KBV-Chef Gassen: „Impfpflicht schürt unnötige gesellschaftliche Konflikte“

Kassenärzte-Chef Andreas Gassen mimt medial schon länger den Anti-Lauterbach. Jetzt lehnt er die Impfpflicht ab: Ein Impfregister sei zeitnah nicht umsetzbar, löse Demonstrationen aus und könnte "unerfüllbare Erwartungen" wecken.

IMAGO / Chris Emil Janßen
Andreas Gassen am 22. Dezember 2021 bei der Bundespressekonferenz in Berlin.

Andreas Gassen hat sich im Zuge der COVID-Krise zu einer Art Anti-Lauterbach gemausert. Wie Lauterbach legte Gassen seine Dissertation an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ab. Lauterbach wurde 1963 im rheinischen Birkesdorf bei Düren geboren, Gassen 1962 in Köln. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten. Lauterbach konzentrierte sich auf Gesundheitsökonomie, während Gassen im Marienkrankenhaus in Düsseldorf-Kaiserswerth als Chirurg und Rheumatologe arbeitete. Später war er in einer Gemeinschaftspraxis tätig.

Lauterbach trat zuerst der CDU, anschließend der SPD bei und suchte die Nähe zur Politik. Gassen besitzt bis heute kein Parteibuch. Seit 2005 sitzt Lauterbach als Abgeordneter im Bundestag, Gassen wird 2014 und 2017 zum Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gewählt. Der Vorwurf in Medien und sozialen Netzwerken, der neue Gesundheitsminister habe nie als praktizierender Arzt gearbeitet, prallt bei Gassen ab.

Lauterbach eskaliert, Gassen relativiert

Der KBV-Chef hat in den letzten zwei Jahren dort einen zurückhaltenden, wenn nicht relativierenden Ton angeschlagen, wo Lauterbach eskalierte. Im Frühjahr 2020 sprach er bei COVID-19 von einer „eher medial“ denn „medizinisch relevanten Infektion“. Im August 2021 plädierte er dafür, zum Individualschutz zurückzukehren, statt durch staatliche Maßnahmen Druck auszuüben: „Die Mehrheit der Bevölkerung hat genug von kaum noch verständlichen und nicht mehr wirklich begründbaren Maßnahmenpaketen.“

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Kurze Zeit später forderte er nach britischem Modell einen „Freedom Day“. Im November 2021 sprach Gassen davon, dass die Lage ernst sei, aber kein Grund für Panik; er verwies darauf, dass die Kliniken in der dritten Welle voller gewesen seien. Noch am Weihnachtswochenende wehrte sich der Kassenarztchef gegen Vorschläge, Verstöße gegen die kommende Impfpflicht mit einer „Malus-Regelung“ bei der Krankenversicherung zu bestrafen. An dieser Linie ändert auch das Einknicken Gassens in manchen Fällen nichts, etwa, als er sich im Herbst 2020 gegen einen Lockdown wehrte und diesem Ende Dezember dann doch zustimmte.

Zeter und Mordio von Medien und Zero-Covid-Anhängern waren dem Kassenärzte-Chef immer sicher. Nun hat Gassen neuerlich den Unmut auf sich gezogen. Er lehnt nicht nur die Strafen beim Verstoß gegen eine allgemeine Impfpflicht ab – nein, Gassen lehnt auch die Impfpflicht als solche ab. „Man kann den Leuten nicht ernsthaft eine Impfpflicht auferlegen und dann feststellen, dass die Wirkung des Impfstoffes immer nur ein paar Monate hält”, sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Solange es zu den wesentlichen Fragen keine abschließende Antwort gibt, sollte sich die Politik mit Impfpflicht-Ankündigungen bedeckt halten, sonst werden einerseits unerfüllbare Erwartungen geweckt und andererseits unnötig gesellschaftliche Konflikte geschürt.“

Aufbau des Impfregisters würde „Monate, vielleicht Jahre“ dauern

Gassen betonte, dass es wichtiger sei, alle Anstrengungen auf „Impfen und Boostern“ zu legen. Das Thema Impfpflicht nannte er ein „großes, unbeherrschbares Rad“. Als Problem betrachtete der KBV-Chef vor allem das zentrale Impfregister. Die KBV halte eine „zeitnahe Erstellung“ eines solchen Registers für „unrealistisch“. Der Aufbau würde „Monate, vielleicht auch Jahre dauern”, erklärte Gassen. Und: „Wenn am Ende des Tages nicht nennenswert mehr Leute geimpft werden, bringt die Impfpflicht außer massivem Ärger, aggressiven Demonstrationen und einer Klageflut nicht viel.”

