Die Impfung weise den Weg aus der Pandemie, tönt es aus politischen und medialen Kehlen. Autoritäres Vorgehen bis hin zur Impfpflicht soll jeden Zweifel daran ersticken. Alexanders legendärer Hieb auf den gordischen Knoten steht für eine erfolgreichere Strategie.
Die Spaltung eines Gemeinwesens in einander nicht mehr tolerierende Gruppen beginnt häufig mit der irrtümlichen Wahrnehmung eines Interessenkonfliktes als Dilemma, dessen Auflösung die vollständige Kapitulation einer Seite verlangt. Befördert wird diese intellektuelle Verfehlung durch die Unterwerfung unter das Vorsorgeprinzip, das jegliche Veränderung von Lebensumständen als primär gefährlich zu betrachten verlangt und der Minimierung von Risiken einen Vorrang gegenüber der Nutzung neu entstehender Chancen einräumt.
Was in seiner praktischen Umsetzung die Politik zu mitunter weit vorausgreifenden und daher zwangsläufig von tatsächlichen Entwicklungen entkoppelten Maßnahmen zwingt. In der Verbindung mit statischem Denken, das die Rahmenbedingungen der Gegenwart unverändert in die Zukunft projiziert oder gar an denen der Vergangenheit klebt, führt dann die Absicht, einen mutmaßlichen Schaden so gering wie möglich zu halten, in ausweglose Zwickmühlen. Jenseits der Wahl zwischen Pest und Cholera scheint keine Option zu existieren. Man ist im Weichenstellerproblem gefangen.
Obwohl dieses Vorgehen als Tötungsdelikt gewertet werden könnte, dem im Falle der Passivität höchstens eine geringer sanktionierte unterlassene Hilfeleistung gegenüberstünde. Dennoch verkaufen vor allem Politiker jeden regulatorischen Eingriff in Freiheitsrechte mit dem Verweis auf die gefühlte Notwendigkeit, von zwei oder mehr absehbaren Übeln das geringere wählen zu müssen.
So werden die Kollateralschäden einer rigide auf die Bremsung der Ausbreitung eines neuen Virus ausgerichteten Pandemiestrategie mehr oder weniger stillschweigend in Kauf genommen. Bilder von Intensivstationen, auf denen schwer Erkrankte um ihr Leben ringen, vermitteln nun einmal eine höhere Dramatik als Berichte von Firmenpleiten oder depressiven Schülern. Da soll der Zug statt manchem Risikopatienten dann doch lieber Künstler, Gastwirte, Einzelhändler oder Dienstleister treffen, die ein faktisches Berufsverbot ebenfalls existenziell bedroht.
Die derzeit diskutierte Impfflicht statuiert in dieser Hinsicht ein weiteres Exempel. Manche Menschen werden aufgrund allergischer Reaktionen, überschießender Immunantworten oder sonstiger Komplikationen durch eine Impfung schwere Schäden bis hin zum Ableben erleiden. Dies ist, da bereits vorgekommen, als Fakt anzusehen. Auf der anderen Seite finden sich jene, denen man auch gegen ihren Willen einen besseren Schutz vor schweren Krankheitsverläufen verabreicht und die dadurch potenziell einem zu frühen Tod entgehen. Wieder steht eine Weichenstellung bevor, die als erforderliche Wahl zwischen zwei jeweils für sich äußerst kritischen Szenarien begründet wird.
Ein Werkzeug zur Untersuchung ethisch/moralischer Grundeinstellungen wie das Weichenstellerproblem taugt als Ratgeber für die Praxis gerade nicht. Sein imaginärer Charakter beruht auf künstlich geschlossenen, in der Realität aber offenen Auswegen. In der es einen Zugführer gibt, der aufgrund seiner eigenen Situationseinschätzung oder externer Hinweise rechtzeitig bremsen könnte. In der immer Möglichkeiten bestehen, die Menschen auf den Gleisen rechtzeitig zu warnen. Und in der Letztere keine dummen Automaten sind, sondern flexible und vernunftbegabte Subjekte. Nicht einzugreifen ergibt durchaus Sinn, da die fünf Arbeiter die nahende Bahn mit höherer Wahrscheinlichkeit bemerken als der eine, vielleicht gedankenversunkene Spaziergänger.
Aufzuklären und darüber hinaus vor allem nicht restriktiv zu handeln, ist also immer eine Option für eine Politik, die den eigenverantwortlichen Bürger respektiert. Wenn ein selbsternannter Weichensteller das Problem nicht oder nur in Form eines faulen Kompromisses überwinden kann, überlasse man es doch den unmittelbar Beteiligten, seien es der Lokführer, die Gleisarbeiter, der Spaziergänger, oder auch denjenigen, die die Strecken planen, die Betriebsabläufe überwachen und die Eisenbahnen konstruieren. Also den Gruppen, die eine Lage schaffen können, in der es schlicht unerheblich ist, ob und wie man die Weiche stellt, da in keinem Fall etwas Schlimmes geschieht. Es erstaunt, wie wenig dieses Rezept trotz seiner Erfolgsgeschichte in den gegenwärtigen Debatten wahrgenommen und thematisiert wird.
