Infektionsschutzgesetz: „Hier sprechen keine Lügner!“

Lauterbach wiederholt sein Mantra: An allem sind die Ungeimpften schuld. Die Union kündigt den Corona-Konsens auf, buckelt aber auf Länderebene. Grüne und Linke sind enttäuscht über die wenigen Drangsalierungen – und die AfD bringt den Gesundheitsminister so richtig in Wallung.

„Die Pandemie ist leider noch nicht vorbei und wir brauchen weitere Schutzmaßnahmen.“ Karl Lauterbach, längst zum Gesicht der Corona-Maßnahmen in Deutschland geworden, beginnt die Debatte zum Infektionsschutzgesetz so, wie er die Debatte zur Impfpflicht beendet hatte. „Wir sind noch nicht an den Punkt gekommen, an dem wir einen Freedom Day haben könnten“, erklärt der SPD-Politiker.

Während selbst Italien, das in der Vergangenheit ein nicht minder rigides Corona-Regime führte, gestern ein Ende fast aller Maßnahmen bis zum 1. Mai angekündigt hat – 2G, 3G und Maskenpflicht inklusive –, schiebt Lauterbach den Termin auf den Sankt-Nimmerleinstag. Die Uhren und Viren ticken offenbar in den jeweiligen europäischen Ländern anders.

Die Debatte um das Infektionsschutzgesetz beginnt so, wie die Debatte um die Impfpflicht geendet hatte

Noch mehr: Lauterbach sagt, man sei „nicht zusammengekommen, um über den Freedom Day zu sprechen“, und auch ein solcher Freedom Day sei „nicht das Ende der Schutzmaßnahmen“. Der Freedom Day wäre „das Ende der Pandemie“. Und Deutschland ist unter diesem Gesundheitsminister offenbar bereit, als einziges Land auf dem Globus auf diesen unbekannten Tag zu warten. Lauterbach saugt dem „Freedom Day“ neuerlich das „Freedom“ aus.

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Eine kleine Erinnerung: TE hat bereits im Dezember das Bundesgesundheitsministerium angefragt, wie man dort ein solches Ende denn definiere. Eine Antwort steht bis heute aus. Und ganz ähnlich wartet bis heute die ganze Bundesrepublik auf eine Exit-Strategie aus dem Ausnahmezustand. Richard Wagner soll mal gesagt haben, deutsch sein hieße, eine Sache ihrer selbst willen zu tun.

Nur so viel macht Lauterbach klar: Die Pandemie sei nur zu beenden, wenn man eine Impfpflicht beschließe. Dass mittlerweile auch Impfbefürworter müde werden, weil doppelt Geimpfte, Genesene wie Geboosterte gleichermaßen erkranken oder im Krankenhaus liegen, scheint am Gesundheitsminister vorbeigegangen sein.

Mit den Corona-Maßnahmen schafft die Bundesregierung Ungleichheit; aber Corona ist längst zum „Kleinen Gleichmacher“ geworden. Egal welchen Status man hat, man wird unweigerlich von der Krankheit erwischt. Zumindest das erinnert an den „Großen Gleichmacher“ und die Pest. Warum eine Impfpflicht die Pandemie beenden sollte, und warum andere Länder geöffnet haben bei vergleichbarer Impfquote, bleibt ein Mysterium des Düreners.

Die unvernünftigen Ungeimpften und die AfD als politischer Arm sind das Problem

Allein Lauterbachs Rede könnte einen Artikel füllen, aber nahezu jeder Satzbaustein ist in irgendeiner Form des professoralen Panoptikums bereits aufgetaucht. Wie fruchtbar ist es noch, den Gestus des mit weit aufgerissenen Augen dozierenden Lauterbach zu beschreiben, der neuerlich vor der hohen Zahl der Ungeimpften und der sich anbahnenden Katastrophe warnt – wenn das RKI bereits morgen wieder den Impfstatus von Millionen für nichtig erklären, und nur die Viertimpfung als gültig anerkennen kann?

Lauterbach jongliert neuerlich mit den hohen „Fallzahlen“, geht aber nicht darauf ein, warum in anderen Ländern mit geringerer Impfquote nicht nur die Zahlen niedriger sind, sondern die Normalität dort längst zurückgekehrt ist. Das Paniknarrativ spinnt sich auch an diesem Morgen durch ein Labyrinth, aus dem es keinen Ausgang zu geben scheint. Letzteres bedeutete schlicht Lauterbachs mediales Ende. Als der Professor sich von den AfD-Studenten durch „niederträchtige Zwischenrufe“ gestört sieht, gibt es heftige Gegenwehr. Lauterbachs Erwiderung („Unglaubliche Verhöhnung der Opfer“) beklatscht das Parlament, das Plenum akzeptiert seine Rolle als Wilhelm-Busch-Figur.