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Da kann der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber noch so sehr betonen, ein solches Impfregister sei „grundsätzlich“ möglich. Denn das sagt Gassen freilich auch. Möglich, dass Letzterer später wieder die Segel streicht. Doch mit dem Kassenärzte-Chef hat sich nun eine der bekannteren Persönlichkeiten im Medienspektakel Pandemie quergestellt. Gassen hat dabei zweifach den Finger in die Wunde gelegt. Einerseits, weil er auf eine aktivistische Politik verweist, die nicht über die Grundlagen verfügt, die nötig wären, um das Wunschprojekt zu realisieren. Andererseits kommuniziert er stärker als manch politischer Vertreter, dass die Impfpflicht zusätzlichen Sprengstoff für den gesellschaftlichen Frieden bedeutet.

Und zuletzt räumt Gassen ein: Die Ziele, die man sich mit der Impfpflicht gesteckt habe, nämlich Herdenimmunität oder Ausrottung, seien „ohnehin nicht zu erreichen“. Zero-Covid bleibt demnach eine Utopie, die Krankheit durch staatliche Mittel unbeherrschbar. Für eine Gesellschaft, die zwischen Angst vor dem Tod und staatlichem Machbarkeitswahn changiert, ist das eine Hiobsbotschaft, die man letztlich nur durch (medialen) Tod des Überbringers wieder vergessen machen kann.

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Kommentare ( 20 )

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Michael Palusch
2 Jahre her

…noch an Ugur Sahin, seiner Frau und dem BioNTech Teams Leistung an sich etwas auszusetzen. So geht Innovation. Ernsthaft? Die Albrechts, Kühnes, Klatten und Co. bieten Produkte oder Dienstleistungen an, welche auf freiwillige Abnehmer angewiesen sind. Zudem tragen sie das Risiko, ein fehlerhaftes Produkt (Automobil) ersetzen oder nachbessern zu müssen, ggf. muss diese komplett aus dem Sortiment entfernt werden. Das die von diesen Leuten eingestrichenen Gewinne jenseits jeglicher Rechtfertigung sind, steht auf einem andern Blatt. Egal, irgendwie muss jedenfalls ein Käufer gefunden und umworben werden der dann bereit ist, den vereinbarten Kaufpreis zu entrichten. Ganz anders bei Sahin & Co..… Mehr

Deutscher
2 Jahre her

Dpa meldet: „Lauterbach schätzt Inzidenz „zwei- bis dreimal höher als ausgewiesen“. Wegen der Feiertage gebe es momentan eine „deutliche Untererfassung“ der Corona-Infektionen.“
Na, sieh mal einer an! Lauterbach schätzt.
Das nenn ich faktenbasiertes, wissenschaftliches Herangehen!
Zumal der Absturz der Inzidenzzahlen schon Ende November eingesetzt hat und sich seither linear fortsetzt.
https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-karte-deutschland-101.html

Ich würde eher sagen: Lauterbach schwurbelt mal wieder seine kruden Verschwörungstheorien herunter und das Pressevolk gibt wie üblich es 1:1 weiter.

Michael Palusch
2 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Nö, da schwurbelt der Karl nicht, vielmehr ist er in seiner Not, der Not, die Paniksirene nicht verstummen lassen zu können, in seine eigne Falle getappt! Es war von Anfang an klar, von vielen auch gesagt (z.B. Prof. Schrappe), dass die positiven PCR-Tests niemals die tatsächliche „Inzidenz“ erfassen können. Wenn man die Monate November und Dezember wegen der „Schnelltestorgie-3G“ aus den Berechnungen heraus lässt zeigt sich folgendes Bild. In 86 Wochen „Pandemie“ wurden ca. 80 Mio PCR-Tests durchgeführt. Von diesen ~80 Mio Tests waren 5,2Mio positiv (6,6%). Das heißt, im Durchschnitt wurden ~950.000 Tests pro Woche in Deutschland gemacht, also… Mehr

bkkopp
2 Jahre her

Auch bei forciertem politischen Willen würde es im föderalen Staat viele Jahre dauern um eine zentrale Impfdatei, aus der Daten nach unterschiedlichen Kriterien sortiert werden könnten, und die über hunderttausende Eingabeberechtigte, und zehntausende Zugangsberechtigte auch für Einzelnachweise zugänglich wäre, existieren könnte. Wenn man für ein solches IT-Vorhaben einen Zeitrahmen von 5-10 Jahren annimmt, dann wird offensichtlich, dass dies für Corona keine Relevanz haben kann. Alles sehr unwahrscheinlich. Ebenso unwahrscheinlich erscheint, dass man zu einer Sache, bei der es nur Ungewissheiten gibt – gegen was, womit, wann und wie oft – überhaupt ein Gesetz formulieren könnte. Bis ein Gesetz parlamentarisch ausgehandelt… Mehr

Alexis de Tocqueville
2 Jahre her

Ich muss weder Mediziner sein, noch das Video gesehen haben, um Ihnen dies zu versichern: Oft genug geboostert, geht jedes Immunsystem in die Knie.

