Söder will mit den Grünen um das Kanzleramt kämpfen

Der CSU-Vorsitzende Markus Söder ruft die Union zu einem Kampf um das Kanzleramt mit den Grünen auf und will dafür spätestens nach der Wahl des neuen CDU-Vorsitzenden jeglichen unionsinternen Richtungskampf einstellen.

Alexander Pohl/NurPhoto via Getty Images

Immerhin: Beim Vorsitzenden der CSU und bayerischen Ministerpräsidenten, Markus Söder, scheinen die jüngsten Umfrageergebnisse zum weiteren Abstieg der Union und Aufstieg der Grünen in der Wählergunst angekommen zu sein. In einem Interview mit der WELT AM SONNTAG prognostiziert er für die kommenden Bundestagswahl: „Der Kampf um Platz eins wird zwischen Schwarz und Grün ausgetragen“. Er verspricht deswegen den Lesern: „Wir werden mit den Grünen um das Kanzleramt kämpfen“. Indirekt deutet er dabei an, dass er für diesen Kampf das von der CDU-Führung inszenierte „Schwarz-Grün als Modell“ für den falschen Weg hält, weil das „auch schnell zu Grün-Schwarz“ führen könne. Dies würde die Union dann laut Söder zerreißen.

Allein schon der Umstand, dass die derzeit mit knapp neun Prozent kleinste im Bundestag vertretene Partei von einem der beiden Vorsitzenden der mit 33 Prozent größten Partei zum neuen Hauptgegner im Kampf um das Kanzleramt erklärt wird, ist ein in der Geschichte der Bundesrepublik bislang erstmaliger Vorgang. Er ist nicht zuletzt das Ergebnis der mittlerweile seit rund zwei Jahren fortgeführten Großen Koalition (GroKo), an der neben der SPD und der CDU auch die CSU unter der Führung von Söder beteiligt ist. In diesem Zeitraum ist es den Grünen gelungen, nicht nur in den Umfragen, sondern auch bei den zwischenzeitlich durchgeführten Europa- und Landtagswahlen so stark zuzulegen, dass sie nun selbst vom Vorsitzenden der CSU zum Hauptkonkurrenten der Union ausgerufen werden müssen.

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Als einen der Gründe für diesen kometenhaften Aufstieg nennt Söder den Streit, den er und Seehofer nach der Grenzöffnung 2015 mit der CDU ausgefochten haben. Dabei warfen sie der Kanzlerin korrekterweise unter anderem vor, einen totalen Kontrollverlust sowie eine „Herrschaft des Unrechts“ an den deutschen Grenzen herbeigeführt zu haben, um einem von ihr festgelegten „humanitären Imperativ“ zu folgen. Da dieser Streit vor der Bundestagswahl 2017 ausgetragen wurde, bei der die Grünen gegenüber der Bundestagswahl 2013 lediglich einen Stimmenzuwachs von 0,5 Prozentpunkten erzielten, kann er allerdings schwerlich der Grund für den Aufstieg der Grünen gewesen sein. Dieser setzte erst richtig ein, nachdem auf der Basis des neuen Koalitionsvertrages mit der SPD auch Söder und Seehofer ihren asyl- und migrationspolitischen Frieden mit Merkel geschlossen hatten.

Dieser bis heute andauernde Friedensschluss ging schon bei den bayerischen Landtagswahlen im Herbst 2018 mit einem deutlichen Erstarken der Grünen einher. Sie gewannen insgesamt 680.000 Wähler hinzu, davon 170.000 von der CSU, die insgesamt rund 10 Prozentpunkte schlechter abschnitt als 2013. Wie Söder angesichts dieser Zahlen und dem seitdem weiter anhaltenden Aufstieg der Grünen zu der Auffassung kommt, die Union als Ganzes könne als Volkspartei nur überleben, wenn CDU und CSU sich „gegenseitig unterhaken“ und sich als „einig und geschlossen“ präsentieren, bleibt in dem Interview ebenso sein Geheimnis wie die Antwort auf die Frage, worauf diese Einigkeit denn inhaltlich gründen soll. Auf einer „weltoffeneren“ oder einer restriktiveren Asyl- und Migrationspolitik, auf einem schnelleren oder einem langsameren Ausstieg aus der fossilen Stromerzeugung, aus einer Beibehaltung des Ausstiegs aus der Atomenergie oder einem Wiedereinstieg, aus einer weiteren Zentralisierung der EU oder ihrer Dezentralisierung, aus dem weiteren Ausbau von finanziellen Transferverpflichtungen innerhalb der EU oder deren Rückbau, aus einer weiteren Forcierung der Quotenpolitik bei der Besetzung von Positionen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft oder einer Rückkehr zum Leistungsprinzip ? Alles Fragen, die innerhalb der Union höchst umstritten sind und dort nach einer Klärung verlangen.

