Nord Stream 2 soll als Reaktion auf Putins Machtdemonstration auf Eis gelegt werden. Doch so schneidig, wie sie klingt, ist die Ankündigung von Kanzler Scholz nicht. Deutschlands Abhängigkeit vom Gas verändert das strategische Gleichgewicht in Europa – und könnte am Ende die Einheit des Westens sprengen.
Unmittelbar nach Wladimir Putins Ankündigung, die beiden Separatisten-Republiken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine völkerrechtlich anzuerkennen und Truppen dorthin zu schicken, verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz, die Inbetriebnahme der Erdgasleitung Nord Stream 2 werde vorerst gestoppt. „Und ohne diese Zertifizierung“, so Scholz, „kann Nord Stream 2 ja nicht in Betrieb gehen.“ Vorher hatte schon der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi als Reaktion auf Putins Rede Sanktionen des Westens gefordert: „Diese Sanktionen müssen den vollständigen Stopp von Nord Stream 2 umfassen.“
Den unmittelbaren wirtschaftlichen Schaden würde Gazprom nicht allein tragen
Die erste Forderung der Bundesnetzagentur kann Gazprom leicht erfüllen. Die Betreibergesellschaft kündigte schon an, demnächst eine Niederlassung in Deutschland zu gründen. Eine wirtschaftliche Entflechtung wäre schon aufwändiger, aber durchaus machbar.
Viel wichtiger als die formalen sind allerdings die realpolitischen und wirtschaftlichen Fragen: Wer wäre der größte Verlierer, wenn die gut 1230 Kilometer lange Doppelröhre von der Narva-Bucht bis ins vorpommersche Lubmin nie in Betrieb gehen sollte?
Den unmittelbaren wirtschaftlichen Schaden würde nicht Gazprom allein tragen, sondern etwa zur Hälfte die Unternehmen, die das Projekt auf der westeuropäischen Seite mitfinanziert hatten: die beiden deutschen Gesellschaften Uniper und die BASF-Tochter Wintershall Dea, der französische Energiekonzern Engie, die österreichische OVM und der britisch-niederländische und demnächst ausschließlich britische Öl- und Gasriese Shell. Die ursprüngliche Vereinbarung sah vor, dass die fünf Unternehmen mit jeweils 950 Millionen Euro die Hälfte der Gesamtkosten vom mehr als 8 Milliarden Euro vorfinanzieren. Zwar brachten nicht alle den vereinbarten Anteil auf; Wintershall etwa stoppte seine Zahlungen wegen der wachsenden politischen Unsicherheiten bei 730 Millionen Euro. Für die Gazprom-Partner wäre es ein herber Verlust, sollte Nord Stream 2 tatsächlich als Investruine enden.
Durch die Doppelröhre sollten einmal 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr strömen. Das entspricht ungefähr der Gesamt-Erdgasmenge, die Deutschland aus Russland bezieht: 2020 waren es 56,3 Milliarden Kubikmeter. Sie kommen bisher noch aus einer Erdgastrasse, die über die Territorien der Ukraine und Polens verlaufen. Bräuchte Deutschland auch künftig nicht mehr russisches Gas als jetzt, dann würden die schon älteren, wenn auch schon veralteten und hier und da maroden Jamal- und Transgas-Pipelines ausreichen.
Merkels Ausstieg aus der Kernkraft wertete Nord Stream 2 auf
Allerdings lässt sich schon jetzt absehen, dass Deutschland in naher Zukunft viel mehr von dem Brennstoff verbrauchen wird als heute. Und schon in der Vergangenheit nahm der Gashunger des Landes kräftig zu – und damit die Abhängigkeit von dem globalen Gasexporteur Nummer Eins: Russland. Im Jahr 2011, als Angela Merkel den Atomausstieg verkündete, importierte die Bundesrepublik nur 30,8 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus dem Osten – gut 20 Milliarden weniger als heute.
Eine entscheidende Aufwertung erfuhr Nord Stream 2 durch die Entscheidung Angela Merkels, Deutschlands Atomkraftwerke bis Ende 2022 abzuschalten, und den auch noch von ihrem Kabinett unter Druck der Grünen und von Organisationen wie Fridays for Future durchgesetzten Entschluss, zusätzlich die Kohleverstromung zu beenden. Damit bleibt für das größte Industrieland Europas Erdgas künftig als einziger ernstzunehmender Träger einer grundlastfähigen Stromversorgung. Und schon jetzt dient Gas als wichtigste Quelle zur Wärmeerzeugung.