Alfonso
2 Jahre her

„KBV-Chef Gassen: „Impfpflicht schürt unnötige gesellschaftliche Konflikte“

Unnötige gesellschaftliche Konflikte?

Diese Konflikte werden doch bewusst und zielgerecht von den Mitgliedern des Gehorsamregimes und deren Komplizen herbeigeführt, weil sie für die Umsetzung der autoritären Politik nötig sind.

Deutscher
2 Jahre her

Es ist absehbar, dass es eine ähnliche Entwicklung wie bei HIV geben wird: Impfung funktioniert nicht, also wird man sich andere Strategien erarbeiten müssen. So ist HIV längst kein Todesurteil mehr, den Infizierten ist ein nahezu normales Leben möglich.

Je eher man sich von den Impfungen als Lösung ab- und alternativen Methoden zuwendet, um so besser.

Wer angesichts der Entwicklung, anstatt eine sofortige Umkehr einzuleiten diese noch verzögert, indem er so dumm wie stur an der offenkundig untauglichen Impfstrategie festhält, ist verantwortlich für alle sich ab jetzt ergebenden Todesfälle „an oder mit“ Corona und „an oder mit“ Corona-Impfung.

Last edited 2 Jahre her by Deutscher
Alexis de Tocqueville
2 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Man muss gar nix.
Sie tun ja so, als gäbe es da ein medizinisches Problem.
Jede Feld-, Wald-, und Wiesengrippe ist gefährlicher als Covid.

Nacktflitzer
2 Jahre her

Bei der Impfpflicht geht es letztlich um eine Bestrafung der Nicht-Folgsamen und nicht um eine gesundheitspolitisch sinnvolle Maßnahme. Ich schließe Wetten ab, daß es „Meldesysteme“ geben wird, mit denen „Impfverweigerer“ gemeldet werden können oder müssen, wie zu besten Zeiten. Ist ja alles für den guten Zweck.

N. Niklas
2 Jahre her

99,8 % umgerechnet auf eine „Inzidenz“ (eigentlich ja nur positiver Nachweis einer Besiedlung mit Virusmaterial und ohne Nachweis von Symptomen einer Atemwegserkrankung) von bspw. 500/100.000 bedeutete 0,5 % von 0,2 % (Sterberate) = 99,998 % Überlebensrate gemessen auf die Gesamtbevölkerung. Bei geringerer Besiedlungsrate würde sich die Überlebenswahrscheinlichkeit entsprechend und in einen nicht mehr nachweisbaren Anteil vergrößern. Im Ganzen liegen die Zahlen so niedrig, dass man mit ihnen schon statistisch überhaupt nicht arbeiten kann. In diesem Zusammenhang von einer Pandemie i.e.S. zu sprechen ist völlig unangemessen.

Selbstdenker
2 Jahre her

„Zero-Covid bleibt demnach eine Utopie, die Krankheit durch staatliche Mittel unbeherrschbar.“
NEEIIIIIN…. Das kann nicht sein! Das darf nicht sein! Das ist unmöglich! Das wollen wir nicht! Der Titel von Schopenhauers Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ wird in erst in der stümperhaften Übersetzung von A. Merkel und O. Scholz konkret erfahrbar.

Franck Royale
2 Jahre her

Auch Frank Ulrich Montgomery war zu Schweinegrippe-Zeiten gegen die Impfpflicht:

„Wir kennen außer der Tetanus-Impfung bei der Bundeswehr keine Impfpflicht. Ich bin kein Freund davon, das führt zu ideologischen Debatten.“ Patienten aufzuklären sei immer besser, als sie zu etwas zu zwingen. (SZ, 17.Mai 2010)

Nicht auszudenken, wenn die damals eingeführt worden wäre – dann wären solche Bilder wie vom einschlafenden Lauterbach bei der Bundespressekonferenz am 22.12.21 heute ziemlich häufig zu sehen.
Wir sollten alles daran setzen einen klassischen Grippe/Corona-Kombi-Impfstoff zu entwickeln und den Leuten jedes Jahr im Herbst anzubieten. Das ist breit akzeptiert und effektiv.