Neuer Lockdown? Wie ein Umfrage-Institut manipuliert

„Sollte Deutschland sofort wieder in einen Lockdown zurückkehren, um eine heftige dritte Corona-Welle zu verhindern?“ ist eine klassische Suggestivfrage. Eine Politik, die sich darauf stützt, ist so unserös wie die Umfrage.

Getty Images | Screenprint: Civey

Soll Deutschland nach einer kurzen und vorsichtigen Öffnung gleich in einen dritten Lockdown? Genau das fordern Politiker wie Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) und Virologen wie Melanie Brinkmann. „Wir müssen möglichst schnell wieder auf einen wissenschaftlichen Weg kommen“, meinte Kretschmer am Dienstagabend. Er hält die Öffnungsversuch schon für einen „gescheiterten Versuch“.

Ganz ähnlich argumentieren Brinkmann und andere Lockdown-Anhänger auf Twitter:

— DIVI e.V. (@DIVI_eV) March 15, 2021

Das Umfrage-Institut Civey scheint dafür die passenden Zahlen zu liefern. Auf dessen online gestellte Frage „Sollte Deutschland sofort wieder in einen Lockdown zurückkehren, um eine heftige dritte Corona-Welle zu verhindern?“ antworten 41,4 Prozent: „Ja, auf jeden Fall“, weitere 12,5 Prozent „eher ja“, deutlich mehr als diejenigen, die einen neuen Lockdown klar oder eher ablehnen (32,2 und 9,6 Prozent).

Screenprint: civey

In seiner Frage suggeriert Civey, eine „heftige dritte Corona-Welle“ sei eine schon feststehende Tatsache. Die „dritte Welle“ hatte der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach bereits am Beginn der Öffnung diagnostiziert („wir lockern in die dritte Welle“).

Erst seit dem 8. März dürfen Geschäfte im Nicht-Lebensmittelbereich wieder unter Auflagen öffnen und Schulen zum regulären Unterricht zurückkehren.

Für eine neue Welle, die sich in den vergangenen zehn bis 14 Tagen aufgebaut hätte, sprechen die Corona-Daten allerdings nicht. Weder die Zahl der mit Covid-19-Fällen belegten Intensivbetten stieg merklich an, noch die Zahl der Todesfälle. Die Zahl der mit Covid-19-Kranken belegten Betten betrug am 16. März 2.851, am 17. März 2.859. Zum Vergleich: am 1. Januar 2021 waren es 5.598. Und auch damals stand das Gesundheitssystem nicht vor einer Überlastung. Der Sieben-Tages-Durchschnitt der Todesfälle an und mit Corona lag per 17. März bei 249. Am 6. März, also kurz vor der Teilöffnung, waren es noch 300.

Der R-Wert, die Zahl, die angibt, wie viele andere ein Infizierter rechnerisch ansteckt, sank in den vergangenen Tagen sogar. Am 17. März lag er bei 1,06, am 14. 3. stand er noch bei 1,19. Auf seinem letzten Höhepunkt im Oktober 2020 betrug er 1,44. Bemerkenswert ist das vor allem deshalb, weil Lockdown-Befürworter die Maßnahme damit begründen, die verschiedenen neuen Mutationen seien ansteckender als die alten Viren-Varianten.

Auch bei der 7-Tages-Inzidenz – für die Politik derzeit das Maß aller Corona-Dinge – bewegte sich wenig. Sie lag laut RKI am 17. März bei 86,2, am 18. März bei 90. Das sind zwar mehr als in der Vorwoche (8. März: 68) – sie schlägt sich allerdings weder in der Krankenhausbelastung noch in den Todeszahlen nieder. Die 7-Tages-Inzidenz für über 85-jährige, also die besonders gefährdete Gruppe, sinkt sogar seit mehreren Wochen deutlich. Für eine „heftige Welle“, die nach noch nicht einmal zwei Wochen Teilöffnung schon wieder eine Totalschließung mit Milliardenkosten pro Monat erfordern würde, spricht derzeit keine Zahl.

Politiker, die einen neuen Lockdown wünschen, können sich allerdings nur auf Umfrageergebnisse wie das von Civey berufen – auch, wenn es überhaupt erst durch eine Suggestivfrage zustande kommt.

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