Der Lebensstandard in Deutschland sinkt – und sie freuen sich drauf

Während in anderen Ländern die Versorgungsengpässe bei Energie ernst genommen werden, herrscht in Deutschland bei Politik und Medien anscheinend blanke Freude über den drohenden sinkenden Lebensstandard. Denn er bedeutet ja weniger Energieverbrauch, weniger CO2-Ausstoß und vor allem: mehr soziale Gerechtigkeit.

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Die Alarmsignale mehren sich: Der europäischen Aluminiumindustrie droht der Produktionsstopp. Die Großhandelspreise steigen stark an. Die Energiepreise steigen explosionsartig, während Gas, Kohle und Öl auf dem Weltmarkt umkämpft sind. In der Europäischen Union werden die Stimmen lauter, die eine Förderung der Kernenergie sowie deren Verlängerung bzw. Ausweitung fordern. Das rote Reich der Mitte sendet bedrohliche Signale aus, indem es rigide Kürzungen durchdrückt, ob nun Verbote von Wasserkochern und Mikrowellen oder Rationierungen im Industriebereich. Europa und Asien steuern mit Vollgas auf eine Energie- und Versorgungskrise zu. Unter Druck verspricht Spanien Steuersenkungen, will Frankreich Energiechecks ausstellen, Italien die Erdgaspreise mit Subventionen abfedern. Die Angst geht dort um, dass Presse und Volk das Scheitern jahrzehntelanger Versäumnisse im Energie- und Rohstoffsektor auf die Barrikaden bringen könnten.

Soweit zu den halbwegs zurechnungsfähigen Ländern. In Deutschland ticken die ökologisch wertvollen Energiesparuhren anders. Die Reaktion von Medien und Politik hierzulande? Blanke Freude! Wenn der Lebensstandard in Deutschland sinkt, dann bedeutet das weniger Energieverbrauch, weniger CO2 und vor allem: mehr soziale Gerechtigkeit. Für einen Moment scheint es so, dass auch die schlimmsten Polemiken, die den deutschen Eliten einen Plan zur Deindustrialisierung des Kontinents unterstellten, untertrieben waren. Ähnlich wie in der Migrationskrise bilden sich keine Sorgenfalten, sondern stattdessen bejahendes, freudiges Lächeln im Gesicht der Verantwortlichen: Im tristen Grau des Alltags erkennt der gottlos gewordene Apparatschik die Erlösung in der lang erwarteten Mangelwirtschaft des späten sowjetischen Sozialismus. O-Ton des WDR-Wirtschaftsjournalisten Detlef Flintz: „Er ist da, der Preis-Schock. Gut so!“

— tagesthemen (@tagesthemen) October 12, 2021

Frei nach dem Baerbock’schen Satz, dass Verbote Innovationen anregen, verbreitet Flintz vor einem Millionenpublikum in den Tagesthemen die Ansicht, dass nur teurere Energiekosten den fossilen Energieträgern den Garaus machen können, um die „Erderwärmung“ in den Griff zu bekommen. Dass gerade der lange und kalte Winter die Gasknappheit begünstigt hat, ist nur ein lästiges Detail. Wir sollten „froh“ darüber sein, Produktion und Konsumverhalten ändern zu müssen, und den Ausbau von Wind- und Solarenergie voranzutreiben, so Flintz weiter. Dass die diesjährige Windflaute gezeigt hat, dass erneuerbare Energien den Strommix höchstens ergänzen, aber nicht allein stemmen können, wenn es hart auf hart kommt, spielt keine Rolle. Die Antwort von Flintz auf dieses Problem weiß man bereits: noch mehr Windkraftanlagen bauen. Vielleicht waren es bisher nur nicht die richtigen?

