Freiberufler und Unternehmer raus aus den Parlamenten?

Wenn die Parlamente als Folge der diskutierten Beschränkungen des freien Mandats künftig noch weniger attraktiv für Leute aus der Wirtschaft sind, dann wird es auf dem Marsch in eine staatlich gelenkte Marktwirtschaft erst recht kein Halten mehr geben.

imago Images/Political Moments

Den Parlamentsbetrieb kenne ich aus der Binnensicht. Ich war acht Jahre Mitglied im Deutschen Bundestag (1994-2002), einem Vollzeitparlament, und zwei Jahre Landtagsabgeordneter in Stuttgart (2006-2008), einem Landtag, der damals noch als Teilzeitparlament galt. Während meiner acht Jahre im Bundestag, die mich als haushaltspolitischer Sprecher der Grünen und zeitweise parallel noch als Obmann im Finanzausschuss mehr als voll auslasteten, verfügte ich über keine sonstigen Einkünfte – außer einer kleinen Aufwandsentschädigung für eine Verwaltungsratstätigkeit bei der Kreissparkasse Biberach, die ich einem kommunalen Mandat im Kreistag schon vor der Wahl in den Bundestag zu verdanken hatte. Während der kurzen Mandatszeit im Stuttgarter Landtag (weil ich die Grüne Partei verließ, legte ich mein Mandat nieder!) übte ich meine freiberufliche publizistische Tätigkeit als Autor und Vortragsredner weiter aus, die ich nach meinem Ausscheiden aus dem Bundestag hauptberuflich begonnen hatte. Deshalb erzielte ich als Teilzeitparlamentarier in den meisten Monaten meiner Stuttgarter Landtagszeit den größeren Teil meines Einkommens aus freiberuflicher Tätigkeit sowie einem Aufsichtsratsmandat in einem Solarunternehmen und nicht aus den damals relativ niedrigen Diäten eines Teilzeitparlaments.

Die aktuelle Masken-Provisionsaffäre um den Ex-Abgeordneten Nikolas Löbel (ehemals CDU) und seinen Kollegen Dr. Georg Nüßlein (jetzt fraktionslos, vorher CSU) prägen in diesen Tagen die Debatte um die finanziellen Versuchungen, denen raffgierige Abgeordnete erliegen können, wenn sie ihr ordentlich dotiertes Mandat in persönlicher Bereicherungsabsicht versilbern wollen. Weil die CDU eine krachende Niederlage bei den Landtagswahlen am Sonntag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz fürchten muss und sich die politische Konkurrenz, bei der bisher kein Fehlverhalten öffentlich wurde, mit freundlicher medialer Unterstützung darüber empören kann, tauchen jetzt zahllose Vorschläge auf, wie man die schonungslose Offenlegung aller Tätigkeiten neben dem Mandat oder gar das Verbot jeglicher beruflicher Tätigkeit neben dem Mandat durchsetzen kann. Auch die Verschärfung der strafrechtlichen Folgen von mandatsbedingter Bereicherung stehen auf der Agenda. So verständlich diese Forderungen sind und so sehr jetzt vor allem die CDU unter Handlungsdruck steht, so überlegt sollte man aber auch deren Risiken und Nebenwirkungen bedenken – und vor allem keine panischen Schnellschüsse produzieren.

Die Dominanz des öffentlichen Dienst-Denkens in der Politik ist gefährlich

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Gerade in der Corona-Politik, die von der Exekutive verordnet und von den Parlamenten meist mit großen Mehrheiten abgesegnet wurde, hat sich eine gefährliche Diskrepanz zwischen dem Denken und Handeln in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Sektor offenbart. Von der Politik stillgelegte Betriebe und ihre Inhaber werden abgestraft, tausende wirtschaftliche Existenzen sehenden Auges vernichtet. Staatliche Unterstützung fließt in der Wahrnehmung vor allem in Großunternehmen, während der selbständige Mittelstand teilweise am ausgestreckten Arm verhungert. Die Online-Techgiganten aus den USA können sich auch bei der deutschen Politik bedanken, die ihnen massive Marktanteils- und Gewinnzuwächse zu Lasten des stationären Handels zugeschanzt hat.

Die Regierungsmitglieder und ihre Ministerialbürokratie, die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter sowie nahezu der gesamte öffentliche Dienst haben die Corona-Pandemie nicht in ihren Geldbörsen gespürt, sondern ihre Bezüge, Diäten und Gehälter ungeschmälert weiter erhalten. In vielen Bereichen ist der öffentliche Sektor, dessen Produktivität in typisch deutscher Saturiertheit gern überschätzt wird, seit vielen Monaten praktisch stillgelegt. Behörden machen Homeoffice, was häufig gleichzusetzen ist mit partieller Einstellung der Arbeit. Wer sich die bürokratischen Pannen um das Impf- und Testdesaster oder den Stand der Digitalisierung in der Gesundheitsverwaltung oder im öffentlichen Bildungswesen vergegenwärtigt, kann nur zu dem Schluss gelangen: Hier versagt der Staat und seine Akteure in einem geradezu beschämenden Ausmaß.

