Der Wunsch nach Veränderung ist in den USA so spürbar wie seit Ronald Reagan nicht mehr. Das bringt die USA in eine Situation, vor der Friedrich August von Hayek bereits 1944 gewarnt hatte.
Der Wahlkampf zur Präsidentschaft in den USA ist eine Suche nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Besonders der klassisch liberale Beobachter sollte dabei mit Unbehagen auf den Wahltag am 8. November blicken. Weder Donald Trump noch Hillary Clinton bieten dem Wähler einen Weg zu mehr individueller Freiheit und Liberalität. Zwar duellieren sich die beiden heftig auf persönlicher Ebene, inhaltlich ist man sich aber näher, als man zugeben möchte. Ob Trump oder Clinton – lediglich die Facette, welche der autoritäre Staat und die damit einhergehende Misere annähme, würde sich unterscheiden.
Zwei Interventionisten
Beide Kandidaten stimmen in einer grundsätzlichen Ablehnung der Prinzipien liberaler Wirtschaftspolitik überein. Während Hillary Clinton den Bankrott der einheimischen Kohleindustrie aktiv fördern möchte, hat Donald Trump angedeutet, einzelne Jobs durch verschiedenste Subventionen erhalten zu wollen. Anhand der ökonomischen Pläne beider Kandidaten lässt sich außerdem feststellen, dass die massive Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten für keinen der beiden ein Problem darstellt. Sowohl Trump als auch Clinton befürworten zudem das Fortbestehen der Federal Reserve in ihrer gegenwärtigen Form. Nullzinspolitik, quantitative Lockerung und die explodierende Bilanz der Zentralbank werden nicht thematisiert. Wahrscheinlich, weil diese Themen zu komplex scheinen, um für öffentlichen Aufruhr – und damit für Wählerpotential – zu sorgen.
Zwei Merkantilisten
Die Empörung der Menschen konzentriert sich viel mehr auf das Thema Freihandel. Nachdem Hillary Clinton das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) mit Kanada und Mexico in 1994 einst mitverhandelt hatte, betont die ehemalige First Lady heute, dass es sich dabei um einen Fehler gehandelt haben könnte. Donald Trump hat NAFTA ebenfalls kritisiert und angedeutet, die Verträge ändern zu wollen. Die offensichtliche America First Politik beider Kandidaten kann dabei als eine moderne Form des Merkantilismus verstanden werden. Während Donald Trump Zölle auf die Einfuhr ausländischer Produkte erlassen möchte, um den einheimischen Produktionssektor zu schützen, will Clinton der nationalen Industrie mit enormen Steuervorteilen einen Wettbewerbsvorsprung geben. Beide reagieren damit gleichermaßen auf massiven öffentlichen Protest. Niemand versucht zu betonen, dass die kurzfristige schöpferische Zerstörung bestehender Strukturen eine natürliche Folge freien Handels ist, wovon der Wohlstand einer Nation auf lange Sicht aber profitieren könnte. Das scheint für den allgemeinen Wähler aber zu abstrakt zu sein, weswegen die Kandidaten in Opportunismus und Beliebigkeit ihren Weg zum Erfolg gefunden haben.
Generell findet der gegenwärtige US Wahlkampf auf einer reaktionären Protestwelle statt. Auf Seiten der Demokratischen Partei hat die breite Zustimmung für den Sozialisten Bernie Sanders bereits gezeigt, dass die Bevölkerung seinen Ideen gegenüber sehr offen ist. Zu seinen Unterstützern zählen insbesondere junge Leute aus urbanen Gebieten und Studenten. Die Wähler des Unternehmers Donald Trump finden sich größtenteils im ländlichen Raum wieder und bilden das ältere Äquivalent zu den Sanders Unterstützern. Beide Politiker vereint, dass sie im Vorwahlkampf die Antithese zum Status quo und dem Washington Establishment darstellten. Mit der Nominierung von Hillary Clinton zur Spitzenkandidatin der Demokratischen Partei sammelt sich nun ein Großteil der ehemaligen Anhänger von Bernie Sanders um Donald Trump, welcher für seine Unterstützer eher ein Ventil für Wut und Enttäuschung als eine ersthafte programmatische Alternative darstellt.
Trump gegen Clintons Washington
Die Hoffnung nach radikaler Veränderung ist in den USA derzeit noch ausgeprägter als in Deutschland und in Europa. Dass die rhetorische Darbietung Trumps für seine Wähler dabei mehr Gewicht hat als der eigentliche Wahrheitsgehalt, die Umsetzbarkeit oder die Logik seiner Aussagen, gerät dabei in den Hintergrund. Ihn einer traditionellen Denkschule zuzuordnen, ist zudem unmöglich und wird von seinen Unterstützern auch nicht gefordert. Die Abneigung gegenüber der Politik vergangener Jahrzehnte ist stark genug, um eine ausreichende Basis für einen politischen Erdrutsch zu bilden. Was der Mythos des American Dream einst beschwören sollte, ist Vergangenheit. Der Einzelne fühlt sich machtlos. Zu weit weg fühlt man sich von Washington, was wie eine Parallelwelt erscheint. Zu sehr fühlt man sich von Globalisierung und Freihandel überrumpelt. Zu gern erinnert man sich an jene Zeit, als man sich selbst noch stolz zu einer ökonomischen und gesellschaftlichen Mittelklasse zählen konnte. Zu stark scheint die neue Linke in den USA zudem das Leben der Menschen durch immer neue Gesetze und Regeln beeinflussen zu wollen.
