Björn Höcke sucht die letzten Bio-Deutschen. Ausgerechnet in Braunschweig!

Wer hier hinter die Polizei-Absperrungen geht Richtung AfD, der muss Spalier laufen, der wird gescannt, beschimpft, ausgepfiffen und sollte den Rückweg genau überlegen. Das Prinzip der Gegendemo funktioniert nicht nur in Braunschweig. Es dämmt Präsenz der AfD ein. Was sagen wohl die chinesischen Zaungäste dazu?

Die Polizeiarbeit am Braunschweiger Schloss funktioniert nach mittlerweile 63 Bragida-Auftritten (der Braunschweiger Ableger der Pegida) samt Gegendemos perfekt. Routine, die wie Langeweile aussieht. Angespannt ist hier keiner. Das „Bündnis gegen Rechts“ baut ihren Wagen vor dem linken Schlossflügel auf, die AfD vor dem rechten. Dazwischen zunächst noch eine Gasse für Kunden des Shoppingcenters im Schloss, die später zum Niemandsland zwischen den Parteien werden soll. Eine Gruppe Asiaten macht Erinnerungsfotos vor dem Schloss. Hoffentlich bringen sie diese nicht zur Auswertung nach China. Dort könnte man zu der Meinung gelangen, dass von der Mehrheit abweichende Meinungen in Deutschland es auch nicht so leicht haben und dass es mit der Demokratie in der Praxis dann so eine Sache ist.

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So treffen dann geschätzte 500-600 Gegendemonstranten auf etwas über einhundert Björn-Höcke-Freunde. Wer hier hören will, was Höcke sagen will, muss zunächst an einer Polizeikette vorbei, will er nicht über die Absperrgitter klettern. Diese Art  Zugang zur freien Meinungsäußerung und vor allem: Wahlkampf! könnte chinesischen Machthabern gut gefallen. Die Beamten arbeiten wie professionelle Polit-Türsteher mittels Gesichtskontrolle. Wer für sie nicht wie ein typischer AfD-Sympatisant ausschaut, wird nicht zur AfD-Bühne vorgelassen oder muss sich schon ein paar überzeugende Argumente einfallen lassen. Es sind also garantiert nur einige wenige, die ihre polizeibekannten Gesichter zum Durchlass präsentieren. Wo käme man sonst hin?

Noch einen Monat bis zur niedersächsischen Kommunalwahl am 11. September. In Braunschweig, der zweitgrößten Stadt des Landes, ist davon noch wenig zu sehen und zu hören. Die FDP scheint das meiste Geld für Großplakate in der Kriegskasse zu haben oder die überhöhte Wahrnehmung liegt einfach am Blau-Gelb, das sind auch die Vereinsfarben der hiesigen Eintracht.

Wahlkampfslogans? Die sind geprägt von kommunaler Langeweile und Ideenlosigkeit. Von dem was hängt, bleibt nicht viel hängen. Die Wahlkampf-Auftaktveranstaltung der Braunschweiger AfD am 9. August auf dem hiesigen Schlossplatz findet da vorher weit mehr Beachtung. Denn man startet mit überregionaler Prominenz: Björn Höcke wird erwartet. Sprecher der AfD Thüringen und ihr Fraktionsvorsitzender. Aber noch viel mehr ist er der Rechtsaußen der Rechten. Damit hat er medial Karriere gemacht.  Die Gegendemo ist da schnell organisiert. Ein Bündnis gegen Rechts fordert auf: „Braunschweig bleibt vielfältig, bunt und solidarisch! Rassismus und Nationalismus sind keine Alternative.“ Die Ausgrenzung ist also ganz einfach: Hier die Guten – dort die ganz Bösen.  Hach, wie einfach doch die Welt ist, wenigstens manchmal.

