Am gestrigen Schalttag wäre Gioachino Antonio Rossini 228 Jahre alt geworden. Der Großmeister der italienischen, dann auch der französischen Oper im frühen 19. Jahrhundert inspirierte Zeitgenossen und Nachwelt durch abgründige Farcen und packende Historienbildern. Mit seinen Melodien überwand er buchstäblich die hohen Berge, die Italien vom Norden trennen, und erlangte zuletzt Unsterblichkeit.
Meine erste Erinnerung an die Musik Rossinis waren einzelne Arien und Duette mit Maria Callas, die sich auf einer Musikkassette fanden und in denen die große Sopranistin den typischen Verzierungen von Rossinis Belcanto einerseits eine tiefe Plastizität verlieh und sie damit zugleich auf eine Art schnörkellos in den Raum stellte, einfach anwesen ließ. Diese Mischung aus großem Ernst und wohl auch schlicht Freude am eigenen Gestalten war der kongeniale Beitrag der Callas zur Musikgeschichte. In einem nüchternen Zeitalter fand die Griechin aus New York erneut einen Zugang zu einer vergangenen, glanzvollen Epoche des Singens. Die Weltkarriere der Callas war der erste Schritt zur Rossini-Renaissance nach dem Zweiten Weltkrieg.
In schweres Wasser waren die meisten der Werke Rossinis schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geraten. Im Repertoire blieb praktisch nur der in gewisser Hinsicht unverwüstliche »Barbier von Sevilla« – doch auch er keineswegs unbeschadet. Die Exzesse der singenden Virtuosen, die den »Barbiere« gelegentlich als groben Klamauk inszenierten, sind berüchtigt und brachten viele Dirigenten, darunter Arturo Toscanini, fast um den Verstand.
Doch Rossinis Musik ist mehr als dieses Klischee. Dem »Schwan von Pesaro« ging es keineswegs nur um brillante Koloraturen und gewaltige Crescendo-Walzen. Die ersteren schrieb er (laut seinem stets parteiischen Biographen Stendhal) vor allem für seine erste Frau, die Sopranistin Isabella Colbran, letztere verlangte speziell das venezianische Publikum von ihm. Dagegen brauchte und verlangte man dieses Wirkungsmittel am vornehmen Teatro San Carlo in Neapel nicht. Überhaupt sollte man gerade in seinen ernsten Opern ebenso auf den Gesang wie auf das Orchester achten, für das Rossini sensibel gemalte Stimmungsbilder geschrieben hat. Hier und in der agilen Dramatik seiner Ensembles lag sein Vermächtnis für das junge 19. Jahrhundert, in dem ihm Komponisten wie Gaetano Donizetti, Vincenzo Bellini, Giacomo Meyerbeer und Richard Wagner nacheiferten.
Der 1792 als Sohn eines Trompeters und einer Sängerin geborene Rossini wuchs zunächst im damals zum Kirchenstaat gehörenden Pesaro an der Adriaküste auf, wo heute ein jährliches Festival mit seiner Musik stattfindet. Später zog die Familie in die Nähe von Ravenna. Bei seinem Vater und einem Priester erhielt Rossini schon in jungen Jahren Musikunterricht. Unter anderem lernte er so früh die Werke Haydns und Mozarts kennen, was im damaligen Italien nicht der Normalfall war. Den ersten offiziellen Auftrag zu einer Oper bekam er mit 18 Jahren. Seine Erfolge wuchsen rasch, zunächst mit lebensvollen, oft raffinierten Farcen. Das italienische Publikum nahm die Oper damals mindestens ebenso als Theater wahr wie als musikalische Darbietung. Text und Musik wurden einzeln begutachtet und in jedem Detail kritisiert und gewürdigt.
1820 schrieb er eine politische Oper über Mehmet den Eroberer
Wenn Rossini so zunächst die musikalische Komödie neu belebte, dann wurde er später auch zum Erneuerer der tragischen Opera seria. Zu den einflussreichsten seiner Werke zählen Opern über Elisabeth I. von England, den Othello-Stoff oder gar den Exodus der Juden aus Ägypten unter Moses. Er feierte Erfolge in Venedig, Mailand, Rom, Wien und London. Zuletzt – er war damals 32 Jahre alt – zog es ihn nach Paris, die inoffizielle Hauptstadt Europas in jener Zeit, in der deutsche, französische und italienische Komponisten um die Reform der dramatischen Musik wetteiferten. Honoré de Balzac schilderte das Vergnügen, das Rossinis Opern verschafften, in seinen Romanen. Zu seinen Fans gehörte auch der Frankfurter Philosoph Arthur Schopenhauer, der daneben auch Mozart die Treue zu halten gedachte, als Wagner ihm seinen »Ring des Nibelungen« widmen wollte. Für Hegel ging Rossini »mit seinen freien Melodien über alle Berge«.
Vor genau 200 Jahren komponierte er ein Stück, dem man einigen Gegenwartsbezug zubilligen mag. Es ist eine Oper über Mehmet II., den Eroberer Konstantinopels, Trapezunts und eines Teils von Serbien. Die Oper zeigt den Osmanen im Kampf gegen die Venezianer, denen er 1470 die griechische Insel Euböa (damals auch: Negroponte) abluchste. Die Insel war damals bald 300 Jahre im Besitz der Republik Venedig gewesen. In der Oper, basierend auf einer zeitgenössischen Tragödie, muss dieser Maometto natürlich – unter falschem, christlichem Namen – in eine junge Venezianerin verliebt sein. Er entführt sie in sein Kriegslager, doch sie hält Venedig die Treue, entwendet das Herrschaftssiegel des Türken und stirbt am Ende den Heldinnentod. 1826 brachte Rossini die Oper auch in Paris als Le Siège de Corinthe (»Die Belagerung Korinths«) heraus. Inspiriert vom griechischen Freiheitskampf, der 1822 zur Gründung des modernen griechischen Staates geführt hatte, ist das Thema nun der griechische Abwehrkampf gegen die türkischen Eroberer. In Erinnerung blieb vor allem eine prächtige Fahnenweihe, in der die Griechen sich dem Kampf gegen die türkischen Invasoren verschreiben.