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Statt sich in diesen Fragen eindeutig zu positionieren, beschwört Söder ein weitgehend inhaltsleeres „modern-liberal-konservatives und ökologisches Gedankengut“, mit dem die Union „stärkste politische Kraft bleiben“ könne. Auf seiner Grundlage solle spätestens nach der Wahl des neuen CDU-Vorsitzenden Ende April jeglicher Richtungsstreit innerhalb der Union beendet werden. Sollte sich dort also Armin Laschet durchsetzen, der schon erklärt hat, dass er die bisherige politische Linie der CDU in den innerparteilich höchst umstrittenen Politikfeldern fortsetzen möchte, dann darf er auf die vorbehaltlose Unterstützung des CSU-Vorsitzeden zählen. Sollte sich hingegen Merz durchsetzen, der einen Richtungswechsel und eine Erneuerung der CDU anstrebt, gilt das Gleiche auch für ihn.

Sollte Söder Wort halten, dürfen die Wähler nach dem 24. April gespannt sein, in welche Richtung er seine Partei steuert. Sein Verhalten gleicht dem eines Seglers, dem der Wind direkt aus der Richtung des von ihm anvisierten Ziels entgegenbläst. Er muss sein Boot deswegen immer wieder mittels einer Wende durch den Wind in eine andere Richtung steuern, um sich so mittels des Kreuzens auf Umwegen langsam dem Ziel zu nähern. Söder wartet deswegen im Moment noch ab, wohin sich der Wind am 24. April drehen wird, um zu wissen, welchen neuen Kurs er mit der CSU gegebenenfalls steuern muss, damit die Union wieder im Hafen des Kanzleramts landen kann. Auf See ist dieses Vorgehen nicht nur zwingend und bei guter Seemannschaft meist auch von Erfolg gekrönt. In der Politik läuft man bei all den Wenden hingegen Gefahr, immer mehr der eigenen Wähler zu verlieren, die nicht mehr wissen, wohin die Reise eigentlich gehen soll.

Ans angestrebte Ziel kommt man so in der Politik, im Unterschied zum Segeln, eher nicht. Das Kanzleramt selbst ist zwar der Union, nicht aber ihren Wählern ein so lohnenswertes Ziel, für das sie bereit wären, mal in die eine, mal in die andere Richtung zu fahren. Sie bevorzugen eher Parteien, die den einmal eingeschlagenen Kurs beibehalten und ihre politischen Inhalte nicht bedingungslos dem Ziel des Regierens unterordnen. Auch die Grünen haben im Laufe ihrer vierzigjährigen Geschichte so manche politischen Wenden vollzogen und dabei einige Hochs wie auch Tiefs erlebt. Und auch die Grünen sind, wie alle Parteien, gerne bereit, politische Inhalte der Aussicht auf Regierungsämter zu opfern, wenn diese erst einmal in greifbare Nähe gerückt sind. Anders als die Union steuern sie seit der letzten Bundestagswahl aber einen weitgehend klaren Kurs in Richtung einer möglichst „weltoffenen“ Asyl- und Migrationspolitik, einer weiteren Zentralisierung der EU, einem weiteren Ausbau der EU zur Transferunion, einer planwirtschaftlichen Umwelt- und Klimapolitik und einer Quotenpolitik nicht nur für Frauen, sondern für weitere „Opfer“ tatsächlicher oder auch nur vermeintlicher gesellschaftlicher Diskriminierung.

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Den Gegenpol zu dieser politischen Richtung bildet inzwischen nicht mehr die Union, sondern die AfD. Diese wird, trotz ihrer zahlenmäßig deutlich schwächeren Vertretung im Bundestag, öffentlich als der Antipode der Grünen wahrgenommen, nicht die Union, die mit den Grünen gerne auch im Bund regieren würde. Solange diese Option im Raum steht, kann es der Union nicht gelingen, sich glaubwürdig als der eigentliche Antipode zu den Grünen im Kampf um das Kanzleramt zu positionieren, wie dies Söder in seinem Interview fordert. Das von Merkel, Laschet, Günther, Röttgen und anderen angestrebte Ziel einer gemeinsamen Regierung mit den Grünen kann aber nur dadurch von der Agenda der Union verschwinden, wenn sie sich inhaltlich ebenso eindeutig gegen die Ziele und Inhalte der Grünen positioniert, wie sich umgekehrt die Grünen schon längst gegen die unter Merkel noch verbliebenen liberal-konservativen Ziele der Union positioniert haben.