Weitere wichtige Beiträge lieferten die Verdrängung der Hausratte durch den Übergang von einer auf Lehm, Stroh und Holz beruhenden Fachwerkbauweise zu Beton, Stahlbeton oder Ziegeln sowie das regelmäßige Wechseln und Reinigen der Kleidung. Auch das Verschwinden des Pferdes und seiner Hinterlassenschaften von den Straßen, die organisierte Entsorgung von Unrat, die Verminderung der Luftverschmutzung und die Trockenlegung von Mooren dürfen nicht unterschätzt werden.
Auf dieser Basis konnten schließlich neue Medikamente und Therapien ihre segensreiche Wirkung erst umfänglich entfalten. Die Impfung spielte schon immer nur eine untergeordnete Rolle. Bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts stand ohnehin nur eine einzige zur Verfügung (gegen die Pocken), und bis heute bietet diese Methode nur gegen eine kleine Zahl humanpathogener Erreger einen wirksamen Schutz. Warum angesichts einer solchen historischen Erfahrung ausgerechnet die prophylaktische Immunisierung durch ein Vakzin als Königsweg aus der Pandemie verkauft wird, erschließt sich nicht.
Die verfügbaren Daten, die eine von Welle zu Welle steigende Zahl an Kontaminationen zeigen, belegen dies eindeutig. Seit fast zwei Jahren werden dessen ungeachtet überkommene, mittelalterliche Methoden wie Kontaktbeschränkungen, Veranstaltungsverbote, Geschäftsschließungen oder gar Gesichtsmasken vollkommen vergeblich eingesetzt. Im festen Glauben, den Zug in Richtung einer von der Mehrheit der Wähler akzeptierten, da vermeintlich geringeren Belastung umlenken zu müssen.
Es wäre sinnvoller gewesen, die Weiche niemals anzurühren. Die fünf Gleisarbeiter sind jedenfalls selbst dann ausreichend gegen den Aufprall des Erregers geschützt, wenn sie nicht einfach zur Seite treten. Dinge wie das mehr als hinreichende Angebot an Kalorien und Nährstoffen, wie Wassertoiletten, Kanalisationen, Wasch- und Spülmaschinen und die Müllabfuhr haben natürlich nicht die Keime selbst gebannt, aber das Spielfeld, auf dem sie mit uns ringen, zugunsten der Menschen neu gestaltet.
Das vierzehnte Jahrhundert ist vergangen, der schwarze Tod überwunden, und er könnte unter den modernen Bedingungen seine frühere Zerstörungskraft auch nicht mehr entfalten. Eine sich sogar erheblich schneller verbreitende, in wenigen Wochen um den ganzen Planeten fegende und dabei weit mehr Menschen erreichende Zoonose wie Covid-19 rafft uns trotz fehlendem natürlichen Immunschutz eben nicht mehr in großer Zahl dahin.
Stattdessen erreichen heute selbst schwer erkrankte Infizierte rechtzeitig, bevor sie sterben, ein Gesundheitswesen, das in seinem Umfang und seiner Effektivität ohne die oben genannten Grundlagen ebenfalls nicht denkbar wäre. In diesem Triumph wieder eine neue Krise zu erkennen und dabei mit Stichworten wie „Überlastung der Intensivkapazitäten“ oder gar „Triage“ zu operieren, stellt einen unrühmlichen Höhepunkt bigotter Corona-Misanthropie dar. Finanzierung, Verwaltung und Ausstattung von Krankenhäusern sind schließlich keine sakrosankten Dogmen. Man kann auch hier die Prozesse und Strukturen ändern, um Flexibilität und Leistungsvermögen zu steigern. Und schließlich die Kraft der Wissenschaft auf die Entwicklung von Medikamenten und Therapien lenken, die dem Virus endgültig den Stachel ziehen.
Das Weichenstellerproblem existiert nur für jene, die sich dessen Blickwinkel aufzwingen lassen und außerstande sind, die Perspektive zu wechseln. Wenn auf jedem Gleis ein Unglück lauert, baue man das Schienennetz um. Die neuerdings kursierende Angst vor dem Ausfall kritischer Infrastrukturen und Versorgungsketten durch zu viele Infektionen dort Beschäftigter in zu kurzer Zeit würde beispielsweise durch die Abschaffung der Quarantänepflicht sofort ihrer Grundlage beraubt.
