SED-Kontinuität: Wahlsieg der alten Kader

Nach den Landtagswahlen in Thüringen gilt die Linke als künftige Regierungspartei, die AfD hingegen nicht. Dabei waren viele Linken-Abgeordnete persönlich in die SED-Diktatur verstrickt. Ein Blick in die neue Linken-Fraktion im Thüringer Landtag.

Emmanuele Contini/NurPhoto via Getty Images

Bei geschichtsbewussten Beobachtern sorgte das Wahlergebnis in Thüringen für düstere Assoziationen. Mit 54,4 Prozent haben die Parteien am Rand des politischen Spektrums erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik zusammen die absolute Mehrheit gewonnen. Das letzte Mal war dies 1932 der Fall, als KPD und NSDAP auf über 50 Prozent der Stimmen kamen.

Während sich viele Kommentatoren über das Wahlergebnis der AfD entsetzten, wurde das der Linken hingegen überwiegend neutral oder sogar mit Respekt betrachtet. Das ist insofern erstaunlich, als die Linke nicht irgendeine Partei ist, sondern bis vor 30 Jahren in Ostdeutschland eine Diktatur betrieb, die 17 Millionen Menschen ein freies Leben verwehrte. Auch wenn die Partei in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken versucht, sie hätte mit dem SED-Regime nichts zu tun, so muss man offenbar daran erinnern, dass sich die Staatspartei der DDR 1989 lediglich umbenannte und danach noch dreimal den Namen wechselte – bis sie sich 2007 etwas anmaßend Die Linke taufte. Sie ist weder eine Neugründung noch eine Nachfolgepartei, sondern, wie ihr Schatzmeister Karl Holluba 2009 an Eides Statt erklärte, „rechtsidentisch mit der ,Die Linkspartei.PDS‘, die es seit 2005 gab, und der PDS, die es vorher gab, und der SED, die es vorher gab.“


Viermal umbenannt – Ex-SED-Vorsitzender und Bundestagsabgeordneter der Linken Gregor Gysi (2)

Obwohl seit der Friedlichen Revolution schon drei Jahrzehnte vergangen sind, ist die Kontinuität dieser Partei größer, als viele Kommentatoren wahrhaben wollen. Bis heute hat kein Parteitag der Linken die DDR klipp und klar als Diktatur verurteilt. Im Gegenteil: In ihrem Parteiprogramm wird behauptet, dass die Ostdeutschen während der 40-jährigen sozialistischen Diktatur vor allem positive Erfahrungen gemacht hätten – wie die „Beseitigung von Erwerbslosigkeit“, die „wirtschaftliche Eigenständigkeit der Frauen“ oder die „weitgehende Überwindung von Armut“. Die Unterdrückung in der DDR, die mindestens 200.000 Menschen ins Gefängnis brachte, bagatellisiert die Linke dagegen als „Erfahrungen staatlicher Willkür und eingeschränkter Freiheiten“. Trotz des Desasters der Planwirtschaft kämpft sie laut Programm immer noch für ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in Deutschland – den Sozialismus.

Fortsetzung des alten Funktionärslebens

Für viele ehemalige SED-Funktionäre und Stasi-Mitarbeiter ist die Linke deshalb bis heute traute politische Heimat, für manche auch die fast bruchlose Fortsetzung ihres früheren Funktionärslebens. Nicht nur auf kommunaler Ebene, sondern auch in den ostdeutschen Landtagen und im Bundestag sitzen zahlreiche Abgeordnete, die in der SED-Diktatur aktiv mitgewirkt haben. Besonders ausgeprägt ist diese personelle Kontinuität in Thüringen, wo die Partei den Anspruch erhebt, weitere fünf Jahre zu regieren. Auch diesmal hat die Linke ihre Kandidaten so ausgewählt, dass von den 29 Landtagsabgeordneten etliche einst der SED dienten.


