In den meisten Würdigungen wird der soeben verstorbene Shimon Peres als der einzige ernst zu nehmende israelische Friedenspolitiker dargestellt. Das ist so glaubwürdig, als wollte man Angela Merkel zur singulären deutschenPolitikerin mit Mitgefühl stilisieren.
Der 1923 in Polen geborene Shimon Peres war keineswegs ein reiner Tor, beziehungsweise ein „Visionär“ des Friedens. Visionäre wollte der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt im Krankenhaus wissen. Nein, Shimon Peres hatte als führender Politiker den Wunsch nach Frieden mit der überwiegenden Mehrheit seiner israelischen Landsleute gemein – was unter anderem im hebräischen Gruß Schalom zum Ausdruck kommt. Shimon Peres war ebenso wie andere bereit, für den Frieden ein großes Wagnis einzugehen. Allein, weder Peres noch dem von einem religiösen Nationalisten ermordeten Premier Yitzhak Rabin war es vergönnt, einen Frieden mitzugestalten, der mehr war als ein Waffenstillstand.
Außenminister Peres unterzeichnete 1994 mit den Palästinensern einen Friedensvertrag, der den Arabern in Israel zunächst politische Autonomie und später einen eigenen Staat zugestanden hätte. Dabei wurde Peres von Ministerpräsident Rabin unterstützt. Für diese Verheißung des Friedens wurden beide israelischen Politiker gemeinsam mit Palästinenser-Präsident Yassir Arafat 1995 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Das war ein Wechsel auf eine friedliche Zukunft. Doch diese Hoffnung zerbarst an dem Verlangen nach einer einseitigen Durchsetzung der nationalen Interessen.
Religiös-nationale Israelis wollten neben dem Gebiet des Staates Israel in den Waffenstillstandslinien von 1949 auch das West-Jordanland, das biblische Judäa und Samaria mit Zion vereinigen. Für einen Palästinenser-Staat wäre kein Raum übrig geblieben. Auf der anderen Seite fanden sich die Hardliner in Palästina und in der arabischen Welt nie mit der Existenz Israels, des sogenannten jüdischen Stachels inmitten des arabischen Körpers, ab. Sie klammerten sich an die Illusion, Dank der immensen Überlegenheit an Menschen, Territorium und finanziellen Mitteln Zion schließlich auslöschen zu können.
Gegen dieses Unterfangen wiederum hatte Shimon Peres Israel zu wappnen gesucht, indem er in der Wüste Negev Ende der 50er Jahre einen geheimen Kernreaktor installieren ließ, der das spaltbare Material für eine wiederum klandestine israelische Atommacht bereitstellte.
Die nukleare Option, eine Erfindung von Staatsgründer Ben Gurion und seines Musterschülers Peres, war und bleibt Israels Rückversicherung im Falle eines konzentrischen arabischen Angriffskrieges, wie er zuletzt 1973 im Oktoberkrieg entfaltet wurde. Erst aufgrund dieser atomaren Basis war es für Peres möglich, das Wagnis eines palästinensischen Staat an der Seite Zions zu denken. Die strategische Untiefe Israels nördlich des Bevölkerungszentrums Tel Avivs beträgt ganze 14 Kilometer. Diese geostrategische Verwundbarkeit ist der Grund für die Angst der meisten Israelis vor einem Rückzug aus den 1967 besetzten palästinensischen Gebieten. Dank der nuklearen Streitmacht Israels war Peres dennoch bereit, dieses Wagnis einzugehen.
Shimon Peres wusste um die strategische Verwundbarkeit Israels. Als ich Peres 1978 erstmals befragte, kreisten seine Ausführungen vor allem um die militärische Sicherheit Zions. Doch im Gegensatz zu anderen Politikern wusste der Intellektuelle, dass Israel möglichst rasch einen Frieden schließen musste, da ein permanenter Konflikt die Kräfte des kleinen Staates abnützen und die Gesellschaft beschädigen würden. „Auf Dauer müssen wir Frieden mit unseren Nachbarn machen. Doch wir dürfen dabei nicht unsere Existenz riskieren“, erklärte mir Peres. Seit Anfang der 90er Jahre wandte sich Peres’ Fokus von der arabischen Welt dem Iran zu. „Teheran ist Israels gefährlichster Feind. Die Mullahs wollen uns mit aller Kraft auslöschen. Sie sind dabei, Kernwaffen zu entwickeln und sie zumindest als Drohpotential einzusetzen“, warnte Peres mir gegenüber.
