Sie vermuten schon länger, Ihr Nachbar sei möglicherweise Terrorist oder könnte bald einer werden? Dann scheuen Sie sich nicht und melden Sie Ihre Beobachtungen direkt ihrem Innenminister. Ihre Mithilfe ist gefragt. Denn nur gemeinsam kann es uns gelingen, unser Deutschland wieder zu jenem sicheren Land zu machen, dass es einmal war. Damals.
Glauben Sie mir bitte, ich habe es mir nicht leicht gemacht. Aber wo Politik so vehement Bürgerengagement einfordert, will ich nicht mehr zurückstehen. Und ich bin bereit zu liefern: Ich habe damit begonnen, erste Dossiers anzulegen über meine Nachbarn mit Migrationshintergrund. Ich würde sogar Dossiers anlegen über Schäferhunddeutsche oder Naziglatzen, wenn nur welche nebenan einzögen. Sind aber bisher noch keine.
Wie Sie sich denken können, verfüge ich über keine einschlägigen investigativen Erfahrungen. Ich bin nicht in der DDR aufgewachsen und ich habe dank der Gnade der späten Geburt auch keine Denunzianten-Erfahrungen aus der NS-Zeit im Köcher. Ich bin wie Sie: ein völlig normaler Deutscher. Nennen Sie mich unbedarft oder naiv. Aber der Mensch kann sich ändern. Ich will das auch versuchen.
Ich will mit anpacken, wenn’s drauf ankommt. Ich möchte jetzt erfüllen, wozu Innenminister Thomas de Maizière seine braven Deutschen in der Rheinischen Post aufgerufen hat:
„Wir brauchen aber auch in der Bevölkerung eine erhöhte Achtsamkeit, wenn sich Familienangehörige, Nachbarn oder Freunde radikalisieren. (…) Das muss Teil unserer Sicherheitsarchitektur sein. Solche Hinweise an die Behörden sind unverzichtbar für die Vereitelung von Terroranschlägen. (…)Die Radikalisierung erfolgt nicht nur im Internet, sondern beginnt regelmäßig auch im persönlichen Umfeld der Menschen.“
Auszug aus meinem Dossier über Familie X
Eintrag:
„Die nette Frau meines Nachbarn trägt seit Mittwoch Nachmittag außerhalb ihrer Wohnung Kopftuch (was sie seit dem Einzug der Familie vor 4 ½ Jahren nie tat). Seitdem grüßt sie mich auch nicht mehr.“
Eintrag:
„Kurzes unverfängliches Gespräch am silberfarbigem Audi (BS-XX-XXXX). Nachbar erzählt (in absichtsvoll vergnüglichem Ton!) von einem geplanten Familienurlaub ab Anfang Juli zurück in sein Herkunftsland.“
Bemerkung:
„Über das alte Heimatland meines Nachbarn hat der Bundesrat gerade eine Entscheidung verschoben, ob man es als sicheres Herkunftsland bewerten kann.“
Frage:
„Warum will mein Nachbar dort hinfahren? Verwandte besuchen? Oder Schlimmeres? Gar eine Terrorausbildung für die Kinder? Oder als Ausgangspunkt, um sich endgültig dem Kalifat anzuschließen?“
Notiz:
„Unbedingt mit der Lehrerin der Kinder sprechen und fragen, ob sie Auffälligkeiten beobachtet hat oder ob die Kinder etwas erzählt haben, auf das sie sich keinen Reim machen kann.“
Auftrag:
„Jetzt dran bleiben und demnächst ein unverfängliches Gespräch mit einem der beiden Kinder führen. Öfter den Bus nehmen anstelle des Autos. Die Kinder fahren Bus zur Schule. Nette und zuvorkommende Kinder (manchmal etwas schüchtern!) . Sie werden mir sicher arglos Auskunft geben. Das Gespräch mit einem unverfänglichen Bericht meines eigenen Urlaubs beginnen. Dann locker überleiten. Möglicherweise erhalte ich hier schon erste unverstellte Hinweise über die Hintermänner des Terrors, von denen der Minister so eindringlich warnte.“
Zwischenbilanz:
So ungefähr habe ich nun seit exakt 27 Tagen meine Beobachtungen aufgeschrieben. Tag für Tag. Einmal sogar nachts, als der Vater im Dunkeln nach Hause kam und sich verdächtig lange im hinteren Teil des Gartens aufhielt. Die von mir an einem grenznahen Baum platzierte Aldi Maginon WK3 (79,99 Euro), eine erstaunlich leistungsstarke Wildbeobachtungskamera mit Foto- und Filmmodus, brachte keine verwertbaren Erkenntnisse: der Nachbar muss im toten Winkel agiert haben. Eine weitere neu installierte Maginon könnte jetzt im Widerholungsfalle Abhilfe schaffen.
Problem Berichtsweg:
Meine Aufzeichnungen werden immer umfangreicher. Hunderte von Megabyte Maginon-Fotomaterial inklusive. Die Frage, die ich mir allerdings jetzt stelle: Wann ich mein Dossier an welche Stelle weiterleiten soll. So ein Dossier ist ja im Prinzip nie fertig. Dazu steht leider nichts in der Rheinischen Post.
