Erdogan erwartet, dass Deutschland seinen Angriffskrieg finanziert, sobald er damit droht, die bei ihm gestrandeten Migranten, von denen nur ein Bruchteil tatsächlich Flüchtlinge aus Syrien sind, in die EU durchzuwinken. Die deutsche Nicht-Diplomatie kuscht.
Gern wird in der Geschichtsschreibung die Unfähigkeit der Deutschen zur Diplomatie als eine maßgebliche Ursache des Ausbruchs des Krieges im Jahr 1914 beschrieben. Unterstellt, das sei so gewesen, dann können wir konstatieren: Die bundesdeutsche Führung des frühen 21. Jahrhunderts steht jener des frühen 20. Jahrhunderts in Sachen Diplomatie-Unfähigkeit in nichts nach. Und dennoch gibt es einen bedeutsamen Unterschied: Vor 100 Jahren gab es zumindest klar nachvollziehbare Leitlinien deutscher Außenpolitik. Heute gibt es nicht einmal einen Fussel, an dem man irgendetwas festmachen könnte.
Von der Selbstzerstörung zur NATO
Der Außenpolitik des Deutschen Reichs wird bis heute unterstellt, sie sei undiplomatisch, anmaßend und ungeschickt gewesen. Deshalb habe sie das Reich international isoliert und so letztlich den Völkerkrieg von 1914 bis 1918 unvermeidlich gemacht. Festgemacht wird dieses Urteil an wenigen Aussagen des Präsidenten des Bundes mit der offiziellen Bezeichnung „Deutscher Kaiser“. Sie werden anhand der „Hunnenrede“ oder der Ungeschicklichkeiten anlässlich des sogenannten „Panthersprungs von Agadir“ ebenso wie anlässlich der Moslemrede in Damaskus überinterpretiert, als exemplarisch für die deutsche Diplomatie karikiert.
Zugegeben – vieles jener Epoche wirkt aus heutiger Sicht wie aus der Zeit gefallen. Und doch unterschied sich deutsche Diplomatie damals nur wenig von derjenigen der Repräsentanten anderer Länder. Sie unterstrichen den Anspruch des vertretenen Landes, ernst genommen zu werden und seine vitalen Interessen durchsetzen zu wollen. Nicht nur das Deutsche Reich hatte einen Kompass, der seine Außenpolitik bestimmte. Kernelement dieses Kompasses war das Wohl und der Fortschritt des Landes, in dessen Namen und zu dessen Nutzen die Diplomaten handelten.
Für das Deutsche Reich war es maßgeblich der Anspruch, den für den weiteren Aufstieg der führenden Weltwirtschaftsmacht unerlässlichen Außenhandel – seinerzeit fast ausschließlich über den Seeweg – abzusichern; nicht Gefahr zu laufen, durch überlegene Flotten anderer Mächte im Handstreich auf Null gesetzt werden zu können. So beanspruchte die deutsche Außenpolitik in der wechselnden Gemengelage von Bündnissen und Gegenbündnissen und bei der Aufteilung der Welt unter den europäischen Mächten seinen gleichberechtigten „Platz an der Sonne“. Es war ein in jeder Hinsicht legitimer Anspruch in einer Zeit, in der die Konkurrenten bereits global ihre Claims abgesteckt hatten – und das Deutsche Reich zumindest als gleichberechtigter Partner wahrgenommen werden wollte.
Nach 1945 wurde das, was vom Deutschen Reich noch übrig geblieben war, in ein nordatlantisches Sicherheitsbündnis eingebunden. Dieses Bündnis mit der Bezeichnung NATO verfolgte maßgeblich zwei Ziele: Es sollte der weiteren Expansion und der daraus erwachsenden Bedrohung durch die Sowjetunion begegnen und die Idee der Parlamentarischen Demokratie verbreiten, dabei das nun wieder demokratisierte Deutschland daran hindern, erneut eigene Wege zu Lasten anderer Staaten zu gehen. Damit waren zwei Aufgaben definiert, die nicht zwangsläufig miteinander zu vereinbaren waren: Eine militärische und eine politische.
45 Jahre war dieses Bündnis im Wesentlichen erfolgreich. Es verhinderte einen weiteren, großen Krieg in Europa und den atomaren zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion. Der Zusammenbruch des Moskauer Imperiums im Jahr 1989 wurde als Sieg gefeiert – doch die NATO fiel damit selbst in eine Sinnkrise, aus der sie sich bis heute nicht hat befreien können.
