Nicht nur Matteo Salvini kann sich offenbar gut vorstellen, dass Premierminister und Ex-EZB-Präsident Mario Draghi noch in dieser Legislatur zum Staatspräsidenten wird. Draghi scheint in seiner Mehrparteienregierung Salvinis Lega näher zu stehen als den Sozialisten.
Ein Kurzbesuch samt Fragerunde in einem Kindergarten reichte aus, um eine (mediale) Kettenreaktion auszulösen.
Auf die Frage eines Vorschulkindes, ob der Job des Staatspräsidenten etwa anstrengend sei, wie die Tageszeitung Il Tempo berichtet, entgegnete der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella väterlich ausschweifend, nun, als er Präsident Italiens geworden sei, habe er schon eine Vorahnung gehabt, worauf er sich nur eingelassen habe, doch er habe „schnell bemerkt, welch gute Mitarbeiter ich habe“, die ihm Vieles abgenommen haben.
Der nächste Satz dann wurde immer wieder in den Zeitungen und Radio- oder Fernsehnachrichten analysiert, nämlich: „Aber bald, in circa acht Monaten endet meine Zeit als Präsident, und dann habe ich Zeit, mich auszuruhen.“
Acht Monate? Wie die Zeit doch vergeht! Das würde aber auch bedeuten, mitten hinein in die noch andauernde Legislatur des aktuellen Kabinetts, und eben dieses schlägt natürlich auch Kandidaten als Nachfolger Mattarellas vor.
Aber derzeit gibt es nun mal, glaubt man italienischen Politexperten, gar nicht so viele mögliche Kandidaten, denen man zutraut, wie Mattarella eine Art Bindeglied zwischen Regierung und dem Volke zu sein.
Die Gunst der Stunde nutzte Legachef Matteo Salvini in einem Interview mit der spanischen Zeitung El Pais, wie Il Giornale berichtet, indem er auf den Wechsel im ‚Quirinale‘, dem Palast des Staatsoberhauptes, angesprochen wurde, sogleich auch den Namen Mario Draghis ins Spiel brachte.
Wie? Draghi, gerade mal drei Monate als Premier im Amt, und schon Kandidat für die höchste Stelle als Repräsentant? Nun, man merkt es Draghi hin und wieder an, dass ihn das politische Kleinklein in seinem Kabinett oft nervt, wenn er zwischen den politischen Lagern und verhärteten Fronten (PD gegen Lega, also Enrico Letta gegen Matteo Salvini) moderieren muss. Während sich Draghi auf sein Team der parteilosen Technokraten verlassen kann, empfindet er wohl Unbehagen bei den Störfeuern der Parteien. Auch medial ständig etwas kommentieren zu müssen, ist nicht die Welt des ehemaligen EZB-Chefs. Umso erstaunlicher, dass besonders der rechte Flügel im Kabinett, Lega und Forza Italia, Draghi sehr loben. Salvini hebt die gute Zusammenarbeit mit ihm stets hervor.
Gleichzeitig beschwichtigt Salvini fast gönnerhaft: „Es ist ja noch nichts entschieden, aber wenn er sich dafür entscheiden und präsentieren würde“, dann würden sie ihn, Draghi, natürlich sofort unterstützen. Denn, so der Vorsitzende der Lega, wer als Ministerpräsident einen tollen Job mache, sei auch zweifelsohne als Präsident Italiens, „bestens geeignet.“ Ist das nun ein Lob oder wegloben?
Eines dürfte klar sein: Der gebürtige Römer und bei den Jesuiten als Schüler aufgewachsene Mario Draghi wird geschmeichelt sein. Das höchste moralische Amt, wenn auch eher repräsentativ? Aber eben eine Instanz, auf die die Bürger hören? Draghi würde wohl kaum ablehnen. Und gleichzeitig fuhr Salvini den Sozialisten der PD um Enrico Letta in die Parade. Die würden nun tatsächlich „brutta figura“, eine schlechte Figur machen, einen Kandidaten wie Draghi klein zu reden.
