Das Pathos der Nüchternheit: Staatsbankett mit Königsberger Klopsen

Diners, die Staatsoberhäupter oder Regierungschefs geben, zählen seit jeher zu den großen Ritualen der Diplomatie. Doch nur in Paris kommen feinschmeckende Politiker auf ihre Kosten

Creativ Studio Heinemann / Getty Images

In Deutschland gilt nach wie vor das von Theodor Heuss verordnete Pathos der Nüchternheit. Weil teuer essen gehen etwa im Gegensatz zu einem teuren Opernbesuch eher als snobistisch und verschwenderisch gilt und hierzulande ohnehin der Neid regiert, sollten sich Politiker bloß nicht in einem Sternerestaurant erwischen lassen. Es ist schwer, sich politisch korrekt zu ernähren. Gerhard Schröder prollte noch mit Currywürsten herum und schenkte der deutschen Sprache das geflügelte Wort: „Hol mir mal ’ne Flasche Bier, sonst streik ich hier.“ Das aber war kulinarisch noch Hartz IV. Also von gestern.

„Wenn man in der Politik unpopulär werden will, muss man nur sagen, man esse gerne Austern oder Gänseleber. Tiefer kann man nur noch fallen, wenn man einen Schäferhund vor laufender Kamera erschlägt“, so der legendäre Gastrokritiker Wolfram Siebeck.  Sahra Wagenknecht musste es erfahren, als sie beim Hummeressen fotografiert worden war. Auf jeden Fall ist Essen immer auch ein politisches Statement. Als AfD-Frau Beatrix von Storch in Brüssel an einer Dönerbude ertappt worden war, nahm man ihr die Verteidigung nicht ab, sie sei gegen Migranten, aber nicht gegen Döner. Dabei ist die deutsche Küche schon immer voller Einwanderer, von der Kartoffel bis zur Tomate.

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Angela Merkel machte auch in dieser Hinsicht Schule. Sie verriet gezielt ihre Liebe zu selbst gebackenem Streuselkuchen. Ihr Mann beschwere sich immer, dass darauf zu wenig Streusel zu finden seien. Sie rühmte auch ihre Kartoffel suppe aus im eigenen Garten geernteten Knollen. „Ich zerstampfe die Kartoffeln immer selbst mit einem Kartoffelstampfer und nicht mit einer Püriermaschine.“ Wer solche Informationen für Tinnef hält, hört nur nicht genau genug hin. Die Hausfrau im Kanzleramt sendet emotionale Signale an die unbedarften Wähler. Leute, die kochen können, spotten, dass sie offensichtlich auch davon keine Ahnung hat.

Aber wer kann schon kochen! Kohl machte den Saumagen zu seiner persönlichen Insignie. Keiner deutschen Spezialität wird deshalb mehr Unrecht angetan. Der eigentliche Saumagen ist der einzige Bestandteil, der nicht gegessen wird. Er ist nur Hülle, nicht Fülle. So ist der Saumagen also auch eine schöne Metapher für das politische Geschäft schlechthin, wo ja auch die äußere Form meist über den Inhalt dominiert. Mit dem Unterschied, dass in Regel bekömmlicher ist als das Verpackte. Beim Saumagen ist es umgekehrt.

Der Bismarckhering war anfangs der Saumagen der Ära Merkel. Während Helmut Kohl Staatsgäste mit dem traditionellen Pfälzer Fertiggericht beglückte, wurde Wladimir Putin, George W. Bush und Austernfreund François Hollande beim Besuch in Merkels Wahlkreis auf Rügen jeweils ein Fässchen Bismarckheringe überreicht. Wäre das Wappentier der Deutschen nicht schon der Adler, müsste es der Hering sein. Wie der Hering fühlt sich der Deutsche im Schwarm, im Kollektiv, wohler denn als freiheitsliebender Einzelgänger.

Essen kein Kulturgut in Deutschland

Im Gegensatz zu Theater und Musik gilt die Kochkunst in Deutschland auch nicht als Kunst, sondern bestenfalls als Kunsthandwerk. In klassischen Agrarländern wie Frankreich, Italien, Österreich und Spanien wird dagegen die positive Ausstrahlung der Spitzenküche auf Tourismus und Landwirtschaft erkannt. Kein Wunder, dass Drei-SterneKoch Sven Elverfeld feststellt: „Das Kulturgut Essen ist in Deutschland ganz weit unten angesiedelt.“

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Der Stellenwert der Kochkunst ist auch am Stellenwert der Kochkünstler abzulesen. Selbstverständlich wurde Paul Bocuse, der legendäre Protagonist der Nouvelle Cuisine, in die französische Ehrenlegion, den Orden der Besten des Landes aufgenommen. Die Nation ist stolz auf Köche wie ihn. In Deutschland gibt es keinen Koch von der Reputation eines Bocuse. In Frankreich wird dagegen die Kochkunst als Inbegriff der nationalen Kultur geachtet.