Ungeimpfte unter Generalverdacht
Lauterbach: Ungeimpfte nehmen das ganze Land in Geiselhaft
Man merkt in solchen Momenten eine gewisse Vendetta. „Wir können nicht weiter das gesamte Land unter Schutz stellen, um eine kleine Gruppe von Impfunwilligen und denjenigen, die nicht bereit sind, die Maßnahmen mitzutragen, zu schützen.“ Das erinnert an einen Aufguss der gestrigen Rede, als Lauterbach davon sprach, dass die Ungeimpften im Herbst das Land in Geiselhaft nehmen würden. Die Regierung hat gewissermaßen keine andere Wahl, als den Erpressungen der Ungeimpften nachzugeben, und muss das Land in einem Automatismus unter Quarantäne stellen.

Die AfD und die Ungeimpften sind damit das unvernünftige Übel im großen Plan, das es zu separieren gilt; es könnte alles so schön sein, existierten diese nicht. Das erinnert erstaunlich an jede andere Ideologie seit der Französischen Revolution, die das Himmelreich auf Erden verspricht, wenn nur bestimmte Gruppen nicht mehr länger das Land belasten.

Wo ist eigentlich Jens Spahn?

In derselben etatistischen Art ist auch das Infektionsschutzgesetz geschaffen: Es kann jederzeit flächendeckend wieder zu (fast) allen Maßnahmen führen, die wir zwei Jahre lang erlebt haben; die Möglichkeiten, die Lauterbach dafür aufstellt, rufen die Frage wach, was eigentlich passieren muss, damit man nicht in einem Hotspot lebt.

Am Ende werden 364 Abgeordnete für, 277 Abgeordnete gegen das Gesetz stimmen. Alle anwesenden Ampel-Abgeordneten unterstützen das Gesetz, es gibt nur eine Enthaltung. Die Opposition aus Union, AfD und Linken lehnt es einstimmig ab. Dass die Union sich dem Antrag widersetzt, bildet sich auf der Bundesratsebene kaum ab; dort gibt es nur aus der Ministerpräsidentenkonferenz eine kleine Note.

Die Aufgabe, diese vorzulegen, hat der CDU-Mann Tino Sorge, den die größte Oppositionspartei ins Rennen schickt. Auch das ist ein Zeichen: Üblicherweise folgt auf den Vortrag eines Mitglieds der Bundesregierung ein Oppositionsführer. Dass die Union ihren Fraktionschef Friedrich Merz nicht verheizt, ist nachvollziehbar; das aber nicht einmal ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender ans Pult tritt, zeigt, dass es CDU/CSU wohl auch nicht so wichtig ist, wenn Grundrechte weiterhin eingeschränkt bleiben. Ein Fraktions-Vize ist übrigens Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn.

Inhaltsbefreite Debatte
Die erste Lesung zur Impfpflicht beginnt mit zwei Falschinformationen in drei Sätzen
Sorge verweist auf das Protokoll der Bund-Länder-Konferenz. Viele Länder bedauerten, dass die geplanten Änderungen am Infektionsschutzgesetz weitestgehend ohne Beteiligung der Länder konzipiert worden sind, obwohl die Länder maßgeblich für den Vollzug zuständig seien. Die Hotspot-Regelung sei rechtlich nicht sicher umsetzbar und praktisch nicht durchsetzbar. Als „Wirrwarr“ und „Chaos“ bezeichnet er die Hotspot-Regelung, das Gesetz sei „handwerklich schlecht“.

Beim Infektionsschutzgesetz gibt es keinen überparteilichen Konsens mehr

Zumindest der „Corona-Konsens“, der früher überparteilich jede Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz von Grün bis Schwarz verband – wenn die Opposition nicht zustimmte, so enthielt sie sich –, gehört der Vergangenheit an. Wenn man auch so ganz seinen Ohren nicht trauen will, wenn man die Begründung der Linkspartei für ihre Ablehnung anhört. Lauterbach habe sich der „Freedom-Partei“ FDP gebeugt. Die Maskenpflicht abzuschaffen, sei keine Freiheit für alle, sondern nur eine „Freiheit von Solidarität und Rücksicht“. Spätestens bei solchen Phrasen kann man erahnen, wie tief der Bruch mit dem einstigen Linken-Idol Sahra Wagenknecht innerhalb der Partei ist.

