Frau Yellens Gespür für die Ungleichheit

Die designierte Finanzministerin und frühere Fed-Chefin thematisiert gern das Thema Ungleichheit. Doch die wächst vor allem dank der Geldpolitik der Fed.

picture alliance/AP Images | Andrew Harnik

Mit seinem Personalvorschlag, Janet Yellen als erste Frau an der Spitze des amerikanischen Finanzministeriums zu platzieren, ist dem künftigen US-Präsidenten Joe Biden ein Coup gelungen. Die gemäßigte Demokratin und überzeugte Keynesianerin wird auch im (voraussichtlich) republikanisch dominierten Senat auf keine fundamentale Ablehnung stoßen. Obwohl die demokratische Parteilinke sicher lieber Elizabeth Warren als Finanzministerin gesehen hätte, gilt die erfahrene 74-jährige Yellen auch in diesen Kreisen als akzeptabel, weil sie ein beliebtes „linkes“ Thema, die soziale Ungleichheit, immer wieder ins Blickfeld rückt. Der in den USA lehrende deutsche Ökonom Rüdiger Bachmann stufte Yellen gegenüber der FAZ deshalb auch nicht als „Wall-Street-Typ“ ein, sondern als Frau, die Finanzpolitik „für amerikanische Normalbürger“ machen werde.

Doch war es Zufall, dass der Dow-Jones-Index ausgerechnet am Tag ihrer Personal-Präsentation durch Biden erstmals in seiner Geschichte die Marke von 30.000 Punkten knackte? Verstärken sich an den Finanzmärkten allein die Wetten auf eine dynamische Erholung der Wirtschaft, weil umfangreiche Impfaktionen der Corona-Pandemie schon bald den Garaus machen könnten? Oder setzen Wall-Street und andere große Börsenplätze der Welt nicht einfach auf die immerwährende Fortführung der exzessiven Geldpolitik, auf die Jerome Powell als amtierender Fed-Chef oder Christine Lagarde als EZB-Präsidentin die Märkte längst eingestimmt haben?

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Diese Melodie intoniert übrigens auch Yellen, die im Oktober – also Wochen vor ihrer politischen Reaktivierung – in einem Interview ihre Position markierte. Sie plädierte in der Pandemie und darüber hinaus für „außergewöhnliche Unterstützung“ – sowohl in der Geldpolitik der Notenbank wie in der staatlichen Finanzpolitik. Sie sprach sich konkret auch für zusätzliche Hilfen für amerikanische Bundesstaaten und Kommunen aus. Derzeit blockieren die Republikaner im Kongress ein fiskalpolitisches Anschlussprogramm für die auslaufenden Corona-Staatshilfen für Wirtschaft und Bürger. Der amtierende Finanzminister Steven Mnuchin hat sich darüber mit Fed-Chef Powell ein öffentlichkeitswirksames Wortgefecht geliefert, weil auch die Fed dringend eine unverzügliche Fortsetzung der Staatshilfen einfordert, damit ihre eigenen geldpolitischen Rettungs-Aktivitäten nicht konterkariert werden.

Trump schickte Yellen in den Ruhestand

Dass Donald Trump Yellen vor drei Jahren als Fed-Chefin ablöste, obwohl sie in ihrer vierjährigen Amtszeit an der Spitze der Notenbank mit guten ökonomischen Daten reüssieren konnte, adelt sie in den US-Medien und einer breiteren Öffentlichkeit zusätzlich. Ihren Vertrag verlängerte Trump wohl auch deshalb nicht, weil sie seine regulatorischen Lockerungen des Dodd-Frank Acts kritisierte, mit dem die Wallstreet nach der letzten Finanzkrise 2008/2009 zu mehr Verantwortung und stärkerer Haftung angehalten werden sollte. In die Amtszeit von Yellen fiel auch eine erstmalige stufenweise Zinsanhebung – von 0,25 Prozent zu Beginn ihrer Amtszeit auf 1,5 Prozent am Ende – und ein Schrumpfen der Notenbankbilanz, weil die Fed ihre Anleihenkäufe reduzierte. Darüber mokierte sich der twitternde Präsident ebenfalls, aber auch Wirtschaft und Börse, die sich an das „quantitative easing“ der Fed längst gewöhnt hatten. Weil die Konjunktur unter ihrem Nachfolger Jerome Powell eintrübte, wurde die geldpolitische Normalisierung der Fed im Sommer 2018 gestoppt und den Märkten und der kreditwütigen Politik geliefert, was beide an Fed-Drogen einforderten: niedrige Zinsen und schier unbegrenzte Anleihenkäufe.

