„Der Faschismus lebt“ – Über Ängste der Anti-Rechtspopulisten

Weimar sei nach Ansicht des Moderne-Skeptikers Odo Marquard nicht an der Bürgerlichkeit, sondern an der "Bürgerlichkeitsverweigerung" zugrunde gegangen, führt Norman Siewert aus. Auch jetzt verkennen linke wie rechte Bürgerlichkeitsverweigerer den Wert der bürgerlichen Welt.

© Carsten Koall/Getty Images
Symbolbild

„Der Schoß ist noch fruchtbar, aus dem das kroch“, lautet Bertold Brechts berühmter Ausspruch. Für die bundesrepublikanische Linke ist er zum zentralen Glaubenssatz bis heute – und gerade heute – geworden. Ihre Ur-Angst ist die Wiederauferstehung des Faschismus. Dass Ängste nicht nur auf Seiten der Rechten zu Hysterie und Irrationalismus führen, bewiesen schon die revolutionär bewegten Studenten der 1960er Jahre. War die sogenannte „68er-Bewegung“ doch zum Großteil eine ausgemachte Angst-Bewegung gewesen. Denn in den Augen vieler Studenten und neo-marxistischer Intellektueller drohte die bundesdeutsche „Scheindemokratie“ u.a. angesichts von Großer Koalition und Notstandsgesetzgebung, dem kurzzeitigen Erstarken der NPD und, nicht zu vergessen, des tragischen Todes von Benno Ohnesorg jeden Augenblick in einen faschistischen Staat umzukippen.

Rudi Dutschke zufolge galt ihr Kampf den „autoritär-faschistoide[n] Tendenzen“ der „spätbürgerlichen“ und „spätkapitalistischen“ Gesellschaft. Der Faschismus-Begriff erfuhr vor diesem Hintergrund eine absurde Inflationierung. Als ideologisch-dogmatischer Kampfbegriff der „68er“ richtete er sich insbesondere gegen Kapitalismus und Bürgertum. Dieser neue Antifaschismus basierte auf einem zutiefst illiberalen Freund-Feind-Denken und legitimierte ausdrücklich sogar die Anwendung von revolutionärer „Gegengewalt“, die im Falle der R.A.F. schließlich in einen wahnhaften Terror mündete.

„Der Faschismus lebt“

Wenn jetzt also wieder zunehmend von Weimarer Verhältnissen die Rede ist, rate ich mit Blick auf unsere jüngere Geschichte zu mehr bürgerlicher Gelassenheit, die auf der Äquidistanz zu den hysterischen Angstzuständen der Rechten und der Linken gründen sollte. Ängste, heißt es doch immer, seien irrational und in jedem Fall ein schlechter Ratgeber. Guckt man jedoch in die Zeitungen dieser Republik, ist es zugegebenermaßen schwierig, keine Angst zu bekommen. Denn in Europa geht es längst wieder um – das Gespenst des Faschismus.

So hieß es u.a. in der tageszeitung am Anfang dieses Jahres: „Werben für den faschistischen Staat“, die extreme Rechte sei im Aufwind. Oder die ZEIT fragte kurz nach den Landtagswahlen im März, ob „wir vor Verhältnissen wie zum Ende der Weimarer Republik“ stünden. Die FAZ erklärte AfD und PEGIDA schon im Herbst vergangenen Jahres zum Nukleus einer neuen völkischen „Bürgerkriegspartei“. Für den SPIEGEL, vor allem in Person der beiden Linksintellektuellen Jakob Augstein und Georg Diez, gibt es längst absolute Gewissheit darüber, dass „der Faschismus lebt“ in Deutschland und ganz Europa – dass die Demokratie von rechten „Vernunftfeinden“ bedroht, ja regelrecht „aufgerollt“ wird und dass die Muslimfeindlichkeit längst „Deutschlands neuer Antisemitismus“ geworden ist.

