Was erlauben Israel?

Wenn welche, die nicht vergessen wollen, auf jene treffen, die nicht vergessen können, dann sollten jene, die nicht vergessen wollen, aber auch nicht schweigen können, zumindest darauf achten, nicht jenen, die nicht vergessen können, zu erklären, wie es mit dem würdigen Gedenken „klappt“.

Abir Sultan/AFP/Getty Images
Israel's President Reuven Rivlin delivers a speech during the Fifth World Holocaust Forum at the Yad Vashem Holocaust memorial museum in Jerusalem on January 23, 2020.

In einem Kommentar für das ARD-Hauptstadtstudio stellt Sabine Müller fest: „An Bundespräsident Steinmeier lag es nicht: Der Gedenktag in Yad Vashem wurde von den egoistischen Auftritten Israels und Russlands überschattet. Eine vertane Chance im Kampf gegen Antisemitismus.“

Sabine Müller ist „traurig“, dass es in Jerusalem mit dem „würdigen Gedenken“ nicht „geklappt hat“, erklärt aber auch, dass das mit dem Nichtklappen nicht an der deutschen Seite gelegen hat. Wenn Deutschland etwas macht, dann gründlich: „Ja, vieles war würdig und überzeugend, und dazu hat der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beigetragen.“

Ja, Deutschland weiß, wie es geht. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Zu Deutschlands Beitrag sagt Sabine Müller: „Das war würdig.“

Israel aber benahm sich laut Frau Müller unwürdig: „Unwürdig war dagegen, wie Israel und Russland diesen Gedenktag teilweise kaperten. Wie sie vor der offiziellen Veranstaltung sozusagen ihre eigene politische und erinnerungspolitische Privatparty feierten.“

Sabine Müller behauptet, Israel habe das Gedenken „gekapert“ und eine unwürdige „Privatparty“ daraus gemacht. Sie erklärt, über 90-jährige Holocaust-Überlebende hätten eine Dreiviertelstunde lang in Yad Vashem warten müssen „wie bestellt und nicht abgeholt“. Ich bin mir sicher, in Deutschland wäre das nicht passiert. Wenn Deutschland was kann, dann Juden schnell abholen.

Benjamin Netanjahu habe zwar „immerhin“ seinen „Auftritt bei der Gedenkveranstaltung in Yad Vashem eklatfrei hinter sich“ gebracht, aber letztendlich war für Frau Müller dieser Gedenktag „leider auch eine vertane Chance“.

Wer ist diese Frau Müller, die so unverschämt über die Gedenkveranstaltung schreibt? Ist sie vielleicht verwandt mit dem Herrn Müller, dem einst das Rezept für ein französisches Kartoffel-Soufflé verraten wurde?

Man weiß es nicht. Allerdings scheint es notwendig, Frau Müller das Rezept für anständiges Verhalten zu verraten.

Frau Müller, es ist im hohen Maße respektlos, wenn eine deutsche Journalistin einer jüdischen Regierung in einem jüdischen Staat vorwirft, den Opfern des Holocausts nicht würdig zu gedenken und sogar unterstellt, aus dem Gedenken eine „Privatparty“ zu machen. Ihr Kommentar klingt in etwa so:

„Was erlauben Israel? Wir Deutschen haben nicht über sechs Millionen Juden ermordet, damit jetzt in einem Land, in dem über sechs Millionen Juden leben, so unwürdig damit umgegangen wird. Etwas mehr Respekt vor Deutschland. Wir nehmen die Dinge noch ernst! Wir haben den Holocaust ernstgenommen und jetzt nehmen wir das Gedenken ernst. Das lassen wir uns weder von Juden, noch von irgendwelchen dahergelaufenen Russen kaputt machen.“

Ja Frau Müller, so in etwa klingt Ihr Kommentar.

Es gibt zwei verschiedene Formen der Erinnerung. Die einen gedenken, weil sie nicht vergessen wollen und die anderen gedenken, weil sie nicht vergessen können. Wer nicht vergessen kann, weil es Teil der eigenen schmerzhaften Geschichte ist, gedenkt nicht, weil er sich davon etwas verspricht, er gedenkt, weil er nicht anders kann, weil das Erinnern ein Schrei ist aus Schmerz, Wut und Unverständnis. Wer aber nicht vergessen will, der erhofft sich aus dem Gedenken einen Profit und sieht die Erinnerung als Chance, etwas daraus zu lernen.

