Jugendliche treffen sich zur Schlägerei mit Eisenstangen, ein Rentner wird aus seiner Wohnung geworfen für wichtigere Menschen, Politiker schachern einander Posten zu. Es ist keine unwichtige Kunst heute, einen Grund zum Lächeln zu finden.
Liebe Leser, ich habe Ihnen einst, damals, im Zeitalter vor dem großen Maskenball, erst die eine und dann auch manch andere Geschichte vom Meister und vom Schüler erzählt. Im Essay »Denken darf jeder – warum tun es nur so wenige?!« berichtete ich etwa, wie ein wohlhabender Vater seinen Sohn zum Meister sandte, in der Geschichte zum Essay »Der Dummheit müde« schläft der Meister tatsächlich ein, in »Reichsarbeitsdienst und Tee auf der Terrasse« bricht ein Sturm über der Terrasse los, und in »Die AfD ist schuld an allem« geht es um die wichtige Auswahl von Reiskuchen.
Erlauben Sie mir bitte, Ihnen heute die bislang kürzeste der Geschichten vom Meister zu erzählen, und die Geschichte geht so:
Ein Schüler fragte den Meister, warum der Meister lächelte. Der Meister fragte den Schüler zurück: »Warum lächelst du nicht?«
(Ja, das war die Geschichte! Es folgen die Erörterung, Aktualisierungen und Erklärungen…)
Was gibt es zu lächeln?
Wenn ich sie höre, diese neuen Worte, hohl wie ausgeblasene Eierschalen und ähnlich zweckentfremdet, dann fällt es mir schon bei Gelegenheit erschreckend schwer, zu lächeln, wie der Meister lächelt, zumindest jetzt, in »diesen Tagen« (die, was man so liest, nun seit mehr als einer Handvoll Jahrzehnten andauern).
Habe ich nur nicht verstanden, was es zu lächeln gibt – oder sind die Weisheitslehrer alle verrückt? (»Beides«, höre ich jemanden rufen, und ich zische zurück: »Pssscht, Frechdachs!«)
Wir lesen von der Massenschlägerei in Nürnberg, wo sich Jugendliche »verabreden«, um einander mit Eisenstangen zu vermöbeln (nordbayern.de, 6.5.2020). Wir lesen vom Rentner, der aus seiner Wohnung geworfen wird, um Platz für wichtigere Menschen zu schaffen (ntz.de, 12.2.2019; und aktuell bild.de, 6.5.2019(€)). Wir lesen von Straßenüberfällen (etwa in Schwerin, siehe bild.de, 5.5.2020) – und zeitgleich von Politikern, deren Postengeschacher nur noch als vollständige und zynische Verachtung von Wähler und Demokratie gedeutet werden kann (vergl. merkur.de, 6.5.2020).
Wir hoffen auf Vernunft, und wir ahnen, vergeblich zu hoffen, und wir fragen uns: Wo ließe sich heute ein Lächeln herbekommen?
Der kleine Bruder des Lachens
»Wer zuletzt lacht, lacht am besten«, so sagt eine alte Redeweise, und in meinem Kopf ist sie unentknotbar verbunden mit ihrer sarkastischen Variante: »Wer zuletzt lacht, der hat bloß den Witz nicht früher verstanden!«
Die wirklich Weisen teilen es mit jenen armen Seelen, deren Geist es eher schattig bevorzugt und doch am Luftzug leidet, dass beide oft und ausgiebig lächeln und kein Mensch so recht weiß, wieso sie lächeln.
Wer zuletzt lacht, der hat bloß früher den Witz nicht verstanden, das mag sogar ein wenig wahr sein, und das ist ein Meta-Witz, eine witzige Aussage über Witze selbst.
Wie aber ist es mit dem kleinen, besser erzogenen Bruder des Lachens, nämlich dem Lächeln?
Fröhlich weiter also!
Das Lachen haben wir nun zufriedenstellend umschrieben und vom Kreischen des gehirngewaschenen Mobs abgegrenzt – was aber ist das Lächeln?
Was ist es, das die Mona Lisa lächeln lässt? Was ist es, das meine Kinder manchmal im Schlaf lächeln lässt (wenn sie nicht gerade im Schlaf auf den jeweils anderen schimpfen)?
Vor allem aber: Was ist es, das uns heute ein Lächeln aufs Gesicht pinseln kann?
»Es« und »gut«
Wenn Lachen die körperliche Manifestation unseres Versuches ist, die Schmerzen in der Widersprüchlichkeit des Lebens zu bewältigen, was ist das Lächeln?
Es wäre wenig kontrovers, zunächst festzuhalten, dass das Lächeln die körperliche Manifestation eines damit einhergehenden inneren Zustandes ist, doch wie ließe sich dieser »lächelnde Zustand« in greifbaren Ideen beschreiben?
