Das wird schon – oder?

2020 war ein Umbruchsjahr, in mancher Hinsicht. Das alte »Das wird schon!«-Prinzip gilt nicht mehr – einige jedoch haben es noch immer nicht mitbekommen.

Was haben Vorarlberg, Eckernförde und der Bus 142 auf dem Stampede Trail in Alaska gemeinsam? Zur Erinnerung: Vorarlberg ist das westlichste Bundesland Österreichs, Eckernförde ist eine Hafenstadt hoch oben im deutschen Norden, und der »Bus 142« spielt eine Schlüsselrolle im Buch und Film »Into the Wild«.

Es sind drei Nachrichten, welche die drei Orte vereinen, drei Meldungen, die ähnliche Verhaltensmuster an den Tag legen. Zwei erfahren wir aus der aktuellen Berichterstattung, eine spielt im Jahr 1992, doch sie schockiert, wenn man davon erfährt, noch immer.

In vielen Ländern jenes Teiles der Welt, der im wirtschaftlichen Wettbewerb zu China steht, üben sich Regierungen im Versuch, mittels Ausgangssperren »das Virus« in den Griff zu bekommen. Nehmen wir einmal an, dass das Virus wirklich so gefährlich ist – und etwas Vorsicht empfiehlt sich ja ohnehin immer – dann ist es doch spannend, dass und wie in Vorarlberg die Skisaison wieder begonnen hat!

»Reger Betrieb in den Vorarlberger Skigebieten«, erfahren wir etwa bei vol.at, 26.12.2020, und in den Sozialen Medien verbreiten sich Fotos dichtgedrängter Skifahrer (etwa @ThomasWalach, 26.12.2020) – die aktuellen Corona-Zahlen zu Vorarlberg erfahren Sie übrigens bei arcgis.com, doch da es sich zum guten Teil um Touristen handelt (thelocal.de, 28.12.2020: »Hundreds of Germans flout Covid rules to enjoy snow«), können wir davon ausgehen, dass die Zahlen wieder woanders steigen (so man dem aktuellen, offiziellen Corona-Narrativ glaubt).

In der zweiten Meldung, der aus Eckernförde, geht es um einen Teenager, der im Gartenhaus des wohl elterlichen Hauses ein »Chemie-Experiment« betrieb (so mopo.de, 29.12.2020). Es ist derzeit an vielen Orten nicht ganz so einfach wie in sonstigen Jahren, an Silvester-Böller dranzukommen, und so hatte er beschlossen, seine Böller selbst zu bauen – und dann flog ihm das alles buchstäblich in die Luft und um die Ohren.

Der Neunzehnjährige erlitt schwere Brandverletzungen (so bild.de, 29.12.2020). Nachbarn berichten, die Explosion hätte ausgesehen »wie bei einer Atombombe« (bild.de, 30.12.2020 (€)).

Der »Bus 142« schließlich ist der Ort, an denen ein junger Mann namens Christopher Johnson McCandless seine letzten Tage verbrachte.

McCandless war ein 24-jähriger Mann aus wohlhabendem Hause, der 1992 nach Alaska loszog, um der Gesellschaft und all ihrer Heuchelei zu entkommen (ja, natürlich Walden nacheifernd) – und dann dort verhungerte. McCandless war durch und durch mit linkem Gedankengut vollgesogen, seine Kenntnisse über die Wildnis von Alaska waren nicht ganz so elaboriert.

Während McCandless verständlicherweise als Ikone der Linken gilt (wo das »Gefühl« regiert und über Sachkenntnis die Nase gerümpft wird, gilt einer, der konsequent ahnungslos in den unnötigen Tod geht, natürlich als Ikone), wird er vor allem von Einwohnern Alaskas scharf kritisiert.