Alles das wird von Hillary Clinton verkörpert. Als ehemalige Senatorin von New York, First Lady von Bill Clinton und Außenministerin von Barack Obama verkörpert sie das politische Establishment wie keine andere. Sie einer politischen Strömung zuzuordnen, ist einfacher. Zwar zählt sich Clinton – abhängig der Kreise, in denen sie referiert – gerne auch zu den Moderaten Demokraten, welche sich in der politischen Mitte beheimatet sehen, nicht ideologisch und kompromissorientiert sind. Dennoch machen ihr Programm und jüngste Aussagen deutlich, dass sie Teil der sogenannten progressiven Bewegung ist.
Die Progressive Era begann in den 1890er Jahren als Graswurzelbewegung und freute sich später über wertvolle Errungenschaften wie das Wahlrecht für Frauen. Progressive sehen sich grundsätzlich als reformorientierte Kräfte mit den Hauptthemen Umweltpolitik, soziale Gleichheit oder der Gestaltung einer „fairen“ Wirtschaft. Das ausgesprochene Ziel des Progressivismus ist die Modernisierung der Gesellschaft. Dabei verlässt man sich zunehmend auf die Macht des Staates. Die Freiheit des Individuums spielt eine immer untergeordnetere Rolle. Für die „Erziehung“ des Normalbürgers von einer akademischen Elite nimmt man sogar eine Einschränkung der Redefreiheit in Kauf, was als Political Correctness bekannt ist. Zudem zeigt besonders Hillary Clinton die Bereitschaft, für einen potentiellen Machterhalt auch politische Überzeugungen aufzugeben.
Rot-grüne Hillary
Die ehemalige Außenministerin hat erkannt, dass sie die Demokratische Partei nur hinter sich vereinigen kann, wenn sie sich den Menschen, welche einst den Sozialisten Sanders unterstützten, nicht nur rhetorisch, sondern auch inhaltlich nähert. Das progressive Ziel einer „fairen“ Wirtschaft hat sich Clinton zu eigen gemacht, indem sie eine Erhöhung des Mindestlohns auf bis zu 15 US Dollar sowie eine höhere Besteuerung von Besserverdienern fordert. Erneuerbare Energien würden von Hillary Clinton darüber hinaus noch aktiver gefördert werden als von Barack Obama. Ihre Ziele diesbezüglich erinnern sehr stark an die deutsche Energiewende zwischen 2000 und heute. Darüber hinaus wäre der progressive Traum von einer besseren Welt nicht annähernd vollkommen, wenn der Staat nicht auch noch das Verfassungsrecht auf Waffenbesitz, abschaffen würde. Die desaströsen Auswirkungen dieser Bewegung beobachtet man letztendlich im Erfolg Donald Trumps.
Als Friedrich August von Hayek sein Werk Der Weg zur Knechtschaft im Jahr 1944 zum ersten Mal veröffentlichte, reagierte er damit auf den russischen Kommunismus sowie den deutschen und italienischen Faschismus des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts. Er warnte vor politischen Bewegungen, die durch Ziele wie totale Gleichheit oder grenzenlose Sicherheit um jeden Preis auch in westlichen Ländern attraktiv werden könnten.
Damals waren Donald Trump und Hillary Clinton noch nicht einmal geboren. Dennoch gewinnt man bei genauer Betrachtung der Arbeit des späteren Wirtschaftsnobelpreisträgers den Eindruck, als habe er die diesjährige US-Wahl bereits analysiert, bevor sie ausgetragen wurde. Das, wovor Hayek einst gewarnt hatte, ist politische und gesellschaftliche Realität geworden. Hayek hätte sowohl in Trump als auch Clinton potentielle Navigatoren zur Knechtschaft – also zur Machtverlagerung vom Einzelnen hin zum Staat – gesehen.
Viele US-Amerikaner sind aufgrund ihrer wahrgenommenen Perspektivlosigkeit verzweifelt und haben das Gefühl, an dieser Situation selbst nichts ändern zu können. Hayek stellte früh die These auf, dass man „geistige Unabhängigkeit und Charakterstärke selten bei Menschen findet, die nicht damit rechnen können, aus eigener Kraft ihr Glück zu machen.“ In dieser Situation scheint der radikale Regimewechsel oft der letzte Ausweg zu sein. Donald Trump erweckt durch seinen unternehmerischen Erfolg den Eindruck, dass er auch als Präsident in Washington die Vereinigten Staaten wieder in die „Siegerspur“ bringen kann. Wie er das erreichen möchte, bleibt unklar.