Vielleicht so: Lachen ist unser Versuch, unseren Schmerz ob der Widersprüchlichkeiten zu bewältigen – und Lächeln ist die Gewissheit, dass eine Ordnung der Dinge möglich ist, dass »es« »gut« werden kann (wofür wir natürlich wissen sollten, was wir mit »es« und »gut« meinen, sonst wird das Lächeln schnell schal und vergänglich).
Nein, es ist nicht alles gut, es wird nicht alles gut werden (solange man mit alles wirklich alles meint – oder auch »nur« das Land). Auch in Deutschland wird nicht alles gut werden – gerade eine Demokratie kann nur so stark sein wie das Land und seine Debatten klug sind.
Doch, wenn wir das »alles ist gut« neu formulieren, und sei es für uns selbst und privatissime, dann haben wir eine Chance, unser Lächeln wieder zu finden. Vielleicht so: »Alles, was mir jetzt wichtig ist, ist gut, ist in seiner und damit meiner Ordnung.«
Nicht zu vernachlässigende Angelegenheiten
Ein Schüler fragte den Meister, warum der Meister lächelte. Der Meister fragte den Schüler zurück: »Warum lächelst du nicht?« – Wir wollen wagen, für beide Fragen eine Antwort zu skizzieren, für die zweite zuerst!
Der Schüler lächelte nicht, weil er die Unordnung der Welt sah, weil er das Leid der Menschen sah, vermutlich auch sein eigenes Weh, weil ihn die Unsicherheit der Zukunft schmerzte – allesamt wahre und nicht zu vernachlässigende Angelegenheiten.
Der Meister lächelte, weil er eine Sache sah, die ihm in guter Ordnung zu sein erschien – etwa die, dass der Schüler das Lernen aufgenommen hatte.
Es ist früher Mai und die Natur blüht, es ist angenehm warm und wenn wir das Gesicht in die Sonne halten, dann wird unsere Haut warm, und wenn wir tief einatmen, können wir das Leben riechen. Natürlich empfiehlt es sich, die Natur an einem Ort zu genießen, wo man nicht von Messern oder Viren aller Sorgen endgültig entledigt wird, doch genießen sollte man es eben doch.
Elli hat eine Tomatenquiche zubereitet, und ruft uns zum Essen. Seit die Kinder daheim übers Internet unterrichtet werden, können wir auch mittags als Familie essen. Das ist ein Stück gute Ordnung, das ist mir wichtig, das lässt mich lächeln. (Im Drama stünde als Regieanweisung an dieser Stelle: Essayist ab – isst zu Mittag.)
(Ich bin nun vom Essen zurückgekommen und schreibe weiter.) Ich kann nicht all die Probleme der Welt lösen, und selbst wenn ich die Macht besäße, so fehlte mir doch die Weisheit. Ich kann jedoch beschließen, für jetzt, für den Augenblick, mich an einer guten Ordnung im Kleinen zu erfreuen.
Das, was in guter Ordnung ist, daran will ich mich jetzt und heute erfreuen, darüber will ich jetzt lächeln – und später, spätestens morgen, wird wieder geschimpft, geflucht und hoffentlich auch irgendetwas repariert.
Wer zuletzt lächelt, der hat den ganz großen Witz verstanden, den Schmerz – und wohl auch das, was der Buddha die »Blume auf dem Müllhaufen« nennt.
Schimpft und flucht, zerlegt die Dinge und baut sie neu auf, ganz wie euch Gewissen und Geschick diktieren und erlauben! Doch, damit das alles nicht vergeblich ist, vergesst nicht, dass ihr eben noch gelächelt habt – und morgen aber, morgen lächelt wieder!
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.
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Das gehört auch zum „Zähnefletschen“.
„Wir lesen von der Massenschlägerei in Nürnberg, wo sich Jugendliche ‚verabreden‘, um einander mit Eisenstangen zu vermöbeln…“ Lesen wir das, Herr Wegner, lesen „wir“ DAS? Bevor ich Ihren Beitrag gelesen hatte, habe ich von dem Vor- bzw. Einzelfall in Nürnberg nur zufällig hier bei TE aus einem Leserkommentar erfahren. Denn das ist genau die Art von Meldung, die in den „Qualitätsmedien“ einem „der politischen Erwünschtheit geschuldetem Beschweigen von Problemen“ (O-Ton des Hochschullehrers und Publizisten Horst Pöttker) zum Opfer fallen. Damit nicht genug, der politisch-mediale Komplex feiert diese „jungen Männer“ sogar noch als Bereicherung. Und wehe, der Michel stimmt nicht ein… Mehr
Genau so ist es!
