Die Illusion von der „Erneuerung“ der Union

Die alte Sehnsucht an der Unionsbasis nach Erneuerung in der Opposition wird von Söder & Co. geschickt angesprochen. Doch der Schein trügt: Eine solche "Erneuerung" wäre mehr Weiter-So als alles andere. Das ist schon durch die Zusammensetzung der neuen Fraktion programmiert.

IMAGO / ZUMA Press

Armin Laschet ist schwer angeschlagen: In der Unionsfraktion konnte er die offene Revolte nur durch eine Vorab-Kapitulation verhindern – obwohl dem Parteivorsitzenden traditionell der Zugriff auf den Fraktionsvorsitz zusteht, wird nicht Laschet, sondern weiterhin Ralph Brinkhaus die nunmehr nur noch zweitgrößte Bundestagsfraktion führen. Der Verbleib als NRW-Ministerpräsident ist Laschet längst verbaut, er hatte sich im Wahlkampf ganz auf Berlin und die Bundespolitik festgelegt. Eine Entscheidung über seine Nachfolge soll noch in dieser Woche getroffen werden.

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CSU-Chef und Möchtegern-Kanzlerkandidat Markus Söder sitzt dem Rheinländer im Nacken und torpediert jede weitere Kanzlerambition mit Sätzen wie „Die besten Chancen, Kanzler zu werden, hat derzeit Olaf Scholz“. Zu einer Jamaika-Koalition sagt er: „Wir werden uns dabei nicht anbiedern und nicht um jeden Preis versuchen, eine Regierung zusammenzubringen.“ Die Union dürfe „nicht bereit zur Selbstaufgabe“ sein. Das sagt ausgerechnet jener Markus Söder, dessen politische Flexibilität selbst die von Angela Merkel bisweilen in den Schatten stellte. Vom Kruzifixaufhänger wurde er zum ökologischen Vorreiter genauso schnell wie vom Merkeljäger in der Migrationspolitik zu Merkels Bettvorleger in der Corona-Politik.

Wenn Laschet aber die unmittelbare Perspektive aufs Kanzleramt in diesen Tagen verliert, dann ist er auch innerhalb der Partei wohl bald erledigt. Und die Bahn wäre frei für Markus Söder. Um das zu erwirken, bedient sich Söder einer Rhetorik, die die Sehnsüchte von Wählern und der Basis trifft. Das ewige Regieren habe der Partei schließlich nicht gut getan, in der Opposition könne man zu seinen Wurzeln zurückkehren und sich neu sortieren. Was zunächst vernünftig klingt, erweist sich aber schnell als Finte.

Denn eine authentische Rückkehr zu den Grundwerten der Union ist schon aus einem einfachen, strukturellen Grund verbaut. Waren im letzten Bundestag noch fast 95 Prozent der Unionsabgeordneten direkt gewählt, sind es jetzt nur noch knapp über 70. Diese kommen heute fast ausschließlich aus Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Die Verluste der Union haben vor allem im Osten dramatische Folgen: Während 2017 noch ausnahmslos alle Direktmandate in Mecklenburg-Vorpommern an die CDU gingen, gehen in diesem Jahr ausnahmslos alle an die SPD. Auch Thüringen und Sachsen-Anhalt waren 2017 noch vollständig in schwarzer Hand: Davon sind 2021 drei Direktmandate in Sachsen-Anhalt und eines in Thüringen geblieben. Binnen vier Jahren ist der ganze Osten gekippt: 2017 hatte die Union im Osten noch 44 Direktmandate und die AfD drei, 2021 errang die Union nur 8 Direktmandate im Osten und die AfD 16. Das und die relative Abnahme der Direktmandate im Vergleich zu den angewachsenen Listenmandaten marginalisiert die innerparteiliche Opposition. Das Lager der merkelianischen Parteisoldaten hingegen ist noch gestärkt. Weder Sylvia Pantel, noch Hans-Jürgen Irmer und Saskia Ludwig konnten in den neuen Bundestag einziehen. Auf der parteiinternen Gegenseite holten zum Beispiel Serap Güler und Marco Wanderwitz zwar auch kein Direktmandat, sie zogen aber dennoch bequem über die stromlinienförmige Landesliste in den Bundestag ein.

Gab es im letzten Bundestag immerhin zahlreiche in ihrer Region verankerte Abgeordnete, die bisweilen versuchten, einen Anker zu werfen, wenn die Parteiführung sich weiter auf Abwege begab, so sind diese nach der Wahl zum großen Teil verschwunden.

