Vernunft und Realitätssinn – was Reiner Haseloff von Angela Merkel unterscheidet

Der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Reiner Haseloff könnte als Vorbild dienen für die CDU in der Nach-Merkel-Zeit. Vergleicht man seine DDR-Biografie mit der der Kanzlerin, wird der Unterschied deutlich. Haseloff träumt nicht von einer Gesellschaft der Gleichen mit Menschen, die dazu erzogen werden müssen.

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Reiner Haseloff

Die Kanzlerin und ehemalige Vorsitzende der CDU dürfte sich über die Entscheidung ihres Parteifreundes in Magdeburg, eine „Deutschland-Koalition“ gemeinsam mit SPD und den Liberalen zu bilden, nicht besonders amüsiert haben. Ihre Sympathien gelten unzweifelhaft einer Ehe mit den Grünen und, wenn es unbedingt sein muss, der FDP als fünftes Rad am Wagen. Das hätte man dann auch als Omen für die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl interpretieren können.

Doch dem nüchternen Mann gleichen Jahrgangs aus Sachsen-Anhalt geht es eben mehr um das Machbare im gesetzten Rahmen des freiheitlichen Selbstverständnisses der Bundesrepublik, wie es – und auch das muss man immer wieder sagen – die Deutschen in der DDR bei ihrer Zustimmung in freien Wahlen am 2. Dezember 1990 zum Beitritt in den Geltungsbereich des Grundgesetzes für sich akzeptiert und übernommen haben. Die Wiedervereinigung auf diese Weise, und Angela Merkel hat da aus ihrer Meinung keinen Hehl gemacht, entsprach nicht ihren Vorstellungen. Sie erträumte eine reformierte DDR, sozusagen ein bisschen von allem – jedenfalls keinen Beitritt zur Bundesrepublik. Sie, wie auch der erste frei gewählte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, hätten gern noch ein bisschen DDR weitergespielt. Diese Pläne hatten aber nur einen entscheidenden Schönheitsfehler: Die Mehrheit der Menschen zwischen Elbe und Oder wollte das genau nicht. Insofern ist auch das geschichtsklitternde Gerede von einer Übernahme der DDR oder gar dem „Überstülpen“ der bundesdeutschen Ordnung auf die DDR ein Stück aus Grimms Märchenstunde. Immer wieder von Gysi & Co, und, etwas leiser, auch von Merkel gern erzählt, was es aber auf keinen Fall wahrer macht.

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Haseloff will eindeutig in diesem System leben, er will keine „kleine DDR“. Schon ein Blick auf die Biographien dieser beiden ostdeutschen Politiker zeigt die Unterschiede. Nahezu gleichaltrig schlugen beide auch gleiche Wege ein – das Studium der Physik. Nur Haseloff wurde dabei nicht Sekretär für Agitation und Propaganda der FDJ, machte auch keinen Doktor-Titel und war vor allem, anders als Merkel, kein West-Reisekader. Nach Abschluss seines Studiums kam der bekennende Katholik lediglich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Institut unter. Durch die frühe Mitgliedschaft in der Block-Partei CDU konnte er dem Druck einer SED-Mitgliedschaft ausweichen, wie so viele andere auch. Erst nach der Wiedervereinigung erwarb er 1991 an der Humboldt-Universität seinen Doktor-Titel. Es gibt sie eben doch, die feinen Unterschiede.

Haseloff war freilich auch kein Widerstandskämpfer, aber er stand passiv abseits. Umso mehr wusste er den Wert der Freiheit zu schätzen und machte folgerichtig im vereinten Deutschland schnell Karriere. Haseloff träumt nicht von einer besseren Gesellschaft der Gleichen mit Menschen, die dazu erst noch erzogen werden müssen. Im Kanzleramt und im Konrad Adenauer-Haus ticken die Uhren da anders. Systematisch wurden in den letzten 15 Jahren die Werte-Parameter dieser Gesellschaft auch für den ganz persönlichen Bereich neu definiert und ideologisch aufgeladen. Es passt dazu, dass im Hause der Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) Modelle eines sozialen Punkte-Systems für die Untertanen nach chinesischem Vorbild durch die Prognos-AG erstellt wurden. Nur zum besseren Verständnis: Im kommunistischen China registriert das diktatorische Regime die „sozialen Verhaltensweisen“ jedes Einzelnen und verhängt im Ergebnis Strafen oder spendiert Nettigkeiten. So dürfen eben Manche nicht ins Ausland reisen oder auch kein Studium absolvieren. Zugespitzt könnte das in Deutschland heißen, wer die Gender-Sprache nicht akzeptiert, oder sich nicht impfen lässt, hat schlechte Karten im Leben.