Ich versuche es auf die Seite des Innenministers. Oder hat de Maizière eine Twitter-Account? Dann twittere ich ihm kurz etwas Unverdächtiges. Nur ein kleiner Hinweis, der aber den Fachmann neugierig machen könnte. Aber der hat gar kein Twitter. Oder er twittert unter Pseudonym. Wäre ja auch schlauer, wenn’s darum geht, anderen Twitterern auf die Schliche zu kommen. Also Fehlanzeige.
Neue Idee: Kann man sich nicht stellvertretend auch an den Twitterkönig der Bundesregierung wenden, an Heiko Maas? Kann man, aber er hat nicht einmal auf mich reagiert. Ich habe zwar bei Maas drei Herzchen für meinen Tweet bekommen. Aber allesamt von mir unbekannten Twitter-Menschen: ein lila eingerahmtes weißes Ei mit 13 Followern, ein gelbes mit leider nur einem. Und eine MieziSofia78 mit süßem Kätzchen vor einer Sonnenuntergangstapete fast wie aus dem Film Scareface als Profilbild mit 5978 Followern.
Also gehe ich auf die Website des Innenministeriums. Aber auch dort finde ich zunächst keinen Anhaltspunkt. Nirgends eine adäquate Anlaufstelle, wo ich mein Dossier abliefern darf. Stattdessen zeigt ein Riesenfoto auf der Startseite den Herrn Minister neben dem Franzosen Hollande. Mein erster Eindruck: Hollande hat deutlich mehr Haare auf dem Handrücken als de Maizière. Und der deutsche Innenminister hält den kleinen Finger seiner linken Hand seltsam abgespreizt. Das macht mir mehr Sorgen, als die Haare. Ein geheimes Zeichen? An wen? Etwa an mich? Aber was bedeutet es? Ein Fall für ein weiteres Dossier? Aber nein, ich kann ja kein Dossier über den Auftraggeber des Dossiers anfertigen. Ich muss über mich selber lachen: Die Revolution frisst also schon ihre Kinder.
Aber dann entdecke ich doch noch meinen Ansprechpartner! In der Navigationsleiste der Ministeriumswebsite finde ich den Hinweis: „Bürgerservice“. Das klingt zwar unverfänglich, aber kann ja perfekte Tarnung sein. Ich spüre instinktiv, hier könnte ich richtig liegen. Also klicke ich und … schwupps kommt die Info:
„Sie können sich telefonisch an den Bürgerservice wenden. Der Bürgerservice ist unter der Telefonnummer 0228-99 681-0 oder 030-18 681-0 von Montag bis Freitag in der Zeit von 7:00 – 18:00 Uhr erreichbar.“
Unterhalb der Angaben befindet sich ein Formular, das man sofort ausfüllen und abschicken kann. Allerdings mit einer ziemlich blöden Einschränkung: „Ihre Nachricht darf max. 1.000 Zeichen beinhalten“. Um nun dem Minister mein vollständiges Dossier über meinen verdächtigen Nachbarn mit Migrationshintergrund und Reiseplänen (!) weiterzuleiten, müsste ich das Dossier stückeln und hunderte dieser Formulare nacheinander ausfüllen. Ob die dann wirklich alle und in der richtigen Reihenfolge ankommen?
Besser melden als gemeldet werden:
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich will meinen Nachbarn nichts Böses. Ich mag die Familie sogar sehr. So jemand bin ich nicht. Ich war immer ein guter Nachbar. Aber ich liebe auch mein Land. Und wer schützt mich, wenn ich zu leichtgläubig bin? Wer? Na klar: unser deutscher Innenminister. Und sicher haben Sie, lieber Leser, ein ähnliches Sicherheitsbedürfnis wie ich. Also wie wäre es, wenn Sie ebenfalls über dieses Internet-Formular alle Ihre verdächtigen Beobachtungen versenden? Lieber eine zu viel als eine zu wenig! Direkt auf den Schreibtisch von Thomas de Maizière!
Jeder nicht enttarnter Terrorist ist einer zu viel. Nur Mut: Ich habe gerade 122 mal das Formular ausgefüllt und konnte so mein komplettes erstes Dossier versenden. Eine echte Erleichterung. Schreiben Sie dem Minister, was sie beobachtet haben. Fast alles ist dabei erlaubt: Denn wer nichts meldet, der kann auch nichts verhindern! Der Innenminister wird es Ihnen danken, da bin ich absolut sicher. Möglicherweise ernennt er Sie aus Dankbarkeit sogar zum Hilfssheriff. Dann dürfen Sie bald offiziell eine Waffe tragen und ihren Nachbarn festnehmen, wenn sich die Verdachtmomente aus ihrem Dossier-Arbeit erhärten sollten. Ganz Deutschland sagt Ihnen vielen Dank für Ihre Hilfe!
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