Die Schuldfrage

Es ist paradox: Diejenigen, die am wenigsten Schuld am Absturz der Union haben, werden am stärksten bestraft. Die Hinterbänkler, die die Füße still hielten, traf es gar nicht so stark: Durch die Aufblähung des Bundestages wurde der Mandatsrückgang abgefedert.

CDU im Osten
Marco Wanderwitz hat sich sein Scheitern selbst verdient
Auch in der Erneuerungsdebatte zeigen sich diese vertauschten Rollen: Natürlich war Armin Laschets Wahlkampf kein Glanzstück, aber er ist auch nicht die Ursache dieses Absturzes der Partei. Eingeengt von Söder und Merkel bestritt er den Wahlkampf mit einer inhaltlich über Jahre ausgedünnten Partei und demotivierter Basis, die gerade im Osten die Geduld der Bevölkerung endgültig verloren hatte. Laschet verschlimmerte den Effekt durch sein desaströses „Zukunftsteam“, bei dessen Mitgliedern am Wahlabend doch tatsächlich noch die Twitter-Sektkorken knallten – schließlich hatte Maaßen den Einzug verpasst.

Die eigentliche Verantwortung tragen die Bundesregierung und jene Kräfte, die die verheerende Corona-Politik vorantrugen. Für die dient Laschet als ideales Bauernopfer.

Die gleiche Riege, die die CDU über Jahre entkernte und dadurch die Union für Wähler überflüssig machte, will jetzt allein Laschet die Verantwortung für die Schlappe in die Schuhe schieben, um dann wie gewohnt weiter zu machen. Es ist ohnehin das Rezept der neuen Koalition Brinkhaus-Söder: Söder trat einst als rechter Rebell gegen den zu zahmen Seehofer an, Brinkhaus stürzte den extrem Merkel-treuen Volker Kauder als Fraktionschef. Im Amt angekommen allerdings übertrafen beide ihre Vorgänger in den zuvor kritisierten Eigenschaften: In Sachen Kampf gegen Abweichler in der Corona-Politik sind beide unübertroffen. Und jetzt wollen sich die beiden erneut als Erneuerer, Rebellen, Reformer verkaufen, als Stimme der Basis gegen eine abgehobene Parteiführung.

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Kommentare ( 33 )

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Stefan Z
3 Jahre her

Alternativlosigkeit kann man nicht erneuern.

Sonny
3 Jahre her

Wenn ich mir so die Stimmverteilungen in Deutschland anschaue, kann ich nur zu einem einzigen Schluss kommen: Die Menschen in Ostdeutschland sind realistischer und feinfühliger gegen diktatorische Anwandlungen und Lügen und Betrügereien. Sie sind mit den Altparteien nicht so sehr aus historischer Verbundenheit verkettet wie der Westen und von daher viel freier in ihren Wahlentscheidungen. Tja, ein gebranntes Kind scheut eben das Feuer und läßt sich nicht so leicht verar… Wenn ALLE Menschen anhand der Wahlempfehlungen des Wahlomaten ihre Stimmen auch Wahlomat-konform abgegeben hätten, sähe das Wahlergebnis in Deutschland jedenfalls ganz anders aus. Wer das wirkliche Debakel zu verantworten hat,… Mehr

Roterbaron67
3 Jahre her

Des Wählers Urteil ist gesprochen, So manches Rückgrat ward gebrochen. Die Lügen der Politbagage Brachten ihn zu Recht in Rage. Doch mit dem Kreuz auf dem Wahlschein, Zahlt er es ihnen jetzt mal heim! Er wirft die Heuchler alle raus, Von mir gibt’s dafür auch Applaus. Jetzt jammert sie, die falsche Truppe, Der Wähler spuckte in die Suppe, Müssen unter Brücken leben, Für die Menscheit ist’s ein Segen. Doch dann bin ich wach geworden Und die Hoffnung ist gestorben. Der Wähler war so dumm wie immer Machte alles nur noch Schlimmer. Geblendet von Gutmenschenschleim Erstickt die Hoffnung schnell im Keim.… Mehr

Brigittchen
3 Jahre her

Da fehlen doch noch ein paar Typen bei den „Erneuerern“ Wo ist der Merkelbückling Altmeier und der Hetzer Wanderwitz?
Diese Partei ist zurecht abgestürzt. Aber was ich nicht verstehe: Wieso wählt man ausgerechnet die SPD und die Grünen? Die stellen doch genau diese miese Politik dar, die die CDU in den letzten Jahren angestrebt hat. Ist dieses Wahlvolk inzwischen derart verblödet geworden, dass sie weiter gegen sie gerichtete Politik wählen?

