Immer mehr Schüler gehen aufs Gymnasium. Gleichzeitig werden die Notendurchschnitte immer besser und die Durchfallerquoten immer niedriger. Wie passt das zusammen? Gar nicht, denn die Kinder sind nicht schlauer geworden, sondern die Anforderungen wurden abgesenkt. Ein Desaster.
Anfang des 19. Jahrhunderts galt Deutschland als „Land der Dichter und Denker“. Dann wurde das Land mit der Reichsgründung 1871 auch ein Land der Naturwissenschaftler, Ärzte, Ingenieure, Nationalökonomen, Psychologen, Pädagogen und Nobelpreisträger (siehe auch „Tichys Einblick“ 03/2021).
Heute dümpelt die vormalige Bildungsnation vor sich hin. Aber man will es nicht wissen und lügt sich in die Tasche. Anstelle ehrlicher Bilanzen liefert man planwirtschaftlich immer höhere Abiturienten-, Studenten- und Akademikerquoten. Zugleich werden die Noten immer besser: In allen deutschen Ländern hat sich die Zahl der Einserzeugnisse binnen eines Jahrzehnts mindestens verdoppelt.
Die Inflation guter Noten steht allerdings in eigenartigem Widerspruch zu den mittelprächtigen „Pisa“-Ergebnissen deutscher Schüler. Das Gymnasium scheint zur neuen „Haupt“-Schule geworden zu sein. Sitzenbleiben? Das gibt es kaum noch, denn man schiebt die Schüler einfach durch. Das Land Berlin rühmt sich, dass es mit 1,1 Prozent die bundesweit niedrigste Quote an „Ehrenrunden“ hat. Bundesweit lag die „Durchfaller“-Quote zuletzt bei 2,3 Prozent, vor 20 Jahren waren es noch 2,8 Prozent.
Zugleich werden Missstände schön- geredet: Aus Schulschwänzern werden Schuldistanzierte, aus faulen Schülern demotivierte, aus verhaltensgestörten verhaltensoriginelle, aus dummen einseitig begabte oder praktisch bildbare. Realitäten werden einfach geleugnet und für nicht existent erklärt.
Immer mehr Studierberechtigte und immer weniger Studierbefähigte, immer mehr Professoren mit Glasperlenfächern bevölkern die Hochschulen. In den „harten“ Fächern müssen die Hochschulen Liftkurse für Studienanfänger einrichten, weil ihnen die Hochschulen erst einmal „Basics“, zum Beispiel in Mathematik, vermitteln müssen, die frühere Studentengenerationen aus der Schule mitbrachten.
Gleichwohl setzt sich die Noteninflation der Schulen vor allem in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften an den Universitäten fort. Die Zahl der Promotionen, zuletzt rund 30 000 pro Jahr, zudem mit hohen Anteilen von „summa“ und „magna“, nimmt zu. Die Zertifikate werden wie ungedeckte Schecks ausgegeben. Große Teile der Elternschaft und der „woken“ jungen Leute wollen es so. Politik und Hochschulen machen populistisch mit.
Ebenso bezeichnend: Den 330 Berufsbildungsordnungen stehen 17.000 Studienordnungen gegenüber. Berufliche Bildung „Qualified in Germany“ war mal ein herausragendes Gütemerkmal der deutschen Bildungslandschaft. Aber wer geht dort noch hin, wenn er voraussetzungslos „auf Gymnasium machen kann“, wenn ein „Bachelor“ mehr Image bringt.
Die Folge ist verheerend. Der beruflichen Bildung fehlt es quantitativ und qualitativ an Bewerbern. Im Jahr 2000 gab es 1,7 Millionen „Azubis“. Im Jahr 2020 nur noch 1,3 Millionen. Ausbildungsbetriebe klagen über die mangelnde Ausbildungsreife junger Leute – und nicht selten über mangelnde Ausbildungswilligkeit. 60.000 Ausbildungsplätze blieben 2020 unbesetzt.
Eine Neubesinnung, die auch eine Rückbesinnung sein kann, ist dringend geboten. Wir brauchen wieder Schulen, die Schulen, und Universitäten, die Universitäten sind. Eine Umkehr des Prinzips „Masse statt Klasse“ ist nur in Sicht, wenn die bildungspolitisch Allgewaltigen ihre Gefälligkeits- und Erleichterungspolitik ablegen und sich auf ein paar Grundsätze besinnen.
