DER SPIEGEL Nr. 15 – Schlimmer wohnen

Die Zeiten sind noch nicht lange her, da wären die Panama Papers als exklusive Investigationsstory beim SPIEGEL gewesen. Und was macht er jetzt? Über einige innere Widersprüche.

Die Zeiten sind noch nicht lange her, da wären die Panama Papers als exklusive Investigationsstory beim SPIEGEL gewesen. Nachdem alle Medien in der vergangenen Woche das Thema rauf und runter berichtet hatten, findet das Magazin seine Nischen mit „El Dorado an der Spree“ über die Eigentumsverhältnisse am Ku’damm-Karree und mit der ziemlich spekulativen Geschichte „Im Unterholz“ über die angebliche Verstrickung der Bundesdruckerei in Offshore-Geschäfte. Wer sich für dunkle Geschäfte von Putin und Poroschenko interessiert, wird in „Schokolade auf den Jungferninseln“ fündig, ergänzt durch das Interview „Ein riesiges Schattensystem“ von Matthias Schepp mit dem russischen Magnaten Alexander Lebedew. DER SPIEGEL bäckt kleine Brötchen, allerdings knusprige. Aber wo steht er?

Wie wär`s mit bauen?

Der Titel „Die neue Wohnungsnot“ zum Kampf um bezahlbaren Wohnraum steht in den Ballungszentren ganz oben auf der Agenda. Wer wiederholt in Städten wie Köln, Frankfurt oder München auf Wohnungssuche war, erlebt das in allen geschilderten Ausprägungen allerdings schon seit 30, oder sind es 40 Jahre?  Die Debatte stockt. Wie wäre es mit neue Wohnungen bauen? Aber das wäre irgendwie auch nicht nett – es kostet Platz und überzogene Bau-Standards, vielleicht sogar etwas Mieterschutz. Irgendwie ist das auch nicht links-grün.  Die Eröffnung der Story durch das die Tucholsky-Zeilen „Ja, das möchste: …“ zeigt schon, dass wir uns nicht zuletzt auch mit unseren eigenen Ansprüchen die eigenen Fallen bauen. Ein solider Titel, wie sie gesamte Ausgabe solide ist und viele Interessengruppen bedient. Auch wenn man sich widerspricht.

WELT am Sonntag, NZZ am Sonntag, BILD am Sonntag - alle Nr. 15
Panama und Migranten
Über Draghi – „Fremd in Frankfurt“ – und seine Niedrigzinsen regen sich nur diejenigen auf, die keine Baukredite aufnehmen oder tilgen. Die neuen Häuslebauer hoffen, dass es so bleibt. Was eigentlich ist falsch daran, wenn bei den Niedrigzinsen derzeit viele Bundesbürger in Grund und Boden investieren? Lindert das nicht sogar die Wohnungsnot, die oben so trefflich beschrieben wird? Die allerwenigsten der jungen Familien, die jetzt in Immobilien investieren, tun das wegen der Rendite, sondern um die Wohnkosten für dich selbst kalkulierbar zu halten. Vor wenigen Wochen monierten die Hamburger noch, dass die Reichen immer reicher, die Mittelschicht und die Armen immer ärmer würden. Wenn jetzt die eigene Immobilie auch für Personen und Familien mit mittlerem Einkommen interessant wird, kommt etwas in Bewegung. Zumal die Untersuchungen zeigen, dass Wohneigentum in vielen Ländern Europas ein wichtiger Baustein im Vermögen sind. Aber wie man es auch macht, aus Sicht des SPIEGEL ist es nicht richtig. Daran sieht man das Drama des Blattes: Es ist nicht ganz in der Gegenwart angekommen. Dabei liegt darin doch wenigstens ein Vorteil der Null-Zins-Politik: Bauen wird erschwinglich, wenn, ja wenn, die Zinsbelastung schneller sinkt als die Inflation die Preise treibt. Früher war mehr Konsistenz in der Argumentation….

