So ganz anders als Norwegens Ministerpräsident verhält sich die deutsche Politik: Sofort wurde wieder die Verschärfung der Sicherheitsgesetze und Datenspeicherung gefordert.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter will einen Knopf an jedem Computer einrichten, mit dem vermeintlich rechtsgerichtete Bürger per Mausklick bei der nächsten Polizeidienststelle denunziert werden können – die Perfektion des Schnüffelstaats. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat auch gleich Thilo Sarrazin in die Nähe des Massenmörders von der Insel Utøya gerückt: Hätte die SPD Mut, würde sie ein weiteres Parteiausschlussverfahren anstrengen, diesmal nicht das Sarrazins, sondern des eigenen Vorsitzenden.
Während also das zutiefst getroffene Norwegen sich um zivilgesellschaftliche Tugenden bemüht, fällt deutschen Populisten aller Parteien nur eine reflexhafte Reaktion ein mit dem Ziel, bürgerliche Freiheiten weiter einzuschränken. Leider ist das kein Einzelfall. In seinem aktuellen Buch „Wir haben die Wahl“ beschreibt Kurt Biedenkopf eindringlich, wie den Deutschen von Ludwig Erhard die Tür zur wirtschaftlichen Freiheit aufgestoßen wurde – und wie diese Tür seither langsam zufällt, statt der Freiheit Raum zur Ent‧faltung zu geben. Dem Schutz der Frei-heit hat sich kaum einer verschrieben – aber keine Gelegenheit wird ausgelassen, um sie einzuschränken: Während die Nachkriegsgeneration geprägt war durch die Erfahrung der elementaren Unfreiheit und dem Freiheitserlebnis, das Demo‧kratie, das Ende der Zwangswirtschaft und Einführung der D-Mark mit sich brachte, verwandelt sich dies für die heutigen Generationen in Abhängigkeit von staatlicher Bevormundung. Es ist doch ‧erstaunlich, dass wir ständig wohlhabender werden, aber die Sozialleistungen doppelt so schnell wachsen wie die er‧arbeiteten Einkommen – und dann trotzdem die Mittel der gigantischen Umver‧teilungsmaschine nicht mehr reichen, um Rentner, Langzeitarbeitslose, alleinerziehende Mütter oder Väter oder auch Schwerstkranke großzügig zu unter‧stützen. Wir nehmen hin, dass der Staat bereits unsere Nachkommen enteignet, um mit gestohlener Zukunft heute seinen Konsum und Sozialleistungen zu finan‧zieren. In einer brisanten Mischung aus immer neuen Abgaben, Steuern und Beitragspflichten einerseits und immer neuen Sozialleistungen, Subventionen und Lenkungseingriffen für Betroffenenlobbys, Unternehmen und Branchen andererseits werden die Deutschen der ‧Freiheit entwöhnt und ans Parieren gewöhnt. Selbst die Abgeordneten des ‧Deutschen Bundestags sehen achselzuckend zu, wie ihr Königsrecht – das ‧Budgetrecht – in der Euro-Krise von der Regierung mit immer neuen Erpressungen ausgehebelt wird.
Die WirtschaftsWoche stellt sich diesem Thema mit der Serie „Liberalismus“, deren aktuellen Teil Sie auf Seite 100 finden und deren frühere im Internet nachzulesen sind. Wir wollen auch zeigen, dass die liberale Debatte in Deutschland einseitig auf Wohlstand und Einkommen reduziert wurde. Dabei ist unsere Art, zu leben und zu wirtschaften, global nicht verallgemeinerungsfähig. Die häufig vorgeführte Gier und Maßlosigkeit in Sachen Geld ist eher ein Ausdruck von Charaktermangel und Wurzellosigkeit, denn längst geht es um die Entdeckung der Bescheidenheit: Erstaunlich, dass die harten Aufbaujahre nicht durch Burn-out und unaushaltbaren Stress geprägt waren. Ein neuer Liberalismus muss an Subsidiarität und personaler Solidarität anknüpfen, weil die Instrumente des fürsorgenden, alles regelnden Staates nicht nur längst wirkungslos geworden sind, sondern auch die wirtschaftliche und freiheitliche Basis der Gesellschaft zerstören.
Aber darauf sind Deutschlands Duckmäuser nicht vorbereitet. Freiheit wird nicht als Chance, sondern als Bedrohung wahrgenommen, die wegreguliert, besteuert und begrenzt werden muss. Wir lieben die heroischen Akte der nationalen Aktion – und übersehen die täglichen Schritte auf dem Weg in die Unfreiheit.
(Erschienen auf Wiwo.de am 30.07.2011)
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