Joschka Fischer gibt den Altersmilden. Der Doyen der grünen Szene stösst warnend in dasselbe Horn wie seine stets demonstrativ friedfertig auftretenden Brüder und Schwestern im Geiste. Ein Erklärungsversuch, wie ein ganz dick im Establishment angekommener 68er und viele seiner Weggefährten und Parteigänger heute noch ticken.
Er hat es wieder getan: der ewig innen Grüne und aussen Minister bekräftigt sein politisches Mantra. Der abgetretene Leitwolf der grünen Putztruppe hat sich die Ehre gegeben, mit gleich zwei FAZ-Journalisten auf ganzen 6 Seiten ein Gespräch zur Tagespolitik und bittersüssen Erinnerungen zu führen. Joseph genannt „Joschka“ Fischer darf sich aus der Deckung seiner Ministerpension, seiner Villa und seines Consultingjobs heraus zunächst zur eigenen Unternehmernebentätigkeit “… ich bin einer der beiden Geschäftsführer, aber die tagtägliche Arbeit leisten die Mitarbeiter…“ herablassen, die demnach hauptsächlich im Aufwärmen eines Bürosessels und alten Grosssprechereien besteht.
Er lobt die Berliner Verwaltung der Weimarer Zeit (elegant Kaiser und Nazis umschifft) und kokettiert, ganz gestürzter Mr. Marathon, auf sein fülliges Äußeres angesprochen, mit dem eigenen Gewicht: „…habe schon wieder sechzehn Pfund abgenommen…“. Nach einigen Passagen des Gesprächs wird klar, dass Joseph Fischer zwar Wohlstand, aber eben noch nicht den Ruhestand erlangt hat. Falls die Niederschrift nicht vorher abgesprochen wurde, wofür der Schliff der Antworten ein Indiz wäre, lässt dieser Wortschwall tief blicken:
„… Man kann über die Flüchtlingspolitik lange streiten, aber ich muss keine völkische Position einnehmen und von ‚Umvolkung‘ reden, von ‚Volksverrätern‘ et cetera. Und was heißt ‚ganz normale Leute‘? Ich will nie wieder was von Mitläufern hören. Wir sind alle bösgläubig aufgrund unserer Geschichte, auf Mitläuferstatus kann sich niemand mehr herausreden, niemand! Ja, es war vor einem Jahr eine Notsituation, und das eine oder andere hätte man sicher besser machen können, vielleicht sogar müssen, aber das muss mir mal einer erklären: Je weniger Flüchtlinge oder Zuwanderer es in bestimmten Gegenden gibt, desto größer die Panik. Damit Sie mich nicht missverstehen, ich bin kein Freund der Burka, aber die meisten sehe ich in München, weil da die großen Medizin-Zentren sind, und nicht auf Usedom. Und aufgrund meiner katholischen Vergangenheit frage ich mich seit langem, welche Haarfarbe die Jungfrau Maria hat. Das ist nämlich schwer festzustellen, weil sie ohne Schleier nie dargestellt wird…“
Da liegt der Hase im grünen Pfeffer. Herr Fischer, der sich als kleiner Taxifahrer aber politischer Gernegross in der Uni einschlich, um den „Studierten“ etwas abzugucken, lässt hier den Schleier fallen und zeigt was ihn, genauso wie die Täter von der Odenwaldschule, die RAF, die Talarenlüfter und viele der heute abfällig als Teddybärenwerfer Bezeichneten eigentlich immer umgetrieben hat. Schuld, Schuld und nochmals Schuld. Wie er selber freimütig zugibt: er sei „ Deutscher durch und durch“. Als Deutscher hat er von seiner Mutter (deren Kochkünste er sehr lobt) gelernt, was gut und böse sei, was man macht und was nicht, wann man sich besser schämen sollte. Der Religionssoziologe Thomas Schirrmacher hat die Mechanismen untersucht.
Gerne reiht sich Joschka Fischer immer wieder in die „studentische Bewegung“ ein, unterschlägt aber das Detail, dass er Mitglied im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) war, einer anarchistisch-marxistischen Muckibude. Für den nahm Fischer 1968 an einer Konferenz der Fatah teil. Es sind ja oft die Erlebnisse in jungen Jahren, die prägen: Was wird dem damals 21-Jährigen Spund im fremden Nordafrika wohl durch den Kopf gegangen sein? Wie hat er die fernöstlichen Genossen damals erlebt? Die Begegnungen mit den angehenden Extremisten sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, schon wegen der Sprachbarriere (Fischer hat erst als angehender Aussenminister passables Englisch lernen müssen) nicht von tiefem philosophischem Diskurs geprägt gewesen.
Er dürfte dort in nahöstlich vereinfachender Manier wahlweise in boshafter Verdrehung als „guter judenverfolgender Deutscher“ oder aber als „böser Rassedeutscher“ tituliert worden sein. In beiden Fällen wurde er ungefragt für die Vergangenheit in Haft genommen. Spätestens nach dieser Erfahrung muss er dann beschlossen haben, die Landsleute auf den richtigen Weg zu führen, der wahren Friedensstifter, der Pazifisten. Erst dann, so die Überlegung, würde dieser Makel endlich vergessen sein und man werde als Deutscher (guter, unschuldiger!) Linker nicht mehr die Last der Vergangenheit tragen müssen. Glückwunsch, dieses für sich genommen hehre Ziel ist heute fast erreicht. Aber die Welt ist eben kein Kindergeburtstag, das hat Joschka dann beim Beschluss über den Nato-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien lernen müssen. Mäuschen können ungestört nur im Mäuseturm ihre kleinen Nesterchen bauen. Seit die Welt immer unsicherer und unruhiger wird, und die Einschläge näher kommen, ist auch dem linken Lager eigentlich klar geworden, dass Deutschland seine anerzogene Unschuld verlieren muss. Von Panik ergriffen hat man Visionen alter Schreckgespenster, die sich unter der sorgsam ausgebreiteten Kuscheldecke aus Sozialstaat, Toleranz und grenzenlosem Verständnis hervorwinden. Auf die Idee, dass das Aufbegehren einer keineswegs sprachlosen neuen Rechten nicht nur die andere Seite der gleichen, gefürchteten Medaille sind, wollen sie nicht kommen. Und sie beten das vor, was jahrelang bestens funktionert hat: die Litanei des Schuldgefühls, die soll die Deutschen nun vor sich selbst retten.
Emil Kohleofen ist freier Publizist.
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