Der Talk bei Anne Will zur Griechenland-Krise: Das laute Schweigen des Wolfgang Bosbach

Manchmal sind es die leisen Töne in den lauten Talk-Shows, die die eigentliche Wahrheit vermitteln. Etwa als gestern bei Anne Will der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach schilderte, wie schwer es ist, Recht zu haben, Recht zu kriegen – aber gegen die Vernunft stimmen zu müssen. Nach fünf Jahren Euro-Rettung steht Europa wieder da, wo es 2010 angefangen hat mit der Retterei – nur 240 Milliarden Euro später, bei zunehmender gesellschaftlicher Verwahrlosung und sozialer Katastrophe in Griechenland, steigenden Konflikten innerhalb der EU. Nichts hat es gebracht: der Euro ist Weichwährung, die Schulden steigen, die Prinzipien des Euros zerstört – und Griechenland ist wieder bankrott, oder besser gesagt: Die Kohle is fott. Frische muß her, mit alten Argumenten zu neuem Kredit. Die Antwort ist ein brüllendes Weiter-So. 

Das dies Unsinn ist, weiß man, und wer es nicht weiß, der muß nur dem zappelnden  „Sonderbotschafter“ Griechenlands, Jorgo Chatzimarkakis zuhören. Wie er sich windet und dreht und fuchtelt, um die immer wieder gleiche Botschaft unterzubringen, dass die, die Griechenland geholfen haben, die eigentlichen Bösewichter sind; zukünftig gehört bestraft, wer einem Ertrinkenden einen Rettungsring zuwirft. Und bei diesem Affentheater schilderte Bosbach, diese rheinische Frohnatur, dieses Schlitzohr, und dieser geradlinige, ehrliche Konservative, wie er in seiner Fraktion angfeindet wird – obwohl er frühzeitig auf das hingewiesen hat, was sich jetzt wieder bestätigt. Wie er schweigt, um nicht wieder als Aussenseiter zu gelten; wie der Bundestag am kommenden Freitag wieder einem Rettungspaket zustimmen wird, das nicht nur falsch ist – sondern seine Falschheit ausgiebig bewiesen hat.

„Ich stimme nicht gegen Frau Merkel“, stellte Bosbach klar. „Mir fällt es schwer gegen die eigenen Kollegen zu argumentieren, aber ich muss bei meinen eigenen Überzeugungen bleiben.“

Überzeugungen? Am Freitag werden dann  die braven Abgeordneten der Großen Koalition, unterstützt von der sogenannten Opposition der Auch-dabei-sein-Woller, wie eine Schafherde zur Abstimmung geführt und jeden anblöken, der ausschert.

Das Schlimme dabei ist: Man wendet sich mit Grausen ab. Der Bundestag wirkt wie eine ferngesteuerte Abwinkmaschine, und seine Debatten reduzieren sich auf Bestätigung der sich bestätigenden Meinung, dass das alles alternativlos sei. Doch offen blieb auch bei Bosbach die Frage: Wo ist eigentlich das freie Mandat des Bundestagsabgeordneten auf der Strecke geblieben? Wann hat der Bundestag den Grundsatzbeschluss gefaßt, dass er wie die russische Duma oder der chinesische Volkskongress seine vornehmste Aufgabe darin sieht, die Regierung zu bestätigen?

Der Euro zeigt damit eine weitere destruktive Kraft: Er ist dabei, die Demokratie in Deutschland zu zerstören. Denn so ein politisches System – das jeden Abweichler ausgrenzt und einer erwiesenermaßen falschen Politik nachläuft: man wendet sich mit Grausen ab. Die Zwänge des Euros zwingen offenbar die Politik in eine Maschinerie der politischen Selbstaufgabe. Es ist bei Bosbachs leisen Worten, als würde die Stille laut – atemlos. Und dann geht man weg, erschüttert. Die leisen Töne des Wolfgang Bosbach haben die brutale Wahrheit über den Missstand dieser Politik herausgebrüllt.

Fast beginnt man sich in Deutschland nach einem Tsipras zu sehnen, einem jungen Bosbach, der einfach sagt: „Nein! Wir machen da nicht mehr mit. Kann ja sein, dass es schwierig wird. Aber Schluß jetzt mit der blinden Durchwinkerei.“

Aber das wird nicht geschehen. Längst lautet ja das Totschlagargument: Wer gegen den Euro ist, ist gegen Europa. Oder gegen die Wirtschaft. Dabei braucht man gar nicht einmal gegen den Euro zu sein – nur gegen diese Form der Euro-Retterei. Eine Retterei, die nach vielen Milliarden wieder an ihrem Ausgangspunkt angekommen ist, aber ungerührt so weiter macht – obwohl diese Rederei dabei ist, das friedliche Miteinander in Europa zu zerstören und letztlich die gemeinsame Union, das geliebte Europa in die Luft zu sprengen.

Aber die Schafherde marschiert. Und Bosbach steht am Rand, so ziemlich als letzter. Unterstützt wird er noch von einigen, die ihre persönliche Unabhängigkeit erworben haben wie Peter Gauweiler und Peter Ramsauer, beide CSU, Klaus-Peter Willsch von der CDU. Ihre Einwände werden in der Abstimmung von den folgsamen Zustimmern und Dabei-sein-Wollern niederapplaudiert werden. Die Herde zieht weiter.

Nachtrag: Auch Dagmar Wöhrl will nicht mitmachen und schreibt: „Die sogenannte Reformliste ist weder inhaltlich schlüssig, noch ist erkennbar, wie die angedachten Maßnahmen eine substanzielle und langfristige Verbesserung für die griechische Bevölkerung bewirken sollen. Es scheint sich bei einigen Vorschlägen der Liste  eher um aktionistische Maßnahmen zu handeln, bezüglich deren tatsächlicher Umsetzung ich doch erhebliche Zweifel habe, wenn ich mir die letzten fünf Jahre genau anschaue. Dies gilt für die Pläne zur Bekämpfung der Korruption und der Steuerhinterziehung ebenso, wie für die Ankündigung, das Justizwesens zu modernisieren und die Arbeit der griechischen Behörden effizienter zu machen. Solche Ankündigungen kennen wir aus der Vergangenheit zu Genüge.“




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