Während immer mehr Wähler die klare Richtungsfestlegung der Grünen mit ihrer Stimmabgabe für sie belohnen, gehen der Union demgegenüber aufgrund ihres Opportunismus und ihrer Richtungslosigkeit immer mehr Stamm- wie auch Wechselwähler verloren. Dieser Prozess wird wohl kaum damit zu stoppen sein, dass die Union weiterhin nach außen Geschlossenheit und Einigkeit demonstriert, wo es sie nach innen nicht mehr gibt. Söders Diagnose, dass die Grünen das Kanzleramt erobern könnten, ist zwar richtig, seine von ihm gegen diese Gefahr praktizierte Therapie der bedingungslosen Geschlossenheit dagegen nicht. Sie gleicht eher dem Vorschlag eines Ehe-Therapeuten, der einem Ehepaar, das sich in zentralen Fragen seines gemeinsamen Lebens schwer zerstritten hat, empfiehlt, gegenüber Verwandten, Freunden und Nachbarn so zu tun, als führe man eine harmonische Ehe und einem der Ehepartner empfiehlt, sich den Vorstellungen des anderen um des lieben Friedens willen einfach unterzuordnen.

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Kommentare ( 47 )

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Franz-Xaver
4 Jahre her

CDU/CSU zehren von ihrer großen Vergangenheit, vom Amtsbonus der aktuellen Kanzlerschaft, sowie vom Vertrauen vieler Wähler in ihre angeblich hohe Kompetenz bei Wirtschafts- und Finanzfragen. Das ist die ziemlich kümmerliche Habenseite. Jenseits davon schaut es zappenduster aus, vor allem beim eigenen Profil. Es gab in den letzten 10 Jahren keine wichtige Entscheidung, bei der Zarin Merkel sich sich nicht für eine scharf grün-linke Variante entschieden hätte, was beim Wähler ja nur so verstanden werden konnte, dass die seit Jahrzehnten in unveränderlicher Richtung dahinsteuernden GRÜNEN im Grunde schon immer die KOMPETENTERE Partei waren. Eine bessere Werbung für die Gegenseite kann man… Mehr

paulrabe
4 Jahre her

Der Anteil der Wähler die noch in der Landwirtschaft arbeiten ist verglichen mit den typischen“grün“ Wählern, die oft in akademisch geprägten Dienstleistungsberufenn arbeiten, inzwischen gering.
Politiker in einer Demokratie aber richten sich nach jenen Bürgergruppen, welche in der Mehrheit sind.

paulrabe
4 Jahre her
Antworten an  paulrabe

Die meisten Lebensmittel kommen ja inzwischen aus dem Ausland, da greifen die grünen Konsumenten dann auch gerne zu Dingen deren Produktion zumindest zweifelhaft ist aber der Preis entsprechend günstig.

Das aber ist weit weg, der grüne Verbraucher kann also leicht für „grüne“ Landwirtschaft am Wahltag stimmen, es hat für seine Kosten im Supermarkt kaum Konsequenzen.

paulrabe
4 Jahre her

Rechts verliert die CSU an die AfD und links an die Grünen.
Stellt sich aus der Sicht der CSU die Frage welcher Stimmenverlust schwerer wiegt ?
Söder hat die Frage beantwortet: Der Verlust an die Grünen, weil dann die Stimmen an die direkte Konkurrenz gehen und damit rechnerisch „doppelt“ zählen bei der Frage ob Union oder Grüne am Ende die Kanzlerschaft gewinnen.
Taktisch ist es also richtig, wenn Söder um die Wechselwähler kämpft.

RolandSpringer
4 Jahre her
Antworten an  paulrabe

Stimmt. Die Frage ist nur, ob die Taktik wie gewünscht wirkt. Vielleicht wissen wir nach den bayerischen Kommunalwahlen mehr.

Martin L
4 Jahre her
Antworten an  RolandSpringer

Kommunalwahlen sagen „global“ nicht so viel aus. Die AfD tritt ja in vielen Kommunen gar nicht an, weil sich nicht genügend Leute finden, die es sich trauen, offen zur AfD zu stehen.

