Der „antirassistische Protest“ und sein antisemitischer Flügel

In der Black-Lives-Matter-Bewegung wächst der Einfluss radikaler Judenfeinde. In den meisten deutschen Medien kommt das Thema nicht vor.

imago Images/Zuma Wire

Als am Samstag dem 4. Juli – dem amerikanischen Unabhängigkeitstag – etwa 1.000 Angehörige einer bewaffneten schwarzen Miliz namens N.F.C.A. („Not Fucking Around Coalition) durch den Georgia Stone Mountain Park marschierte, machte auch ein Tweet des N.F.A.C.-„Großmeister Jay“ die Runde. Der Anführer der Miliz, die sich als eine Art Ku Klux Klan von Schwarzen versteht, schrieb darin, Hitler sei „missverstanden“ worden; sein eigentliches Ziel sei es gewesen, die Welt von Juden und Freimaurern zu reinigen – und (weiße) Juden hätten auch die Bevölkerung in den USA versklavt.

Der Miliz-Anführer ist längst nicht der einzige Afroamerikaner, der sich in dem angeblichen Antirassismus-Kampf dezidiert antisemitisch äußert. Der schwarze Rapper Ice Cube, ein Musiker mit großer Anhängerschaft, postete nach dem Tod von Floyd die Karikatur jüdischer Klischee-Figuren mit der Unterschrift: „Alles, was wir tun müssen, ist (gegen sie) aufzustehen, und ihr kleines Spiel ist vorbei“ (“All we have to do is stand up [against them] and their little game is over.”)

Das Bild hat es bereits 2018 zu trauriger Bekanntheit gebracht:

Was sich so bizarr anhört, bildet mittlerweile eine breite Strömung innerhalb des radikalen und gewalttätigen Teils der Black-Lives-Matter-Bewegung: eine Mischung aus wilden Verschwörungstheorien und gewalttätigem Antisemitismus. In den Berichten der meisten deutschen Medien, die die BLM-Bewegung romantisch verklären, kommt dieser Aspekt entweder gar nicht vor – oder höchstens als Fußnote. Zu den wenigen Ausnahmen gehören die Texte des Bloggers Don Alphonso in der WELT.

POWAY/NEW YORK
Antisemitismus: Wie eine gefährliche Epidemie
Dabei gibt es den radikalen schwarzen Antisemitismus schon länger. Am 10. Dezember erschossen zwei Täter aus der Black-Hebrew-Bewegung drei Menschen vor einem koscheren Supermarkt in New Jersey, töteten in einem Schusswechsel zwei weitere Opfer und wurden schließlich von der Polizei erschossen. Die Black-Hebrew-Bewegung, mit der auch der oben zitierte „Großmeister“ der N.F.A.C. sympathisiert, sieht die schwarze (und hispanische) Bevölkerung als „erwähltes Volk“ an und behauptet, Schwarze seien die eigentlichen „Hebräer“ und Ureinwohner des heutigen Israel gewesen. Ihre militante Agitation richtete sich vor allem gegen Juden weltweit, auch in den USA.

Deutsche Medien berichteten zwar über das Attentat in New Jersey, verzichteten aber meist – etwa die „Süddeutsche“ auf jegliche Informationen zu den beiden Tätern David. N. Anderson und Francine Graham und die Black-Hebrew-Bewegung, obwohl deren Identität und Hintergründe schnell feststanden. Die allermeisten Medien in Deutschland (und auch etliche in den USA) veröffentlichten auch keine Fotos des Attentäter-Paars:

Durch die Demonstrationen nach dem Tod von George Floyd im Mai 2020 erhielt die antisemitische schwarze Bewegung neue Nahrung: Aktivisten verbreiteten das (falsche) Gerücht, bei der Gewaltanwendung des Polizisten Derek Chauvin, durch die Floyd mutmaßlich zu Tode kam – das Knieen auf dem Nacken beziehungsweise Hals – handele es sich um eine vom israelischen Militär entwickelte Methode.
„Black Lives Matter ist ein Katalysator für Antisemitismus“, titelte der britische Telegraph kürzlich. Der BML-Antisemitismus richtet sich vor allem gegen Israel – aber auch generell gegen Juden in westlichen Ländern.