Rückbesinnung erforderlich
Georg Pichts Diktum aus dem Jahr 1963 ist falsch, wenn er damals meinte: „Wir brauchen mehr Abiturienten, auch wenn wir sie nicht brauchen.“ Denn wenn der Mensch erst mit dem Abitur beginnt, verspielen wir die Vorzüge unseres beruflichen Bildungswesens. Die immer wieder bemühten Quoten an Studierberechtigten und Akademikern sind international nicht vergleichbar. Vielmehr sollte zu denken geben, dass Länder mit höchsten Abiturientenquo- ten oft zugleich höchste Quoten arbeitsloser Jugendlicher haben.
Dass diese Erleichterungsattitüde falsch ist, wussten Generationen von Eltern und Lehrern seit der Antike: Leistung und Erfolg, ja das Erleben von Glück, setzen Bedürfnis- und Triebaufschub voraus. Wer das Prinzip Leistung bereits von Jugend an untergräbt, setzt eines der revolutionärsten demokratischen Prinzipien außer Kraft. In unfreien Gesellschaften sind Geldbeutel, Geburtsadel, Gesinnung, Geschlecht oder dergleichen Allokationskriterien Kriterien zur Positionierung eines Menschen in der Gesellschaft. Freie Gesellschaften haben an deren Stelle das Kriterium Leistung gesetzt. Ein revolutionärer Fortschritt und die große Chance zur Emanzipation für jeden!
Wir brauchen drittens Bildungsvielfalt statt Einfalt. Die Einheitsschule in Deutschland ist gescheitert. Als Gesamtschule hat sie Jahrzehnte durchschlagender Erfolglosigkeit hinter sich und schnitt in allen Studien schlecht ab. Deshalb gibt es keinen Grund, Gesamtschulen im Gewande der Gemeinschaftsschule neu aufzulegen. Die Behauptung, durch die Gesamtschule könne ein sozialer Ausgleich stattfinden, ist ebenfalls falsch. Langzeitstudien haben nachgewiesen: Der Besuch einer Gesamtschule schafft keineswegs bessere soziale Aufstiegsmöglichkeiten.
Außerdem erzielt eine von Gleichmacherei geprägte Bildungspolitik vermeintliche Gleichheit allenfalls durch die Absenkung des Anspruchsniveaus.
Lehrpläne statt Leerpläne
Schließlich brauchen wir Lehrpläne statt Leerpläne. Die vorgeblich progressive Pädagogik verzichtet seit zwei Generationen immer mehr darauf, von jungen Leuten konkretes Wissen einzufordern. Es gebe ja „download knowledge“. Es gibt aber keine Bildung ohne Inhalte. Nur „kanonisches“ Wissen bietet Verlässlichkeit, nur solches Wissen ist eine solide Kommunikationsgrundlage. Währenddessen greift – um eine Volksetymologie zu bemühen – „Wissen unter aller Kanone“ um sich. Es gilt: „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ (Marie von Ebner-Eschenbach).
Einer, der nichts weiß und alles glaubt, ist indes kein mündiger Staatsbürger. Er wäre das Lieblingsobjekt eines Diktators oder Demagogen. Orwells Big Brother mit seinem Leitspruch „Unwissenheit ist Stärke“ könnte sich nichts mehr wünschen als Menschen ohne konkretes Wissen.
Breites Wissen ist auch die unerlässliche Voraussetzung für die Fähigkeit zur Zusammenschau und damit für Kreativität. Thomas Alva Edison sagte einmal: Zehn Prozent von Kreativität sind Inspiration, 90 Prozent sind Transpiration. Wer also innovativ sein möchte, der möge erst einmal viel, viel wissen.
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Wir brauchen
Die Linksgrünroten brauchen Deppen, um sie auszubeuten und mit ihrer Hände Arbeit die DDR 2.0 aufzubauen, wo sie dann für die Gleicheren unter den Gleichen schuften dürfen. Mit gebildeten Leuten geht das höchstens 40 Jahre lang gut – Erfahrung aus der DDR 1.0!