Yellen kennt beide Seiten: Politik und Notenbank. Als amtierende Finanzministerin wird sie bald die brutalen Zwänge beider Milieus erleben und erleiden. Politisch wird sie, die Keynesianerin, sich damit arrangieren müssen, dass die Republikaner, die unter Trump ungerührt steigende Staatsdefizite in Kauf nahmen, ganz schnell wieder auf eine restriktive Ausgabenpolitik zur Schuldenbegrenzung setzen werden, nicht zuletzt, um damit auch ihre Ablehnung von Steuererhöhungen für die stärkeren Schultern, für die sich die Demokraten traditionell immer erwärmen können, argumentativ zu untermauern. Sie wird aber auch die brutale und selbst gewählte Abhängigkeit der Notenbank von den Finanzmärkten erleben, weil sich die heutigen Profiteure der Vermögenspreisinflation an den Börsen mit sofortigen negativen Kursreaktionen „rächen“, wenn sie eine Normalisierung der Geldpolitik befürchten.

Die Fed orientiert sich an den Aktienmärkten…

Die NZZ beschrieb in diesen Tagen, was die Fed-Politik so riskant macht. Zwei US-Ökonominnen, Anna Cieslak und Annette Vissing-Jorgensen, belegen in einer wissenschaftlichen Studie, dass die Wachstumsprognosen der US-Notenbank für Wirtschaft und Arbeitsmarktentwicklung direkt mit der Entwicklung der Aktienkurse zwischen den Zentralbank-Sitzungen korrelieren. Das lässt sich vor allem bei sinkenden Kursen belegen. Verlieren die Kurse zwischen zwei Meetings beispielsweise 10 Prozent, dann senkt die Fed ihre Wachstumsprognose um einen Prozentpunkt. Dieses einfache Denkmodell, das die Fed-Exponenten inzwischen kultiviert haben, deckt sich mit einer Aussage des ehemaligen Fed-Präsidenten Alan Greenspan, der als Folge einer Kurskorrektur an den Aktienmärkten um 10 Prozent einen BIP-Rückgang von 1 Prozent nannte. Die Fed scheint also einen schwachen Aktienmarkt nicht nur als einfachen Indikator, sondern als direkte Ursache eines Konjunkturrückgangs einzustufen.

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Dass diese Milchbubenlogik von der Dominanz der Aktienmärkte wenig mit der ökonomisch weit heterogeneren Realität einer Volkswirtschaft zu tun hat, sollte auch schlichten Gemütern einleuchten. Doch die Fed nimmt in Kauf, dass ihre verzerrte Perspektivwahrnehmung in einer Fehlorientierung mündet. Eine auf falschen Signalen beruhende Geldpolitik kann sich dann langfristig als wirkungslos oder sogar als kontraproduktiv erweisen. Klar ist jedenfalls die verteilungspolitische Konsequenz einer Notenbank-Politik, die sich vor allem an den Aktienkursen orientiert. 90 Prozent aller Aktien und Fonds in den USA besitzen die reichsten 10 Prozent der US-Bürger, die ärmere Hälfte der Amerikaner besitzt dagegen gerade mal 0,6 Prozent. Auf den Vorwurf, dass die Fed die Reichen mit ihrer Politik immer reicher macht, reagiert der amtierende Fed Chef Powell entweder mit Ausflüchten oder streitet sie schlicht ab. Doch selbst die Bank für internationalen Zahlungsausgleich kommt zu dem Schluss, dass die US-Notenbank mit ihren Maßnahmen zur Stützung der Börsen die Ungleichheit vergrößert.

