Anmerkungen zum Wahlkampf aus Sicht eines Wistleblowers. Posten und Pöstchen sind zu vergeben. Und so läuft es wirklich – Worte eines emsigen Wahlkämpfers und Partei-Insiders in Niedersachsen.
Wollte ich provozieren, würde ich behaupten, dass eine wertneutrale Demokratie von Nullen beherrscht wird. Die Wirklichkeit ist schlimmer. Demokratie ist ein wirtschaftlich dominierter, politischer Basar, in dem, je nach Farbe und Bedeutung der Partei, eine Karriere ihren Preis hat. Und jeder, der im Basar von Izmir bei einem durchtriebenen Teppichhändler einen handgeknüpften Hereke günstig erstanden hat, ist für eine parteipolitische Karriere bestens gerüstet, auch wenn er beim Kauf desselben beschissen wurde.
Eine Binsenweisheit
Aller Anfang ist schwer und deshalb beginnt auch die Karriere in Parteien ganz unten. Um jedoch in der jeweiligen Vereinsfarbe die politische Karriereleiter zu erklimmen, ist die berüchtigte Ochsentour – also das Hocharbeiten über Kommunal- und Landesebene – immer noch der gängige Weg, so zumindest das offizielle „wording“. Was schert es die Parteien, wenn ein engagierter Überzeugungstäter in ihren Reihen aufgenommen wird, der ambitioniert die Zukunft mitgestalten will. Talent, Intelligenz oder gar Kompetenz sind kontraproduktiv und eher störend. Hehre Ziele hinderlich. In den Parteien herrscht der gelebte hierarchische Pleonasmus – angesiedelt irgendwo zwischen Infanterie und Kanonenfutter.
Erst mal heißt es Plakate kleben
Man muss eine Menge Kreide fressen, bevor Aussicht auf die Erlangung eines Listenplatzes besteht. Ab dann wird es ernst, denn ab jetzt zeigen sich Fähigkeiten wie Heimtücke, Hinterhältigkeit und Raffinesse als gute Grundlage beim Vorwärtskommen. Doch unethische Attribute reichen bei weitem nicht, um beim beschwerlichen Sprung in die Landesliste auch einen der oberen Plätze zu erringen. Schon während dieser Zeit werden die Aspiranten fürs Karriere-Trampolin monatlich mit 200 bis 300 Euro zur Kasse gebeten. Und damit die Parteien sich mit dieser Zwangsabgabe nicht in den Fallstricken der Finanzbehörden verheddern, hat das Kind auch einen unverfänglichen Namen: Aktiver Wahlkampfbeitrag.
Diplomatie schönt die Niedertracht
Hat man sich im Spiel innerparteilicher Täuschungsmanöver und des gegenseitigen Ausbremsens bewiesen und mit seinem diplomatischen Geschick das Sprungbrett in eine gesicherte Rentenzukunft erreicht, wird’s teuer. Dann heißt es, das Sparkonto plündern oder im Zweifelsfall die liquide Verwandtschaft anzupumpen. Um für den Landtag aufgestellt zu werden, werden zwischen 3.000 und 5.000 Euro fällig, gleich welche Partei. Dabei spielt es keine Rolle, ob das angestrebte Ziel in den Landtag gewählt zu werden, auch erwünschten Erfolg hat. Selbst wenn doch, ist im Vergleich zu dem bereits erwähnten Teppichhandel in Izmir der Karriereschritt in den Landtag ein Deal unter guten Freunden. Denn mit dem Mandat sind mit einem gewissen Automatismus lukrative Aufsichtsratspöstchen verbunden, deren Einkünfte mit mindestens 10% an die Partei dauerhaft zurückgeführt werden müssen.
Wahlkampf und Steuerhäppchen
Jetzt, da einer der wichtigen Schritte getan ist, will der ehrgeizige Pateizögling auf dem halben Weg zur Glückseligkeit nicht einfach seine Bemühungen einstellen. Verständlicherweise. Die Verlockung hat einen Namen. MdB! Mitglied des Bundestages. Auch diese Mitgliedschaft muss man erwerben. Möglicherweise kann der Aspirant, – ob Genosse oder Christ – sofern er denn auf der Leiter der Listenplätze die Letzte Sprosse erklommen hat, auf die reiche Erbtante zurückgreifen. Ab 15.000 Euro Wahlkampfbeitrag kommt er in den Genuss, in Zukunft mit den großen Hunden pinkeln gehen zu dürfen, auch wenn er das Bein noch nicht so hochheben kann wie ein etablierter Leitwolf. Der nämlich hat bereits seine Lobbyisten, die ihm den Betrag ersetzen. Dem politischen Newcomer dagegen winken mit einer solchen Eintrittskarte stämmige Eichen – genannt Diäten und Rentenansprüche. Massive Aufsichtsratspfosten nicht mitgerechnet. Deutsche Gerichte haben diese Art der Deals zwar längst verboten. Nutzt aber nichts, denn wer nicht zahlt, wird auch nicht aufgestellt.
Rententrick und Rechtsverdrehung
7.500 Euro monatliche Zuwendungen winken für Büro für Arbeitsaufwendungen. Dieser Betrag wird als Basis für zukünftige Rentenansprüche zugrunde gelegt. Kein deutscher Unternehmer könnte seine Bürokosten oder Mietaufwendungen für seine Geschäftstätigkeit einbeziehen. Nun ja, ich kann‘s verstehen, ich würde die Investition in meinen Schreibtisch auch gerne verrentet sehen. Für ein Wassergrundstück in bester Lage und eine gute Versorgung im Alter nimmt man allerlei Unwägbarkeiten in Kauf, so auch den gnadenlosen Kampf um die Listenplätze in den Parteien.
Claudio Michele Mancini ist Psychologe & Soziologe: 20 Jahre selbstständiger Unternehmensberater. Seit 1998 Schriftsteller und Autor bei Drömer Knaur: gesellschaftskritischer Spannungsromane wie Infamita, Mala Vita, La Nera, Il Bastardo u.v.a.
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