Addio, Morricone

Heute morgen ist Ennio Morricone im Alter von 91 Jahren gestorben. Glücklich, wer Morricone noch einmal sehen konnte. Es war purer Zufall, dass Marco Gallina nur drei Tage vor Morricones Berliner Konzert 2019 davon erfahren hatte. Und wie durch ein Wunder waren noch Karten kriegte. Zum Tod des großen Mannes daher der Bericht von 2019 noch einmal.

imago Images

Manche Wünsche erfüllen sich erst im letzten Moment. Es gibt Lebensträume, die erfüllen sich manchmal unverhofft; manche tun es, und man lässt sie verstreichen. Beispiele gibt es dafür auch in meinem Leben. Bis heute leide ich darunter, dass es mir nicht gelungen ist, nach jahrelanger Suche und zuletzt Erfolg hinsichtlich einer Romanveröffentlichung dieses Projekt aus eigenem Verschulden fallen gelassen zu haben. Zehn Jahre und mehr als ein Dutzend Projekte hatte es verlangt, bis sich eine Möglichkeit dafür bot. Ich ließ sie verstreichen, weil aktuelle Veränderungen in meinem Leben es unmöglich machten, größere Passagen umzuschreiben.

Ein anderer Traum betrifft Ennio Morricone. Morricone ist mehr als ein gewöhnlicher Komponist. So gerne ich Williams, Hisaishi oder Zimmer höre – manche Stücke von ihnen sogar lieber als das eine oder andere Werk des Italieners – so ist doch der über neunzig Jahre alte Römer eine Legende, die als Phänomen des musikalischen 20. Jahrhunderts ein Symbol für die Ewigkeit ist. Morricone ist bereits jetzt eine historische Persönlichkeit und es ist nicht auszuschließen, dass eines Tages Konzerte stattfinden, in denen man seine Musik spielt wie man heute Strauss, Mahler oder Prokofiev aufführt. Vielleicht geht dies zu weit – aber insbesondere Italien hat einen solchen Respekt vor diesem Meister, dass es wenigstens für die Halbinsel wahrscheinlich scheint, dass dort einmal Philharmonien seinen Namen tragen.

Während Hans Zimmer Deutschland verließ, um in Amerika Karriere zu machen, liegt der Fall bei Morricone etwas anders. Zimmer und Morricone machten Karriere in Hollywood; aber im Gegensatz zu Zimmer ist Morricones Verhältnis zu seiner Heimat ein ganz anderes. Morricone ist immer in seinem tiefsten Herzen Italiener; und seine Musik ist immer ein Stück italienischer Seele. Das zeigt sich schon daran, dass Morricone immer wieder Musik für italienische Filme geschrieben hat, ob für die Leinwand oder das Fernsehen. Der Marco-Polo-Soundtrack stammt aus seiner Feder – gibt es etwas Ähnliches für den deutschen Film? Man mag anführen, dass die deutsche Filmkultur nicht mit der italienischen vergleichbar ist, Zyniker würden einwerfen, dass Deutschland keinen Leone kannte, keinen Sorrentino kennt.

Aber da ist mehr: trotz der gewaltigen Quantität von 500 verschiedenen Filmen, die das Repertoire Morricones abdecken, sind sie eben kein seelenloses Popkornkino. In der Tat: nicht jede dieser Filmmusiken ist grandios, es existieren deutliche Unterschiede. Die große Bandbreite macht Überschneidungen auch nicht selten; und dennoch ist es beeindruckend, wie Morricone trotzdem immer wieder neue Wege ging, wie er im Italo-Western neuartige, befremdende, faszinierende Geräusche verwendete, um eine bis dato unbekannte Atmosphäre aufzubauen.

Kurz gesagt: einer meiner Lebensträume war es, Morricone live zu sehen. Das Zeitfenster dafür ist erheblich geschrumpft, nachdem der Komponist am 10. Februar 2018 seinen neunzigsten Geburtstag gefeiert hatte. In den letzten Jahren hatte ich gleich zweimal versucht, ein Konzert zu besuchen; zweimal hatte ich Karten gekauft, zweimal wurden die Konzerte aus Gesundheitsgründen im letzten Moment abgesagt.

Morricone hat nach einem halben Jahrhundert als Dirigent und Komponist die Entscheidung gefällt, seine Karriere mit einer Abschiedstournee zu beenden. Nur eine Handvoll Städte außerhalb Italiens hat er dafür ausgewählt: Krakau, Berlin, Budapest, Prag, Stockholm, Fornebu, Antwerpen, Dublin. Zweimal will Morricone „bei uns“ in der Arena von Verona auftreten, sechsmal in seiner Heimatstadt Rom, einmal in Lucca. Die Auswahl zeigt neuerlich eine tiefe Verbundenheit zu Italien: denn die Hälfte aller seiner Abschiedskonzerte finden genau dort statt. Selbst große Länder wie Frankreich, Großbritannien oder gar die USA werden von ihm ausgelassen.

Es war purer Zufall, dass ich nur drei Tage vor dem Berliner Konzert davon erfahren habe. Und wie durch ein Wunder waren noch Karten verfügbar. Die Veroneser Option wäre mir aufgrund der Urlaubsplanung schlicht unmöglich gewesen wahrzunehmen, wie sich später herausstellen sollte.