Staats-, nicht Marktversagen!

Doch das Narrativ, das nicht nur die deutsche Politik dominiert, lautet anders: Die Marktwirtschaft ist der üble Feind. Unternehmerische Freiheit gehört stärker beschränkt, um Exzesse zu verhindern. Regulatorische Eingriffe der Politik häufen sich in einem atemberaubenden Ausmaß, bremsen Innovation und Produktivität. Politiker wollen eine staatlich gelenkte Wirtschaft durchsetzen, als ob der Staat jemals der bessere Unternehmer gewesen wäre. Verdrängt wird, dass die immens schnelle Corona-Impfstoffentwicklung auf privatwirtschaftlichen Forschung beruht, nicht auf staatlicher Kreativität. Dafür stellt besonders der deutsche Staat seine Unfähigkeit nicht nur beim Impfen und Schnelltesten bisher deutlich unter Beweis.

Meine Befürchtung angesichts dieses Befundes: Wenn die Parlamente als Folge der diskutierten Beschränkungen des grundgesetzlich geschützten freien Mandats künftig noch weniger attraktiv für Leute aus der Wirtschaft sind, die als Freiberufler oder Unternehmer ihre Frau oder ihren Mann stehen, dann wird es auf dem Marsch in eine staatlich gelenkte Marktwirtschaft erst recht kein Halten mehr geben. Wir bräuchten aber dringend mehr Abgeordnete, die aus eigener Anschauung wissen, was Unternehmertum bedeutet.

Nachtrag: Persönliche Verfehlungen lassen sich durch noch so wasserdichte Regelungen nie vollständig ausschließen. Deshalb ist es in einer Demokratie essentiell, dass Medien ihre investigative Kontrollfunktion ausüben. Nichts ist heilsamer, als die Angst vor Aufdeckung. Der gnadenlose berufliche Absturz der enttarnten Raffkes vom Schlage eines Nikolas Löbel oder Georg Nüßlein ist womöglich die wirkungsvollste Bremse, um für mehr Anstand im Parlament zu sorgen.

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Kommentare ( 31 )

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Donostia
3 Jahre her

Herr Mezger. Es gäbe da ganz einfache Maßnahmen um dem allem zuvor zu kommen. Abschaffung von Parteien. Es werden nur noch Personen gewählt. Die gewählten Personen dürfen max. 2 Legislaturperioden gewählt werden. Dadurch werden größere Seilschaften verhindert. Einführung von Volksabstimmungen zu allen relevanten Fragen Im TV werden nur noch Sendungen zugelassen bei denen 2 Personen konträrer Meinung, ausgewählt von den gewählten Politikern, über ein Thema diskutieren. Nicht mehr wie bei Anne Will usw. wo 5 gegen eins gespielt wird und der Moderator Partei ergreift und den politischen Gegner ständig unterbricht. Veröffentliche Berichte, egal von wem, muss mit Fakten und Zahlen… Mehr

Wolfgang Brauns
3 Jahre her
Antworten an  Donostia

Sie sind ja ein ganz „Böser“. ?
Ein guter Bekannter mit ebensolchen Ansichten erhielt gerade vorige Woche eine morgendliche Hausdurchsuchung mit Beschlagnahme von Smartphone und Computer wegen des unbelegbaren Vorwurfs von Hate-Speech.

Fsc
3 Jahre her

Na dann gut‘ Nacht, damit wären auch die letzten weg, die wissen, wie Wirtschaft funktioniert… Mein Wunsch: Lehrer, Anwälte, Gewerkschaftler und *-ologen raus aus dem Parlament. Ebenso „Gender-Studies-Absolventen, Beamte und Studienabbrecher. Mit „*-ologen“ meine ich unnütze Geschwätzwissenschaftler aller Art: Polito-, Sozio-, Psycho-, Ökologen und sonstige Nichtsnutze. Statt dessen Handwerksmeister, Ingenieure, Naturwissenschaftler, Pflegekräfte und Kaufleute rein ins Parlament! Ein paar Offiziere und Polizisten wären auch nicht schlecht. Bei der AfD gibt es die Regel, daß man mindestens 5 Jahre am besten in der freien Wirtschaft gearbeitet haben muß, um sich für einen Listenplatz zu qualifizieren. Damit sollen lebens- und weltfremde Gestalten… Mehr