Die Isolierung positiv Getesteter ergibt ohnehin keinen Sinn, wenn unter allen anderen das Virus weiterhin unbemerkt frei zirkuliert. Zu einer mehr als einer halbgaren Verkürzung der Absonderungszeiten sieht sich eine von Denkverboten gefesselte Politik aber nicht in der Lage. Ein paar Waggons vom Zug abzukoppeln und dann auf eine Kollision geringerer Schwere zu hoffen, täuscht Lösungswillen nur vor.
Niemand muss seine Position hinsichtlich der erforderlichen Weichenstellung ändern, wenn der Zug nur mehr Schritttempo fährt. Es ist nicht notwendig, einen gordischen Knoten mühsam zu entwirren, ganz gleich, was die Auguren sagen. Ein Hieb mit dem Schwert ersetzt das Gefummel mit Nadeln manchmal höchst effektiv. Von Alexander lernen heißt siegen lernen.
Addendum: Die Inspiration zu diesem Text lieferte der geschätzte Autorenkollege Christian Rieck mit seinem sehr empfehlenswerten Videokanal zur Spieltheorie. Das von ihm in diesem Beitrag in Anlehnung an das Weichenstellerproblem konstruierte Dilemma löst sich übrigens in Wohlgefallen auf, wenn man den Wald einfach fällt …
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Das mit den Arbeitern im Zug ist interessant.
Jedoch befinden d i e sich in Gefahr, nicht aber der Arbeiter auf dem anderen Gleis!
Der wäre nur in Gefahr, wenn die Anzahl der möglicherweise zu Rettenden entscheidet.
Die Lösung ist daher ganz einfach: J E D E S E I N Z E L N E Menschenleben zählt.
Im Zweifel ist es das Leben des einzelnen Arbeiters…!
Na, „endlich frei“. Wollten, oder können Sie mir nicht antworten?
Ein sehr guter Artikel. Auch Christian Rieck kennt, wie seine Interviews zeigen, diese Zusammenhänge. Mit seiner spieltheoretischen Anwendung des Weichenstellerproblems hat er die Impfpflicht und damit die Ethikkommission aufs Korn genommen. Was Sie schreiben, kennen, so denke ich, auch andere. Die Frage ist, warum es nicht berücksichtigt wird. Eine Rolle spielt sicherlich die kollektive Zwangsneurose der Gesellschaft, die durch die stark geschürte Angst entstanden ist und die ihrem Wesen gemäß nach einer immer weiteren Ausweitung der als Schutz erlebten Maßnahmen verlangt. Doch es darf bezweifelt werden, dass damit die aufgeworfene Frage bereits beantwortet ist. Ihr Artikel wirft ein so schönes… Mehr
Ein interessanter Artikel, der insbesondere dann die richtige Richtung weist, wenn wir bei Corona von einem rein medizinischen Problem ausgehen, das von der Politik nur unter falscher Perspektive wahrgenommen wird. Leider ist Corona aber kein ausschließlich medizinisches, sondern zu einem sehr erheblichen Teil ein politisches Problem. Die Politik wollte Corona zum Umbau unserer Gesellschaft instrumentalisieren. Je mehr sie aber wahrnehmen muss, dass dies gescheitert ist, desto rigider hält sie an ihrem schielenden Blick auf die Realität fest und bekämpft mit wachsender Brutalität alle, die schon immer einen klaren Blick auf die Lage hatten. So auch dieser unsägliche SPD-Bürgermeister Bolay der… Mehr
Eine interessante Betrachtung, vor allem wenn man die Begeisterung des Autors für mRNA-Impfstoffe bedenkt. Aber den gordischen Knoten hat es nie gegeben, er ist immer nur ein politisches Schauspiel mit einer dahinter befindlichen Agenda gewesen. Der Kampf und die Entscheidung geht nicht um die Auflösung oder das durchschlagen des Knotens sondern um die Beendigung des Schauspiels um diesen. Zum Artikel, Meuthen verlässt die AfD: Gut das er weg ist, er hat der Partei mehr geschadet als genutzt. Wer das EU-Parlament der politischen Arbeit im eigenen Land vorzieht, insbesondere bei einer neuen Partei, bei dem stehen ohnehin nur Eigeninteressen im Vordergrund.… Mehr
Bei einer 7-Tage-Inzidenz von 3.500, werden täglich 0,5 % der Bürger positiv getestet. Von den Getesteten leiden, gerade bei Omikron, höchsten 50% wirklich an der Krankheit, davon ca 90% mit einem Schnupfen. Wieso müssen nun also 100% aller Bürger Maßnahmen (Maske, Geschäfte mit Mindereinnahmen, Kurzarbeit, Einsamkeit, fehlende Bildung) erleiden, wenn tatsächlich höchstens 0,025 % aller Bürger täglich etwas schlimmer erkranken. Wir brauchen fast 6 Wochen um auch nur 1% aller Bürger mit einer Omikron-Erkrankung, die nicht milde ist zu erhalten. Das ist Irrsinn! Der beereits mit der 7-Tage Inzidenz begann. Hätte man eine durchschnittliche (auf Basis von 7 Tagen) Tages-Prozentzahl… Mehr
Das Perfide an diesem Zählen ist doch, dass ein positiver Test zunächst
GAR NICHTS über den weiteren Verlauf diese Ansteckung beim jeweiligen Menschen aussagt!
