Merkel stellt sich der Realität: Atomkraft gilt in der EU bald als nachhaltig

In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters muss die Noch-Kanzlerin eingestehen, dass die Subvention der Kernenergie durch die EU und ihre Einstufung als „nachhaltig“ kaum abzuwenden sei. Ihre Entscheidung, aus der Kernenergie auszusteigen, verteidigt die Physikerin weiterhin.

IMAGO / Emmanuele Contini

Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eingeräumt, dass eine Subvention von Atomenergie durch die Europäische Union nicht mehr aufzuhalten sei. Der Vorschlag, die Kernenergie offiziell als nachhaltig anzuerkennen, könne nur abgelehnt werden, wenn 20 EU-Mitgliedsstaaten dagegen stimmten. „Das ist eine sehr hohe Hürde und ist voraussichtlich nicht der Fall“, sagte die Kanzlerin. „Das Verfahren an sich kann nur schwer wieder aufgehalten werden, wenn die EU-Kommission etwas vorlegt.“

Merkel betonte, dass Deutschland seinen Widerstand gegen die Regelung „nicht aufgegeben“ habe. „Der deutsche Ausstieg aus der Atomenergie war richtig“, so die Kanzlerin. Ein weltweites Revival sehe sie skeptisch. Die privaten Investitionen in Kernkraftwerke seien weltweit begrenzt. „Bei den im Bau befindlichen Reaktoren gibt es häufig deutliche Kostensteigerungen und starke zeitliche Verzögerungen“, fügte sie hinzu. Die Frage nach dem Verbleib radioaktiver Abfälle sei nicht geklärt. „Und die Kilowattstunden-Preise für die Kernenergie werden bestimmt nicht geringer sein als die Kilowattstunde-Preise für Offshore-Windenergie.“

Neuerlich betonte die scheidende Regierungschefin die zentrale Rolle von Erdgas für die deutsche Energiezukunft. „Wir sagen, dass für uns Erdgas als Brückentechnologie klassifiziert werden muss“, sagte sie im Hinblick auf die französische Ansicht, dass die Kernkraft eine Brückentechnologie sei. Deutschland betrachte Atomenergie nicht als „gleichrangig sauber“ wie die Energiegewinnung aus Sonne und Wind. „Es stimmt natürlich, dass wir jetzt die sehr ambitionierte und herausfordernde Aufgabe haben, mit dem Ausstieg aus Kohle und Kernenergie die Energiewende zu schaffen“, sagte Merkel. „Aber es stimmt auch, dass es sich für unser Land auch auszahlen wird, wenn wir es richtig machen.“

Merkel hatte den Ausstieg 2011 unter dem Eindruck der Landtagswahlen in Baden-Württemberg forciert. Nach dem Tōhoku-Erdbeben in Japan war es zu einer Havarie im Kernkraftwerk von Fukushima gekommen, die Grünen drohten das schwarze Stammland zu gewinnen. Merkel verkündete daher den Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie, auch angesichts internationaler Tendenzen, den eigenen Kraftwerksbetrieb zu prüfen. Bis Ende 2022 soll das letzte deutsche Kernkraftwerk vom Netz gehen.

Während Deutschland sich für den Ausstieg entschieden hat, haben andere Länder – allen voran Japan – die Überlegungen wieder begraben. Auch Schweden, das einen Ausstieg aus der Kernkraft plante, hat diesen mittlerweile auf unbestimmte Zeit verschoben. International gibt es in mehreren Ländern Überlegungen, die Kernkraft wieder auszubauen oder in diese einzusteigen, so etwa in Italien. Die Trendwende hatte auch auf EU-Ebene Konsequenzen. Paris gilt als konsequenter Antreiber einer atomenergiefreundlichen EU. Frankreich unterhält 56 Reaktoren, die 70 Prozent des französischen Stroms produzieren. Präsident Emmanuel Macron hat kürzlich weitere Großinvestitionen in neue Reaktortypen angekündigt.

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Kommentare ( 74 )

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Nibelung
3 Jahre her

Die privaten Investitionen seien weltweit begrenzt meinte die Scheidende, wobei sie für den Westen recht hat, denn da wurde die Atomkraft jahrzehntelang schlecht geredet und zum Schluß noch gegen alle Gesetze zum Abriß preisgegeben, woran sie als Ikone aller Linken maßgeblich beteiligt war und nun so einen Stuß von sich gibt und an den Witz erinnert, als einer die alte Frau auf der Rolltreppe hinunter geschubst hat und dann scheinheilig fragte, wieso sie so schnell renne. Mit dieser „tatkräftigen“ Unterstützung der Atomindustrie hat doch jeder normale Aktionär sein Bündel geschnürt und es woanders wieder geöffnet und damit wurde Deutschland einer… Mehr

Mezi
3 Jahre her

Historiker werden künftig der Frage nachsinnen, was bei den Deutschen des beginnenden 21. Jahrhunderts so schrecklich faul gewesen ist und sich fragen, wie überhaupt jemand auf diese Frau hören konnte…