Da in der Dunkelflaute zum Jahresende Wind- und Sonnenanlagen an manchen Tagen weniger als zwei Prozent ihrer installierten Leistung einspeisen, benötigt Deutschland nach Schätzungen von Experten in naher Zukunft allein 50 bis 60 neue Gaskraftwerke, um die Stromversorgung sicherzustellen. Vor allem dann, wenn – wie von der Bundesregierung geplant – auch noch große Teile des Straßenverkehrs und der Stahlherstellung elektrifiziert werden sollen.
Die Grünen als beste strategische Partner Putins
Außerdem muss in den kommenden Jahren noch ein Ersatz für die Fernwärme her, die bisher die Kohlekraftwerke als Nebenprodukt liefern. Gut 5,6 Millionen Wohnungen hängen in Deutschland am Fernwärmenetz, der Großteil der warmen Luft darin stammt aus den Kohlemeilern. Auch hier gibt es kaum Alternativen zum Erdgas, wenn die Kohleverstromung endet. Die Wärmepumpen, die Energiewende-Befürworter zur neuen Gebäudeheiztechnik ausrufen, brauchen wiederum Strom – der gerade im Winter größtenteils aus Gaskraftwerken stammen wird.
Abgesehen davon gibt es bei den Grünen, großen Teilen der SPD, Fridays for Future und Greenpeace große Vorbehalte gegen US-Flüssiggas – denn erstens stammt es aus dem Fracking, das viele umweltbewegte Deutsche aus Prinzip ablehnen, obwohl gerade diese Technik in den USA eine erhebliche Reduktion der Kohleverstromung möglich machte. Und zweitens ist ihnen die CO2-Bilanz des Gases zu schlecht, das erst in Tankschiffen über den Atlantik gebracht werden muss.
Während Deutschland unter Führung der Grünen tiefer in die Abhängigkeit von Putin rutscht, gehen die Partnerländer in der EU den Weg in die andere Richtung: Sie reduzierten schon in der Vergangenheit systematisch die Bedeutung der Gaslieferungen aus dem Osten. Litauen etwa errichtete in dem Hafen Klaipeda ein LNG-Terminal; das Land ist seitdem auf russisches Gas nicht mehr angewiesen. Polen plant den Bau von zwei Kernkraftwerken, außerdem wird die Baltic Pipe, die von Norwegen über Dänemark führt, ab 2022 norwegisches Gas nach Polen liefern. Auch die Niederlande kündigten den Bau von zwei Nuklearkraftwerken an, um den eigenen Konsum an fossilen Brennstoffen zu verringern.
Um das neue „Great Game“ mitzuspielen, müsste Deutschland auf Atomkraft und Kohleverstromung setzen
Deutschland könnte es sich nur unter einer Bedingung leisten, Russland deutlich weniger Gas abzukaufen, um damit ökonomischen Druck auf Putin auszuüben: Es müsste den Atomausstieg rückgängig machen, und auch die Kohleverstromung deutlich länger beibehalten. Beides scheitert allerdings an der Transformations-Doktrin der Grünen, die wiederum auf eine breite Unterstützung vieler Medien und NGOs zählen können.
Die Energiefrage ähnelt dem Great Game, dem Kampf um den Einfluss in Indien und Mittelasien im 19. Jahrhundert, den damals Russland und das Britische Empire ausfochten. Auch hier gibt es etliche Beteiligte, lange Zeithorizonte und jähe Wendungen. Der deutsche Energie-Sonderweg, so scheint es, besitzt das Potenzial, die frühere Einheit des Westens gegenüber Russland aufzusprengen.
