Nach Boykott-Aufrufen Top-Quoten für Tatort mit Liefers

Im Vorfeld wurde in den sozialen Medien zu einem Boykott des gestern ausgestrahlten Tatorts aufgerufen. Daraus wurde dann aber mit 14,22 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 39,6%: das Gegenteil.

Screenprint: ARD/Tatort

Auch wenn er lange vor „allesdichtmachen“ abgedreht wurde: Der neue Tatort aus Münster stand trotzdem ganz im Schatten des Gezerres um Hauptdarsteller Jan Josef Liefers. Im Vorfeld wurde in den sozialen Medien zu einem Boykott des gestern ausgestrahlten Tatorts aufgerufen. Daraus wurde dann aber mit 14,22 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 39,6% wohl nichts: im Gegenteil. *WokesTränchenQuetsch*

Und seltsam: in dieser Folge kam der smarte Pathologe tatsächlich an seine Grenzen. Weinkrampf und Weinseeligkeit inklusive. Weil es ja schon ach-so-viele Krimi-Drehbücher gibt, in denen die Morde aus Eifersucht zwischen Zweien begangen werden, hat sich das Drehbuch von Elke Schuch in die „Polyamorie“ (Schauplatz eine wenig überzeugend dargestellte, agrarische-Hippie-Kommune mit dem unwahrscheinlichen Namen Erlenhof) begeben, in der es von potentiellen Bettgenossen und Gründen für Gefühlsaufwallungen nur so wimmelt. Nicht weit entfernt ist diesen offenbar der selbsternannte Beziehungs-Guru Maik Koslowski (Matthias Zera) zum Opfer gefallen, der es, zum Erstaunen von Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl), auf gleich vier parallel unterhaltene Liebschaften zu Männern und Frauen brachte.

Dem Publikum wird der Einstieg in die Kommune leicht gemacht: ordentlich und sauber geht es zu, der „Bauwagen“ des Opfers entpuppt sich als geräumiger als manche Einzimmerwohnung, komplett mit Küchenzeile und Doppelbett. Die überwiegend jugendlichen Bewohner sind eifrig mit der Landwirtschaft beschäftigt, als die Todesnachricht überbracht wird, liegt man sich kollektiv trauernd in den Armen. Alpakas- und Hühnerfarmernd über Wasser haltend, bietet man noch Trommel- und Beziehungs-Kurse an. Die Stromversorgung im Hüttendorf scheint üppig: überall verbreiten Lichterketten und Strahler die wohlige Atmosphäre einer modernen Hippie-Siedlung.

Genau in so einen Hort unerfüllter Spießer-Sehnsüchte führt die Ermittler das aktive Liebesleben von Maik: nicht nur hatte er was mit dem Aushängeschild der Münsteraner Polizei, Pressesprecher Johannes Hagen (August Wittgenstein), sondern gleich noch mit dessen Ehefrau Marion (Patrycia Ziółkowska), die beide aber zunächst schwören, dass dies ihrer „offenen Beziehung“ keinesfalls geschadet hätte.

Für „Ka Eff“, also Prof. Börne alias Liefers, lief es in dieser Folge weniger rund als gewohnt. Nicht nur, dass seine getreue „Alberich“ Silke Haller (Christine Urspruch) eine Haarprobe verbaselt und anschliessend nicht wagt, den Irrtum aufzuklären, sondern er hat auch noch ein Plagiatsverfahren am Hals (das sich allerdings später in Wohlgefallen auflöst).

Schließlich sitzen Börne und Thiel gemeinsam auf dem Seziertisch, leeren jeder eine Flasche Roten und gestehen einander inmitten des scheinbaren Schlamassels zum gefühlt x-ten Male in der Serie ihre Sympathie.

KHK Thiel erliegt der Versuchung, Vater Herbert (Claus Dieter Clausnitzer) als Spitzel in der Kommune einzusetzen und geht dabei den sicher in der Polizeiarbeit noch nicht salonfähigen Weg, „Vaddern“ auch die nötigen Drogen zu finanzieren, mit denen er sich dort das Vertrauen erdealen kann. Überhaupt raucht (schon in der Bettszene zu Beginn darf der Joint nicht fehlen) und trinkt es sich ganz locker im Münsteraner Tatort. Gin, Whisky und Rum fließen in Strömen, der Wein sowieso, und auch Pressesprecher Hagen qualmt wie ein Schornstein (wenigstens draußen auf der Parkbank !): soviel Nikotin gab‘s höchstens in den Serien der Siebziger Jahre.

Nebenher lernt der Zuschauer auch, dass der verdächtige katholische Priester Tobias Flügge (Nikolai Kinski) das Beichtgeheimnis auch für sich beanspruchen kann, wenn ihm im Beichtstuhl ein Mord gestanden wurde: Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) dazu: „schon seit dem Mittelalter“. Frau Klemm darf sonst nicht viel beisteuern in dem Streifen, jedoch lässt man (Regie führte Brigitte Maria Bertele) breiten Raum für Silke Haller (Christine Urspruch) und Thiels Assistent Mirko Schrader (Björn Meyer), die sich gegenseitig das Herz ausschütten (Schrader hat sich mit gefälschten Sportnachweisen bei der Polizei beworben – ein Kavaliersdelikt?) und am Schluss einen der Täter dingfest machen können: Opa (und Ex-Polizist) Kurt Hagen (gespielt von Peter Harting), der bis dahin als dekorativer Petri-Jünger mit eimerweise gemetzelten Fischen durchs Bild laufen durfte, hatte Pater Flügge als potentiellen Mitwisser ausgeschaltet, der seinem Bilderbuch-Sohn und Polizeipressesprecher samt Familie hätte gefährlich werden können.

Aber dann wird Filius Johannes doch noch vor den Augen seiner Kinder wegen Mordes aus Eifersucht abgeführt, der Rest der Familie landet bei Koslowskis Ex Ines Fournier (Maëlle Giovanetti) in der Bauwagen-Siedlung (Ines: die Schule sei ja “gleich um die Ecke“) und am Lagerfeuer, wohin es auch Börne und Thiel verschlagen hat.

Bleibt zu hoffen, dass die Kinder dort außer mit „Stockbrot“ (Ankündigung von Ines) nicht auch mit den durch Vater Thiel reichlich gelieferten halluzininogenen Substanzen in Berührung kommen.

Fazit: Vieles ist nicht mehr wie es war in Münster, aber wenigstens ist die Zukunft der beiden Hauptdarsteller gesichert: Gerade haben Prahl und Liefers bei der ARD für mindestens sechs weitere Folgen dieses Beliebtesten unter den Tatorten unterschrieben. Vielleicht ist bis dahin der Rummel über den „Schauspieler und politischen Aktivisten Jan Josef Liefers“ (Die Zeit) abgeklungen.

Schluss- Zitat von Autorin Elke Schuch (bei der ARD): „Ich halte mich an die Empfehlung von Alfred Hitchcock: „Lass das Publikum immer so viel wie möglich leiden.“

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