Eine Neuformulierung des Liberalismus von Anthony de Jasay

„Den Liberalen macht Anthony de Jasay es […] schwer, wenn nicht intellektuell unmöglich, danach noch ungenau zu argumentieren“.

Liberalismus neu gefasst führt zuerst eine Situationsanalyse des Liberalismus unserer Zeit durch. Der Liberalismus hat ziel- oder wertorientierte Entwürfe, in erster Linie zur Maximierung der Freiheit. Solche Entwürfe sind ebenso geeignet, ihre eigenen Ziele zu vereiteln wie zu fördern. Alternativ strebt der Liberalismus danach, eine volle Bandbreite an individuellen Rechten zu sichern. Die entsprechenden Verpflichtungen, die akzeptiert werden müssen, sind dem Anschein nach kollektiv, aber in Wirklichkeit treffen sie den Einzelnen und sind lästig. Ihre Auferlegung führt zu einer Ausweitung der Regierung. Anthony de Jasay bezeichnet dies als den „losen Liberalismus“.

Der strikte Liberalismus dagegen beruht auf einem stabilen Fundament von sechs Grundprinzipien und ersetzt den losen Liberalismus durch einen widerspruchsfreien. Diese Grundprinzipien sind die entweder selbstverständlich oder können von der Vernunft leicht akzeptiert werden. Diese einfachen, relativ anspruchslosen Prinzipien geben den Umriss einer stabilen politischen Doktrin vor. Die Doktrin ist insofern strikt, als sie den Staat auf obligatorische Aufgaben beschränkt, anstatt ihm einen Ermessensspielraum innerhalb von Regeln zuzugestehen – eine lockere Einschränkung, denn die kollektive Wahl kann ihre eigenen Regeln wählen. Der strikte Liberalismus ruht auf den Begriffen Freiheit und Gerechtigkeit, wobei Freiheit sein oberstes Ziel ist und eine Handlung entweder gerecht oder ungerecht ist. Indem jeder seine Freiheiten wahrnimmt und seinen Verpflichtungen nachkommt verteilen sich Vorteile und Lasten. Anthony de Jasay bezeichnet dies als den „strikten Liberalismus“. Durch die Neuformulierung des Liberalismus versucht Anthony de Jasay dem zunehmenden Missbrauch des losen Liberalismus entgegenzuwirken.

Die politische Doktrin prägt die politische Praxis. In der Politik ersetzt die kollektive Wahl die individuelle Wahl und setzt sie oft außer Kraft. Damit dies legitim ist, reicht es nicht aus, Verfahren zu respektieren, wie sie die Demokratie fordert. Damit kollektive Wahlen moralisch gerechtfertigt sind, brauchen sie auch eine inhaltliche Legitimität. Liberalismus neu gefasst entwickelt die Bedingungen, die substantielle Legitimität erfüllen muss, und beschreibt die begrenzte Klasse von Fällen, in denen eine liberale Regierung den freiwilligen Wahlen ihrer Bürger zuvorkommen darf.
Verglichen mit Hayeks „Verfassung der Freiheit“ ist der Liberalismus von Anthony de Jasay stringenter. „Liberalismus“ von Ludwig von Mises ist eher ein ökonomischer Liberalismus und ist utilitaristisch geprägt. Mit utilitaristischen Argumenten lässt sich die individuelle Freiheit schwer verteidigen, denn individuelle Nutzen sind inkommensurable.

Liberalismus ist mehr als Angebot und Nachfrage, dies hat schon Wilhelm Röpke erkannt. Die Machtbegrenzung der Regierung findet bei Röpke durch Dezentralisierung statt, aber nicht auf individueller Basis. Der Liberalismus ist bei Röpke „Gesellschaft von unten“, widerspruchsfrei kann dies jedoch nur von Individuum ausgehend geschehen. Andere Autoren, wie Rawls oder Popper werden zwar auch oft als „liberal“ bezeichnet, das amerikanische „liberal“ entspricht aber eher der kontinentaleuropäischen „sozialdemokratisch“. Um es kurz zu sagen: Dieses Buch trennt den Liberalen vom scheinliberalen Opportunisten. Oder wie Fritz Georgen in seinem Geleitwort schreibt: „Den Liberalen macht Anthony de Jasay es […] schwer, wenn nicht intellektuell unmöglich, danach noch ungenau zu argumentieren“. „Aus Liebe zur Freiheit“ bildet bei einem Liberalen ohne Wenn und Aber der archimedische Punkt die Freiheitsvermutung.

