Alles, was der Gesellschaft eigentlich lieb und teuer sein sollte, muss gerade seiner Außergewöhnlichkeit und seines Wertes wegen verschleudert werden. Dies wird bereits auf das Recht, in Deutschland zu leben und auf das Recht, Leistungen aus der Hand der Gemeinschaft zu beziehen, angewendet.
Ramsch ist eines dieser wundersamen Phänomene, welches keiner vorgeschriebenen Form- oder Farbgebung folgen muss, um trotzdem sofort als das identifiziert werden zu können, was es ist. Anders als Flora und Fauna kann man die Welt des Ramsches nicht mit einem bebilderten Lexikon in der Hand erkunden. Ramsch erkennt man einfach, wenn man ihn sieht, egal ob auf dem Schrottplatz, im Billigkaufhaus oder in der Politik.
Doch auch wenn eine Klassifikation des Ramsches nach Farbe, Geruch oder Geschmack zu keinem kohärenten Ergebnis führen kann, so treffen drei andersgeartete Eigenschaften praktisch auf jeden Ramsch zu, sonst wäre er kein Ramsch: Er muss von schlechter Qualität, lächerlich billig und unzweifelhaft nutzlos sein. Oft ist die schlechte Qualität bereits in der Produktion veranlagt, womit wiederum der niedrige Preis gerechtfertigt wird, während die Nutzlosigkeit quasi bereits der formgebende Gedanke war. Allerdings kann man auch einen im Grunde qualitativ hochwertigen und brauchbaren Gegenstand hernehmen und ihn zwischen Keramikpüppchen und Plastiktischdecken auf einem Flohmarkt zu einem Spottpreis verscherbeln. In diesem Fall spricht man von „verramschen“. Genau das ist es, was gerade mit Deutschland angestellt wird – beziehungsweise, was Deutschland mit sich anstellt.
Das Verramschen geht auf dreierlei Weise vonstatten.
Erstens durch die Durchsetzung eines widersprüchlichen Prinzips: Alles, was der Gesellschaft eigentlich lieb und teuer sein sollte, muss gerade seiner Außergewöhnlichkeit und seines Wertes wegen verschleudert werden. Dies wird bereits auf das Recht, in Deutschland zu leben und auf das Recht, Leistungen aus der Hand der Gemeinschaft zu beziehen, angewendet. In Bälde wird es wohl ebenso auf die Staatsbürgerschaft angewendet werden. Eben weil die Lebensbedingungen in Deutschland so überdurchschnittlich gut sind und weil der Sozialstaat das außerordentliche Ergebnis einer gemeinschaftlichen Kraftanstrengung ist, sollen diese Errungenschaften zur Schleuderware werden, welche darüber ihr einst hohes Qualitätsniveau natürlich verlieren muss und zum Ramsch wird.
Zweitens wird alles zur Disposition gestellt, was bisher als unantastbar, anders ausgedrückt, als unverkäuflich, galt: Kinderehe, Vielweiberei, Verweigerung des Handschlags zwischen Männern und Frauen und dergleichen werden zu Themen, über die man sich „erst einmal in Ruhe unterhalten muss“. Das heißt, man muss sich nur noch darüber einig werden, zu welchem Preis man letztendlich bereit sein wird, sie hinzunehmen. Die Errungenschaften der deutschen Kultur werden somit in den Trödelladen verfrachtet. Genau aus dem Grund, aus dem man keine geschätzten Familienerbstücke verkloppen würde, müsste Deutschland eigentlich auch diese Verramschung verboten sein: Sowas tut man einfach nicht! Aber man gehört schon zu einer bedrohten Art, wenn dieser Satz noch irgendeine Bedeutung hat. Mit Sicherheit bedeutet er den Parlamentariern, die für rund 70.000€ Edelfüller eingekauft haben, nicht besonders viel. Auch wenn sie sich durch ihre Büroausstattung vielleicht eine feine Note zu geben verhofften, das von ihnen selbst verströmte Klima des Ramsches können sie nicht übertünchen.
Drittens wird, selbst nachdem schon alles auf den Ramschmarkt geworfen wurde, noch versucht, den Preis der Waren so weit wie möglich nach unten zu drücken – denn sonst wären es ja keine Ramschprodukte. Die Preisdrückerei wird verrückterweise dadurch erreicht, dass der Verkäufer sich an demjenigen Interessenten orientiert, der bereit ist, den niedrigsten Preis zu zahlen: In Fragen der Integration, seien sie kultureller oder wirtschaftlicher Natur, orientiert sich Deutschland beständig an denen, die am wenigsten zu leisten in der Lage oder bereit sind. Sie bestimmen dadurch letztendlich den Preis, zu dem das Leben in Deutschland verscherbelt wird. Um dem Abhilfe zu schaffen, müsste man übrigens nur eines sagen: Danke, aber zu diesem Preis verkaufe ich nicht! Aber während Deutschland im Ausland noch dafür bekannt ist, sich ungern mit der zweit- oder drittbesten Qualität zufriedenzugeben, wird den Deutschen bereits die Vorstellung abgewöhnt, dass das Erstbeste überhaupt erreicht werden kann oder erreicht werden sollte.
Das große Ramschen macht offensichtlich keinen Unterschied zwischen materiellen und immateriellen Gütern. Jüngst ist nun auch die deutsche Ehre in die Kollektion der Ramschartikel aufgenommen worden. Ja, die Ehre – ein historisch bis zur Lächerlichkeit missbrauchter Begriff, der aus dem Sprachgebrauch schon beinahe völlig verschwunden ist. Aber nur, weil man nicht mehr von ihr spricht, heißt das noch nicht, dass sie ebenso aus dem Empfinden verschwunden ist. Mit der Ehre ist es eben wie mit dem Ramsch – man erkennt sie, wenn man sie sieht. Wenn Väter und Söhne sich zusammenrotten, um die eigenen Töchter bzw. Schwestern zu ermorden, weil diese ein selbstbestimmtes Leben führen wollen, ist dies kein Akt der Ehre, sondern der Schwäche. Zu einer historischen Wahrheit wie dem Völkermord an den Armeniern zu stehen, ist dagegen schon ehrenhaft – insbesondere, wenn man als Deutsche die historische Billigung der Tat durch die damalige deutsche Regierung nicht verschweigt oder abstreitet. Es braucht Mut, um einer unbequemen Wahrheit ins Auge zu blicken. Allerdings ist die Bundesregierung wohl zu der Ansicht gelangt, dass diese Ehre für Deutschland inzwischen etwas zu hoch gegriffen ist, weshalb sie lieber nochmal bei Erdogan nachfragt, ob er nicht vielleicht doch Interesse an einem alten Putzlappen hätte. Notabene: Nein, die Bundesregierung hat sich nicht offiziell von der Bundestagsresolution distanziert, sie versucht mit rhetorischen Taschenspielertricks ihre Asylpartnerschaft mit Erdogan und damit ihren eigenen Kopf zu retten. Sie hat Ehre und Wahrhaftigkeit ein Preisschild aufgeklebt und sie so ins Schaufenster ihres Ramschladens gestellt – kaum ein Ärgernis für die ramschgewohnte Masse und ein seltsam passender Ort aus Sicht derjenigen, die ihre eigenen geschätzten Güter schon längst vor dem Zugriff des Ramsches sicher auf dem Dachboden verwahren.
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