Aber ist Berlin wirklich Weimar? Ist die AfD die neue NSDAP? Sind Muslime die neuen Juden? Keine Frage, wir befinden uns in bewegten Zeiten, in denen Rechtskonservativismus und radikaler Nationalismus europaweit einen neuen Kulturkampf provozieren. Aber die bundesdeutsche Demokratie permanent für vom Untergang bedroht zu erklären und Weimarer Zustände zu beschwören, ähnelt längst schon den apokalyptischen Zukunftsszenarien, die die radikale Rechte vom Abendland angesichts seiner vorgeblichen „Islamisierung“ zeichnet. Die auf dieser Wahrnehmung beruhende Verbalradikalisierung des Anti-Rechtspopulismus – des neuen Antifaschismus sozusagen – erweist sich dabei als überaus kontraproduktiv.

Die anti-rechtspopulistische Eskalationsspirale

Bereits im Umgang mit PEGIDA ließ sich exemplarisch das Scheitern der über viele Jahre erfolgreichen Strategie der Stigmatisierung beobachten. PEGIDA reflexhaft unter Rechtsextremismus- bzw. Faschismus-Verdacht zu stellen – egal ob gerechtfertigt oder nicht –, hat nicht nur nicht dazu geführt, dass diese sonderbare Bewegung verschwinden würde, sondern es machte dieses Phänomen sogar erst richtig groß. Ihren Höhepunkt mit ca. 25.000 Teilnehmern erfuhr PEGIDA nicht zufällig direkt nach der legendären Silvester-Ansprache der Bundeskanzlerin („Folgen sie denen nicht“, „Hass in deren Herzen“).

PEGIDA steht letztlich paradigmatisch dafür, was ich die anti-rechtspopulistische Eskalationsspirale nenne und sich bei der AfD umso eindrucksvoller wiederholen sollte. Denn anstatt demobilisierend zu wirken, erzeugte der wiederholte Rechtspopulismus-/Faschismus-Vorwurf beispielsweise eines Heiko Maas oder Ralph Stegners im Gegenteil eine Opferidentität, stärkte den Gruppenzusammenhalt und brachte PEGIDA sowie AfD eher noch Mitleid anstatt Verachtung ein. Kurzum: Je aggressiver sich die Anti-Rechtspopulisten u.a. in den Talkshows des Landes äußerten, desto mehr Stimmen und Sympathie konnten die Gemeinten mobilisieren und desto radikaler brachen sie infolgedessen mit der politischen Kultur. Beatrix von Storch hat hier wohl Recht behalten. Nach den für die etablierten Parteien desaströsen Landtagswahlen im März sagte sie bei Anne Will folgendes: „Das hilft uns nur […] Diese plumpe Aggression […] ist jetzt bestraft worden.“

Damit möchte ich aber keineswegs sagen, dass Kritik, auch scharfe, nicht gerechtfertigt ist. Allerdings war der Grundton dieser Kritik von Anfang an maßlos überzogen. Egal wer die Eskalationsspirale zuerst in Gang gesetzt hat, an der gegenwärtigen Polarisierung tragen „Rechtspopulisten“ sowie Anti-Rechtspopulisten jeweils auf ihre Weise Mitschuld. Was sich jedoch letztere viel früher hätten fragen müssen, ist, wie es eigentlich möglich sein soll, Wähler „zurückzugewinnen“, wenn man sie der Unterstützung einer antidemokratischen oder sogar faschistischen Sache bezichtigt. Hinzu kommt, dass der permanent geäußerte Faschismus-Vorwurf einen Gesinnungsdruck erzeugt, der differenzierten Positionen einem regelrecht antipluralistischen Rechtfertigungszwang aussetzt. Bei vielen mündigen, liberalen Bürgern kann dieser Zwang nur zu puren Trotzreaktionen führen. Ich behaupte, dass das 49,7 Prozent-Wahlergebnis von Norbert Hofer zu einem Gutteil dem Umstand geschuldet gewesen ist, dass viele Österreicher den Anti-Hofer-Kandidaten gerade deswegen nicht wählen wollten, weil er in der Öffentlichkeit als moralisch höherwertiger dargestellt wurde.

