Personalnot in Krankenhäusern: Die Bundesregierung schafft sich die Begründung für die allgemeine Impfpflicht einfach selbst

Die Grünen finden: Weil in den Kliniken jetzt so viele Pfleger mit Omikron infiziert sind, müsse die allgemeine Impfpflicht her. Dass für Pfleger schon eine Impfpflicht gilt und das die Personalnot nur verschlimmert – egal. Eine Bestandsaufnahme.

IMAGO / ULMER Pressebildagentur

Selten wird der Irrsinn einer Debatte so prägnant auf den Punkt gebracht wie in diesem Tweet von Till Steffen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag. Er begründet die Impfpflicht damit, dass Personalausfälle in Krankenhäusern die kritische Infrastruktur gefährden würden.

Im verlinkten Tagesschau-Artikel geht es um die Personalausfälle durch die Omikron-Welle – also durch infizierte Mitarbeiter. Geht man nach dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Gerald Gauß müsste man genauer sagen: durch die Reaktion auf die Omikron-Welle. Gauß sagte dem RND nämlich: „Wir haben flächendeckend ein Problem mit Personalausfällen durch Quarantäne und Isolation.“ Eine aktuelle Umfrage zeige, „dass 75 Prozent der Krankenhäuser nicht mehr in der Lage sind, ihr normales Leistungsangebot anzubieten. Und ausschlaggebend dafür sind die Personalausfälle.“

Was jetzt passiert
Ab heute gilt der „einrichtungsbezogene“ Impfzwang: Katastrophe mit Ansage
Nun gibt es also Personalausfälle in Kliniken durch Omikron-Infektionen beim Personal – das will Till Steffen durch eine allgemeine Impfpflicht verhindern. Wenn die Impfpflicht vor Infektionen schützen würde, dürften ja gegenwärtig nur ungeimpfte Mitarbeiter betroffen sein und der Personalmangel allein durch sie entstehen – oder? Zumal Geimpfte ja nicht mal mehr als Kontaktpersonen in Quarantäne müssen.

Das hieße ja dann: Die durch Till Steffen bemängelte Personalnot entstünde lediglich durch Infektion ungeimpfter Mitarbeiter. Diese sollen ja aber durch die von Steffen mitgetragene „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ ohnehin jetzt ihren Job verlieren. Dann müsste ja das Problem gelöst sein. Steffen gibt damit eigentlich zu, dass man auf ungeimpfte Mitarbeiter nicht verzichten kann. Naja, aber wen interessieren noch grundlegende logische Erwägungen, wenn es um Corona geht?

Aktuell werden Hunderttausende Arbeitsverbote angedroht 

Ernsthaft betrachtet ist die Debatte über die Omikron-Ausfälle in Kliniken wie bei fast allen Debatten über die Situation in den Krankenhäusern in Deutschland ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es zweifellos richtig, Mitarbeiter, die in Kontakt mit vulnerablen Patienten stehen, großflächig und lieber zu lang als zu kurz nach Hause zu schicken. Andererseits erzählen Pfleger, dass das bis vor Corona nie so gehandhabt wurde. Da wurde man auch mit einem Infekt mit Husten und Schnupfen noch auf die Station gelassen – gedrängt geradezu, denn die Personaldecke war immer dünn. Der Arbeitgeber zeigte da in der Regel wenig Sorge um die Patienten – auch am Anfang von Corona war das noch so.

Der derzeitige Personalmangel dürfte also weniger Ausdruck der besonders großen Omikron-Welle sein, sondern Ausdruck eines neuen Umgangs mit einer Infektionskrankheit, der alte Mängel des Systems sichtbar macht. Die Bundesregierung schafft sich so die Grundlage für die allgemeine Impfpflicht einfach selbst.