Alterssünden für Salon und Küche
Mit dieser Art musikalischer Dramaturgie hatten Rossini und sein Librettist auch die neue Opernform des Grand Opéra vorbereitet. Geschichtlich kam damit ein Paradigma an sein Ende (auch wenn wir ihm heute wieder frönen): Die Oper als Konstellation pracht- und ausdrucksvoller Einzelstimmen. Der neue Grand Opéra französischer Prägung verlangte dagegen vor allem Chöre und Massenszenen; der Einzelne ging im Kollektiv unter oder befand sich doch im steten Abwehrkampf dagegen. Mit »Guillaume Tell« komponierte auch Rossini ein letztes Meisterwerk, das weitere Schritte in diese Richtung ging.
Die Gründe, aus denen sich Rossini im Alter von nur 37 Jahren von der Opernkomposition zurückzog, sind bis heute nicht ganz klar. Vermutlich waren es körperliche und geistige Leiden, unter anderem eine wiederkehrende Depression, die ihn von den Bühnen Europas Abschied nehmen ließ. Doch komponierte er noch einige Lieder und zwei größere Sakralwerke. Seine letzten Jahre verbrachte er wieder in Paris, wo er sich eine bessere medizinische Versorgung erhoffte und einige kleinere Werke komponierte. »Péchés de vieillesse« nannte er diese Kompositionen – Alterssünden.
Die meisten führte er in seinem Salon auf, den er in einem damaligen Vorort von Paris allsamstäglich unterhielt. Wollte man aber über diese musikalischen »Hors d’œuvres« mit ihm sprechen, so sagte er nur: »Sie sind doch sehr gütig, sich für die Sünden eines alten Mannes zu interessieren, denn ich komponiere nicht mehr, ich habe Alles vergessen. Ich bin jetzt nur ein großer Pianist und Diemer, Lavignac, Delahaye sind eifersüchtig auf mich, überhaupt verschwören sich sämtliche Pianisten gegen mich, weil ich eine andere Methode befolge, aber ich werde jetzt ins Konservatorium eintreten, und dann mögen sie sich in Acht nehmen.« So überlieferte es ein Anonymus 1867 in der »Gartenlaube«. Auch die gastronomischen Möglichkeiten der französischen Hauptstadt dürften dem Gourmet geschmeckt haben, der selbst einige Rezepte erfand, darunter »Häppchen von der diebischen Elster« und eine »Tarte Guillaume Tell«. Das Rezept zu den berühmten Tournedos – mit Gänsestopfleber, schwarzen Trüffeln und Madeirasauce– soll ein Pariser Küchenchef für den Komponisten kreiert haben.
Am gestrigen 29. Februar feierte Rossini seinen 57. Geburtstag. In seiner Lebenszeit hatte er deren nur 18 erlebt. Das reichte also gerade so zur Volljährigkeit. In diesem Jahr wäre er 228 Jahre alt geworden. Ewige Jugend liegt in seiner Musik.
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schön, auch mal über ein kulturelles Thema hier zu lesen. Rossinis Musik ist einfach kongenial, die Leichtigkeit, ohne jemals oberflächlich zu werden… Der feine Sinn für die allzu menschlichen Schwächen seiner Figuren ohne sie jemals das Gesicht verlieren zu und sie der Lächerlichkeit anheim fallen zu lassen. Die Virtuosität, die seine Musik von den Sängern und Orchestermusikern verlangt machen ihn einfach einzigartig. Schade, dass er sich so früh in die Welt der kulinarischen Genüsse verabschiedet hat… Und was hat das jetzt hier mit diesem Blog zu tun? Nun, ein Rossini ist eben kein Beethoven. Ein Bizet kein Chopin. Und ein… Mehr
Immerhin sind seine Melodien jetzt gemeinfrei..wenn auch nur die. Sobald irgendein Orchester das ganze spielt, fängt die Schutzfrist von 70 Jahren für diese Aufnahme nach dem Tod des letzten Instrumentalisten erneut an. Was das mit dem Thema oder Aktuellem zu tun hat ? Politik und zwar Kulturpolitik. Wer heute ein Heilmittel gegen Krebs, AIDS, Malaria oder Corona erfindet, hat 20 Jahre Patentschutz drauf, danach ist es gemeinfrei. Ein Dieter Bohlen wird aber noch 70 Jahre nach seinen Ableben die Tantiemen aus „Geronimo’s Cadillac“ und „Cherry Cherry Lady“ garantiert und selbst die Lieder von Franz Beckenbauer sind besser geschützt als ein… Mehr
Schön, dass TE bei aller Vorliebe für Politik und Wirtschaft die Kultur nicht zu kurz kommen lässt. Weiter so!
Danke für diesen schönen Artikel.
Ein musikalisch eher unbedarfter Kulturstrolch, der ich nunmal bin und Rossina allenfalls im Auszug kenne (und mag), wird darob demnächst mal wieder eine Expedition zum Schallplattenhändler seines Vertrauens (derlei gibt es tatsächlich – für jüngere Leser aus Linksgrünspektrum: das sind so schwarze Scheiben, Größe irgendwo zwischen Rad eines E-Scooters und Moped) wagen und Einkäufe tätigen.
Musikalische Woche sei gewünscht!