Dabei kann sie – beschränkt man sich bei der Beurteilung auf deren schriftlich fixiertes Vertragswerk – als die bedeutendste Friedensinitiative der Menschheit betrachtet werden. Wären da nicht ständige Ungereimtheiten, die bereits früh nach der Gründung geflissentlich übersehen wurden.
Ein Bund für Demokratie und Frieden
Schauen wir auf den Vertrag, der am 4. April 1949 unterzeichnet worden war und – gänzlich ungewöhnlich für solche Vertragswerke – mit nur knapp 1.100 Wörtern alles sagt, was zu sagen ist.
„Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten. Sie sind bestrebt, die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nordatlantischen Gebiet zu fördern. Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen.“
Um den Bestand dieser Werte eines aufgeklärten Europas für die Vertragspartner zu sichern, erfolgte die gegenseitige militärische Zusicherung, sich im Falle des Angriffs auf eines der Mitglieder des Vertrages als Staatenkollektiv gemeinsam zu verteidigen. Und diese Zusicherung funktionierte. Der in der Zeit des „Kalten Krieges“ befürchtete, finale Schlagabtausch blieb aus. Was wiederum auch der Sowjetunion ihre Existenz sicherte vor allem deshalb, weil dieser Schlagabtausch gegenseitig unmittelbar mit der Drohung der atomaren Selbstvernichtung knüpft war. So paradox das klingen mag: Es waren die Atomwaffenpotentiale, die manches aufkommende Mütchen kühlten, sollte doch einmal jemand darüber nachdenken, deinen Konflikt mit Waffeneinsatz lösen zu wollen.
Den Prinzipien untreu geworden
Doch schon bald litt die Gemeinschaft unter einem Makel, der sie bis heute belastet. Denn unabhängig davon, dass einzelne Mitglieder außerhalb der NATO-Bindung sehr wohl Kriege führten, verzichteten die Vertragspartner schon recht bald darauf, ihre eigenen, scheinbar unverbrüchlichen Statuten uneingeschränkt für sich selbst geltend zu machen.
Als am 18. Februar 1952 aus geopolitischen Erwägungen Griechenland und die Türkei aufgenommen wurden, holte man sich zwei Verbündete ins Boot, die alles andere als freundschaftlich-friedliche Empfindungen füreinander empfanden. Wobei diese Mitgliedschaft gleichwohl den bis heute schwelenden Konflikt zwischen dem türkischen Restanten des Osmanischen Reichs und dessen seit 1821 erfolgreich um Unabhängigkeit kämpfende, christliche Kolonie Hellas unter Kontrolle hielt. Wirklich gereifte Demokratien aber waren sie beide nicht.
Das politisch instabile Griechenland erlebte von 1967 bis 1974 eine Phase der Diktatur, die weit davon entfernt war, dem NATO-Demokratiegebot zu entsprechen. Mitglied durfte der Balkanstaat dennoch bleiben.
Eine Demokratie und ein Rechtsstaat im westeuropäischen Sinne war Griechenland erst ab 1974 – und die Türkei ist es, sachgerecht betrachtet, fast nie gewesen. Heute schon gar nicht, in einer Zeit, in der willkürliche Verhaftungen gefühlter Regimegegner an der Tagesordnung sind und missliebige Parteien und Gruppen unter Terrorgeneralverdacht gestellt werden.
Militärbündnis oder Demokratieprojekt?
Damit hätte die NATO vielleicht noch leben können unter dem Aspekt der Hoffnung, über das Bündnis in diese Staaten hinein zu wirken und sie so zu Partnern werden zu lassen, die den hohen Ansprüchen des deklarierten Selbstverständnisses entsprachen. Wenngleich immer die Frage im Raum stand und bis heute steht: Ist die NATO ein reines Militärbündnis – oder versteht sie sich als Demokratieprojekt? Das Ziel definiert den Zwiespalt: Was, wenn ein Partner die in der Präambel festgeschriebenen Ziele nicht (mehr) teilt?
Das Militärbündnis verstand sich selbst vorrangig als globaler Machtfaktor – und so schaute es darüber hinweg, wenn ein Mitglied es mit der Präambel nicht ernst nahm. Das Demokratieprojekt hatte zurückzustehen – ein ernsthaftes Problem, wenn es um Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit geht.