„Es geht weiter“, heißt es in dem Telegraph-Bericht: „In der letzten Woche auf einer antirassistischen Kundgebung in Paris, inspiriert von Black Lives Matter, stand auf Plakaten und Sticken solche sprachlichen Juwelen wie ‚Israel, Labor der Polizeigewalt’, ‚Wer ist der Terrorist? Palästina den Palästinensern! Boykottiert Israel“ („It goes on. Last week, at an anti-racism rally in Paris inspired by Black Lives Matter, placards and stickers read such jewels as ‚Israel, laboratory of police violence’, ‚Who is the terrorist?’, ‚Palestine to the Palestinians! Boycott Israel!’’, and ‚Stop collaboration with Israeli State terrorism.’)“ Bei einer Kundgebung in Paris, so der Telegraph, sei auch „schmutzige Juden“ skandiert worden.

Monsey, Bundesstaat New York
Judenfeindlicher Anschlag in New York: US-Medien benennen Täter - warum die deutschen nicht?
Der Antisemitismus beschränkt sich nicht auf militante Gruppen, er reicht weit in die schwarze Community hinein. Die gefeierte Schriftstellerin Alice Walker, Autorin des millionenfach verkauften Romans „Die Farbe Lila“, bekannte sich kürzlich in einem Interview mit der New York Times dazu, Anhänger des britischen Verschwörungstheoretikers David Icke zu sein. Bei David Icke, einem früheren Fußballspieler und späterem Politiker der britischen Grünen, handelt es sich um einen besonderen Fall: Nach seiner Deutung herrschen reptiloide Wesen außerirdischer Herkunft über die Welt, viele davon seien Juden. Bei dem Holocaust, so Icke, handele es sich höchstwahrscheinlich um eine Erfindung. Icke brachte kürzlich auch Juden mit der Ausbreitung von Covid-19 in Verbindung. „In Ickes Buch findet sich das Ganze der Existenz, auf diesem Planeten und zahlreichen anderen, über das nachzudenken ist“, meinte Walker in dem Interview. (“In Icke’s books there is the whole of existence, on this planet and several others, to think about“). Bei Ickes Buch, das sie erwähnte, handelt es sich um sein Pamphlet „Und die Wahrheit wird dich frei machen“ (And the Truth Shall Set You Free).

Walkers Neigung zu antisemitischen Welterklärungstheorien besteht schon seit einigen Jahren. Sie veröffentlichte 2017 das Prosagedicht „Es ist unsere schreckliche Pflicht, den Talmud zu studieren“, in dem sie über ihre Erkenntnisse berichtet, das Buch sei eine Art Programm für Krieg und Gewalt nicht nur im Nahen Osten, sondern weltweit.

„For the study of Israel, of Gaza, of Palestine,
Of the bombed out cities of the Middle East,
Of the creeping Palestination
Of our police, streets, and prisons
In America,
Of war in general,
It is our duty, I believe, to study The Talmud“,

heißt es dort.

„Für eine tiefergehende Studie“, schreibt Walker, empfehle ich, mit Youtube zu beginnen. Verfolge einfach auf dem Pfad ‚Der Talmud’, wie sein Gift sich zeitverzögert in unser kollektives Bewusstsein schlängelt“.
(„For a more in depth study
I recommend starting with YouTube. Simply follow the trail of “The
Talmud” as its poison belatedly winds its way
Into our collective consciousness“)

Ihre Verehrung für Icke konnte Walker in dem interview mit der New York Times problemlos und ohne größere kritische Nachfragen äußern. Das ist erwähnenswert, da im Juni der Chef des Meinungsressorts der Zeitung auf Druck der Redaktion gehen musste, weil er einen Gastbeitrag des Republikanischen Politikers Tom Cotton abgedruckt hatte – der sich für den Einsatz des Militärs gegen gewalttätige Ausschreitungen in amerikanischen Städten nach dem Tod Floyds ausgesprochen hatte. Nach Ansicht der Redaktionsmehrheit sei das Blatt nicht dazu da, jede Meinung wiederzuspiegeln.

Walkers Ansichten gehören offenbar zu denen, die keinen Protest unter den NYT-Mitarbeiter auslösten.

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