Die Tassen, die letztes Jahr massenhaft ins Kanzleramt kamen, ist Altmaiers Truppe los geworden. Aber nun schickt das Volk andauernd Schraubenzieher. Kein Wunder, wenn Peter A. am Rad dreht.
Der aufmerksame Beobachter des Zeitgeschehens wird sich an die rätselhaften Lieferungen von Tassen erinnern, die im vergangenen Herbst, persönlich an die Bundeskanzlerin adressiert, das Kanzleramt in Unruhe versetzten. Selbst dessen kompetenteste Köpfe waren ratlos angesichts des nicht abreißenden Stroms von Tassen, und Kanzleramtsminister Peter Altmaier hatte sich schließlich veranlasst gesehen, eine spezielle Arbeitsgruppe für „die Tassenfrage“ einzurichten.
Auch wir berichteten seinerzeit über die Angelegenheit und versprachen „dranzubleiben“. Allerdings hörten wir dann nichts mehr von ihr. Bis uns kürzlich etwas zu Ohren kam, was uns den Faden wieder aufnehmen ließ.
Die Vereinten Nationen führen kontinuierlich Untersuchungen zur Lage in ihren Mitgliedsländern durch. Für jeden Staat werden in kurzen Abständen zahlreiche Indikatoren erhoben und dann zu Qualitätszahlen verdichtet, welche aneinandergereiht die Entwicklung des Landes veranschaulichen und vergleichbar machen. Im vergangenen Winter fielen dabei ungewöhnliche und nahezu zeitgleiche Ausschläge bei einer Reihe afrikanischer und pazifischer Staaten auf. Nähere Untersuchungen zeigten Rückgänge der Korruption, die Schlichtung von Stammesfehden, Verbesserungen der Infrastruktur und eine ganze Reihe weiterer erfreulicher Entwicklungen. Was hatte sie veranlasst und, vor allem, warum traten sie praktisch zeitgleich auf in zumal weit voneinander entfernten Ländern ohne nennenswerte wirtschaftliche oder politische Beziehungen?
Auch der nüchternste Statistiker weiß natürlich, dass selbst das Ungewöhnlichste gelegentlich einmal vorkommt, er wird eine auffällige Koinzidenz aber nie ungeprüft als Zufall abtun. So fütterte man also Statistikprogramme mit einer Vielzahl von Ereignissen und Faktoren, um verborgene Zusammenhänge aufzudecken. Man betrachtete Wirtschafts- und Wetterdaten, Sportergebnisse, seismische Aktivitäten und die Schwankungen der kosmischen Strahlung – und wurde schließlich fündig, als man Daten aus der Welt der Diplomatie einbezog: Alle betroffenen Länder hatten einige Zeit vor dem interessierenden Zeitraum auf dem Besuchsprogramm von Abgesandten der Bundesrepublik Deutschland gestanden.
Freilich erfuhr die Hypothese, diese Besuche könnten etwas mit den verblüffenden Aufschwüngen zu tun haben, gleich wieder einen Dämpfer: In einer Reihe von Fällen waren die Besuche zwar geplant gewesen, dann aber wegen schlechten Wetters oder aus anderen Gründen abgesagt worden. Einem in die Untersuchung involvierten Mitarbeiter des Statistischen Bundesamts ist es zu verdanken, dass die Spur dennoch weiterverfolgt wurde. Er fand heraus, dass in den Fällen, wo es keine persönlichen Begegnungen gegeben hatte, dennoch Gastgeschenke, auf dem Postweg, übermittelt worden waren. Und eine Anfrage bei den zuständigen Stellen ergab – der Leser ahnt es längst, – dass es sich bei diesen Geschenken samt und sonders um TASSEN gehandelt hatte.