Die Psychologie-Professorin Judith Kleinfeld schaffte es sogar in die stramm linke Wikipedia: »Viele in Alaska reagieren mit Wut auf seine Dummheit. Man muss ein kompletter Idiot sein, sagen sie, um im Sommer 20 Meilen vom Parks Highway entfernt zu verhungern.« (siehe Wikipedia zu Chris McCandless)

Es existiert eine Verbindung zwischen Vorarlberg, Eckernförde und Bus 142. So unterschiedlich die Skifahrer, der Böllerbastler und jener Alaska-Wildnis-Enthusiast in ihrer jeweiligen Motivation auch sein mögen, eine Eigenschaft eint sie doch: Alle drei gingen und gehen an ihre Tätigkeit mit einer Einstellung heran, die sich zusammenfassen ließe mit den drei Wörtern einer bekannten Redeweise: »Das wird schon!«

Dank Demokratie und Konsumkultur konnte sich in den westlichen Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg eine Art »genereller, grundsätzlicher Gewissheit« einstellen, ein Vertrauen darauf, dass es immer ein Sicherungsnetz gibt, das einen auffängt, egal was man auch Dummes angestellt hat.

Wer sich ein Bein bricht oder eben ein Virus einfängt, der vertraut darauf (spannenderweise oft auch in den USA), dass die Ärzte es schon reparieren werden. Auch der Junge, der Böller bastelte, ging mit einem beherzten »Das wird schon!« an die Sache – und jetzt werden die Brandärzte eben tun, was sie tun können. Der 24-Jährige McCandless, der ahnungslos in die Wildnis loszog, im für linke Studenten (die später, nach Studienabbruch zum Beispiel Politiker werden) wesensprägenden Glauben, wenn es sich nur »richtig anfühlt«, dann »wird es schon werden«. (Eine Jungkommunistin, der nachgesagt wird, als DDR-Funktionärin eine »Sekretärin für Agitation und Propaganda« gewesen zu sein, ließ diese »Haltung« in der Formulierung »Wir schaffen das!« zum Leitspruch ihrer verheerenden Regierungszeit werden.)

Der junge Mann auf der Verbrennungsstation, der junge Mann, der in der Wildnis von Alaska verhungerte, die potentiellen Covid-Infizierten von Vorarlberg, all diese Menschen gingen und gehen mit einer »Das wird schon!«-Attitüde an ihre Handlungen – und manchmal »wird es« eben nicht.

Niemand wird widersprechen, dass die Welt sich heute um uns herum verändert, und ich kenne niemanden, der noch immer so naiv wäre, zu glauben, dass es hiernach wieder »so wird wie früher«. (Ich kenne allerdings eine erschreckend große Zahl an Menschen, die zwar sagen, dass ihnen bewusst ist, dass es gar nicht »wie früher« werden kann, die aber praktisch so handeln, als würde es »werden wie früher«, beginnend damit, dass sie Regierung und Propaganda praktisch alles glauben, selbst wenn diese sich von einem Tag auf den anderen widersprechen.)

In Köln hat man jene Grundregel sogar zum Teil des »Rheinischen Grundgesetzes« erklärt. Im Text »Die Wahrheit in den Lücken« vom 4.2.2019 notierte ich, dass und warum diese angeblich eherne Regel immer häufiger angezweifelt wird (doch Vorsicht: Zweifel ist gefährlich!).

»Wir, »der Westen« haben in vielen Jahrzehnten darauf vertrauen gelernt, dass »es schon werden wird«. (Der Rest der Welt plant und handelt unter teils deutlich anderen Prämissen, was etwa den Erfolg bestimmter Gruppen in MINT-Fächern mit-erklären könnte.)

Es ist denkbar symbolstark, dass jener »Magische Bus 142« ausgerechnet im Umbruchsjahr 2020 via Helikopter aus der Wildnis entfernt wurde (nytimes.com, 19.6.2020). Der Grund war schlicht, dass dieses Mahnmal der großen linken Selbstüberschätzung zu viele Pilger angezogen hatte, von denen (so weit man weiß) zwei starben und über ein Dutzend aufwändig gerettet werden mussten. Es ist ein zuverlässiges Merkmal linken »Abenteurertums«, Dritten die Kosten und Verantwortung für ihr Handeln aufzubürden, seien die »zahlenden Dritten« etwa Eltern oder Steuerzahler. Es ist komfortabel, etwas zu »riskieren« und »seine Grenzen zu spüren«, solange Kosten und Risiko von jemand anderem getragen werden – es bleibt, wenn man darüber nachdenkt, eine »simulierte« und »künstliche« Gefahr, und das selbst da, wo sie tödlich endet. (Randnotiz: Auch kluge Menschen »riskieren«, doch sie rechnen ihr Risiko durch – und sie »riskieren« oft in Situationen, in denen nicht zu riskieren tatsächlich die »riskantere« Handlung wäre!)

