Stasi: Werner Großmann, der Herr der Spione, ist tot

Werner Großmann lenkte mehr als 1500 Informanten in der Bundesrepublik. Jetzt ist der letzte Spionagechef der DDR gestorben. Bekannt wurde er vor allem durch die öffentliche Beschönigung der SED-Verbrechen.

IMAGO / Christian Schroth
Werner Großmann, letzter Chef der Stasi-Auslandsspionage, hier im Jahr 2004

„Kundschafter des Friedens“ – so nannte die DDR ihre zahlreichen Informanten in der alten Bundesrepublik. Sie saßen in Parteien, Gewerkschaften, Protestbewegungen und sogar in den Kirchen. Etwa die Hälfte von ihnen gehörte zum Apparat der Hauptverwaltung A (HVA), der Spionageabteilung des Staatssicherheitsdienstes. Herr dieser größten Diensteinheit der Stasi war jahrzehntelang Markus Wolf – bis dieser sich 1986 überraschend zurückzog und die Leitung an Werner Großmann übergab.

Mit seinem schillernden Vorgänger hatte der letzte Spionagechef der DDR indes nur wenig gemein: Nicht in Moskau hatte er seine Kindheit verbracht, sondern in dem sächsischen Nest Oberebenheit. Sein Vater war auch kein berühmter jüdisch-kommunistischer Schriftsteller, sondern einfacher Zimmermann. Und statt intellektuellem Charme besaß Werner Großmann die spröde Ausstrahlung eines Apparatschiks.

Werner Großmann, Chef der Auslandsspionage der Staatssicherheit

Großmanns Werdegang war gleichwohl typisch für viele hohe DDR-Funktionäre. Geboren 1929, kämpfte er als 16-Jähriger in Hitlers Volkssturm. Ohne Schulabschluss machte er nach Kriegsende eine Maurerlehre. Die SED, die das Bürgertum durch loyalere Kader ersetzen wollte, ließ ihn das Abitur nachmachen und an der Technischen Hochschule in Dresden ein Studium beginnen. Mit 22 Jahren rekrutierte ihn dort der neu gegründete DDR-Staatssicherheitsdienst.

Wie viele spätere Stasi-Generäle erlebte Großmann im Ministerium für Staatssicherheit einen rasanten Aufstieg. Mit 27 Jahren wurde er Vizechef der DDR-Militärspionage, mit 33 Abteilungsleiter. Nach dem Besuch der Parteihochschule in Moskau Mitte der 1960er Jahre und einem eher formalen Fernstudium an der Stasi-Hochschule schien er auch für höhere Würden geeignet: 1975 wurde er Wolfs Stellvertreter und elf Jahre später sein Nachfolger.

Zwar gehörte Großmann nun zum erlauchten Kreis der Mielke-Stellvertreter, doch glänzen konnte er nicht mehr in seinem Amt. Die spektakulären Erfolge der DDR-Spionage fielen durchweg in die Zeit seines Vorgängers, der wichtige Agenten wie den FDP-Politiker William Borm auch gerne mal selber traf. Ob Klaus Kuron im Bundesamt für Verfassungsschutz, ob Gabriele Gast im Bundesnachrichtendienst, ob Rainer Rupp im NATO-Hautquartier – sie alle waren schon sehr viel früher zur Stasi gestoßen. Großmann konnte sich lediglich zugutehalten, bei der HVA ein „EDV-Gesamtsystem“ eingeführt zu haben.

Drei Jahre später kam dann der unerwartete Absturz. Trotz seiner über 13.000 DDR-Informanten und mehr als 1500 westdeutschen Agenten hatte Großmann die Friedliche Revolution im Herbst 1989 nicht vorhergesehen. Dabei hatte er in seiner letzten Planorientierung noch versprochen, „alle politisch-operativen Maßnahmen auf den Schutz unserer Republik und der sozialistischen Staatengemeinschaft zu konzentrieren“.

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Das bürokratische Dokument gibt einen Einblick in das Ausmaß der Infiltration der Bundesrepublik. Es liest sich, als hätte eine unsichtbare Hand kontinuierlich in die westdeutsche Politik eingegriffen. Die „Rechtskräfte“, so heißt es zum Beispiel, seien „auf der Grundlage geeigneter Informationen zu kompromittieren und politisch zu isolieren“. Bestrebungen einzelner SPD-Politiker, den Dialog mit der SED zur „Inspirierung feindlicher Kräfte in der DDR zu missbrauchen“, seien zu bekämpfen. Bei den Grünen seien „sozialismusfeindliche, subversiv wirkende Kräfte zurückzudrängen“. Das Papier widerlegt nicht zuletzt Großmanns spätere Behauptung, die HVA hätte mit der inneren Repression in der DDR nichts zu tun gehabt.

