Wenn Rentner zum Trinken in die Türkei fliegen

Verbrauchspreise steigen in Deutschland stärker als in vielen klassischen Tourismusländern. Das hat einen bizarren Trend zur Folge: den Saufurlaub. Besonders beliebt sind Trips in die Türkei.

IMAGO / agefotostock
Badestrand bei Antalya, Türkei

Eine Woche für 329 Euro. All Inclusive. Das verspricht ein Reiseanbieter im Netz. Kein Schnäppchen. Keine große Suche ist notwendig, um dieses Angebot zu finden. Gleich unter den zehn Anzeigen von Google findet sich der Trip ins türkische Sigacik, an der Westküste nahe Izmir gelegen. Als Suchbegriffe genügen „Türkei“ und „All Inclusive“. Das Netz ist voll solcher billigen Pauschaltrips.

Friedrich Müller (Name der Redaktion bekannt) kennt bessere Angebote. Er nimmt sich Zeit, sie im Netz zu suchen. Er hat Zeit. Müller ist Rentner. Früher hat er einen Betonmischer gefahren. Als Schein-Selbstständiger. In der Branche war das üblich. Müller hat extrem gut verdient – und extrem gut gelebt. Freiwillig in die staatliche Rentenkasse eingezahlt hat er indes nicht. Als Rentner lebt er daher jetzt von Grundsicherung. Früher hat er das Geld mit beiden Händen ausgegeben, heute bleiben diese Hände leer.

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In Kneipen war Müller in seinem alten Leben täglich zu Gast. Heute kann er sie sich gar nicht mehr leisten. Zumindest nicht in Deutschland. Ein- bis zweimal im Jahr fliegt er aber in die Türkei. Die Qualität des Zimmers ist ihm egal. Den Strand sieht er in der Zeit mitunter nicht ein einziges Mal. Sein Stammplatz ist die Hotelbar. Dort sitzt er, so lange die alkoholischen Getränke zum „All Inclusive“-Angebot gehören – und folglich nichts kosten. Müller ist ein Extremfall. Die körperlichen Folgen seines starken Alkoholkonsums sind dokumentiert, die seelischen sind naheliegend. Es schert ihn nicht. So wenig wie ihn die Konsequenzen seiner fehlenden Altersvorsorge gekümmert haben.

Auf diese Extreme treiben es vermutlich nicht viele. Doch der kulinarische Konsum im Ausland ist durchaus ein Thema, wie auch das Statistische Bundesamt bestätigt: Demnach war das Preisniveau für Dienstleistungen in Hotels und Gaststätten im Februar in den meisten Urlaubsländern deutlich niedriger als in Deutschland. In Kroatien und Griechenland waren es zum Beispiel 24 beziehungsweise 19 Prozent weniger. Am deutlichsten fällt der Unterschied im Vergleich zur Türkei aus: 64 Prozent.

Deutsche Bars und Kneipen standen schon vor der Pandemie unter einem hohen Preisdruck. Auch durch die Regulierungs- und Dokumentierungswut deutscher Behörden angetrieben. Nun kommen die aktuellen Entwicklungen hinzu, wie die Inflation oder die Pandemie: Wirte mussten Plätze frei lassen, um Abstand zu ermöglichen. Sie mussten Gäste heimschicken, weil diese die tagesaktuellen G-Regeln nicht erfüllten. Und sie mussten Personal abstellen, um die staatliche Aufgabe der Überwachung dieses G-Status zu übernehmen. All diese Kosten werden vom Staat übernommen. Hieß es. Anfangs. In den großen Versprechen. Um die Bevölkerung für den Lockdown zu gewinnen. Doch die Realität sah bald anders aus, wussten Wirte nach: Antragstellung, Antragsbearbeitung, Antragsgewährung, Rückzahlungen der Gewährungen …

329 Euro. All Inclusive. Für eine Woche. Das sind 50 Euro pro Tag. Aufgerundet. Um besser rechnen zu können. Zweieinhalb Mahlzeiten in einem Restaurant. Das lässt sich kaum noch für 30 Euro machen. Und dann auch nicht in Lagen der Innenstadt. Nun muss es nicht gleich der extreme Saufurlaub sein. Aber das angenehme Gefühl essen zu gehen, ist für viele Familien in Deutschland nicht mehr erschwinglich. In der Türkei können es sich Eltern mit ihren Kindern leisten, wenn auch nur für acht oder 14 Tage im Jahr.

Kommen Getränke hinzu, wird die Preislücke schnell größer: Ein Glas Bier kostet in Deutschland 3 Euro aufwärts. Die 50 Euro sind da schnell wieder drin. Wer sorglos konsumieren will, für den sind solche Angebote wie die aus Sigacik durchaus eine Überlegung wert. Müller indes wird es nicht annehmen. Die Tour findet über Ostern statt. Da sind die Preise höher. Wegen der Ferien. Im Mai ist es nochmal günstiger.