Der Fall Erdogan
Es waren schon immer maßgeblich jene beiden Beitrittsländer von 1952, gelegen an der Peripherie des Bündnisgebiets, die die Wahrhaftigkeit strapazieren sollten.
So unternahm das diktatorisch geführte Griechenland 1974 den Versuch, sich die überwiegend griechisch besiedelte Insel Zypern als griechisches Staatsgebiet einzuverleiben. Tatsächlich kam es damals zu einem kurzen Krieg zwischen den Griechen und ihrem türkischen Nachbar, weil letzterer die Chance nutzte, sich als Schutzmacht der türkischen Zyprioten aufzumachen, den Norden der Insel zu besetzen und dessen griechische Bevölkerung zu vertreiben. Ein Umstand, der ebenfalls nicht durch die NATO-Statuten gedeckt war und bis heute anhält. Nach wie vor ist der zyprische Nordteil faktisch von der Türkei besetzt, während das griechische Restzypern sogar als unabhängiger Staat der Europäischen Union beitreten durfte.
Problempartner Türkei
Der Problempartner Türkei sollte sich nach der Machtübernahme durch die islamisch-nationalistisch geprägte AKP des Recep Tayyip Erdogan zunehmend mehr von den Zielen der NATO entfernen. Den Anspruch eines demokratischen Rechtsstaates erfüllen zu wollen, wenn oppositionelle Kräfte gezielt kriminalisiert und deren Führer ohne Anklage dauerhaft weggesperrt werden, ist unmöglich. Das neo-osmanische Reich des Erdogan ist weit davon entfernt, den Maßstäben der Präambel des NATO-Vertrages entsprechen zu können.
Mit der innenpolitischen Despotisierung nicht genug, verkündete Erdogan ein ums andere Mal, die Ergebnisse der Verträge, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugunsten Griechenlands, Bulgariens und Nordmazedoniens die Abtretung osmanischer Kolonialgebiete vereinbart hatten, nicht anzuerkennen. Er droht den westlichen Nachbarn, mit Griechenland und Bulgarien EU-Mitglieder und NATO-Verbündete der Türkei, offen und unverhohlen mit der „Heimholung“ ehemals türkisch kontrollierter Gebiete.
Noch massiver ist das Bestreben der türkischen Landnahme in Syrien zu erkennen. Es bedarf nicht der entsprechenden Feststellung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, um zu verstehen, dass der unprovozierte Überfall auf die Kurdenprovinz Afrin, die durch die syrische Zentralregierung abgelehnte Stationierung türkischer NATO-Truppen in der islamischen Rebellenprovinz Idlib sowie der ebenfalls unprovozierte Einmarsch in die autonomen Kurdengebiete Rojavas unabweisbar im Widerspruch zu Völkerrecht stehen.
Erdogan verstößt gegen den NATO-Vertrag
Das, was gegenwärtig in Syrien geschieht, ist ein Angriffskrieg, der nicht nur das Völkerrecht bricht, sondern im Widerspruch steht zum Artikel 1 des Nordatlantik-Vertrages. Dort ist zu lesen:
„Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, daß der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.“
Erdogans Türkei macht das genaue Gegenteil dessen, was die NATO von ihren Mitgliedern verlangt. Er besetzt entgegen allen Grundsätzen der UN Teile eines souveränen Staates. Zu diesem Zwecke konstruiert er angebliche Bedrohungen, die seinen Völkerrechtsbruch legitimieren sollen. Und er schließt Bündnisse mit regionalen Partnern, die sich unverhohlen selbst zu terroristischen Zielen bekennen, die gegen die demokratische Idee und die christlich geprägten Staaten der NATO gerichtet sind.
Russland bereitet den Krieg auf seine Weise vor
Bläst ihm dabei, wie aktuell in Nordsyrien, der Gegenwind ins Gesicht, verschärft der Türke sogar noch seine Aggressionstiraden. So ließ er am Sonnabend wissen, dass er nunmehr einen „Sicherheitskorridor“ mit einer Breite von 30 Kilometern auf syrischem Boden einrichten werde, der sich entlang der gesamten türkisch-syrischen Grenze zieht. Das ist nichts anderes als Landnahme – und der bekennende Moslembruder setzt sogar noch eins drauf. Er habe, so ließ er wissen, Russlands Putin gefragt, was der in Syrien zu suchen habe? Wenn er eine Basis einrichten wolle, solle er das tun, aber der Türkei aus dem Weg gehen und sie Auge in Auge mit dem Regime kämpfen lassen.