Im März 1990 musste Großmann, gerade erst zum Generaloberst befördert, mit mittlerweile 61 Jahren den Dienst quittieren. Auf Druck der Bevölkerung wurde die Stasi ersatzlos aufgelöst. Die Hoffnungen der HVA, in einer reformierten DDR weiterarbeiten zu können, erfüllten sich dadurch nicht. Sie konnte dem Runden Tisch lediglich die Zustimmung abringen, dass sie sich selber liquidieren durfte – was sie dazu nutzte, den Großteil ihrer Akten zu vernichten. Was Großmanns Meinung nach „allen Beteiligten zur Ehre“ gereichte, führte später zu dem Eindruck, nur Ostdeutsche hätten sich zu Spitzeldiensten bereitgefunden.

Wird die neue Regierung etwas ändern?
Kein Herz für Stasi-Opfer
Wer für eine fremde Macht „eine Tätigkeit ausübt, die auf die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichtet ist“, wird in der Bundesrepublik mit Freiheitsstrafe bis zu fünf, in schweren Fällen bis zu zehn Jahren bestraft. Am Tag, als die DDR der Bundesrepublik beitrat, wurde Großmann deshalb verhaftet. Doch die „Klassenjustiz“ erwies sich als gnädig und ließ ihn bereits am nächsten Tag wieder frei. Das Ermittlungsverfahren wegen Spionage, Urkundenfälschung und Bestechung wurde eingestellt, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1995 entschieden hatte, dass sich Stasi-Offiziere nicht strafbar gemacht hätten. Großmanns frühere Bemühungen, mit dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble eine Amnestie auszuhandeln, erübrigten sich damit.

Doch statt Dankbarkeit zu zeigen, verschrieb sich Großmann dem Kampf gegen Kritiker der DDR-Geheimpolizei. In seinem Buch „Bonn im Blick“ rühmte er die Spitzelarbeit seines Dienstes. In Vereinen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter fungierte er als graue Eminenz. Zu einer Sammlung mit Erinnerungen von DDR-Spionen steuerte er zusammen mit seinem Vorgänger ein Vorwort bei, in dem beide bekräftigten, dass „unsere Hochachtung und unsere Dankbarkeit uneingeschränkt allen früheren Kundschaftern“ gehören.

Von sich reden machte Großmann in dieser Zeit vor allem durch Auftritte bei der Linkspartei. Diese lud ihn mehrfach zu Lesungen und Gesprächen ein – was damals noch zu Protesten führte. Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch, in deren Wahlbezirk sich die ehemalige Stasi-Zentrale befindet, verteidigte eine Einladung Großmanns damit, dass „sich die Linke eine neue Sachlichkeit im Umgang mit der DDR-Geschichte“ wünsche. Der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland bezeichnete sie deshalb als „Heilige Johanna der Alt-Tschekisten“, doch diese verhalfen ihr immer wieder zu einem Direktmandat im Bundestag, auch bei den letzten Wahlen.

Zuletzt lebte Großmann zurückgezogen in einem Seniorenheim in Berlin-Hohenschönhausen. Am 28. Januar ist er im Alter von 92 Jahren gestorben. Als sein Vorgänger Wolf 2006 zu Grabe getragen wurde, war die gesammelte Linken-Prominenz – von Dietmar Bartsch über Klaus Lederer bis Petra Pau und Klaus Ernst – zur Trauerfeier erschienen. Man darf gespannt sein, wer Werner Großmann die letzte Ehre erweisen wird.