Das »Das wird schon!«-Prinzip funktioniert nur solange, wie es ein Sicherungsnetz gibt, das die Fehler korrigiert, nur solange, wie die Zahl der sich selbst in Gefahr Bringenden überschaubar bleibt, nur solange, wie die vor lauter linkem Enthusiasmus begangenen Irrwege korrigierbar sind, nur solange wie die konservative, vernünftige Welt, gegen die in spätpubertärem Leichtsinn rebelliert wird, überhaupt existiert – und nur solange, wie man nicht in ernsthafter Konkurrenz zu Gesellschaften und Denkschulen steht, die dem »Das wird schon!«-Prinzip ein ruhiges und aktiv handelndes Bewusstsein des unbarmherzigen Zusammenhangs von Ursache und Wirkung entgegensetzen.

Das »Das wird schon!«-Prinzip funktioniert nicht mehr. Der »Bus 142« ist weg. Unser Handeln führt (wieder und immer öfter) zu genau den Ergebnissen, zu denen es nach aller Erfahrung und Logik führen sollte.

2020 ist ein Jahr, in welchem Ursache und Wirkung auch in der westlichen Welt wieder näher zueinander rücken. Manche sagen, das sei logisch, andere sagen, das sei gerecht – ich stimme beiden zu.

Wir werden (neu?) lernen, Verantwortung für unser Handeln zu tragen, ob in Vorarlberg, in Eckernförde oder in Alaska.

Wohl denen, die sich auch heute schon darin üben, Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen!


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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Kommentare ( 17 )

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Rickthorsen
3 Jahre her

Warum der Autor die Skifahrer als Beispiel für Verantwortungslosigkeit anführt erschließt sich mir nicht ganz. Auch Christopher Johnson McCandless erscheint mir nicht als besonders gut gewähltes Beispiel. Was war denn an seinem Verhalten verantwortungslos?

Peter Silie
3 Jahre her

Schöner und unterstützenswerter Gedanke, Hannibal. Jedoch: würden alle Einwohner Deutsxhlands nicht mehr existieren, so würde das den CO2 Ausstoß und Klimawandel grob um lediglich 1 Jahr verzögern. Grund: es kommen weltweit jedes Jahr rund 85 Millionen Erdenbürger netto dazu. Erzählen sie das Mal der Gretl und der Luisa.

Peter Silie
3 Jahre her

Bei den Skifahrern dürfte es sich um Risiko kalkulierende Menschen handeln, auch wenn sie es nicht explizit durchgerechnet haben. Eine Überschlagsrechnung: Innerhalb eines 3/4 Jahres hat sich etwa 1% der Bevölkerung infiziert. Statistisch gesehen infiziert man sich also alle 75 Jahre genau ein Mal. Ein traumhaftes Ergebnis. Stellen Sie sich vor, Sie würden nur ein einziges Mal in Ihrem Leben die Grippe bekommen. Ohnehin: nach 75 Lebensjahren ist man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bereits an irgend etwas gestorben. Für die Skifahrer gilt als vitale Nicht-Risikogruppe eine Lethalität von 0,03%, wenn ich das noch richtig erinnere. Also müßten sie statistisch 75×3333… Mehr

K.Weber
3 Jahre her

D’accord, dass der ahnungslose Kommunist McCandless ein Idiot war, der sich auf besonders dumme Weise umgebracht hat. Dies aber mit Skifahrern, die mit den ganzen Sicherheitsmaßnahmen und ohne Apres-Ski sicherlich keine Superspreader sind, gleichzusetzen, ist absolut unsinnig. Wollen Sie nun Sport im Freien auch noch verbieten. Ich war heute Nachmittag zwei Stunden im Wald walken. Wäre ich am Vorarlberg, hätte ich sicherlich Skifahren preferiert. Die Aldikassiererin muss im überfüllten ÖNV zur Arbeit fahren. Warum sollten wir jetzt nicht mehr Walken, Joggen, Skifahren oder Spazierengehen? Also bitte keine Panik verbreiten. Lassen Sie sich nicht durch die Macht der nicht verifizierbaren Bilder… Mehr

