Der gemeinsame Nenner überall, egal wohin man schaut, die alten Strukturen werden allerorts erschüttert, aber ihre Träger scheinen unfähig, die Zeichen an der Wand zu lesen. Roland Tichy und Fritz Goergen haben für Sie in drei Sonntagszeitungen geschaut.
Auch in der Schweiz läuft der Meinungstrend gegen TTIP: In „Protektionisten sind in der Überzahl“ berichtet die NZZ am Sonntag, dass eine „Allianz von Bauern, Grünen und SP“ dagegen ist und gegen das Veto der Bauern bei den Eidgenossen nichts geht.
Breites Themenspektrum NZZ am Sonntag
Was der Protektionismus durch „viele hohe und flächendeckend verbindliche Mindestlöhne, damit die Zuwanderer keine Lohnkonkurrenz machen“, provoziert, erklärt Beat Kappeler. Ihn zu lesen, lohnt immer:
„Einfache wie spezialisierte Tätigkeiten werden in allen westlichen Ländern von immer mehr Selbständigen ausgeführt. Die Vermittlung über die neuen Apps hilft mächtig dabei. Aber auch übliche Gewerbler führen bei Umbauetn oft noch einen Springer für Dringendes oder Schweiriges mit, der separat Rechnung als Selbständiger stellt … Reiniger, Lehrende und Nachhilfeexperten, Kinderbetreuer, Gärtner, Maler, Kundenmaurer, Vetragsarbeitende in Kultur, Ausbildung oder Sport befreien sich so aus der Wunschwelt der Regulierungen. Andere immer strenger geregelte Tätigkeiten wandern ins Internet oder ins Ausland ab. Der Markt dringt durch alle Ritzen. Das Fazit lautet auch hier: Möge der Wunsch nach totaler Kontrolle und Gleichsetzung scheitern, sonst scheitert er an der Wirklichkeit.“
Ein Hintergrund Essay, „Nicht reformierbar“ nimmt einem die letzten Illusionen über Frankreich: „Es braucht Reformen, doch die Politik fürchtet den Widerstand des Volkes. Die Folge ist Stillstand.“
„Streberin gegen Scharlatan“, Andreas Mink aus New York resumiert: „Unter dem Strich geht Clinton mit deutlichen Vorteilen in das Rennen gegen Trump. Sie muss jedoch ihr Profil schärfen und eine klare Botschaft formulieren, die auch Sanders-Wähler mitreisst. Trump stehen gleichwohl Wege für einen Überraschungssieg am 8. November offen. Dies gälte umso mehr, wenn die US-Wirtschaft an Schwung verlöre oder Terrorattacken für Unsicherheit sorgen. Schliesslich rechnete im letzten Sommer vermutlich nicht einmal Trump selber damit, die republikanischen Vorwahlen zu gewinnen.“ – Hängt es wirklich an Hillary Clintons Profil und Botschaft, hat Trump schon gewonnen.
Trump bewirkt aber noch mehr über die Präsidentenwahl hinaus: „Trump zerstört die Republikaner, wie man sie bisher kannte“, kommentiert Felix E. Müller, “ … die Republikaner müssen sich neu erfinden…“. – Wie sich die Bilder gleichen, in Britannien, in den Vereingten Staaten, in den meisten Ländern Europas: Überall müssen sich alte Parteien neu erfinden oder werden von neuen Parteien in die dritte und vierte Liga verdrängt.
Wo schon viele in der Wahl Sadiq Khans zum Lord Mayor of London als Hoffnung für die Labour Party deuten, stellt Martin Alioth aus Dublin klar: „Khan hat indessen im Londoner Biotop trotz seiner Zugehörigkeit zur Labourpartei triumphiert als wegen ihr. Überall sonst nämlich wurde Labour von den Wählern dafür bestraft, dass die Partei keine glaubwürdige Alternative zu den herrschenden Tories anzubieten vermag … In Schottland rutschte die Partei, die das Land noch bis vor wenigen Jahren als ihren Erbhof behandeln durfte, auf den schmählichen dritten Platz ab … Die schottischen Konservativen dagegen, unter der beherzten Führung der eigenwilligen Ruth Davidson, verdoppelten ihre Mandate … Die antieuropäische und fremdenfeindliche Ukip-Partei bereichert sich aus dem enntäuschten Labour-Reservoir – am deutlichsten in Wales. Für das beorstehende EU-Referendum bedeutet die sterlie Nabelschau der Labourpartei, dass linke Argumente für den Verbleib in der EU weitgehend ungehört bleiben.“
Was ist los mit der Frankfurter Allgemeinen SONNTAGSZEITUNG ?
Was hier passiert könnte man den Einbruch der Wirklichkeit ins stille Redaktionsstübchen mit den Bücherwänden nennen. Die Zeitung hat ihr besinnungs- und bedingungsloses Bejubeln der Flüchtlingspolitik durch eine Annäherung ersetzt, die sich der zunehmenden Durchdringung durch den Islam widmet. Islamisierungs-Sonderausgabe könnte man das nennen, wäre damit nicht eine Art feinsinnige und differenzierte Rehabilitierung eines Schlagworts verbunden, das untrennbar mit dem Holzhammer von Pegida verbunden ist. Aber soweit geht es dann doch nicht.