Die Verantwortlichkeit der Linken

Am Ende führten die Ängste der Anti-Rechtspopulisten, die rhetorisch umso radikaler auftrumpften, je weiter links sie stehen, zum Gegenteil dessen, was sie eigentlich beabsichtigten; sie befördern sogar noch den Aufstieg einer radikalen Rechten. Meiner Ansicht nach liegt genau hierin eine nicht zu unterschätzende Mitverantwortung – nicht Alleinverantwortung! – der Linken an der Spaltung unserer Gesellschaft.

Freilich lässt sich darüber kontrovers streiten. Ebenso kontrovers lässt sich aber auch über die wenig originelle These des SPIEGEL-Kolumnisten und bekennenden linken Utopisten Georg Diez streiten, der zufolge das Bürgertum, d.h. die bürgerliche Mitte, für das Erstarken von AfD, FPÖ und Co. in politische Haftung zu nehmen sei. Angeblich würde das Bürgertum nur „still, sediert, sympathisierend“ zugucken wie der ganze Kontinent allmählich „kippt“, genauso wie damals in Weimar. Es ist nicht das erste Mal, dass Diez, ähnlich wie auch sein Kollege Augstein und andere Linksintellektuelle, anti-bürgerliche Ressentiments reaktivieren und angesichts des neuen quasi-Faschismus im mitte-orientierten Bürgertum bzw. im bürgerlichen Selbstverständnis einen Sündenbock ausfindig machen.

Wenig originell ist Diez‘ These deswegen, weil, wie eingangs beschrieben, auch schon die „Neue Linke“ der späten 1960er und 1970er Jahre mit ihrem antifaschistischen Furor vor allem auf die bürgerlichen Elemente der Gesellschaft zielte und damit einen nachhaltigen Schaden anrichtete. Ihre Fundamentalkritik an der bürgerlichen Gesellschaft säte im Ergebnis nämlich ein erhebliches Grundmisstrauen gegenüber der (bürgerlichen) Demokratie an sich. Dieses Misstrauen wurde später durch die anfangs dezidiert anti-bürgerlichen Grünen tradiert und wird bis heute noch von der Partei Die Linke intensiv gepflegt.

Waren es nicht u.a. „68er“, Grüne und Linke, die lange vor der AfD auf das korrumpierte System oder auf abgehobene und inkompetente Parlamentarier schimpften, die einer gegen die Interessen des Volkes agierenden Elite angehören würden? Waren es nicht Grüne und Linkspartei, die immer wieder mit Verschwörungstheorien über die Machenschaften des Großkapitals oder der US-Amerikaner sowie mit sozialpolitischen Untergangsphantasien aufwarteten; die mit leidenschaftlicher Empörung die Mängel und Defizite der bürgerlich-demokratischen Ordnung anklagten? Seitdem ich Nachrichten bewusst wahrnehme, zeichnet insbesondere die Linkspartei (bzw. früher die PDS) ein Bild von diesem Land, das gefühlt den Zuständen in der „Dritten Welt“ gleicht. Im Übrigen ist der Begriff „Mainstream-Medien“ viel älter als PEGIDA und AfD. Der Begriff „Lügenpresse“ könnte ebenso gut von der Linkspartei stammen. Waren es nicht Linke und Rechte zusammen, die vor wenigen Monaten noch der Presse Amerika-Hörigkeit und antirussische Wahrheitsverzerrung vorgeworfen haben?

Die radikale Rechte heute profitiert von den sozialen Ängsten und dem latenten Grundmisstrauen in die bürgerliche Demokratie, deren Wurzeln bis in die sechziger Jahre zurückreichen. Die Mitverantwortlichkeit der Linken besteht meiner Ansicht nach auch darin, dass ihre Jahrzehnte währende radikale Kritik den Pfad erst geebnet hat, auf dem die Neurechten heute schreiten können.

„Bürgerlichkeitsverweigerung“ und „Verweigerung der Bürgerlichkeitsverweigerung“

Diez‘ Kritik am Bürgertum steht exemplarisch für das, was der Endlichkeitsphilosoph und Moderne-Skeptiker Odo Marquard „Bürgerlichkeitsverweigerung“ genannt hat und von dem er 1994 behauptete, sie wäre die schlechthin „vorherrschende philosophische Meinung“ in der Bundesrepublik spätestens seit der „68er“-Kulturrevolution“. Marquard hält dem jedoch entgegen, dass gerade nicht ein Zuviel sondern ein Zuwenig an Bürgerlichkeit ein Grundübel in der modernen Welt darstellen würde. Vor allem Weimar sei seiner Ansicht nach nicht an der Bürgerlichkeit, sondern vielmehr an dessen Verweigerung von rechts sowie von links zugrunde gegangen.