„Das Bündnis lebt ja von uns!“

Der Braunschweiger Stefan Wirtz von der AfD berichtet, dass 90 Prozent ihrer Björn-Höcke-Ankündigungsplakate schon am nächsten Tag nicht mehr hingen, nur die, die mehr als vier Meter hoch angebracht wurden, seien unangetastet geblieben. Haben Linke keine Leitern oder sind sie nicht schwindelfrei? Und wenn man Wahlkampf vor Einkaufsmärkten macht, stände immer eine Hundertschaft der Polizei diskret ums Eck. Von beidem weiß zumindest der Pressesprecher der Polizei, Joachim Grande, nichts. Plakatvandalismus sei für Braunschweig bisher nur von den Linken gemeldet worden und an den Infoständen schaue man nur im Rahmen der Tagesstärke vorbei oder eben dann, wenn man gerufen werde.

AfD-Kundgebung und Gegen-Demo
Björn Höcke heute vor dem Braunschweiger Schloss
Die Braunschweiger Linke schickt ihren Fraktionsgeschäftsführer Udo Sommerfeld auf den Schlossplatz, der ist nämlich auch aktiv im Braunschweiger Bündnis gegen Rechts. Davor hat AfD-Wirtz allerdings wenig Angst – der wahre Gegner sind die Naturgewalten: „Das Wetter ist heute der größere Unsicherheitsfaktor. Das Bündnis lebt ja von uns.“ Vorweg gesagt, das Wetter hält. Am Ende der Veranstaltung schickt die Abendsonne sogar noch üppiges Gold verschwenderisch gegen das Braunschweiger Schloss, das ja als Kulisse für den ganzen Politrummel herhalten muss, der ein wenig erinnern wird an diese Streitereien der 1980er Jahre zwischen Punks und Skinheads. Unversöhnlich. Feindschaftlich, aber dabei von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägt. Ein politisches Yin Yang in Braunschweig auf Provinzniveau heruntergedampft, aber beidseitig mit heiligem Ernst vorgetragen. Die AfD eint – die Gegner. Möglicherweise auch eine Lehre für den unaufhaltsam fortschreitenden Demokratisierungsprozess in China:  Eine ordentlich verteufelte Opposition hilft, die eigenen Reihen zu schließen.

Denn die Braunschweiger SPD hätte in dem Sinne gar keine Auftaktveranstaltung anzubieten, erzählt Büroleiterin Erika Witt. Auf jeden Fall werde man heute mit SPD-Fahnen auf der Gegendemonstration erscheinen, wenn dieser Björn Höcke seinen Auftritt hat. Die AfD als Weckruf für die eingeschlafenen Sozis? Auch eine hübsche Vorstellung.

Das Büro der Braunschweiger CDU kommt nicht mit Fahnen, irgendwie muss man sich abgrenzen in der großen Einheitlichkeit, und wenn es das ist, dass Bürgerliche keine Fahnen schwenken.

Ach so, die Grünen: Deren Wahlkampfauftakt begann schon Mitte Juli am Christopher Street Day. Und am Höcketag würde man zwar auch vor dem Schloss Flagge zeigen, aber parallel sei im Haus der Kulturen die gebürtige Braunschweigerin, die grüne Kulturministerin Gabriele Heinen-Kljajic zu Gast. Diskutiert werden soll dort über „Kultur als Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe“. Die einstigen gegen Alles Protestler, Hüttendorfbewohner und Gleis-Schotterer sind im Saal angelangt; witterungsunabhängig.

„Allahu Akbar!“ schreit Höcke

Und dann geht’s los: Auf dem eingezäunten AfD-Areal werden fleißig die ersten überdimensionierten Deutschlandfahnen geschwenkt, ein paar Ordner tragen enganliegende weiße Binden wie Mannschaftsführer. Und dank ein paar junger Rechter, die emsig in die linke Menge am Zaun hinein fotografieren, ist der Altersdurchschnitt auch nicht viel höher, als nebenan beim Bündnis gegen Rechts. Politik dieser Sorte ist keine Sachen der Jungen mehr.

