Die Bundesjustizministerium wollte mit Hilfe eines Gesetzes zum Insolvenzrecht die deutsche Grammatik reformieren. Das ging gründlich schief. Die Politik muss offenbar wieder lernen, was schon die Römer wussten: Der Staat kann der Grammatik nichts befehlen.
Die Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz) eines Unternehmens ist eine ernste Sache, zumal in Coronazeiten. Der aktuelle Gesetzentwurf zur „Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts“ berücksichtigt dies, geriet aber trotzdem in die Schlagzeilen – nicht wegen seines Inhalts, sondern wegen eines Sprachstreites zwischen Justiz- und Innenministerium um das „generische Femininum“. Ein Rückblick aus linguistischer Sicht.
Es war eine sprachliche Premiere, inszeniert vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Zum ersten Mal wurde der Öffentlichkeit ein Gesetzestext präsentiert, in dem alle Akteure „in weiblicher Form“ (so die Diktion des Ministeriums) auftreten: als „Gläubigerin“, „Schuldnerin“, „Insolvenzverwalterin“, „Geschäftsleiterin“ usw. Der Text hieß „Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz“ und wurde Mitte September als „Referentenentwurf“ veröffentlicht.
„Eine Geschäftsführerin haftet den Gläubigerinnen für die Verbindlichkeiten der
Schuldnerin“ (§ 61 Abs. 2 B)
würden dahingehend interpretiert, „dass das Gesetz möglicherweise nur für Frauen oder Menschen weiblichen Geschlechts gilt, und damit möglicherweise verfassungswidrig ist“. Das im Referentenentwurf durchgängig verwendete „generische Femininum“, konkret: die Verwendung einer Form wie „Geschäftsführer-in“ für Männer und Frauen, sei „bislang sprachwissenschaftlich nicht anerkannt“.
Genussprache Deutsch
Sprachtypologisch gehört Deutsch zu den „Genussprachen“, die bestimmte Wortarten in zwei (z. B. Französisch) bis zwanzig (Bantusprachen) grammatische Genusklassen einteilen. Deutsch hat drei Genusklassen: Maskulinum (der Weg), Femininum (die Straße) und Neutrum (das Gässchen). Die Hauptfunktion des Genus ist syntaktisch: Es markiert die Zusammengehörigkeit einer Wortgruppe durch die Übereinstimmung ihrer Komponenten im Genus („Kongruenz“): ein schön-er Weg, ein-e schön-e Straße, ein schön-es Gässchen.
Generisches Maskulinum
Bei genusvariablen Substantiven (der/die Angestellte) oder bestimmten Substantivableitungen (Schuldner/Schuldner-in, Löw-e/Löw-in) hat das Genus auch eine semantische Funktion: Das Femininum bedeutet das Geschlechtsmerkmal „weiblich“, das Maskulinum einerseits „männlich“, andererseits im generischen (allgemeinen) Sinn „männlich und/oder weiblich“. Das generische Maskulinum wird verwendet, wenn das Geschlecht unbekannt oder unwichtig ist, oder es sich um eine geschlechtergemischte Gruppe handelt: Ein „unbekannter Täter“ kann also auch eine Frau sein; ein „Schuldner“ in einem Gesetzestext meint eine abstrakte Person (Mann, Frau, Firma), und eine Gruppe „Wanderer“, die jemand von Ferne entgegenkommen sieht, kann sich aus der Nähe als Männer, Frauen oder Männer + Frauen herausstellen. Ohne eine generische Genusfunktion müsste man hier zu sprachgymnastischen Umschreibungen greifen: „Ein unbekannter Täter oder eine unbekannte Täterin“; „Ich sehe in der Ferne eine Gruppe Wanderer oder Wanderinnen oder Wanderer und Wanderinnen“.
Generisches Femininum
Aber muss das geschlechterübergreifende Genus das Maskulinum sein? Natürlich nicht, aber im Deutschen ist es eben so: Die deutsche Grammatik kennt kein generisches Femininum. Lexikalisch kommt es aber durchaus vor: Die sprichwörtliche „schwarze Katze“, die einem über den Weg läuft, kann auch ein Kater sein – der zudem „Katzenfutter“ fressen muss. Und auf öffentlichen Plätzen, wo die Vorschrift gilt: „Das Füttern von Tauben ist verboten“, sind Täuber (Täuberiche) davon nicht ausgenommen.
„Caesar non est supra grammaticos“
Die Grammatik einer Sprache ist ein kompliziertes System, welches die Kombination und Funktion der Wörter regelt: Die fünf Wörter in „Über allen Gipfeln ist Ruh“ ergeben theoretisch 120 Wortkombinationen. Aber nur vier (der Vers Goethes, die Umformulierung „Ruh ist über allen Gipfeln“ sowie die Fragesätze „Ist über allen Gipfeln Ruh?“ bzw. „Ist Ruh über allen Gipfeln?“) sind grammatisch korrekt, die übrigen unverständlich. In ein solches System mit Erfolg einzugreifen, wie es das Justizministerium mit seinem generischen Femininum versuchte, kann nicht gelingen. Schon die alten Römer wussten, dass der Staat der Grammatik nichts befehlen kann: Caesar non est supra grammaticos, wörtlich übersetzt: „Der Herrscher steht nicht über den Grammatikern“.