Russlands Antwort kam prompt – dieses Mal über das Kreml-gelenkte Portal „Sputnik“. In einem Bericht über „Die gestohlene Provinz“ wird Assad ausdrücklich als „Alliierter“ bezeichnet. Alliierte sind Partner im Kampf, die man nicht dem Feind preisgibt. Dann wird dem Leser erklärt, dass die derzeit türkische Provinz Hatay mit den Städten Antiochia/Antakya und Alexandretta/Iskenderun syrisches Staatsgebiet sei. Dort liege auch der Hafen Dortyol, „bis zum erst 1923 endenden Genozid von seinen armenischen Bewohnern auch Chork Mazban genannt“. Wie bereits wenige Tage zuvor, als das syrische Parlament den türkischen Massenmord an den Armeniern zum Völkermord erklärte, ist das der verdeckte Hinweis auf eine weitere Front im Nordosten der Türkei, sollte der Türke tatsächlich den Krieg wählen.
Mit dem Hinweis auf Hatay, das die französische Mandatsmacht Syriens am Vorabend des Krieges 1939 über ein fragwürdiges Referendum an die Türkei übergeben hatte, um die Jungtürken an die Seite der Westalliierten zu bringen, wird propagandistisch bereits die Möglichkeit eines Einmarsches der syrisch-russischen Alliierten in türkisches Hoheitsgebiet angedeutet und dieses mit einem historischen Fehlverhalten der Franzosen begründet.
Der Kriegstreiber erwartet NATO-Beistand
Von seinen NATO-Partnern fordert Erdogan, der selbst Kriegstreiber in Syrien ist und nach den Statuten des Menschenrechtsgerichtshofes in Den Haag längst eine Vorladung zur dortigen Anhörung hätte erwarten müssen, sich in dem von ihm begonnenen Angriffskrieg gegen die zwar ungeliebte, aber dennoch legitime Regierung Syriens widerspruchlos an seine Seite zu stellen. Ein Luftangriff auf die in Syrien stationierten Truppen der Türkei soll dem Bündnis nun den sogenannten Verteidigungsfall aufzwingen. Der sich zum weltweiten Sieg des Islam bekennende Illusionist aus Ankara erwartet von den von ihm verachteten, christlich geprägten Partnern, an seiner Seite in seinen Krieg einzugreifen. Bereits zuvor hatte er wissen lassen, dass die türkische Offensive gegen Syrien am 1. März beginnen werde – doch bereits vorher sind seine türkischen Einheiten dazu übergegangen, syrische Einheiten direkt und massiv zu attackieren. Erdogan trommelt unüberhörbar zum Krieg gegen Syrien und Russland – und erwartet, dass sich die NATO seine Eroberungsgelüste zu Eigen macht.
Politik muss, will sie erfolgreich sein, sich ein Ziel definieren. Welches Ziel verfolgt die NATO mit der Unterstützung Erdogans? Die Absetzung Assads kann es nicht sein – der sitzt Dank russischer Hilfe so sicher im Sessel wie nie zuvor. Die Beförderung einer demokratischen Entwicklung in einem Nachkriegs-Syrien kann es ebenfalls nicht sein. Stattdessen nimmt sich die NATO die letzte Möglichkeit, über die bislang verbündeten Kurden an der Zukunft Syriens mitzuwirken. Um den Türken zu befriedigen, verrät die NATO ihre regionalen Partner und ihre eigenen Interessen.
Das Unvermögen westlicher Diplomatie
Doch das Drama greift noch tiefer. Mit den schwammigen Solidaritätsadressen verlängert die NATO das Leid der Bevölkerung in den von den Islammilizen besetzten Gebieten. Sie solidarisiert sich mit jenen, deren Brüder im Geiste für den größten Terroranschlag der Geschichte verantwortlich zeichnen. Sie vermittelt dem Kriegstreiber aus Ankara das Gefühl, seinen Krieg auf die Spitze treiben zu können, denn im Ernstfall würde ihn die NATO aus dem russischen Zugriff befreien. Und so riskiert die NATO letztlich sogar eine Eskalation, die in eine Situation führen kann, die ihre Existenz seit 1949 vermeiden half.