Last edited 3 Jahre her by Mezi
brennnessel
3 Jahre her

Immer und immer wieder wird darauf hingewiesen, dass Merkel promovierte Physikerin ist. Ich habe bei all dem was Merkel sprachlich von sich gegeben hat und mir zu Ohren oder unter die Augen gekommen ist nie einen einzigen Hinweis finden können, der darauf schließen lässt, dass die Produzentin der Gedanken eine naturwissenschaftliche Ausbildung absolviert hat. Solch eine erworbene Kompetenz prägen Denken und Sprache. Es drückt einen dauerhaften Stempel auf, den man einfach nicht mehr los wird. Oft wir auch darauf hingewiesen, das Merkel die Dinge vom Ende her denkt. Was soll das eigentlich bedeuten? Ein Wissenschaftler forscht und erzielt ein Ergebnis… Mehr

Gotthelm Fugge
3 Jahre her

„Der deutsche Ausstieg aus der Atomenergie war richtig“, so die Kanzlerin. Was war daran eigentlich richtig, völlig intakte Atom-Kraftwerke auf Basis einer sinnfreien Merkel-Fukushima-Daiichi-Lüge dem Erdboden gleich zu machen? DE war einmal führend auf vielen Gebieten der Atomenergietechnik insbesondere der Reaktorsicherheit.Mit seinen ansprechenden akademischen MINT-HighTech-Studiengängen.Da konnte man noch so richtig gut Geld verdienen.Interessierte Merkel alles nicht, sie mußte auf Teufel komm raus ABER eigentlich des Machterhalts willen) einer GRÜNEN Schimäre nachjagen!Die Wirtschaft fragt fast schon verzweifelt nach:““Ist es klug, wenn die Bundesrepublik in dieser Situation klimafreundliche Stromerzeuger vom Netz nimmt, deren Jahresproduktion größer ist als die aller Solaranlagen und aller… Mehr

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her

„eine Entwertung aller neuen Finanzprodukte, die den Green Deal in Europa voranbringen sollten“
Ach herrje, jetzt wird Hundescheiße entwertet. Wo soll das bloß hinführen?
(Sorry TE, ich weiß, Kraftausdrücke und so… Aber mal im Ernst, wie soll man das denn bitte anders sagen?)
Als ob dieser Mist je Wert gehabt hätte. Hat er nicht. Nur einen Preis.
Und da es sich bei diesen „Finanzprodukten“ um eine Wette gegen die Physik handelt, wird der Preis sich zwangsläufig früher oder später dem inneren Wert angleichen.

L. Luhmann
3 Jahre her

„Merkel stellt sich der Realität“: Na, immerhin, denn vorher musste sich die Realität Merkel stellen.

kiki667
3 Jahre her

Sie beharrt nach wie vor auf ihren Starrsinn. Selbst wenn die ganze Welt das Gegenteil behauptet, so kann nur IHRE Meinung die richtige sein. Warum redet sie eigentlich immer von „Deutschland“, wenn sie nur sich selbst meint?

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  kiki667

Das allein wäre ja nicht so schlimm.
Die ganze Welt behauptet inzwischen auch, dass die Klimakalypse bevorstehe und Corona die schlimmste Seuche seit der Schwarzen Pest sei und dass die Impfung etwas bewirke außer Nebenwirkungen, die es gar nicht gäbe…
Also nein, das werfe ich ihr jetzt nicht vor. Da bin ich genauso. Dann ist es eben die Welt, die sich irrt.

Soder
3 Jahre her

Und in Deutschland geht das Kühltürmesprengen fröhlich weiter!

Beobachterin
3 Jahre her

Seltsam, dass man so wenig von den Atomkraftwerken der nächsten Generation hört. Hier ein Beispiel > Rolls-Royce to build mini nuclear reactors in the U.K.https://www.youtube.com/watch?v=8KXTNnK0DUU

Last edited 3 Jahre her by Beobachterin
Wilhelm Roepke
3 Jahre her

Mir sind die Kilowattstundenpreise von Atomkraft im Vergleich zu Sonne und Wind egal. Ich hätte gerne bloß bei Dunkelflaute Strom. Die Kosten sind mir fast schon egal.

Forist_
3 Jahre her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Das ist auch der wesentliche Grund warum der „naive“ Vergleich von Wind+Sonne mit Kernenergie schiefgeht. Wind und Sonne sind billig, wenns keine Pufferspeicher gibt. Dann ist aber die gesicherte Leistung fast Null. Bisher hat man sich zu solchen Zeiten die Sache dadurch schöngelogen, daß man nicht erneuerbare Energiequellen aus dem In- und Ausland zur Überbrückung solcher Zeiten nutzte. Wenn dann Leistungsüberschuss herrscht nimmt man die so entstandenen Niedrigstpreise als Argument dafür daß Wind+Sonne furchtbar billig wären. Die nächste Stufe ist dann der Umstieg auf angebotsorientierte Stromversorgung. Das gabs im Sozialismus schon mal, nur ohne vernetzte Stromzähler. Wenn Strom da war… Mehr