Was aber soll es aus dem Holocaust zu lernen geben? Dass Menschen zu grausamen Ungeheuerlichkeiten in der Lage sind? Dass man Menschen nicht millionenfach vergast? Dass Juden auch Menschen sind? Dass man lieb zueinander sein sollte? Dass man sich wehren darf, wenn man verfolgt wird? Dass man Menschen, die andere Menschen vergasen, den Krieg erklärt? Dass man wahnsinnige Menschen mit allen Mitteln entwaffnet? Dass man judenfeindliche Regime nicht im Namen des deutschen Volkes zum 40. Jubiläum gratuliert, wie es Bundespräsident Steinmeier mit dem iranischen Regime getan hat? All das sollte man auch ohne Holocaust wissen. Der Holocaust ist keine Nachhilfestunde für moralisch Sitzengebliebene. Das Gedenken an den Holocaust ist keine Chance auf eine Verbesserung der Welt. Der Holocaust ist ein unvergessbares und unverzeihliches Verbrechen, aus dem es nichts zu lernen gibt.

Menschen, die nicht vergessen wollen, sehnen sich aber nach einen Nutzen aus dem Verbrechen. Zu irgendwas muss der Holocaust ja gut gewesen sein. Diese Menschen sind dann ganz stolz, wenn es ihnen gelingt, aus dem Verbrechen eine Lehre zu ziehen. Sie sind die Herrenmenschen der Vergangenheitsbewältigung.

Ein Übersetzer der Rede Steinmeiers erklärte auf Facebook: „Das habe ich heut mit großem Stolz und tiefer Demut gedolmetscht.“ Ist es nicht anrührend, dass manche Deutsche wieder stolz sind auf den Holocaust, wenn auch nur auf den Umgang damit?

Manchmal ist es besser, einfach zu schweigen. Wenn aber Menschen, die nicht vergessen wollen, auf jene treffen, die nicht vergessen können, dann sollten jene, die nicht vergessen wollen, aber auch nicht schweigen können, zumindest darauf achten, nicht jenen, die nicht vergessen können, zu erklären, wie es mit dem würdigen Gedenken „klappt“.


Dieser Beitrag ist zuerst bei Tapfer im Nirgendwo erschienen.

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Kommentare ( 36 )

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Christoph_Koehler
4 Jahre her

Das zeigt in der Tat die ganze Schizophrenie dieses Denkens auf. Man könnte es auch mit der Devise auf den Punkt bringen, „es gibt kein Volk, bloß ein Tätervolk!“. Steinmeier, der als Außenminister mit der Aussage glänzte, es mache keinen Sinn mehr, von deutscher Leitkultur zu reden, da es die im multikulturellen Einwanderungsland Deutschland über weite Strecken schon gar nicht mehr gebe und sich demonstrativ eine Frau Sawsan Chebli ins Team geholt hat, entdeckt, wenn es um die „ewige Schuld“ am Holocaust und die „ewige Neigung“ der verbliebenen Herkunftsdeutschen zu Rassismus und Antisemitismus geht, das Denken in völkischen Kategorien wieder.

Karl Schmidt
4 Jahre her

Israel feiert eine „Privatparty“ zum (gelungenen) Holocaust – und die ARD hat den nächsten Staatsfunkskandal fabriziert. Schön rotzig, schön geschmacklos, grenzüberschreitend und vor allem hirnlos. Die Botschaft passt aber nahtlos in das Verhalten der Bundesregierung: Israel begünstigt oder verursacht ja selbst den Judenhass. ** Personelle Konsequenzen wird es wieder nicht geben. Doch die Rundfunkanstalten haben fertig: Sie sind inhaltlich eine Zumutung für jeden einigermaßen intelligenten und mit Fairness gesegneten Menschen. Sie bewegen sich ungeniert im Fahrwasser der totalitären deutschen Staaten des 20. Jahrhunderts. Wieder scheitern deutsche Medien beim Versuch, eine pluralistische Demokratie zu fördern und Respekt für andere Ansichten zu… Mehr

Hildegard
4 Jahre her

Es wird hier dem ÖR schon wieder allerhand böse Absicht unterstellt, ohne eine weitere Möglichkeit zu bedenken: nämlich, dass das Fräulein Müller einfach nur richtig, richtig dumm ist! Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Führungskräfte in den öffentlichen Rundfunkanstalten mächtig im Quadrat springen vor Ärger, weil sie jüngst immer öfter die Scherben zusammen kehren müssen, die die Twitter-hungrige Moral-Journaille hinterlässt.

