ist allemal besser als ein Weg des „Energie–Patriotismus“ (Robert Habeck), ein Begriff der nur notdürftig kaschiert, dass dieser Weg in Richtung 100 % Erneuerbare Energien die deutsche Landschaft und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zerstört.


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Kommentare ( 139 )

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bl2
2 Jahre her

Was Herr Vahrenholt hier (sehr verdienstvoll) schreibt, sind Sachargumente. Wen interessieren die denn? Was heute zählt, sind Glaubensbekenntnisse! Also bitte schön, erstmal folgendes aufsagen: Die Energiewende ist alternativlos und der einzige Weg die Klimakatastrophe abzuwenden, ebenso wie die Impfung der einzige Weg aus der Pandemie ist. Natürlich, die völlig sinnlosen Lockdowns waren selbstgemacht, aber ein erster Vorgeschmack auf die kommenden, ebenfalls selbstgemachten Weltrettungs-Szenarien des „Klimawandels“ und jetzt natürlich auch „Russland“. Hauptsache, alles geht den Bach runter. Sind die so verblendet oder ist es vielleicht doch Teil eines Plans (Stichwort: „Great Reset“)? Wenn man heute Gehör finden will, gilt es zuerst… Mehr

baul
2 Jahre her

„Bundesregierung“. Welche Bundesregierung denn? Etwa diese Laienspielgruppe mit einem kriminellen, vergesslichen „Kanzler“ vornweg?

Thomas
2 Jahre her

Ist ja auch eine Heuchelei Sondergleichen die Umweltbelastung nach Asien (Produktion) und Russland (Öl- und Gasgewinnung) auszulagern und zu sagen wir sind grün und sauber. Und der Plastikabfall und Sondermüll wird nach dem Konsum in die Dritte Welt gekarrt.

Thomas
2 Jahre her

Was in Deutschland kaum jemand realisiert hat ist, daß der Bruch mit Russland von russischer Seite aus endgültig ist. Insofern wird es alternativlos sein, sich dauerhaft Alternativen von russischen Bodenschätzen zu suchen. Die Russen werden ihre Bodenschätze zu Discountpreisen an China, Indien etc. verkaufen, mit der Folge, daß deren Produkte viel billiger sein werden als deutsche, europäische. Auch US Produkte werden billiger sein. Deindustrialisierung auf breiter Ebene ist die Folge. Viele wollen das, zB die Grünen. Aber auch das alte Geld in Europa. Hier ist bald alles abgeräumt. Das Spiel soll in Asien weiterlaufen, also wird alles, Produktionsanlagen, know how… Mehr

Werner Holt
2 Jahre her
Antworten an  Thomas

„Was in Deutschland kaum jemand realisiert hat ist, daß der Bruch mit Russland von russischer Seite aus endgültig ist.“

Das ist ein von der westlichen Seite verbreitetes, nichtdestoweniger falsches Narrativ. Ist Ihnen nicht entgangen, daß Rußland trotz aller massiven Sanktionen des Westens noch immer Erdgas, Öl und Kohle liefert, also alle eingegangenen Liefervereinbarungen einhält? Warum sollte die russische Seite das nicht mehr tun, wenn man die ukrainische Seite dazu bringt, mit der russischen Regierung Verhandlungen über die Blockfreiheit der Ukraine aufzunehmen und vor allem aufhört, Waffen dorthin zu liefern?

Riffelblech
2 Jahre her

Die beispiellose Dummheit ,die sich im deutschen Geist breit gemacht hat ,die wie Unkraut seit den Kanzlerjahren der Frau Merkel und dem gewollten Zunehmen grüner Sichtweisen n allen Bereichen des Lebens grassiert ist frappierend . Da wird eine Griechenlandrettung auf unsere Kosten verkauft und keiner merkt wie sauer die Milch in diesem Kauf ist . Die Energiewende wird angepriesen als allerletzte Rettung , es werden Jugendliche mit deutlicher Behinderung zu deren Verkündigung missbraucht Indianer noch macht die Politik an vorderster Front mit . Gegen jegliche physikalischen Sachverstand wird anargumentiert ,die Energiewende kann nur aus Erneuerbaren gestehen . Wie Lemminge sind… Mehr

Ch. Timme
2 Jahre her

Ich würde Herrn Habeck doch darum bitten den Begriff der Souveränität nicht noch weiter abzuwerten, sondern derartige Aktivitäten auf die Zukunft seiner Partei einzugrenzen.

horrex
2 Jahre her

„Gefährlich ist’s den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.“ – Schiller, Glocke

baul
2 Jahre her

„am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ ist sehr bald endgültig vorbei, auch weil nicht mehr möglich. Gott sei DANK! , wenn Unfähigkeit bzw. Vorsatz die Ursache ist.

Thomas
2 Jahre her
Antworten an  baul

Alle Vorteile, die Deutschland beim Start, beginnend nach der Niederlage Napoleons hatte, sind weg.
Ich sehe auch keine Zukunft mehr. Sieferle hat wohl Recht gehabt mit seinen „Fellachen werden in den Ruinen deutscher Städte hausen“.
Es wird eine kleine, bestens situierte Feudalschicht geben, deutsch, weiss.
Eine etwas grössere Schicht von Funktionsträgern, insbesondere militarisierte Polizei. Dazu ein grosser Überwachungsapparat.
Und ein ethnisch undefinierbares, überwiegend funktionsloses Heer an Heloten, die mit Gewalt, Brot und Spielen unter Kontrolle gehalten werden müssen. Solange, wie „man“ gewillt ist, die mitzuschleppen.

Mausi
2 Jahre her

Nicht nur das. Die Regierung möchte alle Möglichkeiten aktivieren in Richtung noch mehr Planwirtschaft.

Wie kann das sein? Keinerlei Aufschrei. Planwirtschaft war doch bereits die Entscheidung, Energielieferanten abzuschalten. Vom BVerfGE freigegebene Lenkung durch Steuern. Und wir sind so getaktet, dass wir jetzt zulassen, dass noch mehr Planwirtschaft beworben wird?

Und dann kommt so ein Berater mit seinem Artikel zu Verzicht gegen Mangelwirtschaft. Aber er hat Tatsachen geliefert. Insofern war der Artikel lesenswert. Als TE-Leser muss man den Rest ausblenden als Werbung für gewünschte, regierungstreue Lösungen.

D hat fertig.

Last edited 2 Jahre her by Mausi
Thorsten
2 Jahre her

Die breite Zustimmung zu den Grünen besteht auf dem Versprechen, dass der Wohlstand erhalten bleibt.
Das hat sich ja offensichtlich ausgeträumt. Mal sehen, ob es eine Wählerwanderung nach „rächts“ gibt.

horrex
2 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Die wird es n i c h t geben! Dazu ist über Jahrzehnte „das süsse grüne Gift“ (siehe auch Globalismus, LGBT … die ganze lange Liste) längst viel zu tief ins Unterbewusstsein von 85% all der (angeblichen!) Normalos eingedrungen. Der „Normalos“ denen es noch v i e l zu gut geht. – Siehe den Frosch im Marmaladengals auf dem Herd. (Gasherd) 😉 Oder das (garnicht!) Märchen vom Rattenfänger von Hameln … „er trug ein buntes Gewand und spielte fürtrefflich auf seiner Schalmei, tanzte gar possierlich … und die „Kindlein“ folgten ihm in die dunkle Höhle und wurden fortan nicht mehr… Mehr