EU: Was ist das Recht wert, wenn die Staaten sich ihm nicht unterordnen?

Fernab von New Yorker Hipstern, Bostoner Intellektuellen und den Startup-Helden des Silicon Valleys leben Menschen, die mit dem Establishment längst abgeschlossen haben. Die von der Elite nichts mehr erwarten, denen die Errungenschaften einer modernen und global vernetzten Demokratie schlicht egal sind.

Zeichen und Wunder geschehen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am SONNTAG: Georg Meck zieht nach einem Jahr Lehren aus „Wir schaffen das“ und der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Schon der 1. Lehrsatz hat es in sich: „Auf Rechtsbruch läßt sich kein Rechtsstaat aufbauen“.

Wenige Zeilen genügen, um den Zusammenbruch der Europäischen Rechtsordnung abzuhandeln, die nach Städten gegliedert ist, in den Vereinbarungen getroffen wurden, die dann in der ersten Stunde der Bewährung hinfällig wurden: „Maastricht“, „Dublin“, „Schengen“. „Was ist ein Rechtsstaat wert, wenn die Staaten sich ihm nicht unterordnen?“, stellt Meck die Frage und dröselt auf, dass die Rückkehr zum Recht fast unmöglich ist – was man ja nach dem Bruch der Währungsverträge von Maastricht erfahren hat und sich in der Flüchtlingsfrage wiederholt.

Mecks weitere Lehren sind ähnlich provokant: „Hütet Euch vor dem Rassismus der Gutmenschen“, empfiehlt er, oder „Nicht jeder kommt in guter Absicht“. Man hat ein Aha-Erlebnis, wenn er Selbstverständliches ausspricht wie: „Humanitäre Hilfe gibt es nicht umsonst“, oder „Der Islam hat ein Frauenproblem“. Auch die eigene Branche und damit die eigene Zeitung läßt er nicht aus: „In der Flüchtlingskrise haben sich manche Medien um Kopf und Kragen geschrieben und gesendet“ … “Früher nannte man das Propaganda“. Und er endet mit dem ebenso simplen 10. Gebot: „Es geht nicht ohne Grenzen“.

Früher nannte man das Propaganda

Auch ansonsten löckt der Wirtschaftsteil gegen den Stachel und findet manch Gutes an der allerneuesten Gentechnik; und so hübsch überzogen ideologieblind drischt der gewerkschaftsnahe DIW-Steuererhöhungsexperte Stefan Bach auf alle „Neoliberalen“ ein, dass man gerne wieder einer werden will und Forderungen nach einer Steuersenkung für vernünftig, nicht pervers und abartig hält. Man spürt an diesen zwei Stellen, dass das überzogene Gummiband zurückschlägt und kluge Köpfe wieder zu Wort kommen.

Hilflos rudert der Geldteil.In der Politik sollen Parteifreunde die ärgsten Feinde sein; das wussten wir schon seit der Steigerung „Feind, Todfeind, Parteifreund“ und hilft uns bei der Geldanlage nicht sehr viel weiter. Die Lage ist so, dass einem zur schleichenden Zerstörung des Geldsystems eben nichts mehr Neues einfällt. Die Abschaffung des Bargelds wird herbei interviewt und der Zusammenhang nicht ganz gesehen zu der Information, dass Bankschließfächer rar werden. Aber Wahrheit setzt sich eben aus Splittern zusammen. Und so suchen die Menschen nach Auswegen – nicht allen stehen private Vermögensverwalter zur Verfügung, die mit Schaudern ob ihrer Kunstfertigkeit beschrieben werden. Geld ist ein Wertspeicher; wird er zerstört, leiden die mittleren Einkommen am stärksten. Die Großen fliehen, die Kleinen haben nichts zu verlieren, und so beginnt die große Umverteilung.

Ansonsten freut uns der Aufmacher auf der Seite 1 unten, dass der türkisch geführte und subventionierte Moscheen-Verband Ditib verspricht, zukünftig von Ankara unabhängiger zu werden. Die von Erdogans Staatskanzlei beamteten, nur türkisch sprechenden und kulturell völlig fremden Imame in deutschen Moscheen sollen in 10 Jahren zur Hälfte aus Deutschland kommen. Das ist ja eine gute Nachricht – die Propaganda der Türkei, ihr eiserner Griff auf die türkischstämmigen Deutschen soll also ganz allmählich gelockert werden, die Religion und nicht mehr nationalstaatliche Interessen an erste Stelle rücken. Es ist also noch viel Platz, für das oben beschriebene Gummiband, in seine Ruhelage zurückzukehren.

Ein Problem von Zeitungen ist, dass nicht alle Leser alles in einer Ausgabe lesen, den Zusammenhang also nicht sehen und schon gar nicht zu früheren Ausgaben. Vorne in der WeLT AM SONNTAG sagt die Kurzmeldung: „Merkel trifft Manager zu Flüchtingsgipfel“ am 14. September für ein „stärkeres Engagement der deutschen Wirtschaft bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt.“ Das kann sie sich schenken, denn etliche Seiten weiter hinten folgt die längere Kurzmeldung: Eine Firmenumfrage ergab bei 83, die antworteten, 449 Flüchtlinge wurden fest angestellt und 14.000 Mitarbeiter der Unternehmen engagieren sich ehrenamtlich in Projekten für Flüchtlinge.

Land der unendlichen Misere

Eine Geschichte über Kinderehen in Deutschland beschreibt die Hilflosigkeit der Schulen und Behörden, wenn wieder einmal 13-jährige Mädchen aus dem Unterricht verschwinden, weil sie verheiratet wurden. Die WamS zitiert einen Juristen: „Der Staat tut sich generell in Milieurs schwer, die weit von der Mehrheitsgesellschaft entfernt sind und über einen starken inneren Zusammenhalt verfügen.“ Der Mann beschreibt exemplarisch, was Georg Meck in der FAS über den Rechtsstaat sagt, der keiner mehr zu sein droht.

Im Interview mit Janis Varoufakis sagt dieser: „Merkel hat keinen PLAN“ und

  • „Hollande weiß nicht einmal, was das Wort Plan bedeutet.“
  • „Merkel würde nie eine Entscheidung treffen, wenn sie sie auf morgen verschieben kann und sich bis dahin anschaut, wie sich alles weiterentwickelt hat. Das ist sehr schlecht für Europa.“

Auf die Frage, wie lange wird der Euro noch existieren:

  • „Die EU ist reich genug, weiterhin gutes Geld in ein schwazes Loch aus unhaltbaren Schulden und Bankverlusten zu werfen. Wir verschwenden weiter unsere europäischen Energien, indem wir den Euro so belassen, wie er ist. Heute sind wir viel schwächer, als wir es 2010 noch waren.“

Vize-Chefredakteur Beat Balzli weist auf ein Reportage in Krisengebieten von Pennsylvania hin und schreibt: „Fernab von New Yorker Hipstern, Bostoner Intellektuellen und den Startup-Helden des Silicon Valleys leben Menschen, die mit dem Establishment längst abgeschlossen haben. Die von der Elite nichts  mehr erwarten, denen die Errungenschaften einer modernen und global vernetzten Demokratie schlicht egal sind. Für die der amerikanische Traum ein Albtraum ist, die USA längst das Land der unendlichen Misere sind.“ Er muss nicht viele Worte austauschen, um Europa zu beschreiben, wie es schneller sein könnte, als wir uns wünschen dürfen.

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