Achtsamer heizen, keine Kurzstreckenflüge mehr – das wollten wir sowieso; gut, dass „der Markt“ diktiert und nicht die „viel zu zaghafte Politik“. Das sitzt, insbesondere nach dem vom Markt – so war es doch? – diktierten Verbot der Kernkraft, das im Ausland bereits als Mitursache der Energiekrise angesehen wird. Noch mehr sitzt jedoch diese Offenbarung: Es dürfe „keine Diskussionen“ darüber geben, wie man wieder an billigere fossile Energieträger kommt. Es verbietet sich also schlicht, darüber nachzudenken, wie die ärmeren Haushalte der Republik den Winter überstehen, wenn sich die Preisspirale weiterdreht – ein Energiegeld obendrauf, das müsse wohl auch „kurzfristig“ so sein, sagt Flintz. Nicht umsonst gibt es in Deutschland den großmütterlichen Spruch: Mach dir ein paar warme Gedanken. Auch 150 Jahre nach Heinrich Heine gehört den Deutschen das Luftreich der Träume unbestritten. Und zuletzt: Mit dem Grundeinkommen kommt das wieder in Ordnung.

Der Mangel wird demnach nach guter sowjetischer Art nicht behoben, sondern verwaltet. Der Kommentar in den Tagesthemen ergänzt vorherige Tippsammlung des WDR, in der dem Bürger in einfacher Sprache erklärt wird, dass er zu blöd zum Einkaufen ist. Niemals hungrig einkaufen gehen, Listen machen, digital vorher nach Sonderangeboten suchen – die Zweigstelle von Väterchen Staat kommt dem Bildungsauftrag nach und wird uns nächstes Mal noch beibringen, wie man sich die Schnürsenkel bindet. In dieselbe Kerbe schlug Katarina Barley kürzlich: „Die günstigste Kilowattstunde ist die, die man nicht verbraucht.“ Für diejenigen, die bald die Rechnung für Regierungsversagen und Desinformation bezahlen dürfen, ist das blanker Hohn. Die Trennlinie zwischen Verblendung und Verachtung ist dünn.

Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht kein Problem in der gegenwärtigen Situation. Im Gegenteil: die höhere Inflation sei willkommen und notwendig für die Transformation der deutschen Wirtschaft. Nachdem Fratzscher im September die Sorge vor einer hohen Inflation für „Unbegründet“ hielt, sieht er sie nunmehr, da sie eingetreten ist, als Chance. Er nennt sie „Grüne Inflation“ – und die sei richtig. Deflation sei sogar das weitaus höhere Risiko in den kommenden Monaten und Jahren. Währenddessen rudert selbst die EZB zurück, die noch vor einem Monat Inflationsängste zerstreuen wollte. Im Land mit den höchsten Strompreisen Europas wiederholt Fratzscher indes das Mantra: „erneuerbare Energien“ seien effizienter und günstiger als fossile Brennstoffe. Die berühmte Kugel Eis eben, wie der grüne Prophet Trittin sie versprach.

Drohende Lohn-Preis-Spirale
Inflation in Deutschland: Wie Meinungsmacher den Kaufkraftverlust schönreden
Fratzscher ist kein unbeschriebenes Blatt. Rainer Hank von der FAZ hat ihn einst als „Claqueur der SPD“ bezeichnet. Der Präsident des DIW versuche dem SPD-Programm ein wirtschaftliches Gütesiegel zu verleihen, dabei biege er „die Wahrheit so lange, bis es quietscht“. Er bildet die Blaupause ab für das, was in diesem Land passiert: ein Netzwerk von Seilschaften, von Amigo-Geschäften, ideologischen Schreibtischtätern und schicksalhaften Verquickungen gewollten wie ungewollten Versagens. Medien bekommen Subventionen und Gebühren, die der Staat eintreibt. Grüne Energie-Erzeuger profitieren von Subventionen, die Politiker eingefädelt haben, die heute selbst in diesen Firmen sitzen. Netzwerke aus Stiftungen, Parteien, Medien und Vereinen überziehen das Land, die Hand in Hand an der großen Wende im Verkehrs- und Energiesektor gearbeitet haben, manchmal aus Überzeugung, häufiger aus Eigennutz. Wer will das Karussell stoppen, wenn die Bundesregierung über Ministerien, Firmen und NGOs ein „Klimaschutz-Sofortprogramm“ mit acht Milliarden Euro ausschüttet?