Während sich die anderen Koalitionäre – Fünfsterne und PD – zurückhielten, diese Personalie zu kommentieren, schossen besonders die Sozialdemokraten gegen Salvini: Der sorge sich wohl mehr um seine Umfragewerte und Mehrheiten, er solle doch endlich mit der Lega die Regierung verlassen. Darauf, wer weiß das schon, hat es Salvini vielleicht sogar abgesehen. Auf Neuwahlen jedoch, denn ein Abdanken des Premiers Draghi auf dem Weg zum Präsidenten Draghi würde natürlich Neuwahlen schneller möglich machen, und nicht erst 2023.
Matteo Salvini kontert Letta aus, indem er immer erwähnt, die Lega habe ganz klar das Ziel, mit Draghi und diesem Kabinett den Recovery Fund, also die Corona Wiederaufbauhilfen umzusetzen. Der linke Hardliner Enrico Letta (ver)schießt fast täglich seine Munition gegen: Salvini, die große Gefahr. Traut ihm bloß nicht, weder bei den Wiederöffnungen der Wirtchaft und Restaurants, noch bei den Forderungen nach mehr Kontrollen gegen illegale Migration nach Italien und Europa. Die PD und Letta verlieren zwar an Zuspruch in der Bevölkerung, votieren aber offen pro Migration. Die PD, so Letta, sei immer an der Seite der Geflüchteten. Von Menschenhandel und Kriminalität möchte die PD nichts hören.
Mario Draghi als Premier musste in den vergangenen Wochen bereits mehrmals einlenken und Klartext sprechen. Erst einmal müsste die illegale Migration kontrolliert und unberechtigte Migranten ohne Asylgrund schnell zurück geführt werden. Es sei auch Aufgabe der EU, nach Lösungen zu suchen.
Eine Abfuhr holte sich Enrico Letta dann persönlich bei einem Gespräch mit Draghi, als er für etwaige Steuererhöhungen werben wollte, die der arbeitssuchenden und perspektivlosen Jugend zugute kommen sollten. Die Erbschaftssteuer, aber auch Abzüge auf Vermögen, wollten die Sozialisten erhöht wissen. Draghi befand, „es sei gerade nicht die Zeit“, Steuern zu erhöhen, die Bürger brauchten Geld und Zuversicht. Nichtsdestotrotz scheinen sich die italienischen, und damit auch europäischen Sozialisten irgendwie ziemlich sicher sein, eine Art Politikwechsel auch ohne die mehrheitliche Zustimmung der Bürger durchziehen zu können.
Die Italiener, das kann man schon sagen, litten stark und verzichteten während der Pandemie. Staatliche Hilfen, immer wieder ein großer Streitpunkt, waren eher ein Tropfen auf dem heißen Stein. Insolvenzwellen von Unternehmen aller Branchen machten sich breit. Nun sind viele Tourismus- und Gastrobetriebe vor allem der Lega dankbar, die sich für schnellere Öffnungen, bei aller Vorsicht, stark machte.
Es sah kurze Zeit nach einem glatten Punktsieg für Salvini und dessen Lega aus. Aber Draghi, um Ausgleich bemüht, erteilte auch Salvinis Plänen einer einheitlichen 15-Prozent-Flat-Tax für die breite Mitte und kleineren Unternehmen eine Absage. Da lässt Draghi wohl lieber seine Finanzexperten ran.
Nichtsdestotrotz, man kann schon festhalten, dass sich Draghis Politik näher an der Lega befindet. Bleibt es auch so? Letztendlich wird es darauf ankommen, wie die Wirtschaft nun wieder aus den Startlöchern kommt, und ob der Tourismus rechtzeitig brummt, aber auch, ob Mario Draghi demnächst tatsächlich als Staatspräsident kandidieren wird.
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es gibt mehrere Interviews von hochangesehenen ehemaligen EU Politikern, die nichts über den Hintergrund von Draghi in die Kamera sagen wollten.