Morricone dirigiert nur noch im Sitzen. Aber es ist bewundernswert, wie er eh und je dirigiert, wie er bereits morgen in Ungarn das nächste Konzert hält, wie er es sich auch nicht nehmen ließ, drei Zugaben an diesem Abend zu halten. Es sind schlicht alle Vorurteile im positiven Sinne wahr. Als eine sehr schöne Entscheidung stellte sich heraus, dass Morricone neben solchen Klassikern wie The Good, the Bad and the Ugly oder Mission auch Stücke neueren Datums – wie etwa Ostinato Ricercar per un Immagine – oder ältere Werke, die man fast vergessen hat (Abolicao aus „Queimada“). Da nimmt man in Kauf, dass die Mercedes-Benz-Arena aus mehreren Gründen eine Fehlentscheidung für die Aufführung war. Glücklich, wer Morricone noch einmal sehen konnte.


Dieser Beitrag ist zuerst bei Marco Gallina erschienen. 

Unterstützung
oder

Kommentare ( 9 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

9 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Stiller Ruf
4 Jahre her

Weitestgehend unbemerkt, die einzigartige Filmmusik zur Fernsehserie „Allein gegen die Mafia“ , / siehe „Mille Echi – (La Piovra)“. Dazumal im ZDF ausgestrahlt bzw. (mit)produziert, gehört sie zu den künstlerisch größten Perlen der europäischen TV-Geschichte. Danach ging’s auch schon wieder bergab, vor allem mit dem ZDF … Ruhe in Frieden, Maestro!

Urbanus
4 Jahre her

Ich habe sofort an den „Paten“ gedacht. Aber das war Nino Rota. Spiel mir das Lied vom Tod und Es war einmal in Amerika, unglaublich gute Musik. Lange Melodie Linien, Il Pastorale. Romantik pur, mehr geht nicht. RIP Ennio Morricone.

hassoxyz
4 Jahre her

Ich erinnere mich noch genau, den ersten Film, den ich mit Morricone als Komponisten sah, war „Zwei glorreiche Halunken“ (The good, the bad and the ugly) im ZDF im Januar 1984. Am Anfang gab es noch einen Tonausfall. Ich war sofort fasziniert von dem Film, besonders auch von der Musik. Das markante Quartenmotiv fiel mir sofort auf, weil ich es schon oft gehört hatte. Ich wußte aber nicht, daß es aus einem Italowestern stammen würde. Der noch bekanntere Western „Spiel mit das Lied vom Tod“ von 1968 lebt dagegen fast ausschließlich von Morricones wohl berühmtester Musik (mit der Mundharmonika) und… Mehr

Ralf Poehling
4 Jahre her

Morricone gehört zu den wenigen Filmmusikkomponisten, deren Werk regelmäßig in verschiedenen Interpretationen aus meinen Hifi-Boxen tönt.
Neben den alten Größen des Filmscores, wie etwa Ron Goodwin, Jerry Goldsmith und John Williams, nahm er einen der vorderen Plätze in der Geschichte der musikalischen Untermalung von unzähligen filmischen Meisterwerken ein, die in die Kulturgeschichte der westlichen Welt eingegangen sind.
Aber nicht nur das, selbst bei eher kleineren und weniger bedeutenden Filmen, blieb er sich treu, untermalte diese oftmals mit seinem unverkennbaren Stil und hob damit selbst filmisches Mittelmaß auf eine höhere Ebene.

Was für ein unersetzlicher Verlust.

donpedro
4 Jahre her

ich bin mit seiner musik aufgewachsen und war immer fasziniert von ihr.
ja, zimmer ist gut, doch señor morricone war immer spruehend.

der herrgott moege seine seele zu sich nehmen.

pcn
4 Jahre her

Danke, Marco Gallina, für diese wunderschöne, empathischer Replik eines legendären Musikers und Filmkomponisten. ‚Once Upon A Time In The West‘ war wohl der endgültige Durchbruch für seine Karriere. Dieser Soundtrack bleibt bei allen Cineasten wohl in Erinnerung. Auf gleicher Höhe mit Leonard Bernstein’s Soundtrack ‚West Side Story‘ und Dimitri Tiomkin’s ‚ High Noon‘.

Unterfranken-Pommer aus Bayern
4 Jahre her

Marco, als der größte Filmmusik-Fan des östlichen Allgäus (und einziger Kommentator unter Ihrem Löwenblog-Eintrag vom Januar letzten Jahres) sage ich ein ganz großes DANKE SCHÖN für Ihre Zeilen zum Tode des Maestros. Und an TE für das Veröffentlichen! 🙂 Es paßt in dieses vermaledeite Jahr, daß es den Tod diesen Titanen gezeitigt hat. Für jemanden wie mich, der seit einem Vierteljahrhundert fast ausschließlich Filmmusik hört (der Rest ist russischer Chorgesang) ist der Tod von einem der wenigen ganz Großen, die die Filmmusik je hatte, natürlich ein Grund für eine Lamentatio, aber wenn man bedenkt, daß der Maestro in seinem langen… Mehr

MrLeopold
4 Jahre her

Ein wahrhaftig großer Mann.
Ein wahrhaftig großer Italiener.
Eine wahrhaftig großer Komponist.
RIP

fatherted
4 Jahre her

Ohne seine Musik, wäre der Italo-Western nicht der Italo-Western.