Diese Sicht und eine entsprechende Politik wurde von Peres damaligen Parteifreund und Premierminister Ehud Barak geteilt. Im Jahr 2000 zeigte sich Barak bereit, sich aus sämtlichen palästinensischen Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalem, im Gegenzug für einen Frieden zurückzuziehen. Palästinenser-Präsident Arafat erwog, auf dieses Angebot einzugehen. Diese Friedensoption wurde jedoch vom ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak torpediert, der Arafat verbot, auf den Friedensvorschlag des amerikanischen Präsidenten Clinton einzugehen. Mubaraks Begründung, die noch heute von weiten Teilen der arabischen Welt geteilt wird, ist, dass ein jüdischer Staat keine Existenzberechtigung inmitten der arabischen Welt besitzt – schon gar nicht in dessen Hauptstadt Al Kuds, die die Israelis Jerusalem nennen. Diese prinzipielle Weigerung ist unabhängig davon, ob sich Israel von seinen Siedlungen in Palästina zurückzieht oder nicht. Der entscheidende Punkt ist nicht die Ausdehnung Israels (20.000 km2, Westjordanland 6.000 km2), sondern das schiere Bestehen eines jüdischen Landes.
Shimon Peres war dies bekannt. Dennoch strebte er unverdrossen einen Frieden an. Er verstand es, im Ausland das immerwährende Ringen Israels um einen Kompromissfrieden deutlich zu machen – anders als der unflexibel auftretende Premier Benjamin Netanjahu. In der konkreten Tagespolitik freilich besteht kaum ein Unterschied zwischen den führenden israelischen Politikern. Der jüdische Staat kann es sich bei aller Friedenssehnsucht nicht erlauben, ein zu großes Sicherheitsrisiko einzugehen.
Dies gilt insbesondere für das Verhältnis zu Iran. Teheran teilt keine Grenze mit Israel, strebt aber unverschämt dessen Zerstörung an. Auch zu diesem Zweck etablierte Iran eine Nuklear-Streitmacht. Dies bedeutet eine tödliche Gefahr für Israel. Aber auch für die Golf-Staaten, vor allem das ölreiche sunnitische Königreich Saudi-Arabien.
Shimon Peres beschwor als Präsident ebenso wie Premierminister Netanyahu die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, insbesondere die USA, Teheran zu einer Aufgabe seiner Israel-Vernichtungs-Politik zu nötigen. Washington und seine Partner, einschließlich Deutschlands, ignorierten den Ratschlag und begnügten sich mit einer technisch begrenzten Verpflichtung Teherans zur atomaren Abrüstung. Iran fährt nun ungehindert fort, Israels Dasein zu bedrohen. Ebenso wie das Saudi-Arabiens.
Zur Beerdigung Peres reisten die Staatsoberhäupter des Westens, an ihrer Spitze US-Präsident Obama, nach Jerusalem. Obama mahnte in seiner Ansprache: „Peres Lebenswerk ist jetzt in den Händen der nächsten Generation. Wählt das Leben so wie er, lasst uns seine Arbeit zu unserer Aufgabe machen.“
Die Regierung Netanyahu strebt einen Frieden mit den arabischen Nachbarländern an – sowie den gleichzeitigen Ausbau der Siedlungen im West-Jordanland. Die große Mehrheit der Israelis dagegen ist zum Rückzug aus diesem Territorium bereit. An der Haltung der arabischen Staaten ändert dies jedoch nichts. Kein arabischer Regierungschef nahm aus Rücksicht auf den Israelhass der eigenen Bevölkerung an der Beerdigung von Shimon Peres statt. Lediglich Palästinenser-Präsident Abas wohnte der Zeremonie aus persönlicher Solidarität mit dem Verstorbenen bei. Jedoch ohne den Rückhalt der Palästinenser.
Israel fehlt auf arabischer Seite schlicht der Partner zum Frieden. Shimon Peres hätte dennoch unverdrossen an seiner Politik festgehalten. Für ihn galt der Satz von Staatsgründer David Ben Gurion: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ Diese Zuversicht machte Shimon Peres Größe aus.
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