Einige hätten für Polterabende von Regierungsangestellten herhalten müssen, und etliche andere seien in der Tat zur Verwendung als Gastgeschenke an das diplomatische Korps gegeben worden. „Es war reine Notwehr, aber eigentlich keine schlechte Lösung,“ sagte sie. „Leicht fiel es uns natürlich nicht. Die Bevölkerung wollte der Kanzlerin ja irgendetwas mit den Tassen mitteilen, wenn auch leider niemand verstand, worauf sie hinauswollte. Die Bevölkerung, meine ich.“
Zum Schluss unseres Gesprächs zeigte sie uns noch Berichte und Photos der fraglichen Besuche. Auf einem Bild war ein afrikanischer Fürst zu sehen, der im Kreise von Diplomaten in die Kamera lächelte und eine schwarze Tasse mit der rosa Aufschrift „Mutti ist die Bestie“ in der Hand hielt.
So weit, so gut, dachten wir, als wir uns verabschiedet hatten, und der gebildete Leser wird sich das auch fragen, aber was haben wir denn nun, nüchtern betrachtet, eigentlich in der Hand? Mag die Übergabe der Tassen auch zeitlich mit gewissen Ereignissen korrelieren, ein kausaler Zusammenhang ist damit natürlich nicht erwiesen. Ausschließen lässt er sich umgekehrt natürlich auch nicht. Was also wissen wir wirklich? Sind wir überhaupt auf der richtigen Spur, oder haben wir den wahren Kern der Tassen-Symbolik womöglich noch gar nicht erfasst? Sind die Tassen vom letzten Jahr überhaupt noch eine Story für TE von heute? Und was unterscheidet eigentlich eine Tasse von einem Becher?
In solche Gedanken versunken strebten wir dem Ausgang des Kanzleramts zu, als unverhofft dessen Chef unseren Weg kreuzte. Die Gelegenheit, unsere Fragen diesem gewichtigen Mann vorzulegen, ließen wir uns natürlich nicht entgehen. Kurz entschlossen baten wir Peter Altmaier also um ein kurzes Interview und hatten Glück. Wir setzten ihn über unsere Erkenntnisse ins Bild und fragten ihn dann, wie er inzwischen über die Tassen denke, was er von dem beobachteten Zusammenhang halte und ob etwas, was in anderen Ländern, möglicherweise, eine günstige Wirkung entfaltet habe, vielleicht auch bei uns …?
Peter Altmaier tat ein paar tiefe Atemzüge. „Nichts halte ich davon. Rein gar nichts.“ sagte er dann, sich sichtlich zur Ruhe zwingend. „Ich denke auch überhaupt nicht mehr an die Tassen. Tassen waren und sind Trinkgefäße und haben keinerlei weitere Bedeutung. Das haben unsere Untersuchungen letzten Herbst eindeutig ergeben, und das ist auch die Position der Kanzlerin. Verschonen Sie mich und insbesondere die Kanzlerin bitte mit Nachfragen zur gottseidank überstandenen Tassenepisode. Wir haben weiß Gott Wichtigeres zu tun.“
Als wir das Mikrofon schon ausgeschaltet hatten, sagte Peter Altmaier nachdenklich, er zweifle manchmal, nun ja, ein klein wenig am Verstand eines Teils der Bevölkerung. Er denke dabei natürlich vor allem an das Unverständnis, auf das die Einwanderungspolitik – Altmaier sagte natürlich Flüchtlingspolitik – der Bundeskanzlerin, hie und da, das sei ja nicht zu übersehen, stoße, aber auch an die abstruse Tassensache, und jetzt an die Schraubenzieher …
„Schraubendreher?“ horchten wir auf und schalteten das Mikrofon wieder ein.
„Meinetwegen, aber wir haben zuhaus‘ immer Schraubenzieher gesagt. Seit einer Weile haben wir sie in der Post, und täglich werden es mehr, gerade wie letzten Herbst die vermaledeiten Tassen. Und da wundert man sich, wenn die Regierung an ihrem Volk zu zweifeln beginnt?“
Wir äußerten uns verständnisvoll.
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