Rob Roy
3 Jahre her

Keine Erneuerung auch bei den anderen Parteien. Die üblichen Verdächtigen haben sich erneut in den Bundestag geschmuggelt. Wanderwitz, Maas, Lauterbach, Scheuer und viele weitere Politikerdarsteller sind wieder dabei. Der Bundestag bleibt weiterhin in den Fängen einer korrupten und inkompetenten Clique, die über alle Parteigrenzen hinweg verläuft.

Berlindiesel
3 Jahre her

Lieber Air Türkis, die Corona-Politik hat zum Absturz der Union überhaupt nichts beigetragen, so wenig wie sie diese Bundestagswahlen beeinflusst hat. Rund 80% der Deutschen – mindestens – befürworten die Politik der vergangenen 18 Monate oder lehnen sie zumindest nicht ab. Ohne echten Zwang haben sich über 70% der Erwachsenen impfen lassen, die Maskenpflicht wird überall klaglos eingehalten. Wären wir alle Sympathisanten der Querdenker, wäre das eindeutig nicht so. Das war und bleibt einer der großen Irrtümer der Liberalkonservativen Blase. Auch ich bin für eine andere Pandemiepolitik – kann aber mit ihr leben, auch wenn ich speziell die Masken satt… Mehr

josefine
3 Jahre her

Wenn die CDU so weitermacht wie bisher – was zu befürchten ist – wird sie den Staus „Volkspartei“ endgültig verloren haben. Mit Politikern wie Söder und Brinkhaus, die Frau Merkel hofierten und ihr im politischen Sinne hörig waren, wird es keine Erneuerung geben. Laschets Person war nicht (nur) der Grund für die Niederlage der CDU, er war der Anlass der Wahlniederlage. Der Grund lag in der treuen Gefolgschaft der Partei Frau Merkel gegenüber. Ich hoffe, dass sich die CDU in der Opposition erneuern kann, sicher bin ich aber nicht. Wichtig ist vor allem, den Wählerwillen und die Vorschläge ihrer Basis… Mehr

nachgefragt
3 Jahre her

Die Ergebnisse in Meck-Pomm und Sachsen-Anhalt halte ich für genauso unglaubwürdig, wie die Wahlergebnisse in Berlin. Ich schrieb hier bereits etwas dazu. Bisherige Direktkandidaten sollten darauf hinwirken, dass Stichprobenartig neu ausgezählt wird. Die Ergebnisse der SPD bei den Erststimmen sind absolut unrealistisch. Die Ergebnisse widersprechen jeder Logik aus Sicht der Wähler Erst- und Zweitstimme einzusetzen, so wie es sonst überall zu sehen war. Plötzlich bekommen Kandidaten bis zu 20 Prozent mehr Stimmen im Vergleich zur letzten Wahl. Dort, wo starke Unions-Kandidaten sind, mit deren Einzug man sicher rechnen konnte, ein angebliches Kopf-an-Kopf-Rennen mit irgendeinem Noname? Insbesondere in den beiden Bundesländern.… Mehr

Kalmus
3 Jahre her

Wie grandios unfähig diese Partei in der Selbstreflektion geworden ist, zeigt die BT-Abgeordnete Bellmann aus Mittelsachsen, die die Schuld am Wahlergrbnis is Sachsen so verteilt: 1. Laschet (falscher Kandidat), 2. Wanderwitz (Beschimpfung), 3. Kretschmer ( Corona-Politik). Dass die Sachsen gegen die Übernahme der Bundesrepublik durch Rotgrün unter gütiger Mithilfe der CDU-Kanzlerin und ihrer Entourage protestiert haben könnten – viel zu kompliziert. Und unangenehm.

Last edited 3 Jahre her by Kalmus
Mausi
3 Jahre her

Und wieder eine Wahl nach einem Wahlrecht, das nicht verfassungskonform ist. Wie kann das angehen? Seit wievielen Wahlen? Mit wievielen Nachbesserungen? Ernsthaft?
Und das Ergebnis? Freiheit? Nein, beileibe nicht. Vermehrte Anstrengung, die Abweichler auf den Pfad der Tugend zu führen. Angefangen in der Schule, über die Uni, über Corona und hin zum Klima.

Last edited 3 Jahre her by Mausi