Peer Munk
4 Jahre her
Antworten an  Hildegard

Wie kommt es aber, dass jemand, der richtig richtig dumm ist, für die ARD einen Kommentar anlässlich dieses Gedenkens verfasst? Müllers Meinung den Holocaust und Israel betreffend wird den Leuten ja schon länger bekannt sein. Außerdem ist es eine weit verbreitete Ansicht in Linksgrünen Kreisen.

Freestyler
4 Jahre her
Antworten an  Hildegard

Hildegard, Sie irren. Bitte lesen Sie das hier (vorher lieber hinsetzen), es nur „unpräzise formuliert“: https://www.hr.de/unternehmen/korrekturen/stellungnahme-zum-kommentar-von-sabine-mueller-auf-tagesschaude-am-23120,stellungnahme_kommentar_tagesschau_de-100.html

Clemens
4 Jahre her

Zur im Artikel auch erwähnten Übersetzung von Steinmeiers Rede ist mir zuerst beim Hören auf WDR 3, wo der englische Vortrag mit einer deutschen Übersetzung überlagert war, ein m.E. bemerkenswertes Detail aufgefallen. Im Original heißt es (nachzulesen hier https://www.haaretz.com/israel-news/full-text-of-german-president-s-yad-vashem-speech-we-germans-have-not-learned-from-1.8438504): „I wish I could say that we Germans have learned from history once and for all. But I cannot say that when hatred is spreading.“ Daraus wurde (so habe ich es auch andernorts gelesen): „Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt. Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten.“ Ich… Mehr

Gisela Fimiani
4 Jahre her

Für Politiker gilt: words are cheap. Es ist die Schamlosigkeit, mit welcher Herr Steinmeier Phrasen zum Besten gibt wohl wissend, dass die „Taten“ deutscher Politiker seine Worte ad absurdum führen. Es beschleicht einen das Gefühl, dass nur die toten Juden gute Juden sind. Man stellt sich einer Vergangenheit, die aber keinen Bezug zur Gegenwart hat, weder zum Staat Israel, noch zu lebenden Juden. „Der Worte sind genug gewechselt, nun lasst mich endlich Taten sehen.“ Fangen wir mit UN Abstimmungen, bei denen es um Israel geht, an. Möge Herr Steinmeier seinen Worten Glaubwürdigkeit verleihen.

Amerikaner
4 Jahre her

Bei Anlässen wie diesem reihen sich mittlerweile Würdelosigkeiten dicht aneinander. Ich finde es an Würdelosigkeit z.B. nicht mehr zu überbieten, was FWS dort aufgetischt hat. Die Scham und Schande, die er für sein Volk empfindet, ist völlig gegenseitig. Für so einen Präsidenten kann man sich nur schämen. Die Diäten des Tätervolks nimmt er trotzdem gerne und führt auf seine Kosten ein bequemes und privilegiertes Leben. Auch diese endlosen Wiederholungen grenzen mittlerweile an intellektuelle Folter. Bitte, lasst doch Gnade walten und sülzt uns nicht mit dem gleichen Senf immer und immer und immer wieder zu. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Es… Mehr

Marcel Seiler
4 Jahre her

Das Problem mit dem deutschen Holokaustgedenken ist, dass es den meisten nicht wirklich um die toten Juden geht und um die lebenden sowieso nicht. Sondern sie nutzen das Gedenken zur eigenen moralischen Selbsterhöhung gegenüber der Welt, aber besonders gegenüber den eigenen Landsleuten, denen man dabei als Nebeneffekt noch jede Menge Antisemitismus unterstellen kann.

So ging es wohl auch der hier erwähnten Kommentatorin M. Und die hat das vermutlich einfach nur gemacht hat, weil sie sich im Strom des Zeitgeistes der Herrschenden befindet.