Von Wladimir Putin ist der Spruch überliefert: „Atomkraft wollen die Deutschen nicht, Kohle wollen sie nicht – und wenn sie in Zukunft mit Holz heizen wollen, dann finden sie das auch nur bei uns in Sibirien.“
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Es gibt genügend Verrückte im Land und es gibt unsere Regierung. Will ein Land boykottieren,ohne Rücksicht auf Verluste, auf das es energiepolitsch angewiesen ist. Denen ist ihre EU- USA- und Natohörigkeit wichtiger zu beweisen als das Wohl der Bevölkerung. Was hat es eingebracht? Billionenforderungen wohl gegen diverse Länder die man wohl samt und sonders abschreiben muss, eine gigantische Verschuldung obendrein, nichts zu bestimmen obwohl Deutschland der große Zahlmeister der ganzen EU ist, dank unserer unfähigen Regierung, sie wollen trotzdem weiterhin Kraftwerke abschalten statt sofort u. a. die 3 ausgeschalteten KKW wieder zu reaktivieren, auf deutsch, sie wollen dieses Land an… Mehr
Rückkehr zur Kernkraft. Und zwar jetzt! Dann heizen wir eben mit Strom. Letztlich muss Energie für die Aufrechterhaltung unseres hiesigen Lebens irgendwie bezahlbar sein und das ist sie derzeit nicht mehr. Meine gerade eingetrudelte Gasrechnung bringt mich gerade in die finanzielle Bredouille. Und ich bin ja beileibe nicht der Einzige, der im Moment dieses Problem hat. Der Atomausstieg kam nicht nur zu früh, er ist unsinnig und nicht das Resultat von zwingender Notwendigkeit, sondern von gestriger Propaganda, die nur dem Zwecke diente, eine atomare Bewaffnung Deutschlands zu verhindern. Mit modernen Reaktorkonzepten ist kernwaffenfähiges Spaltmaterial aber gar kein Thema mehr und… Mehr
Es geht doch eher um die Energie für die Unternehmen.
Da gibt es nämlich all zu viele Unternehmen in Deutschland ohne Bezug zu diesem Land. Die haben hier nur ihren Standort, wie der Hund seinen Baum zum pinkeln hat. Wenn da die Energiekosten eine Schmerzgrenze überschreiten, dann orientieren die sich am nächsten Standort in Ungarn, Tschechien oder Frankreich.
Rückkehr zur Kernkraft. Und zwar jetzt! Woher das Personal dafür nehmen? Selbst wenn wir es stehlen wollten! Masterstudium Physik, Schwerpunkt Kernphysik, dauert 10 Semester, 5 Jahre, Ausbildung Kraftwerkstätigkeiten weitere 3 bis 5 Jahre; macht summasummarum 8 bis 10 Jahre um neues Personal auszubilden. Mit den letzten drei Kernkraftwerken bekommen wir die Grundlastfähigkeit zudem nicht hin — dafür bräuchten wir… 360? Davon darf man zwar sukzessiv die „Wasserstoffstrategie“ (mit Wind und Sonne bis zu 40% mehr Strom erzeugen, als nachher verbraucht wird) abziehen. Deutschland bekommt nun mit Zins und Zinseszins die Folgen dessen, was es gewählt hat. Und nicht nur bei… Mehr
NS2 wird alao nicht ans Netz gehen, aber das Gas wied immer noch ueber die bestehenden Pipelines geliefert. Verstehe ich das richtig?
„Es klingt zwar technisch, ist aber der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann und ohne diese Zertifizierung kann Nord Stream 2 ja nicht in Betrieb gehen.“
Von „Wir nehmen denen kein Gas mehr ab“ war nicht die Rede. Man hält sich dabei auch noch für schlau ….
Ja, da sind noch Nord Stream 1 in der Ostsee und vier weitere Pipelines überland durch Polen und die Ukraine (wobei die durch die Ukraine vielleicht auch ausfallen dürften).
Ein bisschen bekommen wir noch von den Niederländern. Die wollen die Förderung aber einstellen, da das Gas durch Fracking gewonnen wird. Ansonsten muss Flüssiggas aus den U.S. of A. mit Tankern über den großen Teich geschippert werden.
Wer gewinnt? Die USA und ihre besten arabischen Freunde, wir werden jetzt mit „freedom gas“ teuer heizen dürfen, oder frieren. So geht „freier“ Handel.
