Die Journalistin Bettina Gaus ist im Alter von 64 Jahren überraschend gestorben. Ein Nachruf auf eine Kollegin, die weniger auf der anderen Seite als über den Dingen stand.
Bettina Gaus ist gestorben. Ich gestehe, es trifft. Wir waren Kommilitonen auf der Deutschen Journalistenschule, es ist, das muss ich jetzt nach ihrem Tod sagen, fast ein Leben her.
Bettina gehörte zu den scharfzüngigsten Kolleginnen, damals sagte man noch ganz unbedarft: Mitschülern. Sie pflegte ätzenden Spott, was aber nicht ihre persönliche Hilfsbereitschaft schmälerte. Den Start in den Journalismus hat sie sich nicht leicht gemacht. Ihr Vater war der Chefredakteur des Spiegel und präzise nachfragender Fernseh-Interviewer, gegen den heutige Moderatoren wirken wie Ritter mit dem Zahnstocher. Später war er der Ständige Vertreter der Bundesrepublik in der DDR, was sie nutzte, um schmutzige Wäsche am Wochenende in Ost-Berlin reinigen zu lassen. Was macht man mit so einem Vater im Gen-Gepäck und dem wissenden Lächeln der Big Bosse, wenn sich so eine Tochter bewirbt?
Bettina nutzte das nicht. Sie versuchte, dem auszuweichen.
Sie war von 1983 bis 1989 Redakteurin bei der Deutschen Welle und berichtete dann bis 1996 aus Nairobi. Sie hat die Afrika-Berichterstattung geprägt; dem Kontinent auch über ihren Partner verbunden. Es waren keine volkstümelnden oder von oben herab geschriebenen Geschichten, sondern Storys aus der Perspektive eines Kontinents, der so viele Facetten hat. Folgt man ihrer Spur, dann hat man den Verdacht, dass sie mehr Nächte im Flieger oder im Bus statt im eigenen Bett verbracht hat; sie hat alle Orte besucht, beschrieben und analysiert, die später Donald Trump als „Shitholes“ beschrieben hat. Es waren aber auch Orte der Menschlichkeit, des Fortschritts und der Freude. Thema und Sprache waren immer distanziert, kritisch, fair, und sie machte wenigstens auf diesem Gebiet ihre Zeitung führend: die taz.
Zunächst freiberuflich, ab 1991 als Korrespondentin über Ost- und Zentralafrika. Danach leitete sie bis 1999 das Parlamentsbüro der taz, bis 2021 war sie deren politische Korrespondentin. Seit Anfang April 2021 war sie Kolumnistin beim Spiegel. Sie kehrte auf den Kontinent zurück, von dem sie aufgebrochen war. War es schon ein Zeichen? Viele wunderten sich über den Wechsel, denn die Altersgrenze ist auch für angestellte Journalisten ehern. Warum jetzt noch das Blatt wechseln? In der kurzen Zeit schrieb sie ihre besten Stücke. Wie zum Abschied.
Im Wahlkampf wandte sie sich sogar von den Grünen ab, denen sie immer schreiberisch nahe gestanden hat. Es war ein eisiger Ton:
„Ich möchte von niemandem regiert werden, der oder die sich ein moralisches Urteil über meine Lebensführung erlaubt. Ein politisches Urteil? Sehr gern.
Ich esse nicht besonders gern Fleisch, habe kürzlich mein Auto verkauft und nie den Wunsch gehabt, ein Eigenheim mit Garten zu besitzen. Eigentlich. Aber in dem Augenblick, in dem ich diesen Tonfall höre, diesen ganz besonderen Tonfall, den ich als hochmütig und als übergriffig empfinde: In genau diesem Augenblick wünsche ich mir einen SUV, sechsmal in der Woche Steak und eine protzige Villa ohne Solardach. Aus Prinzip. Wenn Leute mich behandeln wie eine trotzige Heranwachsende, dann benehme ich mich auch so.“
Bettina Gaus begann beim Spiegel, zwischen den Welten zu wandern. Ihre Kolumne machte sich nicht gemein mit dem Zeitgeist, sondern kritisierte ihn – wenigstens in ihrer Kolumne, wenigstens in ihren Zeilen. Sie schrieb längst von einem einsamen wie hohen Turm aus, dessen Stockwerke nur sie selbst zählen konnte. In einer ihrer letzten Kolumnen setzte sie ein Fanal an Klarsicht gegen eine Titelgeschichte, wie sie kaum einfacher gestrickt sein konnte. Die Causa Julian Reichelt.
In diese Debatte habe sich
„ein merkwürdig prüder Ton geschlichen. Inzwischen entsteht der Eindruck, Frauen seien stets und grundsätzlich die Opfer in Beziehungen mit männlichen Vorgesetzten – auch dann, wenn sie selbst eine solche Beziehung wünschten. Hinter einer solchen Sicht steckt ein Weltbild, in dem Frauen nicht imstande sind, selbstbestimmt die Entscheidung darüber zu treffen, mit wem sie ins Bett gehen wollen. Das ist eine besonders perfide Art der Diskriminierung, weil sie sich als Fürsorge tarnt.“
Journalismus bleibt nicht; er vergeht wie die Spuren unserer Füße im Sand am Saum des Meeres. Unsere Texte werden weggewischt für den nächsten Aufreger.
Aber von Dir bleibt ein scharfer, oft lächelnd vorgetragener Satz.
Ciao, Bettina. Wir treffen uns wieder im Sommer in Beaulieu.