…. und macht Reiche immer reicher!

Man darf gespannt sein, ob Janett Yellen als Finanzministerin das ihr zugesprochene Gespür für Ungleichheit wirklich beweist. Und ob sie auch als Politikerin die Gefahren einer dysfunktionalen Finanzwelt sieht, die sich von der Realwirtschaft längst abgekoppelt hat. Ohne die Hilfe der staatlichen Notenbanken geht dort vielfach nichts mehr. Die Märkte geben keine echten Preissignale mehr, sondern sonnen sich vermeintlich risikolos unter dem Schutzschirm einer scheinbar unendlichen Liquiditätsversorgung. Dass diese Kursstützungsmaßnahmen der Notenbanken die Ungleichheit in der Gesellschaft massiv verschärfen und soziale Konflikte befördern, nehmen viele mit Gleichmut hin. Das wird sich allerdings gesellschaftspolitisch wie volkswirtschaftlich schneller rächen als viele glauben.

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Kommentare ( 8 )

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Thorsten
3 Jahre her

Dieses Geschäftsmodell ist übrigens daran gebunden, dass es jemanden gibt, der diese Forderungen zu erfüllen bereit ist. Meine Bereitschaft sinkt zwar langsam aber erkennbar.

Christian
3 Jahre her

Es wird sich rächen ,aber weltweit.Mit billigen Geld spekulieren bringt null Wertschöpfung.Das halte ich für eine der größten Schwächen des Kapitalismus.Worin besteht dann noch die Haftung?Hat 2007/2008 noch nicht gereicht?

Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  Christian

Spekulation ist Umverteilung – vom Dummen bzw Nichtinformierten Normalo zum cleveren Spekulanten.
Wertschöpfung ist was für „weiße, alte Männer“. Mit billigen (neuen) Geld wird dieKaufkraft des vorhandenen Geldes entwertet.

PS: Heutzutage zählen Qouten und Intrigen …

bkkopp
3 Jahre her

“ Milchbubenlogik “ scheint die professionelle Substanz von Studienabbrechern zu sein, die über in 4-5 Jahrzehnten sehr bewährten und schon vor 50 Jahren hochqualifizierten Leuten schreiben. Sorry.

jansobieski
3 Jahre her

Immer wenn Sie künftig von „Biden macht/entscheidet/etc.“ sprechen, sollten Sie miterwähnen, wie unglaubwürdig es ist, dass ein grenzwertig dementer älterer Herr komplexe Entscheidungen überhaupt wohl reflektiert treffen kann. Der Verdacht, dass es sich um eine bloße Gallionsfigur handelt und ganz andere Personen entscheiden, war nie größer.

H. Hoffmeister
3 Jahre her

Herr Metzger,
richtige Darstellung des größten Pilotenspiels, dass der Globus je gesehen hat. Die Notenbanken praktisch aller Länder schöpfen Geld in nie gesehenen Größenordnungen und schaffen damit Bewertungen in den Vermögensgütermärkten (Aktien, Betongold, Staatsanleihen etc.), die in keiner Weise mehr realwirtschaftliche Gegebenheiten abbildet. Ihr Schlüsselsatz
„Die Märkte geben keine echten Preissignale mehr, sondern sonnen sich vermeintlich risikolos unter dem Schutzschirm einer scheinbar unendlichen Liquiditätsversorgung“
fasst die ausschließlich politisch zu verantwortende Ausserkraftsetzung der Marktwirtschaft gut zusammen. Uns droht nicht nur Ungemach, uns droht eine Katastrophe.

Peter Gramm
3 Jahre her

ich bin sicher dass die amerikanische Bevölkerung seine Interessen gut durchsetzen wird. Sie ist ja gut bewaffnet.

Thorsten
3 Jahre her

Diese „Milchbubenlogik“ spürt jeder Aktionär in seiner Tasche. Wenn die Kurse sinken, dann spart er.
Steigen sie dagegen wird Champagner von den Dividenden gekauft …