Besorgniserregend neue Daten
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Und während Politiker wie Till Steffen nun wieder das Klagelied von der Überlastung des Gesundheitssystems singen, werden im ganzen Land aktuell auf ihren Beschluss im Bundestag hin Hunderttausende Arbeitsverbote im Gesundheitswesen angedroht. Seit dem 15. März gilt der Impfzwang für medizinisches Personal. Die Gesundheitsämter schreiben aktuell ungeimpfte Mitarbeiter an und fordern sie auf, dass sie ihre Impfentscheidung überdenken sollen, wahlweise sollen sie diese auch begründen. Mit einer Frist von je nach Bundesland zwei bis vier Wochen sollen die Beschäftigten einen Impfnachweis vorlegen. Dann kommt meistens ein Bußgeld von bis zu 2500 Euro. Ab April könnte es dann zu den ersten Betretungs- und Beschäftigungsverboten kommen, die ausdrücklich angedroht werden. Diese werden dann je nach Versorgungslage umgesetzt.

Bei den Betroffenen ist bisher völlig unklar, wie es für sie weitergeht. Es sind insgesamt immer noch rund 10 Prozent der Beschäftigten ungeimpft, das entspräche bundesweit bis zu 500.000 Betroffenen; wohl allein an die 100.000 in Sachsen. Auf sie alle kann das Gesundheitssystem nicht verzichten, weswegen die Impfpflicht wahrscheinlich großflächig nicht wirklich zum Tragen kommt.

Aber viele Folgen sind gar nicht mehr zu verhindern: Denn für viele Beschäftigte ist dieser ewige Stress und die Ungewissheit nicht hinnehmbar – auch die Lebensplanung vieler lässt es nicht zu, ein halbes Jahr auf einen dann plötzlich ausgesprochenen Jobverlust zu warten und solange Däumchen zu drehen. Viele melden sich daher lieber jetzt schon planbar arbeitslos, in Zeitarbeitsfirmen werden sie vom Arbeitgeber gekündigt, da ungeimpfte Mitarbeiter nicht mehr gebucht werden. 25.000 mehr Menschen haben sich im Gesundheits- und Sozialsektor Anfang des Jahres arbeitslos gemeldet als üblich.

SERIE: PFLEGER ERZÄHLEN – TEIL 4
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Und auch einige Arbeitgeber scheinen nicht an der Seite ihrer Mitarbeiter zu stehen. Eine evangelische Altenhilfe schreibt etwa an ihre Mitarbeiter: „Zur Not aber tragen wir die Beschwernis und werden Sie freistellen, wenn die Gesundheitsämter – auch auf unsere Bitte hin – die Arbeitsverbote aussprechen.“
Auch auf ihr Bitten hin, werden also ihre Mitarbeiter entlassen. Zeichen für ein tolles Betriebsklima. Dem einen oder anderen kommt die Gelegenheit vielleicht auch recht, um Mitarbeiter an allen normalerweise geltenden Arbeitnehmerrechten vorbei loszuwerden.

Die Kapazitäten des Gesundheitssystems nehmen ohnehin schon ab – auch durch ein Personal, das freiwillig kündigt, weil es den zunehmenden Stress und die schlechten Arbeitsbedingungen nicht mehr aushält. Seit Beginn der DIVI-Aufzeichnung sinkt die Zahl der einsatzbereiten Intensivbetten in Deutschland kontinuierlich. Von über 30.000 einsatzbereiten Betten im Mai 2020 auf aktuell nun noch etwas über 21.500. Der Trend dürfte sich durch die Personalverluste jetzt noch einmal verstärken.

Till Steffen und andere zeigen, dass man entschlossen ist, das eigene Narrativ gegen jede Realität durchzudrücken. Da ist es nicht weit hergeholt, die desaströsen Auswirkungen des Pfleger-Impfzwangs als Argument für die Einführung der allgemeinen Impfpflicht zu nehmen. Denn die Pandemiepolitik hat immer nach dem gleichen Muster funktioniert: Wenn eine Maßnahme scheitert, liegt es nur daran, dass wir sie zu zaghaft durchgesetzt haben. Dass ein paar hunderttausend Menschen in existenzielle Ängste gestürzt werden und möglicherweise ihren Job verlieren, scheint ja ohnehin nebensächlich.

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