Das ist auch beim Staatsbankett abzulesen. Es zählt seit jeher zu den großen Ritualen der Diplomatie und dient der Selbstdarstellung eines Landes. Wie steht es damit in der Bundesrepublik? Der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, ein protestantischer Schwabe, gab das Motto aus, das bis heute gilt. Es herrscht ein „Pathos der Nüchternheit“. Noch in der Weimarer Republik hat es Staatsessen von acht bis zehn Gängen mit Hummer und Kaviar gegeben. Heuss hatte mit dem, was er „teils wilhelminischen, teils adolfinischen Stil“ nannte, nichts am Hut.

Bis heute steht im Leitfaden des Berliner Protokolls: „Generell sparsam und dennoch im richtigen Augenblick großzügig sein, sparsam, ohne kleinkariert zu wirken, großzügig, ohne zu protzen.“ Das Bemühen, sich so zu geben, wie man tatsächlich ist (isst), mischt sich mit der permanenten Angst vor den Blicken einer neidischen Öffentlichkeit.

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Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, interpretierte diese deutsche Ambivalenz so: „Wir dürfen nicht auffallen und müssen uns Zurückhaltung auferlegen, aber wir müssen eine gewisse Repräsentation betreiben, auch gegenüber anderen. Wenn ich wieder eine Großmacht werden will – und das müssen wir Deutsche werden –, muss ich anfangen, aufzutreten wie eine Großmacht.“ Der Weinkeller des Kanzleramts war damals besser bestückt als der des Präsidenten. Adenauer kredenzte Grands Crus aus dem Bordelais, während Heuss, der mit einer ökonomischen Arbeit über den Weinbau in seiner Heimat promoviert hat, seinen eher dürftigen Hauswein kredenzen ließ, einen Lemberger vom Brackenheimer Zweifelberg. Nomen est omen.

Beim Staatsbankett sind es stets vier Gänge. Das ist überall in Europa so. In Berlin aber dominiert Hausmannskost. So fabrizierte Vorzeigekoch Tim Raue für Obama Kabeljau mit Schmorgurke und zum Hauptgang Königsberger Klopse mit Kartoffelpüree und Apfel-Rote-Bete-Salat. Zur Spargelzeit müssen stets die weißen Stangen auf den Tisch. Frankreichs Präsident Hollande wurde 2012 Schweinefilet mit Spargel aus Beelitz serviert. Das Protokoll hätte wissen müssen, dass Hollande keinen Spargel mag. Schon gar nicht mit Sauce hollandaise!

Gänsestopfleber gehört dagegen in Paris zur Küchenkultur wie Bratwurst in Berlin. Der frühere Außenminister Joschka Fischer, kein Kostverächter, sagte auf die Frage, ob das Leben im Amt nicht eine wahre Freude gewesen sei: „Sie waren offenbar noch nie bei einem Bankett. Exquisites Essen gibt es eigentlich nur im Élysée-Palast und im Quai d’Orsay. (…) In Frankreich ist das Essen Teil der nationalen Kultur und Tradition. Wenn in Deutschland jemand solche Küchenbrigaden beschäftigen würde, wäre es ein Skandal.“

Wolfgang Herles, Vorwiegend festkochend. Kultur und Seele der deutschen Küche. Penguin, 416 Seiten, mit zahlreichen vierfarbigen Fotos, 29,00 €.


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Kommentare ( 40 )

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WandererX
4 Jahre her

Ich finde es imer lustig, wenn angebliche Demokraten und Republikaner wie Herles über die Volksküche zugunsten einer aristokratischen herziehen! So verraten SIe sich selbst.

andreashofer
4 Jahre her

….also die regionale, saisonale Küche: Das ist doch das, was ein Bocuse propagiert hat?
Und italienischen Gästen werden selbstverständlich Königsberger Klopse serviert ?
(Übrigens gar nicht so einfach zu machen)

jansobieski
4 Jahre her

Wer sich über deutsche Küche belustigt, der sollte strafversetzt werden ins angelsächsische. Oder wie wär`s mit den USA? Oder Skandinavien? Die deutsche, zu der ich auch die alpenländische Küche zähle, halte ich für eine der Vielseitigsten. Nichts gegen mediterrane Küche, aber ich freue mich immer wieder gerne, wenn ich wieder zu Hause esse. Die französische Küche ist sicherlich hervorragend (ab einer gewissen Preisklasse).

Johann Thiel
4 Jahre her
Antworten an  jansobieski

Völlig richtig, die deutsche Küche ist nämlich ganz hervorragend, wenn man sich auf deren richtige Zubereitung versteht. Leider erfolgte in Deutschland auch in dieser Hinsicht ein Abriss tradierter Kultur. Mit dem Aussterben der Kriegsgeneration, ist leider auch weitgehend die authentisch zubereitete deutsche Küche verschwunden.