In ein ähnliches Rohr tönen die Grünen, die dem Entwurf murrend zustimmen, aber ebenfalls darauf verweisen, dass man sich eine umfangreiche Beibehaltung der Maskenpflicht gewünscht hätte. Schlimmer als Lauterbach geht wohl immer – und man will im Grunde nicht die Extremforderungen lesen, die es intern gab, wenn es sich bei der neuen Regelung zum Infektionsschutzgesetz um einen „Kompromiss“ handelt, wie Lauterbach betonte.

Bleibt noch die AfD, deren Vertreter Stephan Brandner Lauterbach mit harten Worten angeht. Er nennt ihn einen „Impflamisten“, der Schreckensszenarien verbreite. „Sie sind ein Lügner hier vorne gewesen, immer schon, und sie werden es auch bleiben“, resümiert Brandner. Von der Warnung, im März 2022 sei jeder entweder „geimpft, genesen oder leider gestorben“, sei nichts übriggeblieben, er sei ein lebendes Beispiel dafür. Lauterbach habe „Unsinn“ erzählt und müsse sich jetzt „bei den vielen Millionen Menschen, die Sie mit dieser Aussage in Angst und Panik versetzt haben, mindestens entschuldigen“.

Lauterbach wehrt sich gegen den Vorwurf der Lüge – hat aber eine besondere Beziehung zu ihr

"höchste Corona Inzidenz in Europa"
Karl Lauterbach sagt Unwahrheit über Deutschlands Inzidenz im europäischen Vergleich
Nicht ganz unrichtig erkennt auch Brandner, dass Jens Spahn dieser Ansicht „sekundiert“ hätte, aber sich heute kaum noch zu Gesundheitsthemen meldete. Statt eines Infektionsschutzgesetzes bräuchte es ein „Injektionsschutzgesetz“. Die Reaktionen auf Brandners Rede fallen entsprechend aus. Insbesondere Lauterbach zeigt sich noch ungehaltener als zu Beginn der Sitzung und holte eine Stellungnahme nach. Der Gesundheitsminister, in den Diffamierungen Ungeimpfter sonst wenig zurückhaltend, spricht davon, es beim „Streit in der Sache“ zu belassen. Und: „Ich möchte für uns alle, für alle demokratischen Parteien sprechen. Wir wollen uns hier nicht als Lügner diffamieren lassen. Hier sprechen keine Lügner!“

Ein Statement, das den Tag überleben könnte. Nicht nur gestern und heute, sondern über Monate, wenn nicht Jahre, hat die Bundesregierung ihre Aussagen immer wieder „korrigiert“ oder „neue Erkenntnisse“ vorgeschoben, wenn sie sich offenbar – wir bleiben vorsichtig – irrte. Die Frequenz, mit der sich immer wieder solche „Ungenauigkeiten“ häuften, ist verblüffend, und der Fall, den Brandner angesprochen hat, ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Warum es Politikern so schwer fällt, die Wahrheit zu sagen? Da gibt es ein bekanntes Zitat: „Die Wahrheit führt in sehr vielen Fällen zum politischen Tod.“ Urheber? Karl Lauterbach. Es könnte sein, dass derlei nicht nur ihm noch auf die Füße fallen könnte. Die Wahrheit hat die unangenehme Art, dass sie selbst entscheidet, wann sie ans Licht kommt.

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Kommentare ( 91 )

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AnSi
2 Jahre her

Ich fand die Rede von Herrn Brandner (AfD) sehr gut und natürlich hat er recht, wenn er KL als Impflamisten und Lügner bezeichnet! Wurde ja mehrfach bewiesen, dass dem so ist (s. argnerd oder Ken Jebsen uvm.)! Alles bildlich belegt und für die Nachwelt festgehalten! Herr Brandner hat im Nachgang dann noch gesagt, dass KL besser froh sein soll, dass er ihn nur einen Lügner genannt hat. Für Menschen wie ihn gibt es eigentlich ganz andere Begriffe. 😉 Die Schnappatmung der angeblichen demokratischen Parteien konnte man richtig ahnen!