In höchster Überzeugung dessen was sie sagen lächeln sie einfach, lachen womöglich anlasslos sogar begleitend auf!!! Alles was man ein Gespräch (womöglich eine Diskussion) nennen könnte ist hoffnungslos.
Diese Menschen halten alles was sie meinen/sagen – bar jeder (Selbst-)Reflektion – für unangreifbar. Alles was man (sachlich) sagen könnte würde entweder ignoriert werden, oder als Angriff auf das „Selbst“ verstanden werden, oder das Gesagte den Sprecher als „von gestern“ oder gar „Nazi“ entlarven.
Ich nenne diese Menschen seit langer Zeit „Grinser“.
„Siehe oben: Maaz, „Das falsche Leben“, Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft.)
Die „Grinser“ stehen auf der Vorstufe der Erleuchtung. Da sie ohne Unterschiede über alles grinsen, ist alles das Eine und das Eine ist zugleich Nichts, Nirvana als Nichtexistenz alles scheinbar Existierenden. Grinsen ist zugleich Symbol als auch Vollzug vom großen Unsinn im vorgestellten vexierten Sinn des großen Lachkabinetts dieses wunderbaren Wandelsterns. lol
Wenn diese „Vorstufe der Erleuchtung“
wie sie es recht treffend nennen nur zum Lachen W Ä R E!
Die Dominanz der höchst arrogant „zufrieden Grinser“ (gerne auch mal „Spielbein/Standbein Rumsteher, siehe Körpersprache) lässt mich schaudern vor all dem was ich befürchte. Schaudern vor all dem was sie in trauter Eintracht mit einem Heer von Schreiberlinge und der Politik noch so Alles aushecken könnten um den Karren bis an die Achse in den Graben zu fahren. –
(Auch zu: „es ist soweit“) Leider ist es überhaupt nicht „zum Lachen“ und sicher nicht lächerlich was DW schreibt. Wie oft gerate ich in Situationen (bzw. lese beispielsweise irgendetwas) in denen ich mich frage, ob „das sein kann“, ob der Andere „spinnt“ oder ich. Wie oft frage ich mich „bin ich denn schon wieder im falschen Film“??? Wie oft verbindet Z.B. ein Schreiberling „höchst grandios“ zwei Dinge miteinander nach dem Motto „je grüner desto schwimmt“. Und hält abschließend dann seinen „Erguß“ auch noch für sinnvoll, gar höchst logisch. – Die Welt scheint aus den Fugen! – Wichtig ist, sein eigenes… Mehr
Warum nicht lächeln? Seit langer Zeit aber in den letzten Wochen besonders gehen bei mir, wenn ich die Nachrichten, Statements, Kommentare lese und höre, die Mundwinkel nach oben. Noch nie gab es soviel geballte Satire in den Medien und umso ernster sie ihre Gags vortragen umso mehr muß ich lachen. Jeder Nachrichtensendung eine Show für sich, jede Berichterstattung über das Theaterstück, welches in Berlin aufgeführt wird, kann meine die Lachmuskeln reizen. Allein die Mimik der Protagonisten muß jeden Menschen, der über Humor verfügt, zu Lachanfällen reizen. Ich habe es schon lange aufgegeben diese Schauspieler ernst zu nehmen. Als sei es… Mehr
„Jugendliche treffen sich zur Schlägerei mit Eisenstangen“: Alleine diese Meldung. Man weiß nicht, was in diesem Land geschieht. Wenn man nicht direkte Quellen bei der Polizei hat, hat man keine Chance raus zu bekommen, was hier wirklich geschieht. Man kann vermuten, wissen tut man es nicht.
…und was, lieber Dushan Wegner, wenn uns jedes
Lächeln nur noch zur Fratze gerinnt?
[…und sie liegt zum Schluß in ihrem Blut, alles ist
schiefgegangen, und da läuft so ein Kellner an ihr
vorbei, der kommt aus dem Nichts…ich habe mal
eine Frage…Mademoiselle, womit kann ich dienen?
Und da sagt sie, wie heißt das zum Schluß, wenn die
Guten auf der einen Seite und die Bösen auf der
anderen Seite und alles ist verpfuscht, und trotzdem
atmen wir? Das ist die Morgenröte, Madame.
Chr. Petzold in einem Interview über Godards
„Vorname Carmen“]
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Ein Schüler fragt den Meister, warum der Meister lächelt. Der Meister fagt den Schüler zurück „Warum lächelst du nicht?“
Das ist selbstredend reinstes ZEN. Schon die Frage nach dem Grund für ein Lächeln ist zum Lächeln, da Lächeln wenn es echt ist, aus dem Grundlosen kommt und keiner Gründe bedarf.
Ähnlich verhält es sich mit der „Magie der Heiterkeit“. Wer sie ohne Gründe praktiziert hat zweifelsohne das große Los gezogen und ist Meister und kein Schüler mehr.