Mitwirkung in der Diktatur – Bodo Ramelow (l) mit Ex-Stasi-Informanten Kerstin Kaiser (2.v.l.) und Lothar Bisky (r.) (3)

Da ist zum Beispiel die thüringische Infrastrukturministerin Birgit Keller. Nachdem sie 1977 der SED beitrat, war sie in den 1980er Jahren hauptamtliche Funktionärin einer FDJ- und SED-Kreisleitung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion André Blechschmidt hat eine ähnliche Karriere hinter sich. Nach einem Studium des Marxismus-Leninismus wurde er 1982 Mitarbeiter im Rat des Bezirkes Erfurt, wo er zuständig für die Durchsetzung des Machtanspruchs der SED gegenüber den Kirchen war. Der DDR-Staatssicherheitsdienst führte ihn zudem als Inoffizieller Mitarbeiter.

Auch interessant: Wie der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi 1989 die SED rettete

Keller und Blechschmidt sind nur die prominentesten Fälle, in denen ehemalige SED-Funktionäre in der Linken wieder zu Macht und Einfluss kamen. Auch Knut Korschewsky, tourismuspolitischer Sprecher der Linksfraktion, gehört bereits seit 1979 der SED an und war in der DDR zuletzt hauptamtlicher Funktionär der FDJ-Kreisleitung Suhl. Ebenfalls seit vier Jahrzehnten sind die Abgeordneten Ute Lukasch und Ralf Kalich Parteigenossen. Kalich ist innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion und war in der DDR als Berufsoffizier bei den Grenztruppen dafür zuständig, Fluchtversuche mit Waffengewalt zu verhindern.


Von der Stasi als IM geführt – Bodo Ramelow (2.v.l.) mit Linken-Fraktionsgeschäftsführer André Blechschmidt (r.) (4)

Die Liste der ehemaligen SED-Funktionäre im neuen Thüringer Landtag ist damit noch nicht zu Ende. Mit 46 Jahren Parteimitgliedschaft ist die Abgeordnete Gudrun Martha Lukin das dienstälteste SED-Mitglied der Linksfraktion. Sie studierte einst Marxismus-Leninismus in der Sowjetunion und arbeitete ab 1984 für den von der SED eingesetzten Jenaer Bürgermeister. Als hauptamtliche Funktionärin der SED-Stadtleitung in Erfurt war ihre Fraktionskollegin Karola-Elke Stange in der Hierarchie noch höher stehend, denn in der DDR wurden alle wichtigen Entscheidungen von der SED getroffen. Selbst die wesentlich jüngere Arbeits- und Sozialministerin Heike Werner war nach einer zweijährigen Tätigkeit bei der FDJ-Kreisleitung in Zwickau eine viel versprechende DDR-Jungfunktionärin, deren Marxismus-Leninismus-Studium nur durch die Friedliche Revolution ein Ende fand.

Machtbewusster Spitzenkandidat

All das spielt in der Berichterstattung über die Landtagswahlen in Thüringen keine Rolle. Viele Beobachter blicken nur auf den machtbewussten Spitzenkandidaten der Linken, Bodo Ramelow, der aus Westdeutschland kommt und deshalb als unbelastet gilt. Sein Verhältnis zu Rechtsstaat und Demokratie scheint aber eher taktischer Natur zu sein. Dafür spricht nicht nur die Tatsache, dass er sich über das Recht stellte, als er 2010 widerrechtlich eine Demonstration in Dresden behinderte, so dass die Staatsanwaltschaft anschließend gegen ihn ein Strafverfahren einleitete. Auch die DDR wird von ihm, wenn es ihm nützlich erscheint, mal als Diktatur bezeichnet, mal weigert er sich, sie einen Unrechtsstaat zu nennen.

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Ramelow hatte auch keine Bedenken, seine Regierung in den letzten fünf Jahren durch zwei ehemalige DDR-Spitzel stützen zu lassen: die Linken-Abgeordnete Ina Leukefeld und ihr Fraktionskollegen Frank Kuschel. Beide wurden vom Thüringer Landtag gleich mehrfach für parlamentsunwürdig erklärt, weil sie unter anderem Ausreiseantragsteller bespitzelt hatten.