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Man kennt sich, man begrüßt sich kameradschaftlich, nur die quantitative Überlegenheit der Linken nebenan sorgt noch hier und da für angespannte Gesichter. „Wir sind ja alle keine Politprofis“, sagt Stefan Wirtz. Und man glaubt’s dem fast schüchtern wirkenden vierfachen Familienvater mit der sanften Stimme. Dieser Wirtz scheint wirklich an diesen ominösen Schicksalsmoment zu glauben, von dem Björn Höcke wenig später aus diesem kleinen improvisierten Bühnenkasten heraus posaunen wird, der ein bisschen aussieht wie für Gartenzwerge gefertigt: 3 x 2 überdachte Meter und ein Mikrofon, dem irgendwann für ein paar Minuten der Saft abgedreht werden wird, was Höcke aber nur noch wilder macht. Dann brüllt er verdammt authentisch „Allahu Akbar“ über den Schlossplatz, als wolle er sich gleich selbst und alle Umstehenden in die Luft sprengen.

Vor Wut? Nein, er will damit das von ihm selbst identifizierte Böse verbalisieren: „den blutigen Juli 2016.“ Aber auch sein Hilfeschrei an den fremden Gott geht unter in diesem  gesundheitsgefährdenden Trillerpfeifenkonzert der Gegendemonstranten, die nun noch näher heran- und zusammengerückt sind. Nicht Zuhören und Nicht-Zuhören-lassen ist also Demokratie, notiert der imaginierte chinesische Demokratielehrling. Kennt er aber schon. Das Vorrücken auf den Pelz der Bösen wiederum wird von der Polizei als neue Versammlung an anderem Ort als nur die genehmigt links vor dem Schloss verstanden, so dass man die Gegendemonstranten per Lautsprecherwagen auffordert, sofort einen Verantwortlichen für diese dritte Versammlung am Abend zu benennen, sonst würde man in wenigen Minuten den Platz räumen lassen. Also die Polizei hat auch Humor. Aber den der Antifa kann auch die Polizei nicht toppen, als diese hinter ihrem Plakatbanner „Unsere Agenda ist Widerstand“ skandieren: „Wir sind hier doch nicht für lau, wir sind die staatlich finanzierte Antifa eVau“. Besser lässt sich die Koexistenz der Gegensätze kaum darstellen: Wenn das der Chinese nur nicht ernst nimmt, dass man Gegendemonstranten staatlich finanziert?

Warum nur einhundert Mann (Frauen sind kaum gekommen) Björn Höcke live erleben, erklärt sich hier also von selbst. Die anderen trauen sich einfach nicht her. Selbst Journalisten brauchen Courage, wollen sie Björn Höcke mal im O-Ton aus der Nähe anhören. Nein, nicht alleine wegen der Lautstärke, sondern wegen der rigorosen Ausgrenzung. Wer hier hinter die Absperrungen geht Richtung AfD, der muss Spalier laufen, der wird gescannt, beschimpft, ausgepfiffen und sollte den Rückweg genau überlegen. Kennen aber die Chinesen schon; im Westen nichts Neues.

Das Prinzip der Gegendemo funktioniert – wohl nicht nur in Braunschweig. Es dämmt Präsenz und Werbung der AfD im öffentlichen Raum geübt ein. Man darf spekulieren, wie viele kämen, wenn sie unbehelligt blieben: Angenommen zehn Prozent der Braunschweiger würden AfD wählen, also 20.000, dann wäre ja genug Potenzial vorhanden, den Schlossvorplatz mehrfach zu füllen. Selbst dann noch, wenn nur jeder zehnte käme, wären es immer noch satte 2.000. Soviel hatte übrigens die örtliche AfD auch der Polizei angemeldet. Aber da mussten beide Seiten wohl schon im Vorfeld schmunzeln. Erfahrung macht schließlich klug. Zumindest, was das angeht.