Ähnlich unbestimmt das Weiße Haus, das eine Erklärung abgibt, wonach Trump und Erdogan darin übereinstimmten, dass das syrische Regime, Russland und der Iran ihre Offensive einstellen müssen, bevor weitere unschuldige Zivilisten getötet und vertrieben werden. Im Übrigen spreche Trump den Türken sein Beileid für die Opfer des syrischen Luftangriffs aus.
Deutschland agiert mit Dilletanten
Auch Deutschlands Angela Merkel darf mit Erdogan telefonieren. Die Frau Bundeskanzler versichert die Solidarität der Bundesregierung bei der Unterstützung der aus Idlib Vertriebenen. Was sie damit meint – unerklärt. Sie kondoliert anlässlich des Todes der 33 türkischen Invasoren und „verurteilt die rücksichtslosen Angriffe auf türkische Einheiten“. Kein Kompass – keine Perspektive. Nur die Unterwerfung unter einen rassistischen Despoten aus dem Morgenland, der seine nach Deutschland umgesiedelten Landsleute wiederholt aufgefordert hat, sich um keinen Preis der Welt an der deutschen Gesellschaft zu orientieren, niemals deutsch zu werden.
Noch unerträglicher agiert Deutschlands gefühlter Chefdiplomat, jener Heiko Maas, der im Eingang für die Besuchergruppen seines damaligen Justizministeriums einen lebensgroßen Starschnitt von sich hatte aufstellen lassen, damit seine Bürgerfans sich auch ohne seine körperliche Anwesenheit mit ihm fotografieren lassen konnten. Wie Trump begeisterter Twitteraner, will er am Donnerstag den konventionellen Krieg globalweit wieder führbar machen, indem er eine Atomwaffenfreie Welt einfordert. Gleichzeitig stellt er fest, dass „wir“ die Verantwortlichen der Kampfhandlungen in Syrien zur Verantwortung ziehen müssen.
Das hält in nicht davon ab, am Freitag die nächste Blase hinterher zu schicken. Maas lobt sich selbst für seinen Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat: „Im UN-Sicherheitsrat habe ich erklärt: Willkürliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung in #Idlib sind Kriegsverbrechen! Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Drei Millionen Menschen fürchten dort gerade um ihr Leben – die meisten davon Frauen und Kinder.“
Etwas später dann der nächste Wurf: „Willkürliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung in #Idlib sind Kriegsverbrechen. Der @UN-Sicherheitsrat kann und muss mehr tun, um dieses Leid zu beenden. Das habe ich heute vor Ort betont.“ Selbst spätabends kann er es nicht lassen. Um 23 Uhr die nächste Bandschleife, damit es auch der letzte begreift: „Wir verurteilen die fortgesetzten Angriffe des syrischen Regimes und seiner russischen Verbündeten im Norden Syriens. Unser Mitgefühl gilt unseren türkischen Partnern. Wir brauchen eine humanitäre Waffenruhe für #idlib, die den Weg für politische Gespräche öffnet.“
Substanzloses Herumgeeier mit Worthülsen
All das ist unter dem Strich substanzloses Herumgeeiere, sind substanzlose Worthülsen mit unreflektierter Schuldzuweisung. Es erinnert an eine Solidaritätsadresse aus dem Kindergarten – nur ist Maas nicht mehr im Kindergarten. Das sollte ihm vielleicht mal jemand sagen – hier geht es um Menschenleben. Und darum, ob Deutschland zu den Werten von Demokratie und friedlicher Konflikt steht oder sich zum Wurmfortsatz eines Kriegstreibers machen lässt.
Erdogan mag ahnen, dass die Worthülsen aus der Unfähigkeit einer Politik ohne Kompass erwachsen. Warum sonst legt er am Sonnabend gegenüber Merkel nach, holt auch hier das einzige Instrument heraus, dessen zu bedienen er unübertroffene Perfektion entwickelt hat: Die unverhohlene Drohung. „Wenn Deutschland seine finanziellen Zusagen nicht einhält, werden wir ihm alle Migranten schicken.“ Da ist er wieder, der Schutzgeld erpressende Kleinkriminelle vom Bosporus.
Dabei müsste die Diplomatie längst begriffen haben: Der in muselmanischer Tradition als egoistischer Macho verzogene Erdogan versteht nur eine deutliche, unmissverständliche Sprache. Will er nicht verstehen, was im NATO-Vertrag steht, dann muss es ihm deutlich und unmissverständlich erklärt werden. Und dort steht nicht, dass die NATO dafür da ist, Mitglieder, die völkerrechtswidrige Angriffskriege führen, vor einer zu erwartenden Niederlage zu retten. Dort steht auch nicht, dass man seinen Partnern unter Androhung völkerrechtswidrigen Vorgehens Geld abpressen darf.