Es gilt: „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ (Marie von Ebner-Eschenbach). Dieser Zustand ist offenkundig das Ziel links-grüner Politik. Wer sich im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis umhört und sich die abenteuerlichen Meinungen von meist sogar akademisch gebildeten Bürgern zur Energiewende anhört, der lässt alle Hoffnung fahren. Nur eine Minderheit zeigt Problembewusstsein im Hinblick auf die irrsinnige Energiepolitik in unserem Land. Der politische Erfolg der Grünen ist letztlich der deutschen Bildungsmisere geschuldet.
„In den „harten“ Fächern müssen die Hochschulen Liftkurse für Studienanfänger einrichten“ Leider, lieber Herr Kraus, ist das nur die eine Hälfte des Desasters – die andere Hälfte besteht darin, dass wir in den letzten Jahren an den Hochschulen bereits große und wachsende Schwierigkeiten haben, die MINT-Studiengänge überhaupt „voll“ zu kriegen – in der Folge nimmt man dann jede(n), der/die nicht bei Drei auf dem nächsten Baum ist. Was das – zusammen mit der „kennzahlorientierten Finanzierung“ der Hochschulen, die die Abbrecherquote anstelle der Anfängerzahlen als Maß für die Hochschulfinanzierung heranzieht – für die Qualität der Studiengänge und Abschlüsse bedeutet kann man… Mehr
„Wer nichts weiß, muss alles glauben“ – Deshalb macht der ÖRR den Journalismus, den er macht und deshalb ist der ÖRR so überaus erfolgreich mit seiner Denkbetreuung. Beides zusammen – nichts wissen und dem ÖRR alles glauben – ist die Basis des Erfolgs der Grünen.
Naja Holger, ich habe eher den Eindruck ganz viele unserer Migranten tendieren oftmals eher auf die mit dem unerlaubten Grenzübertritt verbundene lebenslängliche Sofortrente als Handarbeit für Ungläubige zu verrichten.
In Spanien – auch extrem hohe Akademikerquote – planen sie die 4Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Letzteren zahlt natürlich der Staat, notfalls über den Wiederaufbaufond. Also: Alles richtig gemacht, nacheifern!
Das Paradoxe daran ist, dass Kinder lernen w o l l e n! Aber im Laufe der Schulzeit wird ihnen das oft völlig abgewöhnt. Anstatt die Schulen zu verbessern, haben die Regierungen die Anforderungen an die Schüler gesenkt. Eltern sind oft -genauso wenig wie die Lehrer- in der Lage, Schüler noch nachhaltig zu motivieren. Dieser Niedergang deutete sich schon Ende der Neunziger an – Elternwille entschied, ob das Kind (auch als Totalausfall) auf das Gymnasium gehen konnte und nicht die vorherigen Leistungen. Viele Kinder waren total überfordert, gefrustet und wurden aggressiv. Damit die Folgen abgemildert wurden, wurden einfach die Anforderungen… Mehr
Dass man das Problem aus Sicht der Politik erkannt haben müsste, zeigt sich in den alljährlichen Wahlkampfparolen von „Wir brauchen mehr Geld für Bildung“! Seit gefühlten 30 Jahren taucht dieses Phänomen auf und verschwindet dann wieder für 4 Jahre! Stattdessen hat sich das linksgrüne Gedankengut einer besseren und fairen Welt-angefangen in der Schule und auf Kosten der vorhandenen Lehrerschaft- Bahn gebrochen. Laut Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum (John Hattie-Studie) weiß man jedoch, dass mit Frontalunterricht und Auswendiglernen und gerade nicht mit Kuschelpädagogik die größten (Lern-)Erfolge zu erzielen sind. Schaut man sich die geforderten Kompetenzen einer heutigen Lehrkraft an, dann verwundert… Mehr
Meine grosse Tochter hat ihr Abitur in einem besseren Gymnasium in NRW gemacht. Zwischendurch schon ein Jahr mit Katastrophe, aber sie hat es am Ende ziemlich gut gepackt! Studiert hat Sie im Ausland. Hat Geld gekostet, aber Sie ist heute topfit, da dort Profis und keine Beamte am Werk waren. Ausserdem fast 50% Praxis draussen am Objekt. Was meine Tochter heute so alles zu Stande bringt, das hätte Sie wohl auf keiner Uni in Deutschland bekommen! Und noch zum ihrem Abi auf dem Gymnasium, das Wissen hatte ich schon mit der Volksschule und der Handelsschule mit 16, es fehlten lediglich… Mehr