Zum Thema Abhängigkeit von ausländischem Gas ist zu sagen, dass Deutschland selbst über gar nicht so geringe eigene Gasvorkommen verfügt. So lag der Anteil des heimischen Erdgases am Gesamtverbrauch vor 20 Jahren noch bei über 20%, vor 10 Jahren noch bei über 10%, aber mittlerweile bei nur noch knapp 5%. Wenn man den Hintergründen für diesen dramatischen Rückgang nachgeht, stösst man darauf, dass insb. die Grünen weitere Explorationen in Norddeutschland in den letzten 20 Jahren gezielt verhindert haben. Wenn man nun noch in Betracht zieht, dass das von den Grünen dominierte Umweltbundesamt auch die Verbrennung von Holz zukünftig untersagen will,… Mehr
Ist doch wunderbar. Soll Nord Stream 2 nicht die die aktuelle Gaspipeline durch die Ukraine ersetzen? D ist ein echter Sargnagel für den Westen. Aber Putin ist der Böse. Das ist ein Sich-beschweren über etwas, was man selbst herbeigeführt hat. Welches strategische Ziel hat D unter Merkel eigentlich verfolgt? Klar, weg mit Atom und Kohle ist eine grüne Forderung. Und klar, machen wir uns nichts vor, Die Grünen haben mit D nichts am Hut. Sie vertreten nicht das Volk, wie es das GrundG verlangt. Aber AM, die CDU/CSU? Sie hat mit ihrer Politik für diese Situation gesorgt. Strategie dahinter? Gar… Mehr
Holz aus Sibirien, köstlich!! Schicken wir dann die Grünen hin zum Abholzen, die mögen doch Bären und frische Luft. Der grünlinke Popanz ist krachend gescheitert, wie alles, was die anfangen. Die Falle schnappt zu. Das war schon lange klar abzusehen, nur nicht für die selbsternannten Weltverbesserer. Jetzt muss Russland nur mal kurz wieder die Pipelines durch die Ukraine trocken legen, dann wirds eng. Putin und die ganze Welt lachen sich schief über die dummen Deutschen. Das einzig Gute daran ist, dass die Grünen die Suppe politisch jetzt auslöffeln dürfen. Frau Baerbock stottert ja schon bißchen beim Reden.
Christa Born, da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Nur, Ihr erster Satz stimmt nicht so ganz. Die Grünen mögen zwar frische Luft und Bären. Aber nur so lange, wie diese nicht in Verbindung mit eigener Arbeit gebracht werden. Richtig ist: Die lassen gerne arbeiten.
Ist der Stopp von Nord Stream 2 nun eine Sanktion gegen Russland oder eher gegen die deutsche Bevölkerung ?
Na zum Glück hat Deutschland ja sooo viele LNG-Terminals (Ironie off).
Schöne Grüße übrigens aus dem Home-Office von der aktuell sonnigen Adria-Insel Krk (Kroatien) – und nein, eine „echte“ Heizung brauche ich hier nicht einmal.
Ach, bevor ich’s vergesse:
LNG-Terminal vor kroatischen Insel Krk offiziell eingeweiht | Energynewsmagazine
Das schwimmende LNG-Terminal in Omišalj auf Krk wurde eingeweiht – Kroatien-Nachrichten
(haben wir wirklich die dümmsten Politiker der EU?)
…co-finanziert übrigens mit >100.000.000€ EU-Steuergeld. Da ist auch unseres mit dabei :)))
Ja. Haben wir.
Jeder, der in die „Erneuerbaren“ investiert hat, hat ein Interesse an einer Krise, in deren Verlauf Erdgaslieferungen gestoppt werden. Das sind die scheinheiligsten Figuren in diesem Kriegsspiel!
Das für uns Fatale ist, dass sie funktionierende Strukturen zerstören, bevor ihr utopisches System mit den „Erneuerbaren“ jemals tragfähig sein könnte.
Aber wer kennt das nicht aus 16 Jahren Merkel.
Genau das Gleiche gilt für den Umbau der Wirtschaft. D7e Grünen tapfer voran. Hat die EU jetzt nicht noch Geldmittel dafür bereit gestellt?
Wer wählt solche Träumer? Die bildungsfernen Träumer im Bildungsland der Träumer.
Wie die Flüchtlingspolitik.
Mio reinwinken und dann schauen wir mal wie wir die verteilen.
Ergebnis ist bekannt.