Diplomatie ohne Kompass
Dieser Erdogan ist immer das geblieben, was er seit der Jugend war: Ein wenig intelligenter, aber bauernschlauer, hinterhältiger Kleinkrimineller mit dem Gespür dafür, wo er sich optimal bedienen kann. Dabei ein überzeugter Anhänger jener Imperialismusphilosophie auf dem Frühmittelalter, der fest davon überzeugt ist, die maroden Systeme des Westens durch die schleichende Islamisierung ohnehin in absehbarer Zeit übernehmen und plündern zu können. Kompasslose Personen wie Merkel und Maas bestärken ihn durch ihre nichtsagenden Solidaritätsadressen in seiner Auffassung. Für ihn sind sie keine Partner, sondern Opfer, die man nur ein wenig vor sich hintreiben muss, um alles zu bekommen, was man von ihnen haben möchte.
So ist die deutsche Diplomatie der Gegenwart gefährlicher als jene vor 100 Jahren. Damals zumindest wusste die Welt, welche Ziele das Reich verfolgt und das es Ziele hatte – damit konnte man umgehen. Heute wirkt die deutsche Diplomatie wie ein misslungener Pudding, der nirgendwo an die Wand zu nageln ist. Keine klaren Ansagen, kein Rückgrat – nichts. Wer so agiert, der wird nicht ernst genommen. Damals lag die Diplomatie in der Hand von fachkundigen Experten. Heute liegt sie in der Hand von Dilletanten.
Doch wäre es nur das – damit könnte die Republik vielleicht noch leben. Das eigentliche Dilemma aber liegt noch eine Ebene tiefer. Die deutsche Außenpolitik stellt ein ums andere Mal unter Beweis, dass sie gänzlich orientierungslos ist.
Was will Deutschland in dieser Welt – was erwartet es von Ihr? Nur ungehinderte Einwanderung zur eingebildeten Absicherung der Sozialsysteme, wie Merkel sie vor einem Jahr in Marokko verkündete? Und sonst? Irgendwie dabei sein – aber dabei sein bei was?
Meint man es ernst mit einer NATO als nicht nur Militärbündnis, sondern als Wertegemeinschaft, dann muss man dafür eintreten, dass ihre Mitglieder sich an deren Statuten halten – und darf nicht durch Appeasementpolitik gegenüber den Großmäulern und Kriegstreibern in den eigenen Reihen das Bündnis um seine Reputation bringen.
Und meint man es im konkreten Falle Syrien ernst mit dem Ziel, das Leid der Zivilbevölkerung zu beenden, dann darf man nicht jenen seine Solidarität erklären, die dieses Leid nicht nur vorsätzlich verlängern, sondern selbst dafür Verantwortung tragen.
Der Syrienkrieg hätte längst vorüber sein können, wenn die USA und ihre Partner nicht von der irrationalen Vision getrieben wären, überall auf der Welt das durchsetzen zu müssen, was sie als Demokratie definieren, und dafür Kriegsverbrechern aus den eigenen Reihen den Rücken stärken. Die Anmaßung, ein Wertemodell, welches nur für zivilisierte Staaten des europäischen Kulturkreises taugt, mit Gewalt zum Weltstandard machen zu wollen, ist in seinem Ergebnis zerstörerischer als die häufig kritisierten Auswüchse des Kolonialismus.
Das ist die eigentliche Tragik des diplomatischen Unvermögens, des fehlenden Kompasses. Sie verlängert das Leid jener, denen helfen zu wollen sie vorgibt, bis zum Sankt Nimmerleinstag. Weil sie, getrieben von einer Vision des Ewig-Guten, die Realitäten nicht zur Kenntnis nimmt. Dabei wäre es dringend an der Zeit, zu jener Klarheit des Denkens zurückzufinden, die früher die Diplomatie prägte. Nicht derjenige, der von einer besseren Welt träumt, wird sie verbessern. Das kann nur derjenige, der auf Träume verzichtet und für die Welt, so wie er sie vorfindet, Konzepte entwickelt, die sich am Möglichen und nicht am Erträumten orientieren.