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Was wundern muss, ist der ausbleibende Aufschrei. Zu Beginn der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts genügte die bloße Ankündigung einer Volkszählung, um zigtausende Studenten, aus Angst vor der Rückkehr des Dritten Reiches, kreischend auf die Straße zu bringen. Was ist nur geschehen in diesem Lande, dass die Vorbereitungen der Massenbespitzelung so gleichgültig hingenommen werden? Auch die Tatsache, dass immer mehr Menschen Angst haben, ihre Meinung zu bestimmten Fragen offen zu äußern (Quelle: Allensbach-Studie, Mai 2021) löst keinerlei Unruhe aus. Eigentlich müsste dies für den Bundespräsidenten Anlass zur Nachdenklichkeit und klare Worte an die Gesellschaft sein. Doch aus dem Schloss Bellevue hört man nichts. 

Kurzum, der CDU sind mehr Haseloffs zu wünschen. Dass dieser Mann Mut hat, zeigt allein seine Stellungnahme im Bundesrat zur Notverordnung des Bundes über die Länder hinweg. Haseloff sprach von einem Tiefpunkt in der Geschichte des Föderalismus in Deutschland. Mag sein, dass auch Andere in der Union so denken, nur der Mut zu offener Kritik an der Chefin ist ihnen längst ausgetrieben worden. Es ist keine Frage, dass der Abgang von Merkel auch eine Zäsur in der Geschichte der CDU, und damit dieses Landes, darstellen wird – nur welche? Armin Laschet hat es in der Hand: mehr Haseloff oder weiter auf dem Kurs des Geisterschiffes.

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Kommentare ( 41 )

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Wilhelm Roepke
3 Jahre her

Das ist grundsätzlich richtig, aber das Problem ist die nächste Generation. Die Paul Ziemiaks, die Dorothee Bärs, die Serap Gülers, die Philipp Amthors.

Wo ist der junge Gauweiler, der junge Dregger, der junge Kohl, der junge Stoltenberg, der junge Barzel, vom jungen Adenauer oder Erhardt gar nicht zu reden? Sie gibt es nicht mehr. Allerdings bleibt die Hoffnung, dass die ganzen Merkel-Adlaten jetzt in Ungnade fallen, wenn die Krone weiterwandert. Vielleicht trauen sich dann die letztgenannten wieder, in die Union einzutreten.

Nibelung
3 Jahre her

Der dortige Ministerpräsident hat doch nur die Koalition schwarz/rot/gelb gewählt, weil er sich da nicht so unter Druck setzen lassen muß und einen gegen den anderen ausspielen kann und das wäre bei den Grünen nicht so ohne weiteres möglich gewesen und im Ernstfall ist das Bündnis ja nicht für ewig geschlossen, da könnten noch so manche Überraschungen auftauchen, wenn es für den Platzhalter eng wird, wobei man sein fulminanntes Ergebnis aus heiterem Himmel heraus auch anzweifeln kann, hoffentlich erweist es sich nicht als Trump`sche Linie, weil denen mittlerweile alles zuzutrauen wäre.

W aus der Diaspora
3 Jahre her

In welche Richtung sich Laschet entwickeln wird werden wir garantiert erst nach der Wahl erleben. Denn Merkel hat zuviel Macht, sie würde Wege und Mittel finden um Laschet noch los zu werden.
Die gefährlichste Zeit dürfte die zwischen Wahl und Regierungsbildung sein. Da hat die aktuelle Regierung die absolute Macht und kann noch schnell ein paar Eier legen.