Elki
2 Jahre her

Ich habe mir gerade auf der Seite des Bundestag die namentliche Abstimmung angesehen, SPD (alle Ja) – Grüne (alle Ja bis auf eine Enthaltung) – FDP (alle Ja!!!) – AfD (alle Nein) – Linke und CDU alle Nein, aber die CDU möchte ja ein Impfregister. Somit weiß ich wenigstens, wie sie über Freiheit denken.

leonaphta
2 Jahre her

Sehr geehrter Herr Gallina,
danke für Ihre schöne Geschichte (5 Stunden her). Ja, als junger Student wollte ich auch nur in Geschichten leben und las und las. Mit 30 habe ich die gesamten Memoiren von Casanova gelesen…
Das war schön.
Aber Heute, leben Sie und ich im Heute, und das ist: wahnsinnig anstrengend, um es euphemistisch zu formulieren.
Und noch Eines: Sie sind ja noch nicht alt: man hat das Gefühl, wer wird unsere, aus dem Altertum , aus Rom und Griechenland stammende Kultur: wer wird die noch bewahren, Herr Gallina.

Rasio Brelugi
2 Jahre her

„Wir können nicht weiter das gesamte Land unter Schutz stellen, um eine kleine Gruppe von Impfunwilligen und denjenigen, die nicht bereit sind, die Maßnahmen mitzutragen, zu schützen.“

Herr Lauterbach, Sie brauchen micht nicht schützen. Sie sind der Letzte, von dem ich Schutz brauche und will. Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Sch..ß!

Ferengi
2 Jahre her

Interessant, wenn Lauterbach davon fabuliert, dass (Zitat) „hier keine Lügner sprechen“. Wie war das dann, als er von Deutschlands höchster Inzidenz in Europa gesprochen hat und dazu eine Grafik postete, auf der eindeutig hervorging, dass andere Länder deutlich höhere Inzidenzen hatten? Ach ja, ich vergaß, das sind im Politneusprech eher „alternative Fakten“ oder wie es der Staatsfunk ausdrücken würde, „Lügen, die es braucht, um es dem Volk besser vermitteln zu können“. Mir fällt dazu leider nichts mehr ein, meine Kinnlade ist schon so weit offen, dass es weiter nicht mehr geht.

Kuno.2
2 Jahre her

Nach Lauterbach soll die Welt am deutschen Wesen genesen. Denn alle anderen Länder, außer China und Nordkorea, machen es anders. Wenn ich nach England reise, wird am deutschen Flughafen zumindest der Negativtest verlangt, in London fragt mich kein Mensch, weil es niemand interessiert. Gleiches gilt für die meisten Staaten Europas und weltweit dämmert es den Fachleuten auch allmählich. Wie wurde doch gleich die Vogelgrippe und Schweinegrippe oder BSE bekämpft? Jedenfalls nicht durch Impfen. Eigentlich wollte ich in den deutschen Alpen im Mai wandern gehen, aber wegen der undurchsichtigen Maßnahmen habe ich die österreichische Seite gebucht. Dort wird im Restaurant noch… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Kuno.2
Rob Roy
2 Jahre her

Und die kleine Könige, die in den Bundesländern das Sagen haben, jammern schon, dass ihnen ihre Macht über die Bürger entzogen werden könnte.
Der Deutsche ist in seinem Wesen mehr als duldsam und geduldig. Aber auch die längste Zündschnur ist irgendwann abgebrannt …

Anne W
2 Jahre her

Lauterbach kommt mir vor wie ein stand up comedian, der sobald eine Kamera auf ihn gerichtet ist, verbal „raushaut“, was gerade so in den Sinn kommt.
Wahrheit, Lüge, Annahmen, Orakel…alles egal!

Der Mann „spielt“ eine, seine Lebens-Rolle. Covid.

Last edited 2 Jahre her by Anne W
MHeller
2 Jahre her

Und ich sekundiere das als langjähriger Wähler der Linken.

ketzerlehrling
2 Jahre her

Leider verkörpert nicht nur Lauterbach den geistigen Zustand dieses Landes, vom menschlichen will ich gar nicht reden, sondern, ausser der AfD und ein paar Figuren aus den Altparteien, den Zustand des Landes und seiner Gesellschaft. Qualitativ ganz unten angekommen, kompetenzentkernt, nichts funktioniert, nichts hat Hand und Fuß, es wird gemerkelt, oder gehabeckt, oder gebaerbockt, oder gelindnert, oder wie man das auch immer nennen mag. Verbohrte, verblendete, bösartige Menschendarsteller, die mit der Ausübung ihres Jobs, mit der Führung eines eigenen Lebens, vor allem mit der Führung eines Landes, völlig überfordert sind. Sie haben keine Antworten auf die Probleme, die sie schaffen.