Armbruster
3 Jahre her

Ja und nein.
Dass es Parlamentarier braucht, die aus der Realwirtschaft kommen – auch Unternehmer – muss wieder zum politischen Normal werden. Eine zeitl. Begrenzung des Mandats muss wahrscheinlich hinzutreten.
Ein Bundestagsmandat ist ein Vollzeitberuf – im normalen/zivilen Leben kann ich auch keinen Zweitberuf ausüben.
Ich habe meine Zweifel ob die jetzt Erwischten ihre „Beratungsfirmen“ schon vor ihrer polit. Karriere hatten. Das hat ein „Gschmäckle“ (euphemistisch).Alleine schon die ganzen gut bezahlten Vortragsveranstaltungen sind m.E. deren Auftrag als Abgeordnete abträglich.
Also: Beruf ruhen lassen (Rückkehrgarantie) bzw. delegieren & entflechten.

Peter Silie
3 Jahre her

Wir brauchen jemanden wie Donald Trump. Leider ist unsere Gesellschaft mittlerweile so unfrei gemacht worden, daß ein Typ wie Donald Trump schon im Keim erstickt werden würde. Man will ja schließlich zu den Guten gehören.

November Man
3 Jahre her

Korruptionsaffäre Brinkhaus: Alle Unionsabgeordneten unterzeichnen Ehrenerklärung12.03.2021, 19:47 Uhr | dpa, AFP
Kommt mir irgend wie bekannt vor „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“.

Ralf Poehling
3 Jahre her

Zitat:“Freiberufler und Unternehmer raus aus den Parlamenten?“ Nein, natürlich nicht. Freiberufler und Unternehmer sind teil des Staatsvolkes und damit im demokratischen Spektrum angemessen zu repräsentieren. Aber: Des Staatsvolkes Staatsapparat erfüllt im Optimalzustand die selbe Funktion, wie ein Schiedsrichter bei einem Fußballspiel: Wenn der Schiedsrichter das Spiel nicht neutral leitet, weil er selbst darauf gewettet hat, das eine der beiden Mannschaften gewinnt, oder er vielleicht der Saufkumpan des Vorstands eines der beiden Fußballclubs ist, wirkt sich das natürlich negativ auf die Einhaltung der Spielregeln aus. Das richtige Stichwort ist hier „Befangenheit“. Wer von seinen eigenen politischen Entscheidungen persönlich profitiert, der trifft… Mehr

derAlte
3 Jahre her

Lieber Herr Metzger, wer konkret in diesem Nickstall sitzt, ist doch völlig egal. Die Prozesse, die anstehen, vollziehen sich mit einem Bundestag mit oder ohne Freiberufler oder auch gänzlich ohne ihn. Irgendwer investiert gerade Unsummen in Deutschland und die EU und der Zahltag wird kommen. Der Gedanke, daß wir – mit dem Verlust aller ehemaligen Standortvorteile (Bildung, Rechts- und Investitionssicherheit, sozialer Frieden…) von der Globalisierung profitieren würden, ist lächerlich. Da gibt es auf der Welt andere, die willig, fähig und noch nicht so übersättigt sind und jeden Mist schlucken, weil sie sich einfach nicht vorstellen können, daß sich die Welt… Mehr

Deutscher
3 Jahre her

Ich hätte im Grunde kein Problem mit mehr Staat. Aber schon, wenn dieser von Pfeifen, Studienabbrechern, Zivilversagern, Kinderbuchautoren, Hardcore-Ideologen, Ex-SEDlern, Ex-FDJlern, Ex-Stasi-MIs, Antifanten, Pädagogen, Soziologen und Politologen geführt wird.

Last edited 3 Jahre her by Deutscher
Aqvamare
3 Jahre her

Das Problem ist nicht die Korruption und der Vorteil, das Problem in diesen Sachverhalt ist der Zwang gegenüber dem Bürger bei der Bestechlichkeit. Beispiel, als Rot-Grün das EEG einführte, war damals jeden klar, dass dieses Gesetz im Kern eine Umverteilung von unten nach oben ist, und die beteiligten Parteien großzügige Dankeschön über Zahlungen bekommen haben. Aber, diese Umverteilung lässt mir als Bürger immer noch die Wahl, meinen Stromanbieter zu kündigen, und ab morgen kalt zu duschen, dieser minimale Freiheitsgrat ist mir geblieben. Bei dem Maskenskandal ist dies eben nicht, hier steht offen der Verdacht im Raum, dass hier ein finaler… Mehr

usalloch
3 Jahre her

“Behörden machen Homeoffice, was häufig gleichzusetzen ist mit partieller Einstellung der Arbeit.” Fahrzeug wieder anmelden dauert 14 Tage. Termin muss neuerdings, da niemand Vorort, Online erfragt werden. Auskünfte per Telefon? Keine Reaktion. Nicht der Virus mutiert, sondern wir zum Dritten-Welt-Land.