Sonny
3 Jahre her

Abwarten. Ich bin weit entfernt davon, einem Politiker der Altparteien auch nur irgendwelche guten Motive für die hier lebenden Menschen zu unterstellen. Das Leben ist teuer geworden. Meine Mutter verfügt über nicht einmal 900,- Euro Rente, sie liegt knapp darunter, dabei hat sie ihr Leben lang gearbeitet. Mit dieser winzigen Rente finanziert sie ihr kleines Häuschen mit ihrem Garten und ihr Leben, mehr schlecht als recht und mit unserer Unterstützung. Sie duscht nur kalt, zieht überall die Stecker heraus, leistet sich keinerlei Urlaubsreisen und ist auch sonst höchst sparsam. Die nächste, fast nicht zu stemmende Hürde ist die Grundsteuerreform. Zweifelt… Mehr

Johann Thiel
3 Jahre her
Antworten an  Sonny

Guter Beitrag, Sie haben völlig recht. Leider sind aber viel zu wenige Menschen im Land bereit, sich mit den politischen Entscheidungen auseinanderzusetzen und diese unfähigen Politiker abzuwählen. Lieber schalten sie den Fernseher ein und lassen sich manipulieren.

Nibelung
3 Jahre her
Antworten an  Sonny

Ihr letzter Absatz zu den einzelnen Menschenschicksalen. Die interessieren sie schon, aber nicht was die eigenen Bürger anbelangt, sie wollen ja die halbe Welt versorgen und dann bleibt kein Gedanke mehr für die indigene Bevölkerung übrig, was außerhalb der Alimentierung liegt um die Massen ruhig zu stellen.

Kalmus
3 Jahre her

Da ist doch eine junge Funktionärin ohne Lebenserfahrung, aber voller Gefühlen und Träumen genau das Richtige für Sie aus irgendeiner jüngeren Generation. Spätestens wenn keiner mehr weiß, wie Brot backen geht, weckt Sie der Hunger auf.

Max Anders
3 Jahre her

Danke für diese Klarheit, genau so ist meine Wahrnehmung, daß parteilose Kommunisten, welche nichts anderes als Spielarten eines Dieterich Heßlings waren (und dies jetzt auch wieder ausleben können) dieses System mehr gestützt haben, als es Parteimitglieder je könnten. Und genau diese Konstellationen haben wir aktuell wieder und die kritisch gebliebene Generation derjenigen, welche den Mauerfall wenigstens als Jugendliche erlebt haben, hat aktuell ein böses Deja Vue. Ich bin froh, daß wir ein Stück dieser Erfahrungen auch an einen Teil unserer Kinder weitergeben konnten, was die erhebliche Diskrepanz im Wahlverhalten und im Opponieren gegen den Corona Wahn zwischen Mitteldeutschland und dem… Mehr

Herbert Wolkenspalter
3 Jahre her

Dasselbe wäre auch erreichbar, wenn sich die AfD-Wähler etnschlössen, Union oder FDP zu wählen, womit eine Regierungsmehrheit ohne rot und grün zustandekäme.

Das ergibt eine klare demokratische Legitimation, wo auch endlich wieder anders nachgedacht werden kann – und die veröffentlichenden Zeitgeistigen merken, dass sie der mehrheitliche Zeitgeist auch ohne Fingerzeig auf die AfD gar nicht sind. Die AfD darf wiederum daran denken, dass man zum Wohle des Volkes auch die Segel aus dem Wind nehmen kann.

Andernfalls ist das Risiko nicht vom Tisch, dass Annalena am Ende doch noch Kanzlerin wird.

