Wenn der Befragte sagt „Ich gerate wohl ein wenig ins Monologisieren“ dann weiß man als Journalist: Jetzt ist etwas schief gelaufen. Denn ein Interview ist eine Befragung auf Augenhöhe, nicht eine Nick-Veranstaltung.
Was Hubert Seipel am Sonntag in seinem Interview mit Russlands Staatschef Wladimir Putin in der ARD ablieferte, war ein schlimmes Beispiel für Genicke. So unkritisch ging er mit seinem Interviewpartner Putin um, dass der sich selbst eben diesen verräterischen Satz sagte: „Ich gerate eine wenig ins Monologisieren“. Spätestens da hätte ein Profi ein Fragen-Gewitter abgefeuert. Nicht Nick-Seipel.
Dabei hätte es so viele Punkte zum Einhaken gegeben. Wo Russland draufsteht, ist Russland nicht drin, diese russischen Soldaten sind gar keine? Ach, sagt Putin, Panzer, Maschinengewehre und das ganze Zeug – so was kann doch heute jeder überall kaufen! Kann man das? Und damit ein Nachbarland überfallen? Seipel schweigt und nickt. Keine Frage dazu, wie der vollbesetzte Jumbo-Jet mit der Todesflug-Nummer MH 17 und 298 unbeteiligten Passagieren abgeschossen wurde. Putin darf sich als unschuldiges Lamm gerieren, und Seipel fragt nicht nach den Toten, die das nette Lamm gerissen hat, sondern: Richtig. Er nickt. Das ist mehr als der Versuch, den Befragten aus der Reserve zu locken.
Da hilft es auch nichts, dass Nick-Seipel jetzt nachträglich sein Versagen zur Methode hochjubelt – es sei eben seine „Handschrift“.
Es zeigt Wirkung. Schon plädiert der frühere SPD-Vorsitzende und heutige Vorsitzende beim deutsch-russischen Forum, Matthias Platzeck, dass man die Annexion der Krim völkerrechtlich regeln müsse. Mit anderen Worten: Zukünftig geht es völlig in Ordnung, wenn ein Land ein anderes überfällt und sich ein Stück herausreißt. Völkerrecht? Nebbich. Hier werden kleine Völker und ihre Rechte missachtet, starke Männer auf dem Bildschirm liebedienerisch bewundert, und so werden letztlich Polen und das Baltikum als nächste Beute hergerichtet. Bemerkenswert: Es sind Linke wie Rechte, die Putin bewundern – den starken Maxe, der sich den Amerikanern entgegenstemmt. Dass dabei Frieden und Freiheit vor die Hunde zu gehen drohen – wen scherte, wenn die Bilanz der deutschen Wirtschaft stimmt, die hinter Platzecks „deutsch-russischem Forum“ steht. Selten hat man den Ruf: „Geld regiert die Welt“ ungenierter gehört.
Seipel nickt dazu – denn dabei spielen viele Medien eine seltsame Rolle. Seipel nickt dazu, statt zu hinterfragen.
Die Russen werden in Massen massakriert? Nick-Seipel hat keine Frage zu einer Behauptung, für die es keinerlei Belege gibt. Massakriert werden andere. Durch Kiew marschieren Faschisten, was immer das ist? Nick-Seipel nickt. So entsteht das Bild des braven Putin; der liebe, aber arme, der vom Zwerg angefallen wird. Putin erzählt Märchen, wie er mit Milliarden die Ukraine unterstützt. Seipel? Klar, nickt. Selbstbestimmungsrecht auch der Ukrainer, die Angst der Polen und Balten vor dem nächsten Überfall – Nick-Seipel schweigt. Das ist alles kein Thema für ihn. Es paßt nicht in „Russia Today“-Fragen, in die Fragenkataloge, die das russische Propaganda-Blatt sonst stellt. Es war aber die gebührenfinanzierte ARD, die nicken ließ.
Das war kein Interview – so war es auch immer, das DDR-Staatsfernsehen den großen Boss aus Moskau nicht befragte, sondern nickend huldigte. Wobei man zur Ehrenrettung der damaligen Kollegen sagen musste: Auf eine falsche Frage drohte Rausschmiss. Zumindest. Wer oder was hat Seipel veranlasst, den Putin-Nicker zu geben?
Leider war die anschließende Diskussion mit Günther Jauch kein Gewitter ungestellter Fragen, sondern nur eine Fortsetzung des Nickens. Immer wieder wurden uns die Gehirnwindungen Putins erklärt; die WDR-Chefredakteurin erklärte, wie viele Bürger der Sowjetunion deren Niedergang bedauern – Schade auch, dass wir erst letzte Woche den Fall der Mauer gefeiert haben. Ist doch so schade, dass die Russen nicht mehr da sind, denken viele alte Stasi-Granden, muß man doch verstehen, wenn sie mal kurz Krieg machen, oder? Der Versuch, mit Küchen-Psychologie auf einen Machtpolitiker einzugehen, ist lächerlich. Hier geht es um Taten, die sind der Maßstab. Aber Jauchs Runde war ein Stuhlkreis, weil Wladi wohl die Quietschende versenkt hat. Ein Fragengewitter war es nicht. Es war ein warmer Sommerregen. Ängstlich, anbiedernd, unkritisch.
Putin wurde behandelt wie ein störrischer Dreijähriger, der in einem Zornanfall im Supermarkt das Kaugummi-Regal umgestoßen hat. Alle haben Verständnis, nicken, geben zu bedenken, erklären. Leider hat niemand erklärt, wieso es neuerdings erlaubt sein soll, Nachbarländer zu überfallen. Darf man das, wenn man so tief gekränkt ist? Darf man dann alles, gilt das Völkerrecht dann nicht mehr, wenn man beleidigt ist? Keiner hat die Frage gestellt, wie sich eigentlich die Menschen auf der Krim oder in Donezk fühlen, wenn sie von Putins Räuberbanden überfallen werden, die, mit denen, und hier ein Nicker von Seipel, Putin natürlich nichts zu tun haben will. Oder doch?
Es hat noch das Märchen gefehlt, dass es russischen Soldaten sind, aber was kann Putin dafür, was sie im Urlaub machen? Sicherlich hätte Seipel auch hier genickt. Nur einmal wagte die Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen Widerspruch und sprach vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, das es zu achten gäbe. Aber da wurde sie rüde unterbrochen, und hier kommt das Oberpeinlichste: Statt sich zur Wehr zusetzen, entschuldigte sich Pannen-Ursel dafür. Forsch ist sie nur gegen die eigenen Soldaten, im Studio ist sie feig, oder zumindest eingeschläfert vom süßen Gift des Putinismus: Keiner trägt nach, alle nicken, wenn er zuschlägt. Bei den anderen, klar, die sind ja weit weg im fernen Osten.
Mehr Versagen war kaum je im Deutschen Fernsehen. Die Abschlußfrage von Jauch an Seipel war dann ungewollte Offenbarung: Ob Putin auch ein derartiges Interview mit Merkel im russischen Staatsfernsehen erlauben würde? Da nickte Seipel erstmal nicht. Er hat sofort kapiert: Jauch hat ihn ganz unbewusst als das gesehen, was er ist: ein Putin-Sprecher, der nickt im Auftrag des Herrn. Nach einigen Nachfragen hat er dann doch genickt. Aber er ist ja Dokumentarist. Der nickt und schweigt.
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