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Kommentare ( 41 )

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Mausi
2 Jahre her

Die Artikel sind manchmal wirklich merkwürdig. Scheinselbständigkeit und freiwilliges Einzahlen in die staatliche Rentenkasse: Die Scheinselbständigkeit wurde doch nicht erfunden, um dem Einzahler ein glückliches Leben zu sichern. Es wurde erfunden, weil unsere Rentenbeiträge die aktuellen Rentner finanzieren. Zudem vermute ich, dass die gesetzlichen Regeln zur Scheinselbständigkeit für den Mann zu spät erfunden wurden. Oder fanden sie vielleicht auf ihn keine Anwendung, weil er eben im Sinn des Gesetzes nicht Scheinselbständig war. Freiwillige Beiträge in ein kaputtes System? Wenn Sie allgemeiner von eigener Altersvorsorge geschrieben hätten, wäre das ja noch akzeptabel gewesen. Aber das? Grundsicherung: Eingetreten, wie gewünscht. Und die… Mehr

Fieselsteinchen
2 Jahre her

Unser Friedrich Müller, böse bezeichnet als ehemaliger Schein-Selbstständiger und Quartalssäufer, ist wirklich ein ganz Schlimmer! Unsolidarisch bis auf die Knochen und im Alter fliegt er – ganz unklimatisch zum Billigkoma. Lasst dem Mann eine seiner letzten Vergnügungen! Dieser ewige Dauerneid. Substituieren wir mal mit Friederike Müller, drei Kinder erzogen, teilweise alleinerziehend, Altenpflegerin. Jetzt mit knapp 60 körperlich am Ende, jahrzehntelang gespart, arbeitslos kurz vor der Rente. Und nun? Sollen wir ihr die Kinder zum Vorwurf machen? Oder dass sie nicht studiert hat? Obwohl Friederike langjährig ins deutsche Renten- und Sozialsystem eingezahlt hat, kann sie sich nichts leisten und wohnt in… Mehr

Jens Frisch
2 Jahre her

„All diese Kosten werden vom Staat übernommen. Hieß es. Anfangs. In den großen Versprechen. Um die Bevölkerung für den Lockdown zu gewinnen. Doch die Realität sah bald anders aus, wussten Wirte nach: Antragstellung, Antragsbearbeitung, Antragsgewährung, Rückzahlungen der Gewährungen …“

Das ist doch auch das Ziel des „Great Reset“: Die Ausrottung der selbstständigen Betriebe, damit alle in einem multinationalen Konzern für einen Hungerlohn arbeiten müssen und eben nicht ihr „eigener Herr“ sind.
Und Mal nebenbei bemerkt: Wer die Mittelschicht ausrotten will, will die freiheitlich demokratische Ordnung abschaffen!

Iso
2 Jahre her

Stimmt, selbst möchte ich in Deutschland kein Gastwirt sein. Geeignete Räume pachten, Küche und Restaurant ausstatten, da kommt schon mehr zusammen, als ein Pilot privat für seine Ausbildung zahlt. Dann die passenden Leute finden, die diese Arbeitszeiten akzeptieren und bei den heutigen Kosten gut bezahlt werden müssen, ist schon sehr schwierig. Mit einem türkischen Strandhotel am AdH ist das nicht zu vergleichen. Wer was Billiges sucht, muss dann zu Döner- oder Asia-Imbiss im Einkaufstempel greifen und den Fusel im Discounter beschaffen. Was ist in Deutschland schon noch billig? Selbst ein Ticket für den Stadtbus kostet 4 Euro. Der Normalverdiener kann… Mehr

Don Didi
2 Jahre her
Antworten an  Iso

Selbst ein Ticket für den Stadtbus kostet 4 Euro.“
Ja, und es müßte 18,50 kosten, wenn nicht die, die niemals mit dem Bus fahren, die restlichen 80% für die zahlen, die massiv subventioniert im Bus sitzen.