Es hat sich ein selbstversorgendes System in Deutschland gebildet, das sich komplett vom Alltagsleben der arbeitenden Schicht entkoppelt hat. Dieselben Journalisten, die Kurzstreckenflüge beklagen, sind sich nicht zu schade, lange Zugreisen zu unternehmen, um sich „in persona“ zu zeigen, während die Mehrheit die Videoschalte nutzt. Die Beschneidung von Grundrechten „betrifft uns alle“, außer, man ist SPD-Abgeordneter und tummelt sich mit Dutzenden Kollegen auf der Treppe im Paul-Löbe-Haus. NGO-Anführer rufen zu Verzicht und CO2-Einsparungen auf, reisen nach Peru oder Südafrika, um für ihre Ideen zu werben – oder in den Erlebnisurlaub zu fliegen. Dieselben Sender, die eine Inflation von mehr als 4 Prozent nicht „so eng“ sehen, jammern darüber, wenn die Gebührenerhöhung nicht fristgerecht eintrifft.

Warum hört er nicht einfach auf?
In den Tagesthemen: Kapitalismus und Konsum als Suchtkrankheit
Ein häufiges Bild der Medien: der Zuschauer als „Süchtiger“. Flintz spricht von „Junkies“, die nach fossilen Energieträgern gieren. Schon vor zwei Jahren hat Lorenz Beckhardt in einem berühmt gewordenen Tagesthemen-Kommentar gefordert: „Macht Fleisch, Auto fahren und fliegen so verdammt teuer, dass wir davon runterkommen. Bitte! Schnell! Dann wählen wir auch Euch alle!“ Beckhardt projizierte sein eigenes Konsumverhalten auf die gesamte Bevölkerung – ob Tankwart, Kioskbesitzer oder Zeitungsträger; das Maß aller Dinge war ein Journalist, der sich am Wohlstand seines Karibikurlaubs überfressen hatte. Ein Luxus, von dem viele Deutsche träumen. Statt demütig seinen eigenen Lebensstil zu hinterfragen, lautet die Parole: Hinwendung an eine autoritäre, höhere Instanz, die alle in Sippenhaft nimmt. Die Sünde ist so groß, dass sie nicht verziehen, sondern nur bestraft werden kann. Die freiwillige Reue ist ebenso verloren gegangen wie der alles verzeihende Gott; die Elite hat sich einen neuen Gott gesucht, der in Wirklichkeit ein alter ist und Opfer fordert.

Die bedrohliche Sucht eines ganzen Systems danach, Menschen zu belehren, zu erziehen und wie Drogensüchtige zu behandeln, während der eigene CO2-Abdruck Dinosaurierspuren übertrifft, wird dagegen ausgeklammert. Man könnte es Heuchelei nennen. In Wirklichkeit ist es Berechnung: Denn individuelle Mobilität, exotische Reisen und eine sichere Pension sind jenen sicher, die andere belehren, dass die Energiewende „dauerhaft teurer“ wird. Insgeheim freut man sich auf Museumsschau in geleerten Altstädten und freie Liegen am Strand. Der Pöbel, der sich in den Wohlstandsjahren der Nachkriegszeit das gönnte, wovon nicht einmal die Könige des Mittelalters träumen konnten, erhält bald wieder seinen gerechten Platz. Nicht der Kapitalismus, sondern der Sozialismus ist die perfekte Klassengesellschaft.

Denn Sie können sicher sein: Selbst wenn bei Ihnen der Kühlschrank warm, die Heizung kalt und die Wohnung zappenduster ist – Ihre Gebühren an den ÖRR werden Sie auch weiterhin zahlen dürfen. Selbst wenn offen bleibt, wann ihn wieder jemand empfängt. Anders ist die Selbstsicherheit nicht zu erklären, mit welcher der Bürger auf die kommenden Engpässe vorbereitet wird. Der Ruf, dass die Titanic sinkt, quittiert man auf dem Sonnendeck damit, dass die Dritte Klasse in ihrer Hysterie wohl vergessen habe, dass das Schiff unsinkbar sei. Vermutlich, weil man im Notfall privilegierten Zugriff auf die Rettungsboote hat. Glaubt man.

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