K.Weber
4 Jahre her

Das Holocaust Forum 2020 wäre also so schön gewesen, wenn nur die lebenden Juden und danoch ihr Staat Israel nicht im Weg wären. Das hätte dann dem Iran-Apologeten und Berufspharisäer Steinmeier auch die Krokodilstränen einfacher gemacht. Antisemitismus gibt es in Deutschland nicht nicht nur an den Rändern, sondern in den Staatsorganen, in der sogenannten politischen Klasse und vor allem im den linken Mainstreammedien und im Staatsfunk. Der Michel sappelt es dann nach. So hörte ich vor kurzem, man solle sich bei Trump nicht wundern, der hätte ja sogar Juden in der Familie. Und es wurde im Kreise zustimmend genickt.

Freestyler
4 Jahre her
Antworten an  K.Weber

Haben Sie dazu etwas gesagt?

AngelinaClooney
4 Jahre her

Der Hessische Rundfunk hat schon reagiert: https://www.hr.de/unternehmen/korrekturen/stellungnahme-zum-kommentar-von-sabine-mueller-auf-tagesschaude-am-23120,stellungnahme_kommentar_tagesschau_de-100.html?fbclid=IwAR2aNvQSuYn0Qu3HByGrTNvXnmrGKqLyZEQk7iJQj2aIdT3VYuo1GRpaY3A Alexander Wendt schreibt zur Stellungnahme des hr: „Ob das Oma-Umweltsau-Lied des WDR oder der Kommentar zum Holocaust-Gedenktag und Israel vom HR: Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es mittlerweile einen festen Ablaufplan für den Umgang mit eigenen Fehlleistungen. 1. War ja nur Satire/nur Kommentar, also kein Grund, sich über den Inhalt aufzuregen. 2. War alles nicht so gemeint. Wenn die HR-Redakteurin Israel vorwirft, den Gedenktag in Yad Vashem zu „kapern“, dann meint sie natürlich gar nicht den Gedanktag. Spricht sie von Israel und Russland, dann meint sie gar nicht diese Länder. 3. Patzig auf dem… Mehr

imapact
4 Jahre her
Antworten an  AngelinaClooney

Schön zusammengefasst. Fehlt nur noch Punkt Nr.5: es wird kolportiert, daß Frau Müller eine Morddrohung bekommen hat. Von wem auch immer, muß man ja nicht nachweisen. Und schon wird aus der unverschämten „Journalistin“ das arme, bedauernswerte Opfer und niemand darf mehr wagen, dieses Opfer zu kritisieren.

Th. Radl
4 Jahre her
Antworten an  imapact

Im Gegenteil! Das legitimiert ausdrücklich diesen Popanz, genannt: Kampf gegen Rääääächtz!

Ruhrler
4 Jahre her
Antworten an  AngelinaClooney

„Der Kommentar gibt die persönliche Einschätzung der Autorin wieder. Er ist eine Meinungsäußerung, die von der Pressefreiheit garantiert ist. “
Und schwupps hat der ÖR damit nichts mehr zu tun. So einfach ist das.

Micci
4 Jahre her
Antworten an  AngelinaClooney

„4. Opferkarte ziehen“ – ich wette einen falsch ausgestellten GEZ-Überweisungsträger gegen eine Datenanfrage für meinen Hund, dass spätestens Mittwoch bei Frau Müller „Morddrohungen“ eingegangen sein sollen.

Denn das hat die GEZ-Schickeria doch bestens verstanden: man geht nicht mehr ohne …

UngebetenerGast
4 Jahre her

Ich frage mich, was sich die Israelis dabei gedacht haben, zum Holocaustgedenken ausgerechnet den Deutschen einzuladen, der gerade noch einem Regime zum Jahrestag gratuliert hat, das seit Jahrzehnten auf die Vernichtung Israels hin arbeitet. Wollten sie Steinmeier auflaufen lassen? Zusehen, wie er sich in den Widersprüchen, die er lebt, verheddert? Das hätten sie sich sparen können. Der Mann ist unfähig zur Scham, moralisch ein Autist.

Martin L
4 Jahre her
Antworten an  UngebetenerGast

Das habe ich mich auch gefragt. Dafür wird es sicherlich politische Gründe geben. Scheinbar ist Deutschland für Israel doch noch irgendwie wichtig.