Vom Landtag für parlamentsunwürdig erklärt – langjähriger Linken-Abgeordneter und Ex-Stasi-IM Frank Kuschel (5)

Ungeachtet dessen hat CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring erklärt, Gespräche mit Ramelow führen zu wollen, der allein keine Regierung bilden kann. Ein wie auch immer geartetes Bündnis zwischen den beiden wäre für die CDU ein weiterer Schritt zur Selbstzerstörung, weil sie dann für all diejenigen nicht mehr wählbar wäre, die nicht noch einmal ein sozialistisches Experiment erleben wollen. Den Konservativen unter ihnen bliebe dann nur noch die Flucht zur AfD, die viele zwar für unseriös oder gefährlich halten – die aber immerhin keine Abgeordneten stellt, die persönlich in eine Diktatur verstrickt waren.


Der Beitrag erschien zuerst in: Tagespost vom 31. Oktober 2019 und hier.

(2) Foto: Cornellá Ferran
(3) Foto: Die Linke Sachsen
(4) Foto: Martina Nolte
(5) Foto: Olaf Kosinsky

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Kommentare ( 88 )

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DennisD
4 Jahre her

„In ihrem Parteiprogramm wird behauptet, dass die Ostdeutschen während der 40-jährigen sozialistischen Diktatur vor allem positive Erfahrungen gemacht hätten – wie die „Beseitigung von Erwerbslosigkeit“, die „wirtschaftliche Eigenständigkeit der Frauen“ oder die „weitgehende Überwindung von Armut“.“ – fällt nur mir auf, dass es gerade diese drei Punkte sind, die sich neben Linken und SPD auch die Grünen und mittlerweile die CDU ganz besonders groß auf die Fahnen schreiben? Man hat mitunter den Eindruck, die politischen Akteure hielten die DDR vom Prinzip her für eine gute Sache, es hätte eben nur nicht so funktioniert, wie es sollte. Ergo: Das war kein… Mehr

Imre
4 Jahre her

Schon erstaunlich, Herr Knabe, dass Ihre tlw. berechtigte Kritik beim linken Rand der Linken beginnt, und am rechten Rand derselben Partei aufhört. Die ganzen anderen Erfolgsgeschichten ehemaliger Genossen oder gar IM’s in den anderen Parteien (auch im Kanzleramt), im ÖRR, im ÖD, bei der A.A.- Stiftung, Correctiv, in Wirtschaftsbereichen usw. usf. haben Sie selektiv vergessen? Aber selbst bei berechtigter Kritik gibt es mitunter entlastende Betrachtungsweisen, auch bei einer hier benannten Personalie. Aber erkundigen Sie sich selbst, nur eigene Erkenntnis (oft) macht klug…. Hätte jeder Ex- Genosse /IM den Thüringern derart viel geholfen – und zwar nahezu OHNE Gegenleistung – die… Mehr

Schonclode
4 Jahre her

Und am meisten hetzt AKK von der Bundes CDU. Oder?

Paul Pimmel - der Herr des Kosmos
4 Jahre her

Was ist der Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur?
In der Demokratie treten abgestrafte Funktionäre zurück und verlassen die Politik.
In der Diktatur treten abgestrafte Funktionäre zurück, und die Kritiker müssen es ertragen, getreten zu werden.
Meine Prognose für die nächste Zukunft in der Thüringer Politik: Es wird hochdramatische Szenen geben und am Ende alles beim alten/Alten bleiben. Die korrekte Handhabung renitenten Wählerwillens hat ja die EU im letzten Mai vorgeführt.

Schonclode
4 Jahre her

Tja, da haben wir noch eine FDJ Sekretärin, die auch Marxismus – Leninismus studieren musste, wollte, und bei der war in der DDR ja auch nicht alles schlecht.