Nowoke
2 Jahre her

Es war der Staat, welcher diese Selbständigkeit zugelassen hat und zwar auf Wunsch der Wirtschaft. War doch jedem klar, dass dies viele solcher Müller erzeugen würde.
In unserer Stadt sehe ich übrigens nur wenige ältere Leute beim Pfandflaschen sammeln. Die wurden von jungen Leuten aus Nordafrika und dem Nahen Osten verdrängt.

alter weisser Mann
2 Jahre her

Warum in die Türkeit fliegen? Für 45 Euro am Tag kann ich mich auch zuhause in Deutschland immer noch totsaufen und fettfressen, wenn das das Ziel ist.
Ich kann nur nicht ins „Restaurant“, sondern muss nur die Brötchen selber schmieren und die Bierflasche selbst öffnen. In Anbetracht vieler „Restaurants“ in solchen Urlauberorten ist das aber auch kein großer Verlust.

elly
2 Jahre her

„. Freiwillig in die staatliche Rentenkasse eingezahlt hat er indes nicht. Als Rentner lebt er daher jetzt von Grundsicherung. Früher hat er das Geld mit beiden Händen ausgegeben, heute bleiben diese Hände leer.“ Sorry, aber mein Mitleid hält sich in sehr engen Grenzen. Während seines aktiven Lebens hat er Geld der Allgemeinheit verweigert, die jetzt für ihn aufkommt. Als Scheinselbständiger nicht nur die Beiträge zu den Sozialkassen, sondern auch die Steuervorteile. Und auch mit der heimischen Hotel- und Gastrobranche habe ich kein Mitleid. Die Einführung des EUROs nutzten viele zur Verdoppelung der Preise. Während der lockdowns gabs Entschädigungszahlungen in Höhe… Mehr

Denk doch mal
2 Jahre her
Antworten an  elly

Während seines aktiven Lebens hat er Geld der Allgemeinheit verweigert, die jetzt für ihn aufkommt . . .“ Na ja, der Allgemeinheit hat er sich wohl kaum verweigert. Eher dem Schneeballsystem Sozialversicherung. Sich an diesem nicht zu beteiligen ist wohl nicht wirklich verwerflich. Das würde man im sonstigen Leben auch nicht verteufeln. Beiträge, die durch die Decke gehen für Leistungen, auf die die abhängig Beschäftigten keinen Einfluss und dezidierten Rechtsanspruch haben können nicht wirklich zur Solidarität einladen. Außer man hält es für normal, den eigenen Verdienst Verschwendern und Lobbyisten anzuvertrauen.

Edwin
2 Jahre her

Allen Wirten und Mitläufern hier wünsche ich fröhliches Pleitegehen. Jeder hat gerne das „Schweigegeld“ kassiert. Da zuckt nicht mal mein linkes Auge. Seit Anfang April könnte ich wieder ins Restaurant zum Essen gehen. Ich will gar nicht mehr. Ich koche weiterhin zu Hause, spart viel Geld. Vielleicht jetzt wieder im Sommer, wenn man raussitzen kann. In der Weihnachtswoche war ich in Barcelona, jeden Tag Essen im Restaurant, draußen auf der Terrasse bei 20 Grad. Mittagsmenüs für € 12 mit einem 1/2 l Rotwein (das gibt*s auch noch billiger), ab und zu einen Pulpo Gallego oder frischen Fisch vom Grill mit… Mehr

Seemann
2 Jahre her

Sorry, aber mein Mitleid hält sich mit „Herrn Müller“ in Grenzen. Seine Misere hat er selbst verschuldet.
Und wieder einmal sind es wir Rentner, auf die hier eingedroschen wird. Nein wir sind es nicht, wir können uns keinen Saufurlaub, egal wo auch immer, leisten. Es sind ja wohl eher die Pensionäre die mehrmals im Jahr es sich gut gehen lassen können.

hoho
2 Jahre her
Antworten an  Seemann

Welche Misere? Er scheint das nicht so zu sehen. Das ist auch seine Entscheidung. Mindestens wenn es um Alk. usw geht. Wie das deutsche System die „Selbständigen“ behandelt ist eine Schande.
Was hier angedeutet wurde, ist etwas anderes, was vlt erklärt wie so man in D. immer noch nichts verstanden hat: man kann sich doch immer noch einen Urlaub in der Türkei oder sonst wo leisten. Wie lange werden sich die Leute das leisten können ist ungewiss.

kasimir
2 Jahre her

Es gibt in Berlin-Brandenburg sogar Studenten, die im Zug leben. Die haben sich ein (relativ) preiswertes Jahresticket gekauft und wohnen gar nicht mehr in der WG: erstens findet man keine freien mehr in Berlin und falls doch: zu teuer. Habe eine Reportage gesehen, der Student war die gesamte Zeit während des Semesters mit Rucksack und Schlafsack unterwegs, Körperhygiene fand kurzfristig im Zug statt, falls er mal das Bedürfnis hatte zu duschen, gings in Berlin in die Schwimmhalle. Er schlief dann nachts im Zug und legte sich die Fahrzeiten so, daß er morgens wieder pünktlich in der Uni war. Und anscheinend… Mehr

hoho
2 Jahre her
Antworten an  kasimir

Sie meinen dass die Mietpreisbremse in Berlin nicht funktioniert? Komisch. Ich hatte gedacht dass es das tut. Vlt brauchen die Berliner noch mehr Bremse?