Man kann das damit vergleichen, dass täglich 12.000 Autofahrer geblitzt werden, es aber nach dem Blitzen tatsächlich nur bei einem tragischen Fall zu einem Unfall kam (wenn überhaupt!).
Ich weiss, mein Beispiel ist nicht sehrpopulär, erklärt aber den momentanen Eingriff der Politiker in unser aller Leben!
eher damit, dass 12.000 Autofahrer geblitzt werden, aber nur 3.000 tatsächlich zu schnell fuhren 🙂
Bleibt noch anzumerken das wir uns das teuerste Gesundheitssystem der EU leisten. Umso erstaunlicher das unsere ITS mit 5000 Coronapatienten (angeblich!) bereits überlastet sind. Irgendwas läuft doch da gewaltig schief. Eine grundlegende Reform des Systems ist längst überfällig, weil all das Geld offensichtlich nicht da landet wo es eigentlich hingehört.
https://www.gesundheitsstadt-berlin.de/deutschland-hat-das-teuerste-gesundheitssystem-in-der-eu-12795/
Wenn sich der Virus auf „natürlichem“ Wege entwickelt hätte, wäre es höchstwahrscheinlich kaum zu solch einer Verbreitung gekommen, die eine Pandemie auslöst. Man sollte aber daran denken, dass aller Wahrscheinlichkeit nach dieses Virus von Menschen entwickelt wurde und ausdrücklich die Selbstverteidigungsantwort des menschlichen Körpers bei einer Großzahl dafür anfälliger Menschen umgehen sollte. Das hat mit „Natur“ eben nichts zu tun, sondern mit menschlichem Eingreifen und Manipulation. Maßnahmen, die gegen natürlich entstandene Viren funktionieren, sind hier eher wirkungslos, wie man an den weltweiten Impfungen sehen kann. Die wirken entweder nur sehr schwach, zeitlich begrenzt oder gleich ganz gar nicht und auch… Mehr
Diese Erwägung, bei vermuteten Opfern von 5 : 1 gibt es doch ein höchstrichterliches Urteil aus 2006. Da wird doch festgelegt, dass es eine Aufrechnung von Leben nicht geben darf. Das widerspricht den Menschenrechten. Da ging es um den Fall, dass ein Flugzeug in eine Stadt gelenkt und dort zum Absturz gebracht wird. Da urteilten die Richter, dass es unerheblich ist, dass man tausende Menschen retten könnte, wenn man hundert oder zweihundert Passagiere „opfert“. Da stellt sich mir die Frage, warum man bei der Impfung Todesopfer in Kauf nimmt um „eventuell“ andere vor einer Krankheit zu schützen, die aber nicht… Mehr
Die Arbeit und Zeit die Sie investiert haben in allen Ehren, aber haben Sie wirklich erwartet dass dort irgendetwas hochkarätiges sitzt?
Nur weitere Stuhlkreise oder Institute die ihr Geld einstreichen und dafür brav „nützliche“ Studien und Diskussionsergebnisse liefern.
Vielleicht stellen die dem Ethikrat ja bald noch ein Wahrheitsforum nebenan.
“ … einen besseren Schutz vor schweren Krankheitsverläufen …“ Bitte einen einzigen wissenschaftlich fundierten Beleg für diese Aussage! Wenn man keinen finden würde, könnte man feststellen, dass das einzige “Argument“ für das Spiken nicht mehr ist als eine absurde Wunschbehauptung weltentrückter Parteigänger und anderer einschlägiger Interessensvertreter. Um diese Behauptung überhaupt aufstellen zu können, müsste man eine Versuchsanordung für denselben Menschen generieren. Was natürlich unmöglich ist. Logischerweise muss eine solche Behauptung unseriös sein. Persönlich in meinem eigenen Umfeld kenne ich “vergleichbar“ nur zwei Frauen, Mitte 50, ungewöhnliche Frauen mit Top-Figur, gesunder Ernährung, akademischem Hintergrund – eine der beiden ein früher intern.… Mehr