Wenn man allerdings bedenkt, mit welchen Aufwand die Hausfrau alten Schlages ein Sonntagsmenue für die Familie zubereitet hat, ist das heute kaum denkbar. Persönlich, und da bin ich wohl nicht allein, bedauere es sehr, nicht wenigstens einige der wirklich kulinarischen Spitzenleistungen meiner Mutter, per Rezept für die Nachwelt dokumentiert zu haben.

KorneliaJuliaKoehler
4 Jahre her
Antworten an  Johann Thiel

Mein Tipp: Es gibt Kochbücher mit den traditionellen Gerichten aus Schlesien, die ganz brauchbar sind.

Johann Thiel
4 Jahre her
Antworten an  KorneliaJuliaKoehler

Meine Eltern waren aus Oberschlesien.

KorneliaJuliaKoehler
4 Jahre her
Antworten an  Johann Thiel

Und meine waren aus Oppeln und Tschenstochau.
In unserem Drei-Generationen-Haushalt
war meine wunderbare Großmutter und Köchin für das gemeinsame Mittagessen zuständig. Leider geht es mir wie Ihnen, auch bei
uns sind leider einige Familienrezepte
verloren gegangen. Nie wieder habe ich
so traumhafte Blechkuchen, Klöße, Schwärtelbraten, usw. gegessen.
Unsere Mütter und Großmütter haben so den Grundstein für unsere Wertschätzung von mit viel Liebe und Können zubereiteten
Mahlzeiten gelegt. Genuss und Freude am Essen macht doch einen wesentlichen Teil der
Lebensqualität aus.

Johann Thiel
4 Jahre her

Für mich spielt das alles solange keine Rolle bis ich mit Herrn Goergen die Kloßfrage bei Gans vs. Ente abschließend geklärt habe. Leider ist mir das emotional erst in der Vorweihnachtszeit möglich, aber bis dahin muss ich mich erst einmal nach einer Alternative für Stampfkartoffeln umsehen, denn der Gedanke beim Verzehr derselben, an eine teuflisch erregt, kartoffelstampfende Angela in uckermärker DDR-Filzpantoffeln denken zu müssen, birgt in meiner Vorstellung eine nicht zu unterschätzende Erstickungsgefahr.

Kraichgau
4 Jahre her

Weder Bellevue(Präsidialamt) noch Kanzleramt haben noch eine eigene echte Küchenbrigade,also wird alles,was grösser als das Frühstück ist,von den Berliner Hotels geliefert, nach Bestellung aus den saisonalen Bankett-Menü’s.
Habe mit Kempinski sowie mit Intercontinental Berlin in Bellevue gekocht, Sachen wie Tim Raue’s Klopse waren allerdings nicht dabei 🙂
Wer mal im Bellevue im „Silberraum“ gewesen ist,würde die „Nüchternheit“ keineswegs bestätigen, es wird schon sehr abgehoben gelebt.
Einen Proll wie Fisher als „Gourmet-Experten“ zu benennen,ist ein Witz in sich

Helmut Bachmann
4 Jahre her

Snobistisch sein kann man aber auch mit Königsberger Klopsen. Das kommt drauf an, wie sie gemacht sind.

KorneliaJuliaKoehler
4 Jahre her

Also, so schlecht ist die deutsche Küche nun wirklich nicht! Die gehobene Küche ( nicht nur!)in Frankreich ist schon lange nicht mehr dass, was sie einmal war. Das sage ich aus eigener Erfahrung. Inzwischen kommen die Franzosen auch gerne über die Grenze nach Baden, weil das Preis/Leistungs-Verhältnis in Deutschland sehr viel besser ist. Dasselbe gilt im Übrigen auch für die Schweiz. Da ist das Essen in Restaurants nichts besonderes, dafür, auch für den schweizer Gutverdiener, unverhältnismäßig teuer. Es ist bestimmt nicht repräsentativ für die Esskultur eines ganzen Landes, was zu irgendwelchen Staatsbanketts serviert wird. Die sind wahrscheinlich noch schlimmer als… Mehr

Beobachterin
4 Jahre her

„Ich zerstampfe die Kartoffeln immer selbst…“ – Wie bitte?

DrMarkusMueller
4 Jahre her

Als Ostpreuße aus Eichenfeld in Gumbinnen wäre ich stolz darauf, wenn es bei jedem Staatsbankett Königsberger Klopse geben würde. Das ist Ostdeutsches Kulturgut. Es wäre auch ein schönes politisches Signal: wir geben unsere ostdeutschen Gebiete niemals auf. In der BRD war das früher auch bei allen Parteien im Bundestag Konsens. Früher……

Templeton Peck
4 Jahre her

Einen saudummen Artikel in Deutschland kann man immer daran erkennen, dass er Neid als etwas typisch deutsches darstellt.
Langweilig.
Two scoops of ice cream anyone?
Oder ist das schon zu weit über den Tellerrand hinaus.
Wirklich, kann man sich konsequent weiter entblöden?