Der Wettbewerb der Ideen wird intellektuell entschieden. Anthony de Jasay stellt in diesem Buch intellektuelle Werkzeuge in Form von sechs Grundsätzen bereit. Liberale sollten seine Werkzeuge verwenden, um unter Bezug auf Freiheit und Recht widerspruchsfrei zu argumentieren. Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. Deshalb empfiehlt sich auch für Nichtliberale, die Werkzeuge von Anthony de Jasay zu kennen. Möglicherweise könnten sie geeignet sein, ihre Probleme zu lösen.


Burkhard Sievert ist freiberuflicher IT-Berater und hat von Anthony de Jasay die Bücher Gegen Politik sowie Der Gesellschaftsvertrag und die Trittbrettfahrer übersetzt.

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Kommentare ( 4 )

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IJ
3 Jahre her

Dieser liberale Ansatz, der versucht, als neu und widerspruchsfrei daher zu kommen, ist nicht so neu und nur deshalb widerspruchsfrei, weil andere individuelle Ziele als die Maximierung der individuellen Freiheit komplett ausgeblendet werden. In der politischen Realität sowie in vielen Verfassungen haben sich jedoch 4 maßgebliche individuelle Ziele herauskristallisiert: 1. Wohlstand, 2. Freiheit, 3. Innere Sicherheit, 4. Äußerer Frieden. Und so wie die Entwicklung aussieht, gehört wohl auch die nachhaltige Erhaltung einer intakten Umwelt als 5. Ziel zu diesem ehernen politischen Ziele-Kanon. Sich nur ein Ziel herauszugreifen – sei es die Freiheit wie bei den „neuen Liberalisten“ oder sei es… Mehr

Last edited 3 Jahre her by IJ
Ticinese
3 Jahre her

Friedrich v. Hayek („Die Verfassung der Freiheit“):  
»Wie der Sozialist ist der Konservative weniger damit befasst, wie die Macht der Regierung beschränkt werden soll, als wer sie ausübt; und wie der Sozialist hält er sich für berechtigt, seine Wertsetzungen auch anderen Leuten aufzuzwingen. … 
Eine freiheitliche Regierung ist auf Argwohn aufgebaut, nicht auf Vertrauen. … 
Das Wesentliche des Liberalismus ist, dass er nicht stillstehen, sondern in anderer Richtung fortschreiten will.«
 
 

Dieter Kief
3 Jahre her

Anthony de Jasay wird es kaum einem Liberalen erschweren, ungenau zu argumentieren. Denn die geistigen Athleten (Sloterdijk) sind stets das eine, und die – Lberalen z. B. sind stes das andere.
– Es irrt der Liberale, solang‘ er strebt, / Da auch er das normale Leben lebt / Das der Irttum unfehlbar begleitet / Solange wer die Lebensbahn beschreitet // (weiter weiß ich nit / denn des Gedankens Tiefe / Hält nicht unendlich Schritt / Mit dem was ich sage / dieser Tage /// hehe).

Last edited 3 Jahre her by Dieter Kief
andreask90
3 Jahre her

„Liberal“ hat in den USA eine ganz andere Bedeutung heute als bei uns. Während es bei uns tatsächlich noch eine individuelle Entscheidungsfreiheit möglichst vieler Bereiche bedeutet, ist es in den USA eine Abtretung dieser Freiheiten an den Staat, tatsächlich aber an seine Hintermänner, korrupte Politiker, Millionäre, Milliardäre, die es „besser“ wissen als der einfache Bürger.
Liberal hat sich dort zu einem Schimpfwort entwickelt. Wir sollten also stark differenzieren.