Aber wussten die Beamten – im Neudeutsch des Justizministeriums: die „Beamtinnen“ – nicht, das diese „Grammatikreform“ scheitern musste? Jedenfalls reagierten sie wie erfahrene Beamter auf Blödsinn von oben zu reagieren pflegen und bauten in den Text Stolpersteine ein: Der Referentenwurf ist deshalb keineswegs „komplett in weiblicher Form“; denn ab und zu wurde in den Text ein generisches Maskulinum hineingeschmuggelt: Die „Gläubigerinnen“ vertreten „Gläubigerinteressen“ (§ 2), nicht Gläubigerinneninteressen; es gibt „Zeugen“ (§ 4), „Teilnehmer“ (§ 60) und „an der Schuldnerin beteiligte Aktionäre oder Kommanditaktionäre“ (§ 69). Kurzum: Der Entwurf des Bundesjustizministeriums war bewusster sprachlicher Blödsinn, also Blödeln.
Mitte Oktober machte das Bundeskabinett diesem Blödeln ein Ende: Das nun dem Bundestag vorgelegte „Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz“ verwendet wieder das sprachübliche generische Maskulinum.
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An diesen „Sprachgymnastischen Umschreibungen“, erkenne ich nur die große Not an qualifizierten Mitarbeiterinnen ? in Ministerien.
Wahrscheinlich alles Quote, oder was?
Danke – eine wirklich fundierte Betrachtung. Jean-Claude Juncker beschreibt das übliche Prinzip in der Politik sehr offen und zutreffend schon vor über 20 Jahren wie folgt: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ Es ist sicher nützlich zu widersprechen, wo das nötig ist. Helfen tut aber nur das Kreuzchen in der Wahlkabine. Dankenswerterweise machen SPD-Politiker (m/w/d) einem… Mehr
Ab sofort möchte ich nur noch vom Hahn- und Hühnerhof lesen und hören.
Generisches Femininum: die Waise – kennt schon keiner mehr. „Wehret den Anfängen!“ heißt: Pflegt die Sprache (das gilt für Genitiv, Konditional, Konjunktiv, e-i-Wechsel, auch für die s-Laute), verweigert euch der „Neuen“ Rechtschreibung! Und vor allem: Wählt diese Leute nicht!
Lambrecht hält ihre Geschlechtsgenossinnen wohl für geistig minderbemittelte, hilfsbedürftige Kleinstkinder. Der Unsinn ist eine Beleidung der Frau. „Noch nie hat die Obrigkeit die Grammatik bestimmt“ – da bin ich mir nicht so sicher. Je mehr diese Sprachkrankheit „Genderitis“ von Behörden und öffentlich-rechtlichem Rundfunk verbreitet wird, desto mehr färbt die ab, zumal auch Private den Affentanz mitmachen. Das ist wie mit der Schlechtschreibdeform. Anfangs weithin abgelehnt, heute Standard. So wie schon ein Minister für Volksaufklärung meinte, eine Lüge müsse nur oft genug wiederholt werden, irgendwann werde sie geglaubt, so wird auch das Gendersprech allmählich in Alltagssprache einsickern. Dagegen hilft nur aktive… Mehr
Natürlich kann die Obrigkeit die Grammatik bestimmen. Bei der Rechtschreibreform, die Sie anwenden, ging’s doch auch. Oder wie wollen Sie die Großschreibung bei „heute Abend“ grammatisch begründen?
Machen Sie den Unsinn nicht mit, dann erledigt er sich. Fallen Sie darauf herein, wie bei der Rechtschreibreform, etabliert er sich.
Viele Befürworter des „Neusprechs“ sehen in der generischen Pluralform ein Feindbild. Alles was auch noch so entfernt männlich klinkt wird bekämpft und durch lächerlich wirkende „Geschlechtssymbole“ und Ausdrucksformen ersetzt. Eine generische Pluralform wie „die Leser“ bezeichnet nur „Personen die lesen“. Unabhängig von ihrem Geschlecht sind hier alle lesenden Personen eingeschlossen. Eine überwiegend männliche Assoziation muss wohl an persönlichen Neigungen und Orientierungen liegen. Ich kann diese ideologische geprägte Wahrnehmung der Sprache jedenfalls nicht nachvollziehen.
Das mit dem „brachial durchgreifen“ ihrer Chefin hat SPD-Justizministerin Lambrecht offensichtlich zu wörtlich genommen, um dem Macho ** Schäuble-Seehofer-Steinmeier-Maas-Patriarchat in Berlin mal zu zeigen, wo der feministische Hammer (und die vermutete FDJ-Sichel mit dem dazugehörigen Amboss) sprachpolitisch hängt. In Kommunen, wie z.B. in der LH München, ist die hier angesprochene „politisch korrekte Aktualisierung“ der deutschen Sprache zwar schon seit mindestens zwanzig Jahren tägliches Ärgernis der behörlichen Verlautbarungen, aber dort darf zumindest eine entsprechend infantile „Beschlussfassung“ im Stadtrat unterstellt werden. Dass die Genossen in Bayern deshalb aktuell nur noch mit 7% anschreiben dürfen, könnte auch mit diesem geistig suboptimalen Genderwahn zusammenhängen.… Mehr
Das ist doch mittlerweile eine übliche Vorgehensweise in dieser so „hoch geachteten“ Regierung:
Schei.. auf die Gesetze, erst mal machen und schauen, was davon durchläuft. Wenn keiner öffentlich meckert, wird es still und heimlich etabliert.
Eine überaus simple, durchschaubare und in den allermeisten Fällen verachtenswerte Taktik.
Ich habe es versucht durch zu lesen… und bin kläglich gescheitert! Es verwirrt und „ja“ ich habe kein Studium! Aber, ich Atme täglich frische Luft, kann ein Motorrad durch enge Kurven wedeln und brate meiner Familie an Sonntagen immer mal wieder ein leckeres Steak dazu Folienkartoffeln mit Buttergemüse…. ach könnte ich nur besser mit den drei Genusklassen umgehen! Ich bin kein Schuster, bleibe aber bei meinen Leisten!