Jedenfalls darf Salman Ansari, ein aus Indien stammender Muslim in einem wirklich anrührenden Text schildern, wie er seit 1958 Deutschland lieben lernte, in dem „der Alltag nicht von religiösen Zwangshandlungen gekennzeichnet war.“ Die Vergangenheitsform ist kein Zufall. Sein Vater in Indien schreibt ihm einen Brief, in dem er ihn mahnt: „Du bist umgeben von unermesslicher Schönheit, was Kunst, Literatur und Musik betrifft. Nutze jede Sekunde … in der Ablehnung der Künste manifestiert sich die Arroganz und Ignoranz des Islam … Du solltest dich glücklich schätzen, dass Du in einer Umgebung lebst, die ohne Tabus auskommt – und den Menschen die Freiheit schenkt, alles Erfahrbare zu wagen. Die islamische Welt hat Angst vor dem Verlangen des Menschen nach schrankenloser Freiheit und Autonomie“. Es liest sich wie eine Interpretation des Philosophen Norbert Bolz, der kürzlich spitzfedrig twitterte: „Alle Kulturen sind aus Sicht der hiesigen Meinungsdiktatoren bunt, wertvoll und bereichernd. Außer der deutschen…“
Dazu gehört auch ein sorgfältig recherchierter Bericht von Morton Freidel, wie Flüchtlinge aus Eritrea auch in Deutschland in Geiselhaft des Regimes bleiben. Die Idealisierung der Flüchtlinge verhindert, die Zwänge kritisch nachzuverfolgen, denen sie ausgesetzt sind, weil ihre Ghettos von den Schergen ihrer Heimatländer leicht zu kontrollieren sind – mangelnde Assimilation verhindert, dass sie sich aus diesen Fängen befreien. Selbst die Wahl von Sadiq Khan zum ersten muslimischen Bürgermeister der Weltstadt London wird kritisch hinterfragt: Im Stadtteil Tower Hamlets leitete ein muslimischer Bürgermeister die Steuern in muslimische Kanäle um und ging auf Schwule lost – ihn loszuwerden dauerte lange, weil er Kritiker mit dem Vorwurf der Islamophobie zum Verstummen brachte. „Falks Krieg“ ist das Portrait von Bernhard Falk, einem zu langer Haftstrafe verurteilter Linksterrorist, der jetzt die salafistischen Straftäter verteidigt. (Eine ironische Pointe, dass der lange „Terroristenanwalt“ genannte RAF-Verteidiger mit seiner Nähe zu den Tätern und heutige Edel-Grüne Hans-Christian Ströbele sich so wortreich wie vergebens gegen Vorwürfe wehrt, die Stefan Reinecke faktenreich in seiner neuen Ströbele-Biographie zusammengetragen hat.)
Julia Schaaf portraitiert Aiman Mazyek, den Vorsitzenden der Plagiatsorganisation „Zentralrat der Muslime in Deutschland“. Seiner Arbeit als Netzwerk ist es zu verdanken, dass seinem Zentralrat in den Medien eine Aufmerksamkeit gewährt wird – umgekehrt proportional zur Zahl der Mitglieder. Verdienstvoll der Versuch, sich dem Phänomen kritisch zu nähern, auch wenn es nicht gelingt, vielleicht noch nicht gelingen kann, das eigentliche Phänomen seiner One-Muslim-Show zu durchdringen. Gut, dass das Feuilleton Karen Krüger agitatorisch den Hammer schwingen lässt gegen jeden, der sich mit Islamisierungsfragen kritisch auseinandersetzt. Überzeugender wäre eine Reportage über das reiche und friedvolle Zusammenleben gewesen und nicht das bekannte Ausgrenzungsgeschreibe im Stil nichtamtlicher Staatsagenturen.
Einen neuen Kurs fährt die BILD am Sonntag
Im Leitartikel formuliert Roman Eichinger, dass die Mehrheit gegen TTIP, die Visa-Freiheit für die Türkei und Subventionen für Elektroautos sind, dass die CSU sich absetzt. „Wenn es Merkel und Gabriel nicht endlich schaffen, die Bürger von ihrer Politik zu überzeugen, wählen die 2017 andere. So funktioniert Demokratie.“ Stimmt ja, es muss nur mal wieder gesagt werden. Und ein seltsam ambivalentes Sonntags-Interview mit Annegret Kramp-Karrenbauer, der CDU-Ministerpräsidentin vom Saarland folgt. Feminismus fordert sie, weil „durch die Zuwanderung Frauen zu uns kommen, die aus einem anderen kulturellen Kontext stammen.“ Die Dame macht sich ehrlich – nicht um Flucht geht es, sondern um Zuwanderung. Dass der Feminismus die neue Rolle nicht akzeptiert und in seinen alten Formaten weiter gegen zu teure Damenrasierer im Vergleich mit Männerware kämpft – das kommt eben heraus, wenn sich die CDU unterschleimt. Und auf der Zunge zergehen lassen sollte man genießerisch, nach einer Reihe amtsnotwendiger rhetorischer Bücklinge vor der Kanzlerin, den folgenden Satz: „Niemand ist unersetzlich auf dieser Welt. Auch nicht in der CDU und auch nicht Angela Merkel.“ Merke: Politische Systeme kann man dadurch unterscheiden, ob Neuigkeiten ausgesprochen werden dürfen oder schon unbestreitbare Wahrheiten als solche gelten.
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