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Sehr geehrter Herr Tichy, es ehrt Sie sehr als Kollege und womöglich Freund von Frau Gaus, dass Sie der politischen Gegnerin in ihrem Tode so freundlich die Hand reichen. Aber das „De mortuis … nisi bene!“ gilt nichts mehr, spätestens seitdem wir den im Tode ausgleichende Gerechtigkeit schaffenden Gott in die Tonne getreten haben. Damit haben wir uns selber dazu verdammt, auch im Tode noch Urteil sprechen zu müssen. Für mich war diese Frau, zumindest in ihrer Zeit bei der taz, eine der neuen linken Weiber, die dieses Land und seine angestammte Bevölkerung wie ein „mieses Stück Scheiße“ behandelt und… Mehr
Nach Hengameh Yaghoobifarahs volksverhetzerischer „Polizisten auf den Müll!“-Kolumne in der taz war es eisig um Bettina Gaus geworden: Ihre ehemaligen taz-Kollegen und -Kolleginnen haben sie schlichtweg weggebissen, weil sie sich dagegen verwehrt hat, dass man Menschen als „Müll“ bezeichnet.
So kam sie dann in ihren letzten Monaten -ausgerechnet- zum SPIEGEL : Was für ein Treppenwitz, dass der SPIEGEL zur journalistischen Zufluchtsstätte für jemanden wurde, der der taz „zu links“ war!
Und was für ein Witz auch, dass „(zu) links sein“ im Jahre 2021 in DE einfach nur bedeutet, dass man Menschen als Menschen statt als „Müll“ bezeichnet.
Nein,lieber Herr Tichy:kluge,weise und wichtige Worte
bleiben immer!Ich sammle seit Jahrzehnten gutes
Geschriebenes aus Tages-und Wochenzeitungen,Maga-
zinen sowie Büchern für meine persönlichen Tagebuch-
aufzeichnungen.Sie sind mir auch in den Jahren und
Jahrzehnten danach immer noch wichtige politische
Argumentationshilfen! Meine Güterzugleistungen,die
ich als Lokomotivführer dagegen in meinem anonymen
Beruf erbringe,sind bereits kurz nach der
Ankunft in den Zielbahnhöfen vergangen und vergessen!
Respekt für Ihren persönlichen Nachruf, Herr Tichy.
Mein Bild von Frau Gaus war sehr viel negativer und die von Ihnen zitierten letzten Äußerungen erinnern dann doch sehr an den „Zauberlehrling“ (Die Geister, die ich rief …).
Egal: De mortuis nil nisi bene.
Was ich mich aber frage ist, ob im umgekehrten Fall von Frau Gaus auch nur 1 positives Wort öffentlich über Sie vernommen worden wäre.
Die Antwort erahnen wir alle … .
Ein schöner und aufrichtiger Nachruf.
Ein fairer, kluger Nachruf auf eine intelligente, meinungsstarke Journalistin, die mir als linke Vertreterin im Presseclub im Gedächtnis bleiben wird.
Ihr war die Politik und das Debattieren quasi in die Wiege gelegt worden.
Keine Schwurbeleien, sie versuchte durch glasklare Argumente, zu überzeugen. Was ihr auch oft gelang.
Wer über den Dingen steht, bleibt in diesem Fall trotzdem links und in diesem Sinne hat sie meist scharf geschossen, wenn sie ihre linken Thesen vertreten hat und die mögen ja aus ihrer Sicht die eigene Weltanschauung gestärkt haben, das Empfinden anderer hat sie aber meistens nicht berücksichtigt und somit war sie Teil der gesamten linken Community, die im Prinzip mit zum heutigen Zustand beigetragen hat. Nun mag es ja sein, daß sie ihre Thesen etwas eloquenter unters Volk gebracht hat, es wird aber auch über den Tod hinaus nicht besser und man sollte bei aller Trauer beim Verlust eines… Mehr
Die meisten Linken, die ich kenne, hatten bislang nur keinen Grund ihre Ansichten zu überdenken. Bei Frau Gaus, so bin ich mir sicher, hatte dieser Denkprozess bereits eingesetzt:
„Aber in dem Augenblick, in dem ich diesen Tonfall höre, diesen ganz besonderen Tonfall, den ich als hochmütig und als übergriffig empfinde: In genau diesem Augenblick wünsche ich mir einen SUV, sechsmal in der Woche Steak und eine protzige Villa ohne Solardach. Aus Prinzip.“
Leider wurde der Denkprozess nicht mehr zu Ende gebracht, aber sie befindet sich ja nun außerhalb zeitlicher Schranken.
Lieber Herr Tichy, das war ein bewegender und vorbildlicher Nachruf, den ich hier mit einem Wunsch verbinde, der hoffentlich nicht als unangemessen wahrgenommen wird: bitte bilden Sie junge Journalisten aus, die dereinst selbst Nachrufe in dieser journalistischen und ethischen Qualität werden verfassen können, denn viele andere Medien tun das nicht mehr. Wir sind alle sterblich und es wichtig, dass Kultur, Sprache und Zivilisation fortgesetzt wird, wenn unsere Generation diese Welt verlassen hat. Und dazu gehört ganz sicher auch der würdevolle Umgang mit unseren Verstorbenen, ob in Ritualen, Gesetzen oder eben Nachrufen. PS: Der Ausdruck „Mitschüler“ ist kollegial und nicht negativ… Mehr
Sehr geehrter Herr Tichy, ich verneige mich vor ihrer Fairnis und dem Mut, der zu einem solchen, bei mir zu Herzen gehenden Zeichen des Anstandes führt und Frau Gaus in dieser Weise ehrt. Ihr Vater, Günter Gaus, war mir in den Jahren seines Engaments für sein Land ein Orientierungspunkt im journalistischen Wesen der Republik. Herzlichen Dank für ihre so gut tuenden Worte.
W.Schuckmann
Ein wunderbarer Nachruf und ein Beispiel für respektvolles Miteinander in einer Demokratie. Mehr als nur „de mortuis nihil nisi bene“.