Trump und Clinton für den Heilsbringer Staat
Hayek hat vor der Unterdrückung der Demokratie im frühen 20. Jahrhundert ein Stadium erkannt, welches „von dem allgemeinen Verlangen nach schnellen und entschlossenem Handeln der Regierung und von der Unzufriedenheit mit dem langsamen und schwerfälligen demokratischen Geschäftsgang“ gekennzeichnet sei. Das führe dazu, dass ein Handeln unter allen Umständen gefordert würde. „In einem solchen Augenblicke übt der Mann oder die Partei, welche stark und entschieden genug zu sein scheinen, um »durchzugreifen«, die größte Anziehungskraft aus. (…) Was sie suchen ist eine Persönlichkeit, hinter der genug steht, damit man ihr die Durchführung jeder Aufgabe zutraut.“ So attraktiv ein politischer Paukenschlag auch sein mag, so wenig nachhaltig wird der von Trump sein.
Anders als bei Ronald Reagan in den 1970er und 80er Jahren wird man Donald Trump im Falle eines Wahlsieges nicht mit einem detaillierten ökonomischen Reformpaket vergleichen können, welches er vor der Wahl angeboten hatte. Gewinnt Trump die Wahl, hat er das Vertrauen der Bürger und damit die notwendige Macht gewonnen, um seine Beliebigkeit in welcher Form auch immer politische Realität werden zu lassen.
Hayek war ein überzeugter Demokrat und wusste trotzdem, dass auch ein demokratisches System nicht unfehlbar sein kann: „Durch die Ausstattung der Regierung mit unbeschränkten Vollmachten kann auch die größte Willkürherrschaft legal gemacht werden. Das ist der Weg, auf dem eine Demokratie den denkbar vollkommensten Despotismus aufrichten kann.“
Den USA fehlt eine Alternative zu beiden
Für Liberale ist die Entscheidung pro Individuum immer die bessere Alternative. Genau das widerstrebt jedoch den Idealen des Progressivismus. Man sieht den Staat als Heilsbringer, der das Leben der Menschen durch zentrale Planung zu einem „besseren“ Leben machen kann. Hayek hingegen wusste, dass es „bei den Sozialisten Tradition ist, die Lösung des Problems von der Erziehung zu erhoffen.“ Aber was bedeutet Erziehung im Kontext des US-Progressivismus? Wissen kann selten neue ethische Werte schaffen kann und kann die Menschen schon gar nicht zu einer einheitlichen Auffassung über sittliche Fragen bringen. Hayek dazu: „Zur Rechtfertigung eines bestimmten Planes bedarf es nicht vernünftiger Überlegung, sondern des Bekenntnisses zu einem Glauben. Und tatsächlich erkannten all die Sozialisten sehr bald, dass die Aufgabe, die sie sich gestellt hatten, die allgemeine Annahme einer gemeinsamen Weltanschauung, eines bestimmten Systems von Werten erfordert.“ Progressive US-Eliten versuchen deshalb bis tief in die Gesellschaft hineinzudrängen. Bestimmte Äußerungen, welche von ihnen als moralisch fragwürdig und ästhetisch abstoßend empfunden werden, soll der Normalbürger unterbinden. Das alles soll den Weg zu einer perfekten Welt unterstützen.
Doch wir besitzen eine solche allumfassende Werteskala nicht. „Es überstiege Menschenkraft, die unendliche Mannigfaltigkeit der verschiedenen Bedürfnisse der verschiedenen Menschen zu erfassen und jedem die ihm zukommende Bedeutung zuzuweisen.“ Hayek lehnte diese Form sozialistischer Megalomanie bewusst ab. Hillary Clinton erweckt aber den Eindruck, genau zu wissen, wie ein Farmer in Texas leben sollte, um ein gutes Leben zu haben. Darüber hinaus steht sie nicht nur für autoritäre Planung im Inneren der Vereinigten Staaten, sondern auch für eine Fortsetzung der US Außenpolitik als Weltpolizei und Heilsbringer für Menschen in fremden Kulturkreisen.
Bei aufmerksamer Beobachtung des politischen Geschehens in den USA wird deutlich, dass nur noch diskutiert wird, wer von Trump und Clinton denn das kleinere Übel sein könnte. Ronald Reagan und Abraham Lincoln wären von dieser Entwicklung enttäuscht. Letzterer war der erste amtierende Präsident der damals neu gegründeten Republikanischen Partei. Danach folgte mit der schrittweisen Abschaffung der Sklaverei eine echte Revolution. Wenn die US-Bürger fundamentalen Wandel möchten, sollte sie nach einer echten programmatischen und ideologischen Alternative suchen, die nicht von Seiten der etablierten Parteien kommt. 2016 könnte ein großer Schritt zu dem werden, was Hayek als Knechtschaft bezeichnet hat. 2016 könnte aber auch das Jahr einer dritten Partei werden, die das politische Washington fundamental verändert.
Hendrik Hilpert ist Student an der Syracuse University New York mit den Studiengängen Economics (VWL) und Finance (BWL).
Dieser Text basiert auf einem Vortrag beim Hayek Club Fulda am 30. Juni 2016.
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