Peter Silie
3 Jahre her
Antworten an  K.Weber

Kassiererin ist ein gutes Stichwort: ich habe mich mit vielen Kassiererinnen in Discountern unterhalten. Viele von ihnen tragen den Mundschutz nur rudimentär. Sie sehen jeden Tag hunderte von Kunden an sich vorbeiziehen, seit März Zehntausende. Keine einzige von ihnen ist krank geworden, noch kennen sie irgendeinen Kollegen der seit Epedemiebeginn erkrankt wäre. Die Gewerkschaften würden wohl auf die Barrikaden gehen, wäre es anders.

horrex
3 Jahre her

Mir hat das Bild der „Dame in Gold“ völlig gereicht, mir für die nächsten Stunden die Laune zu verderben. Wer DAS was dort per TV insinuiert wird für „Gold“ hält, der hat es nicht besser verdient. –
Dass Elend ist eigentlich nur, dass die den Ton angebenden augenlicklichen 36% Zustimmungs-Prozente, im Sommer, passend exakt vor der Wahl und mit der Tendenz nach oben, die restlichen schweigenden 64% M I T in den unvermeidlichen Orkus reißen werden. So sehr sie auch strampeln. –
Schon daran ist mühelos der verwahrloste Zustand dieses Landes, dieser Demokratie eindeutig ablesen. –

F.Peter
3 Jahre her

Die Aussage „das wird schon wieder“ oder „das wird schon gut gehen“ ist von vielen Konservativen zum Leitsatz geworden, als die 68er anfingen, den Staat zu unterminieren und den Durchmarsch durch die Institutionen anzutreten.
Ausgehend von der eigenen ‚Aufbauerfahrung wurde total übersehen und letztlich auch ignoriert, dass die 68 ganz anders ticken.
Heute kann man daher sagen: Es war einmal…….

Hoffnungslos
3 Jahre her

Vielen Dank für diesen sehr guten Beitrag, Herr Wegner.- Stellen wir uns vor, wir würden mit einem Flugzeug und den unten Genannten über unwirtlicher Gegend abstürzen, mit wem würden Sie versuchen, sich in der Wildnis durch zu schlagen?
a) Frau Merkel und Jens Spahn
b) D. Trump
Also ich würde mich freiwillig nicht Frau Merkel und Jens Spahn anschließen. Niemals!

HGV
3 Jahre her

Das kölsche Grundgesetz ist wesentlich älter als seine Aufzeichnung in 2001. Es hat für die rheinische, nein kölner Mentalität die gleiche Bedeutung wie „legal, illegal, schei..egal“ für die Linken. Hinter der vermeintlichen rheinischen Toleranz steckt im Wesentlichen Gleichgültigkeit gegenüber dem Mitmenschen. Und der Rheinländer ist ja keine homogene Masse. So gibt es die sog. aachener Printen, mit ihren Vertretern Laschet oder Schulz. Heiße Luft halt. Bus 142 beeindruckt mich besonders, da wir gerade in Bus 142 sitzen. Wir schaffen eine sichere Energieversorgung ab und hoffen, dass uns die Nachbarn oder auch Wind und Sonne gewogen sind und uns den A…… Mehr

andreashofer
3 Jahre her

Gutes Neues: Sie meinen also, die “Realität”, die schlaue Krähe fängt an sich bemerkbar zu machen? Kenne leider viele, die z.B. eine mehr oder weniger kostenlose Krankenversicherung – notfalls über Hartz4- auch für so eine Art rheinisches Grundgesetz halten. Von Renten oder anderweitiger Altersvorsorge möchte ich erst gar nicht anfangen. Sollte da mal gespart werden, gehe ich davon aus, dass die Politik die Klugen und Verantwortungsvollen zur Rechenschaft zieht.

Konservativer2
3 Jahre her

Sehr geehrter Herr Wegner, ob Sie es nun beabsichtigt haben oder nicht, bei allen drei Protagonisten bzw. -gruppen drängt sich neben der „Das-wird-schon-Haltung“ eine andere Gemeinsamkeit auf:

Sie verhalten sich ziemlich dämlich.