Marquard warnt eindringlich vor der Forderung nach dem Ausnahmezustand, d.h. vor der Suspendierung des Bürgerlichen. Die „Romantik des Ausnahmezustands ist unvernünftig“. „Vernünftig ist, wer den Ausnahmezustand vermeidet.“ Freilich lässt sich diese Mahnung auch auf die AfD und ihr Programm der konservativen Revolution beziehen. Auch die AfD und mehr noch PEGIDA sind letzten Endes „Bürgerlichkeitsverweigerer“.

Linke wie rechte „Bürgerlichkeitsverweigerer“ verkennen, so Marquard, den Wert der bürgerlichen Welt:  Für ihn selbst ist diese Welt eine „der ‚Herkunft‘, der Familie, der sittlichen Üblichkeiten, der Religion, der bunten […] Traditionen, deren Pluralität Individualität ermöglicht, und der Bewahrungskultur als Freiheiten, die in der bürgerlichen Welt geschützter sind als in nichtbürgerlichen Verhältnissen. […] Durch ihre Rechtsverhältnisse ist die bürgerliche Welt das Reich der Gewaltenteilung; sie schützt ‚Zukunft‘ und ‚Herkunft‘ vor ihrer Gleichschaltung. Sie gewährleistet Pluralität der Wirklichkeiten, die Liberalität garantiert“.

An anderer Stelle ergänzt Marquard diese leidenschaftliche „Apologie der Bürgerlichkeit“: „die liberale Bürgerwelt bevorzugt […] das Mittlere gegenüber dem Extremen, die kleinen Verbesserungen gegenüber der großen Infragestellung, das Alltägliche gegenüber dem ‚Moratorium des Alltags‘ (Manès Sperber), das Geregelte gegenüber dem Erhabenen, die Ironie gegenüber dem Radikalismus, die Geschäftsordnung gegenüber dem Charisma, das Normale gegenüber dem Enormen, das Individuum gegenüber der finalen säkularen Heilsgemeinschaft“.

Not tue, wiederholt Marquard immer wieder, die „Verweigerung der Bürgerlichkeitsverweigerung“. Er fordert daher zum „Mut zur Bürgerlichkeit“ auf. Dem kann ich mich nur anschließen. Bleiben wir alle doch etwas gelassener und setzen auf die Kraft des kritischen Diskurses, anstatt auf Ängste mit Gegen-Ängsten, auf Radikalität mit Gegen-Radikalität zu reagieren.

Norman Siewert studierte Geschichts- und Politikwissenschaft (B.A.) und schreibt gerade seine Master-Arbeit im Studienfach Zeitgeschichte an der Universität Potsdam über den Islam- und Islamismus-Begriff im Geschichtsdenken Ernst Noltes. Er ist aktiv in CDU, Junge Union und RCDS.

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Kommentare ( 1 )

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Walter Mey
6 Jahre her

Alle Parteien außer der AfD sind heute links, um Ihre buchstäblich parteiische Perspektive herauszustellen. Nach dem braunen und roten Sozialismus erleben wir den grünen Sozialismus. Leistungsträger werden enteignet, die ehemals stolze Wirtschaftsmacht ist zur Bananenrepublik verkommen. Merkel klebt am Thron wie Mugabe. PEGIDA und Co. ist die reine Notwehr. Als ob die größtenteils gebildeten, freundlichen Leute nichts besseres zu tun hätten, als einem schlichten Bachmann und dem Kreischen der Antifa/SA zu lauschen. Sie sind aktiv in der CDU? Wie sehr Ihr Verein sich mit dem Kadavergehorsam für Mugabe-Merkel an Deutschland versündigt hat, kann ich ohne Schnappatmung kaum in Worte fassen.… Mehr