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Kommentare ( 24 )

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Ralf Poehling
2 Jahre her

Eins muss man HVA/Stasi wirklich lassen: Die waren beim Thema Landesverteidigung und Infiltration des Westens wirklich gut. Sie waren weit besser als wir, haben langfristig gedacht und ihre Aktivitäten wirken deshalb bis heute nach. Was die NAZIS damals mit den Werwolf Verbänden geplant hatten und nicht wirklich in die Puschen kam, hat die DDR perfektioniert und mit Bravour umgesetzt. Nur dass sich die „Werwölfe“ der DDR nicht wie Partisanen durchgeschossen haben, sondern den gesamten Politikapparat durchsetzt und zersetzt haben. Was der Radikalenerlass 1972 noch ausgebremst hatte, brach vollends mit der Wiedervereinigung und dem weitgehenden Verzicht auf Inhaftierung der Ost-Politiker und… Mehr

Henn
2 Jahre her

Die haben 1989 nichts gewusst?
Bitte auch mal hier nachlesen:
Operation Lysakus

https://cooptv.wordpress.com/2014/11/03/lysakus-vom-mythos-des-9-november-1989-ll-ein-essay-von-ralph-t-niemeyer/

Emsfranke
2 Jahre her

Lesen Sie das Buch von Hubertus Knabe „der diskrete Charme der DDR“, dort finden Sie die Antwort.

Nibelung
2 Jahre her

Bei aller Kritik am SED-System muß man das Verhalten der damaligen Funktionäre auch aus ihrer Sicht betrachten um zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen und dazu muß man kein Kommunist sein, dazu reicht auch der normale Verstand aus, auch wenn man von der anderen Seite kommt, die die Freiheit hochgehalten hat, aber nicht um jeden Preis, wenn der eine oder andere im Wege stand. In dieser Hinsicht gab es ja selbst von Adenauer eine Aussage, die sinngemäß sagte, daß diktatorische Maßnahmen nötig seien, solange man die Demokratie überwiegen läßt und wie er das gemeint hat und es funktionieren soll, das… Mehr

Gisbert Matthes
2 Jahre her

ich glaub nicht, dass der werner und die erich’s, egon …..und wie sie alle hießen, von der „konterrevolution“ völlig überrascht wurden….wie sagte honecker einst…überholen ohne einzuholen….sie haben ihre schläfer frühzeitig in position und leider mit erfolg auch in amt und würden gebracht….siehe merkel, stolpe, gysi, scholz in der politik, wille als intendantin des mdr, barbara borchert als verfassungsrichterin in meck pomm, mit milliarden medien aufgekauft und meinungsvielfalt abgeschafft….
…….und die liste lässt sich noch lang weiter führen, nein die haben dieses land übernommen…ihr plan b hat geklappt…..haben halt nur sehr wenige gemerkt

Ensign Marcel
2 Jahre her

Sind HVA, STASI und ihre Helfer heute nach 32 Jahren noch aktiv?
Nö, das ist ja alles Verschwörung. – Typischer Fall von „Denkste“?!
Die Methoden der STASI und HVA sind heute noch erkennbar
(Landtagswahl Thüringen, Berlinwahl, Zersetzung von Kritikern usw.).
Die Residenten der HVA, STASI wurden nie alle enttarnt(Akten wurden vernichtet).
Ziel war immer die Destabilisierung der BRD und des Westens.
Wenn man sich den jetzigen Zustand unseres Landes ansieht, dann kann man nur sagen: Klassenauftrag ausgeführt!

The Voice from Beyond
2 Jahre her

Wer für eine fremde Macht „eine Tätigkeit ausübt, die auf die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichtet ist“, wird in der Bundesrepublik mit Freiheitsstrafe bis zu fünf, in schweren Fällen bis zu zehn Jahren bestraft.“
Ist eigentlich mittlerweile der Haftbefehl gegen den Friedensnobelpreisträger Obama raus?
Oh…., wait…., die Bitte um politisches Asyl von Edward Snowden hat man ja abgelehnt.

FKR
2 Jahre her

Die DDR war ein faschistischer Staat genau wie das dritte Reich, unsozial,unsolidarisch und undemokratisch. Auffallend,das es dort immer Menschen mit krimineller Intelligenz und mäßiger Bildung schaffen , ihr Weltbild zu diktieren. Sozialismus und Faschismus sind ein und dasselbe, wie man auch Politiker von damals und heute gleichsetzen kann. Was unterscheidet Claudia Roth e7gentlich von Margot Honecker?

Biskaborn
2 Jahre her

Großmanns Erben bestimmen heute die Geschicke dieses Landes. Wir sind längst auf dem Weg zu einer wiederauferstehenden DDR. Wer es nicht erkennt, das sind leider sehr, sehr viele, ist ein naiver Träumer. Tut mir leid, aber anders kann man es nicht ausdrücken!

Alfonso
2 Jahre her

Das ist keine Nachricht Wert.