CIVIS
4 Jahre her

Populismus pur à la Söder:

– gewinnt Laschet: ….. dann stehe ich zu 100% hinter Laschet
– gewinnt Merz: ……… dann stehe ich zu 100 % hinter Merz
– und der Wähler?…… der ist mir bei alledem sch….egal !!!

Gisela Fimiani
4 Jahre her

Auch Söder: ein wendehalsiger Opportunist. Er hat sein Amt lange herbeigesehnt und genießt Status und Macht außerordentlich. Deshalb ist es auch ihm gleichgültig, mit wem er sich zusammentun muß. Um keinen! Preis wird er seine Stellung gefährden. Wer so viel und so lange investiert hat, will nun seine Früchte ernten. Das Land wird zum (gezwungen en) Zuschauer in einem Parteiposten und Pesonalkampf Drama, das jeder Beschreibung spottet. Hier ist jedem das persönliche Überleben wichtiger, als sich um die mannigfaltigen Probleme des Landes zu kümmern. Auf der Bühne präsentieren sich Machtversessenheit und Narzissmus, während sich der, nicht mehr als solcher wahrgenommene,… Mehr

Marc Hofmann
4 Jahre her

Die Söder CSU macht von Anfang an einen Fehler…sie will die Grünen klein halten, in dem man meint den Grünen ihre Themen zu besetzen. Die Grünen hingegen haben dieses Spiel zu ihrem Vorteil genutzt und zwingen nun die Union dazu, diese Grünen Themen auch per Gesetz und Verordnungen umzusetzen. Die Union parierte und schwächelt durch ihre falsche Strategie und die Grünen Erstarken weiter.

Lotus
4 Jahre her

„…, beschwört Söder ein weitgehend inhaltsleeres ‚modern-liberal-konservatives und ökologisches Gedankengut'“.

Dieses wolkige Gerede kaschiert mehr schlecht als recht, dass in der Union die Ratlosigkeit Einzug gehalten hat. 20 Jahre Merkel haben CDU/CSU in eine desolate strategische Lage gebracht. „Modern-liberal-konservativ-ökologisch“, das klingt nach „von allem etwas, aber nichts richtig“, also nach absoluter Beliebigkeit.

Sollte die Union 2021 nochmals stärkste Kraft werden, nützt ihr das übrigens GAR NICHTS, wenn es für GR2 reichen sollte. Dann wird das Bremer Modell ganz schnell auf den Bund übertragen.

AnnaAmalia
4 Jahre her

Solange 85 % der Wähler die neue SED wählen, und da ist es egal, ob diese jetzt CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne oder Linke heißt, solange der Wähler sich seiner politischen Macht nicht bewusst ist oder sie ihm egal ist, solange die Gefahr von rechts als übermäßig groß aufgebauscht wird und solange alle Positionen links der CDU als progressiv verklärt werden, solange ist Deutschland auf dem Weg in eine linke Republik. Daran werden auch kleinere Kurskorrekturen Söders in einer schwarz-grünen oder grün-schwarzen oder schwarz-roten oder irgendeiner Regenbogen-Regierung nichts ändern. Der Wähler ist anscheinend leicht beeinflussbar (wahlweise zu träge, sich die Folgen… Mehr

Gernot Artus
4 Jahre her

„Der Kampf um Platz eins wird zwischen Schwarz und Grün ausgetragen“

Was schwätzt der Söder da nur wieder für ein exorbitant dummes Zeug! Wenn er wenigstens noch gesagt hätte, der „Kampf“ wird zwischen hellgrün und dunkelgrün ausgetragen. „Schwarz“ ist in der Union doch schon längst eliminiert worden!

Wittgenstein
4 Jahre her

Lieber Herr Springer, in Deutschland wird keine Politik mehr gemacht, nur noch taktische Parteipolitik. Alle Entscheidungen, die in die aktuelle Misere geführt haben, sind auf diese kleingeistige Taktiererei zurückzuführen. Aber egal, es könnte sein, dass bei allen parteitaktischen Überlegungen von Herrn Söder der Fehler im offenen Bestreben der CDSU liegt, eine Koalition mit den Grünen eingehen zu wollen. Dann nämlich wird sich die Union in den von Ihnen aufgeführten Fragen, der jeweiligen Position der Grünen annähern müssen, um für die Grünen „koalitionsfähig“ zu sein. Positionen, die zwar viele grüne CDSU-ler eh vertreten, aber eben nur etwa die Hälfte. Die andere… Mehr

Norbi
4 Jahre her
Antworten an  Wittgenstein

Nicht PdL sondern korrekt: SED