Herr Fuchs
4 Jahre her

Warum wurde niemand von diesen Verbrechern verurteilt?
Warten wir ab bis wieder 90 Jährige vor ein Gericht gezerrt werden nur weil sie im Palast der Republik eine Glühbirne gewechselt haben wohingegen Hexen wie Stasikahane weiter ihr Unwesen treiben?
Kann die BRD überhaupt ein Rechtstaat sein wenn sie Verbrecher aus Unrechtstaaten nicht Verurteilt?

Karl Schmidt
4 Jahre her

Herr Knabe, Sie gehören ganz sicher nicht zu denjenigen, die die SED verharmlosen oder verharmlosen wollen. Dennoch hat die SED mehr getan als Sie schildern: Sie hat auch getötet. Sie hat nicht nur unterdrückt, sondern Terror im eigenen Staat und in anderen organisiert, ausgeübt oder unterstützt. Sie hat nicht nur RAF-Terroristen Unterschlupf gewährt, sondern auch Anschläge wie z. B. im (West-)Berliner La Belle ermöglicht, denn die sind ja nicht über Tegel gekommen und verschwunden; sie wurden von der Stasi genau beobachtet. Keine andere Partei in deutschen Parlamenten kann Vergleichbares vorweisen.

Ali
4 Jahre her

Sehr geehrter Herr Knabe,
es ist mir immer wieder eine Ehre Ihre Beiträge lesen zu dürfen. Sie haben sich um dieses Land sehr verdient gemacht! Irgendwann werden auch die durch und durch korrumpierten, zu Zeiten der Bonner Republik noch konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Parteien dies auch wieder begreifen. Zunächst aber muss es denen an die letzte Substanz gehen, erst dann wird die Vernunft wieder einkehren.

Mozartin
5 Jahre her

Sehr geehrter Herr Knabe, Sie werden nicht an den Punkt kommen, an dem Sie die DDR historisch ungeschehen machen könnten. Das ging in der alten Bundesrepublik Deutschland mit den ehemaligen Nazis auch nicht und anders als viele Linke sehe ich in diesem Pragmatismus nicht nur das Absehen von einer reinen Schulddiskussion, die die Linken gerne nur für sich in Anspruch nehmen, sondern die Möglichkeit, zu überlegen, wie es dazu kommen konnte, ohne nur nach Sühne zu rufen. Das ist manchmal von den Opfern viel verlangt, aber Aufarbeitung sollte ihre Namen rein waschen, ihnen Genugtuung widerfahren lassen und ihren Nachkommen ein… Mehr

WU-Mitglied
5 Jahre her
Antworten an  Mozartin

Legasthenie und Hang zum Sozialismus trotz real existierender Diktatur in der DDR, UdSSR, China etc. als Qualitätskriterien eines „Landesvaters“?
Puuuh . . .

Ali
4 Jahre her
Antworten an  Mozartin

Zitat: „Das ging in der alten Bundesrepublik Deutschland mit den ehemaligen Nazis auch nicht“ Gute Frau Virtuosin, bleiben Sie bei der Musik, das wäre glaubwürdiger. Ja, nach der Gründung der Bundesrepublik wimmelte es vermutlich nur so von Altnazis in der Politik. Aber das ist lange her, die ehrwürdige Bonner Republik muss sich für nicht, ich wiederhole für nichts schämen! Auch nicht dafür das ich Start vielleicht mit zum Teil dubiosem Personal zierte. Was daraus erwuchs, war (und leider NUR war) eine der bedeutendsten Demokratien überhaupt. Das dies heute nicht mehr so ist, liegt daran, das man leider nach dem Mauerfall… Mehr

butlerparker
5 Jahre her

Mike Mohring muss zurücktreten. Gerade er weiß, anders als wir „weit weg vom Schuß“ genau, mit er sich da eingelassen hätte. Nur um sich die Regierungspfründe zu sichern.

Diese CDU braucht so niemand mehr. Sie wird den Weg der SPD gehen