Berlindiesel
3 Jahre her

AfD-Wähler, erst recht die im Osten, sind nicht CDU-affin. Würden sie die AfD, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr wählen wollen, wäre die CDU weder ihre erste noch ihre zweite Option. Gleiches gilt auch umgekehrt für die verbliebenen CDU-Wähler. Wenn AfD-Wähler die Partei fallenließen, würden sie – in dieser Reihenfolge – wechseln: 1. Nichtwähler werden, 2. Partei die Linke, und, falls diese es je schafften, die Fünfprozenthürde zu überspringen, dann die Freien Wähler. Ein kleiner Teil würde wohl zu rechtsradikalen Parteien zurückfallen, wo sie früher herkamen, also NPD und Co. Ich kenne keinen AfDler, für den die Union je… Mehr

ludwig67
3 Jahre her

Anscheinend haben Sie recht verklärte Erinnerungen an die letzte Schwarz/Gelb-Koalition.

Herbert Wolkenspalter
3 Jahre her
Antworten an  ludwig67

Ich rede von der Zukunft, einem neuen Kanzler und gemachten Erfahrungen – Sie von der Wiederholung der Vergangenheit, ludwig87.

Herbert Wolkenspalter
3 Jahre her

Sie können von der CDU nicht die heißen Eisen des AfD-Programms erwarten – und es wäre auch kein Vorteil, weil die Reaktion dann doch wieder nach links ginge – aber eine konservativ-liberale Koalition hat andere Möglichkeiten als mit einer grünlinken Partei in der Regierung.

CDU/FDP müssten weniger Rücksicht auf grünlinke Medien nehmen, wenn sie vom Wähler trotzdem gewählt werden. Der ÖR wäre veränderbarer. Politik ist nicht statisch.

Von der AfD ist nichts zu haben, weil sie nicht mitregiert und Einbringungen abgelehnt werden, egal ob manches vernünftig ist. Die AfD ist gespalten, somit für Wähler unkalkulierbar.

RUEDI
3 Jahre her

Wieviel Heiligenschein noch für den lupenreinen Opportunisten Hasi-loff. Ich sehe ihn sprichwörtlich die Faust in der Tasche ballen -und wenn Merkel seibert oder nur mit den Augen rollt zuckt er zurück. War schon 2016 kurz vor der (seiner) Wahl so – dehalb wurde ja versucht den Türkei-Flüchtlings-Deal noch vorher mit aller Macht durchzusetzen – nur wegen AFD. Ich sehe noch die Bilder Hasi-loffs mit drapierten „Flüchtlingskindern“ in der Hofpresse, die gequält lächeln mussten. Er ist ein Getriebener seine eigenen Blockparteien und der Angst vor der AFD. Siehe auch sein Abducken vor einer „GEZ -Abstimmung“ – und das noch als Große… Mehr

Johann Thiel
3 Jahre her

Wie soll er, wenn nicht einmal die alternativen Medien Willens sind, über die Möglichkeit zu schreiben, die sich aus einer Koalition mit der AfD ergäben.

Deutscher
3 Jahre her
Antworten an  Johann Thiel

Auch die alternativen Medien sind nur eine handvoll Leute, die ihre persönliche Meinung rausposaunen.

Politiker werden wohl lernen müssen, auch diese zu ignorieren, wenn man sie als rechtsliberaler Wähler ernstnehmen soll.

Johann Thiel
3 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Das ist richtig, wer konservative Politik machen will, muss bereit sein, dies gegen den Widerstand der Medien zu tun.

Cabanero
3 Jahre her

Was Herr Gafron in seinem Beitrag leider unter den Tisch fallen läßt, ist die Tatsache, warum und aus welchem Grund diese Koalition zusammenkommt. Sie ist nämlich nicht nur, wie die vorherige, eine reine AfD-Verhinderungskoalition, sondern zusätzlich sogar eine CDU-Verhinderungskoalition. Darum, und nur darum ließ sich vermutlich die FDP darauf ein, der Koaltion beizutreten, sieht man mal von den schönen Versorgungsposten ab. Was im Beitrag nämlich nicht steht, ist, daß CDU und SPD bereits eine Mehrheit im Landtag haben. Eine Stimme. Sie bräuchten also gar keinen dritten Koalitionspartner. Die Grünen, nämlich doch erste Adresse von Herrn Haseloff, schon in der letzten… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Cabanero