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@Gruenauerin, das Problem liegt nicht in erster Linie bei den Menschen, die versuchen zu kriegen, was sie kriegen können, sondern bei den Menschen, die durch die Welt laufen und Geld und Wohlstand für alle bei uns in Deutschland anbieten. Es sind unsere eigenen Dummköpfe und davon haben wir leider viel zu viele.
Wir und die Welt müssen heilfroh sein, dass zumindest Vladimir Putin den Überblick behält.
Nicht auszudenken, wenn im Kreml auch so eine Merkelova sitzen würde.
Die BRD Diplomatie unter Merkel ist zum Traumtänzer und Warmduscher verkommen. In einer Welt mit Sicht durch eine rosa Brille und mit der Bitte alle sollen unserem lieben Beispielen folgen, glaubt man die harte Realität einer machthungrigen Welt nur mit Geld verändern zu können. Was sind das für Politiker und ihre Diplomaten, die glauben ausgerechnet fremdländische maskuline Politiker mit diktatorischen Gelüsten, sind mit sanften Geschwätz und Zahlungsbereitschaft von ihrem Machtstreben abzubringen? In deren Augen ist das Schwäche und Dummheit, die ausgenutzt werden muss. Das Geld der Dummen wird gerne noch mitgenommen. Weil auch Dummheit bestraft gehört. Und wer einmal gezahlt,… Mehr
Fraglich ist nun, ob der Türke militärisch wirklich ernst macht und wie Russland und in der Folge die USA sich verhalten werden. Super gefährliche Zuspitzung der Lage. Man kann nur hoffen, dass Erdogan nachgibt.
Ein Angriff auf russische Truppen wäre glatter Selbstmord für die Türkei.
Und Trump hat besseres zu tun, als sich wieder in den Syrien-Konflikt aktiv einzumischen.
Danke für diesen aufschlußreichen Artikel. Die Lage ist bitter und brandgefährlich. „Interessant“ für Deutschland dürften auch die Reaktionen der türkischen Community sein, wenn Erdogan diese entsprechend anweist.
Gab es je einen unfähigeren Deutschen Aussenminister?
Sie haben vollkommen recht mit Ihrem deutlichen und ehrlichen Artikel. Das Problem an der Sache ist nach wie vor, dass wir eine Kanzlerin haben, die schon lange nicht mehr führt, sich aber lieber eine Hand abschlagen lassen würde, als ihr Amt vorzeitig abzugeben. Uns da sie lauter charakterlose Politiker um sich scharrt, die alle Angst vor ihr haben, gibt es niemanden, der endlich „auf den Tisch haut“. Leider rächt sich jetzt die Nicht-Existenz einer handlungsfähigen deutschen Regierung der letzten Jahre. Und viele Deutsche sind immer noch der Meinung, dass doch alles gut ist in unserem Land. Spätestems jetzt sollten alle… Mehr
Ihr Beitrag, Herr Spahn, ruft eine Forderung Helmut Schmidts in mein Gedächtnis zurück: Wer Politiker werden will, sollte ein gehöriges Maß an Geschichtskenntnis und Geschichtsinteresse mitbringen.(sinngemäß zitiert) Was Schmidt sagen wollte bedarf keiner Interpretation. Wer „wegen Auschwitz“ in die Politik gegangen ist steht stellvertretend für all Jene, die ihm seine Karriere ermöglichten und seine „Performance“ goutieren. „Das ist die eigentliche Tragik des diplomatischen Unvermögens, des fehlenden Kompasses.“ Der Politiker der „Post-Moderne“ kann erfolgreich in „selbstverschuldeter Unwissenheit“ verharren. Wir sehen die Resultate.
„Meint man es ernst mit einer NATO als nicht nur Militärbündnis, sondern als Wertegemeinschaft, dann muss man dafür eintreten, dass ihre Mitglieder sich an deren Statuten halten.“ Aber, aber, Herr Spahn. Was war da 1999? Der Überfall der NATO auf Restjugoslawien, um die mohammedanische Terrororganisation UCK zum Sieg zu bomben. Erdogan wird sich erinnern, wie seine Jagdbomber gemeinsam mit Bundeswehr-Tornados dort Christen morden durften. Er will nur wieder, was die NATO ihm schon gönnte. Und wenn der Heiko fordert: „…dass wir die Verantwortlichen der Kampfhandlungen in Syrien zur Verantwortung ziehen müssen“, warum fängt er nicht bei denen an, die für… Mehr
Und was ändert 1999 an meiner Aussage, Herr Kampfmeyer? Nichts.
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