Keine Sicherheit mehr im Swingerclub

Björn Höcke also vor dem Potemkinschen Braunschweiger Shoppingcenter-Schloss, „vor dieser herrlichen Kulisse“, wie er es empfindet. Die Politiker der Union sind für ihn „Zeitgeistkastraten“. Dazu skandiert ihm die Gegendemo: „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda!“

„Diese Republik ist zum Swinger-Club verkommen.“, kontert Höcke und will einen Kultur- und Zivilisationsbruch erkannt haben. „Die innere Sicherheit erodiert.“ Aber eine Art Fahneneid legt er nicht ab.

Als es einer schafft, seinem Mikrofon kurz den Saft abzudrehen, will er „denen da drüben noch ein bisschen einheizen.“ Jetzt bittet Höcke die Presse, also zumindest jene Vertreter, die von der Polizei überhaupt kleidungstechnisch zu ihm durchgelassen wurden, jetzt mal genau aufzupassen und mitzuschreiben, was er zu den Juli-Anschlägen zu sagen hätte: „Keiner dieser Anschläge wurde von Bio-Franzosen oder Bio-Deutschen verübt.“ Pause. Und dann wieder nur gellendes Trillerpfeifenkonzert als Echo. Hören kann nur, wer ganz nah ist.

„Warum riskiert man etwas, das doch so wunderbar geklappt hat?“, fragt Höcke und es klingt, wie eine große Sehnsucht nach der guten alten Bonner Republik in der er als Hesse ja aufgewachsen ist. „Warum lässt man das erodieren?“ Für Höcke ist die Sache klar: „Das Deutsche Volk könnte innerhalb eines Menschenlebens von einem homogenen Volk zu einer Minderheit im eigenen Volk werden.“

Man erkennt nicht, ob ihm noch beim Reden auffiel, wie unsinnig er das ausdrückt. Man darf annehmen, dass, als Höcke zur Schule ging, nur Sabines, Petras, Klaus und Stefans neben den Björns saßen. Neben seinen Kindern sitzen heute jedenfalls auch Aishe und Achmed. Und deren Eltern brüllen gerade „Hoch lebe Erdogan!“, meint Höcke. Also klar, was da in ihm hochkommt: „Ich sage: geht zurück in euer Land.“ Aber diese Türken sagen: „Das ist unser Land! Und sie meinen Deutschland.“, empört sich der wie gewohnt im Anzug mit Krawatte und hellem Hemd auftretende Wahlthüringer. Sein finaler Aufruf dann an die paar Dutzend Versprengtem vor ihm in etwa: „Macht endlich mehr Kinder!“ In der Gegendemo skandiert einer daraufhin: „Ficken! Ficken! Ficken!“ Kürzer können auch Maos Nachfahren ihr politisches Argument nicht fassen. Wir notieren: Dümmer geht immer.

Und das war’s dann. Höcke hebt final beide Arme zum Abschiedsgruss. Verteilt dabei noch den letzten Rest Pathos und eilt hintenrum von dannen. Die Vermummten haben auf den Moment gewartet, seiner habhaft zu werden und eilen hinterher. Aber die fleissige Polizei hat schon wieder ihre Einsatzwagen quergestellt und die üblichen Beamtenkette aufgebaut. Den Gegner entkommen lassen durch ein Mauseloch – da kann der chinesische Beobachter sicher noch was lernen. Der Spuk hat links wie rechts ein Ende, die Parteien rollen ihre Fahnen ein, die einen die roten, die anderen ihre schwarz-rot-golden und blauen.

Die Bühnen-Techniker beginnen mit dem Abbau. Links alleine, rechts noch unter Polizeischutz. Einer packt jetzt Muttis Stullen aus dem Butterbrotpapier. Ja, Politik verbraucht eben Kraft. Und dann knallt auf einmal diese unteilbare Abendsonne durch die vorher düsteren Wolken, bleibt an der Sandsteinfassade hängen und deckt das alles mit einem leuchtend-goldenen Tuch zu, als wäre Björn Höcke nie da gewesen.

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