Neues Geschäftsmodell gesucht

Dass die Banken vergeblich ein neues Geschäftsmodell suchen, haben Sie mit einem Magazin aus Hamburg gemeinsam, das unverdrossen darauf vertraut, dass die Guten am Ende wieder gewinnen und solvent bleiben.

Jan Fleischhauer amüsiert mit seiner Kolumne „Versöhnung mit dem Muslim“, in der er berichtet, dass seine muslimischen Gesprächspartner am Golf null Verständnis hätten für den Altruismus Deutschlands in Bezug auf die Flüchtlinge. Notabene: Die Emirate haben im vergangenen Jahr keinen einzigen syrischen Flüchtling aufgenommen.

Dass Angela Merkel laut Sven Beckers Beitrag in „Andere Basis“ gut mit Friede Springer kann, ist für mich eine Nicht-Geschichte.

In „Das große Nichts“ schreibt Miriam Olbrisch über verunsicherte Gymnasiasten, die trotz baldigen Erreichens der Hochschulreife noch keinen Karriereplan in der Tasche haben, nicht einmal eine Idee, wie sie in das neue Leben nach der Schule einsteigen sollen. Und das ist vielleicht auch gar nicht so schlecht. Projizieren nicht allzu viele Erwachsenen ihre perfekt geplante und organisierte Welt mit all ihrem Erfahrungszuwachs aus den zurückliegenden zwanzig, dreißig Jahren auf die Bedürfnisse ihrer Kinder, statt denen die Starthilfe zu geben, die Erfahrungen selbst zu machen? Es ist trügerisch zu meinen, dass die überbordenden Informationen im Netz hilfreich wären, denn eines geben sie nicht: Orientierung. So stecken die jungen Menschen in einer Falle zwischen Elternprojektion und Informationsüberflutung.

Aus unzähligen Gesprächen mit Top-Managern zum Thema Karriere und Zukunftsplanung habe ich eines gelernt: Die wichtigsten Zutaten für die Zukunft eines jungen Menschen sind neben Wissen auf einem bestimmten Fachgebiet Leidenschaft, Authentizität, Fleiß und Glück. Es ist ein Fehler zu meinen, es gebe nur den einen Weg zum erfolgreichen und befriedigenden Start mit oder ohne Studium in Beruf und gegebenenfalls Karriere. Wenn also viele Abiturienten erst einmal eine Auszeit nehmen, um sich im Leben und im Wissen zu orientieren, ist das nicht die schlechteste „Schule“ für das spätere Leben. Und auch danach muss eine Option immer sein, sich in der Berufs- und Studienwahl irren und noch einmal neu anfangen zu dürfen.

Wo steht der SPIEGEL?

Schlechtes Karma in Hamburg? Alexander Jung und Michaela Schießl beklagen in „Notruf Hafenkante“, dass der Hamburger Hafen bald in der zweiten Liga spielt. Da frage ich mich gerade: Wie war das mit dem HSV? Und wo steht der SPIEGEL?

Anregend ist die gesamte Kultur-Strecke der aktuellen Ausgabe mit Beiträgen über die Enttarnung von Bansky, den berühmtesten – und teuersten? – Sprayer der Welt („Tod eines Phantoms“), über die dunklen Geschäfte der Antikenhändler („Grabes Frische“), über Netflix und Amazon, die das Geschäftsmodell Hollywood ins Wanken bringen („Ein Film für alle Fälle“). Anlässe zum Nachdenken geben kluge und streitbare Beiträge von Nils Minkmar („Der digitale Tourist“) und von Henafe Alali „Ich bin das Elend des 21. Jahrhunderts“. Alali, seit 2014 in Berlin lebender Syrischer Flüchtling wird zukünftig regelmäßig im SPIEGEL aus seinem Leben in Deutschland berichten. „Finanz-Porno“ nennt der slowenische Philosophen Slovoj Žižek die Panama Papers und lädt mit einer scharfen Kapitalismuskritik zur Debatte ein.

Zum Schluss: Die Spuren schmieriger Geschäfte verfolgt die Jenaer Baugenossenschaft künftig per DNA-Analyse. Jetzt erwischen sie auch noch den letzten Hund.

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